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Das Abendmahl des Leonardo da Vinci
"Staunende Verstörte"

Geht es Leonardo in seinem Wandgemälde überhaupt ums Abendmahl oder um den Verrat? Diese Fragen stellen sich Kunsthistoriker und Theologen seit Jahrhunderten. Eindeutige Antworten wird es wohl nie geben. Sicher ist: Leonardos Abendmahl inspiriert bis heute.

Von Astrid Nettling |
    Das restaurierte Fresko "Das Letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci in der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie. Vom 28. Mai 1999 - nach 20 Jahren Restauration - war das Meisterwerk für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. "Die Welt hat Leonardo wieder", jubeln Kommentatoren in Italien. Kritiker sprachen vom "meistgepeinigten Werk in der Geschichte der Malerei", fürchteten, das Original sei für immer verloren. Mehr als 20 Jahre dauerte die Mammut-Restaurierung, Millimeter für Millimeter arbeiteten sich die Experten vor.
    Das restaurierte Fresko "Das Letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci in der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie. Nach 20 Jahren Restauration war das Meisterwerk für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. (picture alliance / dpa / ANSA)
    An einer langen Tafel haben 13 Männer Platz genommen. Das Tischtuch ist von feinstem Leinen. Gerade wurde es aus der Wäschekammer geholt, die Falten sind noch zu sehen. Drei größere Speiseplatten sind über den Tisch verteilt, daneben Teller, Schüsseln, eine Glaskaraffe, weingefüllte Gläser und kleine Brote.
    Santa Maria delle Grazie ist eine Renaissancekirche in Mailand, erbaut im 15. Jahrhundert. Zu ihr gehört auch ein gleichnamiges Kloster, das bis heute von Dominikanern geführt wird. Im ehemaligen Speisesaal – dem Refektorium – ist auf der Nordwand eins der berühmtesten Wandbilder der Welt zu sehen: Leonardo da Vincis Fresko "Das letzte Abendmahl". Leonardo hat es in den Jahren 1494 bis 1498 geschaffen - im Auftrag von Ludovico Sforza, dem damaligen Herzog von Mailand.
    300 Jahre später: Auf seiner Rückreise von Rom kommt Johann Wolfgang von Goethe 1788 durch Mailand. Er besucht auch das Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie mit seinem längst legendären Wandbild.
    Speisen aus der Zeit Leonardos
    Es muss bereits nach dem Mahl sein. Die Speiseplatte in der Mitte der Tafel ist leer, auf der Platte rechts liegt noch Fleisch, auf der Platte links liegen ganze Fische. Hier und da sind Speisereste auf den Tellern zu erkennen – kleine Stücke von Aal, dünn geschnittene Orangenscheiben.
    Flussaale waren in der Gegend um Mailand damals ein beliebtes Gericht. Das Abendmahl in den Speisesälen zeitgenössischer Klöster darzustellen, war zu Leonardos Zeit nichts Ungewöhnliches. In seiner Abhandlung "Das Abendmahl des Leonardo da Vinci" erklärt der Kunsthistoriker Herbert von Einem:
    "Das Abendmahl gehört in Italien, vor allem in der Toscana, seit dem 14. Jahrhundert zum Bildprogramm der Refektorien. Die tägliche Mahlzeit der Mönche soll Erinnerung und Nachfolge des heiligen Mahles sein."
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Jesus in der Mitte der Tafel
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Jesus in der Mitte der Tafel (picture alliance / dpa / ANSA)
    In der Mitte der langen Tafel sitzt Jesus. Bekleidet mit einem leuchtend roten Unterkleid und einem Obergewand von kräftigem Blau. Er sitzt dort – den Kopf ein wenig geneigt, den Blick gesenkt. Seine Arme hat er zu beiden Seiten ausgebreitet, die ausgestreckten Hände ruhen auf dem Tisch.
    Der christlichen Überlieferung zufolge haben er und seine Jünger soeben das traditionelle jüdische Pessachmahl zu sich genommen. Wie alle Juden. Für Jesus aber ist es das letzte gemeinsame Mahl vor seinem Tod. Nun ist der entscheidende Augenblick gekommen. In seinem Evangelium berichtet Lukas:
    "Jesus nahm Brot, sagte Dank und gab es den Jüngern mit den Worten: 'Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird; tut dies zu meinem Gedächtnis.' Und ebenso nahm er nach dem Mahle auch den Kelch mit den Worten: 'Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute, das für euch vergossen wird.'"
    "Einer ist unter euch, der mich verrät"
    Doch merkwürdig – auf der Tafel sind nur die mit Wein gefüllten Gläser zu sehen, aber kein Kelch. Auch herrscht keine andachtsvolle Ruhe, wie sie für einen solchen Augenblick zu erwarten wäre. Im Gegenteil – helle Aufregung hat die ganze Tischgesellschaft erfasst. Die sechs Jünger zur Rechten und die sechs Jünger zur Linken.
    Geht es Leonardo gar nicht um das Abendmahl? Macht er den Betrachter stattdessen zum Zeugen jenes Augenblicks, als Jesus den ungeheuerlichen Satz ausspricht, der – einem Sprengsatz gleich – in die Abendmahlsgesellschaft hineinfällt?
    "Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten."
    Heißt es im Markusevangelium. Für den Betrachter Johann Wolfgang von Goethe war es offensichtlich:
    "Das Aufregungsmittel, wodurch der Künstler die ruhig-heilige Abendtafel erschüttert, sind die Worte des Meisters: 'Einer ist unter euch, der mich verrät!' Die ganze Gesellschaft kommt darüber in Unruhe; er aber neigt sein Haupt, die Bewegung der Arme, der Hände, alles wiederholt mit himmlischer Ergebenheit die unglücklichen Worte, das Schweigen selbst bekräftigt: 'Ja, es ist nicht anders! Einer ist unter euch, der mich verrät.'"
    "In der vollkommenen Freiheit der Gleichgültigkeit"
    Leonardo ist nicht der Erste, der beim Thema Abendmahl dieses "Aufregungsmittel" in Szene setzt: die Ankündigung des Verrats. Deshalb betont der Kunsthistoriker Herbert von Einem:
    "Wir müssen unser Augenmerk auf die Frage richten: Wird Leonardo dem geistig-geistlichen Anspruch des Abendmahlthemas noch gerecht? Oder ist das Thema für ihn nur Vorwand zur Behandlung darstellerischer oder psychologischer Probleme, die mit dem Hauptthema nichts oder wenig mehr zu tun haben?"
    Leonardo da Vinci wird in die Zeit jener geistig-kulturellen Umbrüche hineingeboren, die Mitte des 14. Jahrhunderts in Italien ihren Anfang nehmen. Humanismus und Renaissance – die "Wiedergeburt" des antiken Geisteslebens –, die Fortschritte in den Naturwissenschaften eröffnen den Menschen neue Horizonte. Wie also verhält es sich mit Leonardos Abendmahl?
    Der Philosoph Karl Jaspers greift diese Frage auf. In seinem Aufsatz "Leonardo als Philosoph" schreibt er:
    "Wie verhält es sich mit den christlichen Bildern Leonardos? Leonardo, der über alles zu reflektieren scheint, hat darüber kein Wort gesagt. Leonardo teilt nicht mit, ob und wann er betete. Dass er christliche Gegenstände malte, ist kein Zeichen von Christlichkeit. Er lebte in der vollkommenen Freiheit der Gleichgültigkeit in diesen Dingen, wie sie in diesen Zeiten möglich war."
    Uneheliches Kind aus dem Hügeldorf Vinci
    1452 erblickt Leonardo in dem toskanischen Hügeldorf Vinci als uneheliches Kind das Licht der Welt. Er wächst bei seinem Vater auf, einem erfolgreichen Notar in Florenz. Dort tritt er mit siebzehn in die Werkstatt des Bildhauers und Malers Andrea del Verrocchio ein.
    Schon früh erwacht Leonardos Interesse an den neuen Wissenschaften, am genauen Studium der Natur sowie des Menschen. Als Leitgedanke über allem könnten seine Worte stehen:
    "Alles Wissen ist eitel, das nicht in der Sinneserfahrung, der Mutter aller Gewissheiten, zur Welt kommt."
    Deswegen wird Leonardo sein Leben lang an der Forderung sinnlicher Anschaulichkeit festhalten. In seinem "Traktat über die Malerei" schreibt er:
    "Du wirst die Gestalten in solcher Bewegung machen, dass sie ausreicht zu zeigen, was diese Gestalt in ihrem Gemüt hat."
    "Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten."
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Rechte Seite der Tafel. Die Jünger Jacobus, Thomas, Philippus, Matthäus, Thaddäus, Simon
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Rechte Seite der Tafel (picture alliance / dpa / ANSA)
    Vor Schreck darüber ist Jakobus der Ältere auf der rechten Seite der Tafel zurückgefahren und breitet abwehrend die Arme aus. Hinter seiner Schulter kommt Thomas hervor und streckt ungläubig fragend den Zeigefinger nach oben. Philippus ist aufgestanden und führt - seine Unschuld beteuernd - die Hände an die Brust. Matthäus ist erregt, Thaddäus bestürzt. Simon dagegen, der älteste der Jünger, ganz rechts, bleibt unerschütterlich gefasst.
    "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten."
    So steht es im Johannesevangelium – und weiter heißt es dort:
    "Da sahen die Jünger einander an, weil sie nicht wussten, vom wem er rede. Einer von seinen Jüngern lag an der Brust Jesu, der, den Jesus liebte. Diesem winkte Simon Petrus und sagte zu ihm: 'Sprich, wer ist es, von dem er redet?'"
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Linke Seite der Tafel. Die Jünger Johannes, Petrus, Judas, Andreas, Jakobus, Bartholomäus
    Ausschnitt aus "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci: Linke Seite der Tafel (picture alliance / dpa / ANSA)
    Deshalb neigt sich Johannes links zur Seite und schenkt Petrus Gehör, der ihn mit dieser Frage bestürmt. Judas, zwischen beiden platziert, ist erschrocken zurückgewichen und umklammert den verräterischen Geldbeutel. Entsetzt spreizt Andreas die flachen Hände nach oben. Jakobus der Jüngere tippt von hinten Petrus neugierig auf die Schulter, und Bartolomäus ganz links am Tisch ist erregt aufgesprungen und beugt sich mit aufgestützten Händen nach vorne.
    Aber geht es Leonardo tatsächlich in erster Linie um diesen Augenblick der Verratsankündigung? Geht es nur darum, die Wirkung dieser Ankündigung darzustellen? Um eine psychologische Vertiefung?
    Denn sieh: Unberührt von dieser aufgewühlten Tischgemeinschaft – Jesus. Seine ausgebreiteten Arme scheinen die menschlichen Wogen der Erregung rechts und links zu teilen – wie einst Moses das Rote Meer – und von ihm fernzuhalten. Keiner von seinen Jüngern berührt ihn. Auch Johannes hat sich von seiner Brust gelöst. Jesus sitzt da – allein. Etwas anderes hat sich inmitten der Tischgemeinschaft aufgetan.
    "Was Augen wahrnehmen, das ist spirituell"
    Leonardo ist niemals abgerückt von seiner Erkenntnis, dass alles, was wirklich ist, durch die Sinne gehen muss – aber zugleich hält er in seinen Aufzeichnungen zur Malerei fest:
    "Die Malerei ist eine wunderbare Kunst und von feinster Spekulation durchdrungen."
    Der Philosoph Karl Jaspers erläutert:
    "Leonardo preist das Auge. Es spiegelt alle Werke der Natur. Doch hat Leonardo mehr im Sinn. Was Augen wahrnehmen, das ist selber spirituell, wenn der rechte Blick es sieht. In der Sinneswelt findet der ständige Aufschwung über die Sinneswelt statt – aber nicht in ein Jenseits der Sinne."
    Deshalb schau genau hin: Alles vollzieht sich vor den Augen der Jünger und verweist mitten unter ihnen dennoch auf eine andere, auf eine geistige Wirklichkeit und Wahrheit. In der Gestalt Jesu wird sie gegenwärtig. Doch dafür haben die Jünger keinen Blick, sie sind aufgewühlt und in Beschlag genommen von ihrem Nichtverstehen.
    Der Dichter Rainer Maria Rilke hat sich von dieser Darstellung Leonardos zu seinem Gedicht "Abendmahl" inspirieren lassen:
    "Sie sind versammelt, staunende Verstörte,
    um ihn, der wie ein Weiser sich beschließt
    und der sich fortnimmt denen er gehörte
    und der an ihnen fremd vorüberfließt.
    Er hat sie zu dem letzten Tisch entboten
    und (wie ein Schuss die Vögel aus den Schoten
    scheucht) scheucht er ihre Hände aus den Broten
    mit seinem Wort: sie flattern bange durch die Tafelrunde
    und suchen einen Ausgang. Aber er
    ist überall wie eine Dämmerstunde."
    "Vor seinem Bilde sitzen, die Figuren anstarren, nachdenken"
    Rund vier Jahre arbeitet Leonardo an seinem Wandbild. Studiert die Menschen – ihre Gestik, ihre Mimik –, fertigt Skizzen über Skizzen an. Zum großen Verdruss des Priors, der das Fresko für sein Refektorium schneller fertiggestellt sehen will.
    Ein Zeitgenosse, der Dominikanermönch Matteo Bandello, der später mit seinen Novellen berühmt wurde, ist zu dieser Zeit Novize im Kloster Santa Maria delle Grazie. Er berichtet über Leonardos Arbeitsweise:
    "Leonardo pflegte schon oft im Morgengrauen das Gerüst zu besteigen, von Sonnenaufgang bis zum Finsterwerden den Pinsel nicht aus der Hand zu legen. Zu anderen Zeiten ließ er zwei, drei, vier Tage verstreichen, ohne etwas daran zu tun; doch mochte er eine Stunde oder zwei vor seinem Bilde sitzen, die Figuren anstarren und über sie nachdenken."
    Denn eins behält Leonardo bei seinem Schaffen stets im Blick:
    "Der gute Maler muss zweierlei malen – den Menschen und seine geistige Verfassung; das Erstere ist leicht, das Letztere schwierig."
    Welch schwer fassbare Geisteslage spricht aus den Zügen Jesu, wie er da sitzt – allein. Seinen Blick hält er gesenkt, sein Mund ist wie zum Sprechen ein wenig geöffnet. Sanfte Ergebenheit, aber ebenso unbeirrbare Berufungsgewissheit sind in seinen Zügen zu lesen. Zugleich überschattet ein leiser Schmerz sein Gesicht – das Wissen um seine Fremdheit unter den Jüngern sowie das Wissen um sein nahes Geschick.
    "Die alte Einsamkeit kommt über ihn,
    die ihn erzog zu seinem tiefen Handeln;
    nun wird er wieder durch den Ölwald wandeln,
    und die ihn lieben werden vor ihm fliehn."
    Heißt es in Rilkes Gedicht "Abendmahl". Aber noch ist es nicht soweit. Noch sind alle versammelt. Noch ist es nicht Nacht geworden.
    Drei Fensteröffnungen sind im Hintergrund zu sehen. Sie geben den Blick frei auf eine bläulich konturierte Hügellandschaft, die sich in der Ferne unter einem lichten Himmel ausbreitet. Vor der größeren Öffnung in der Mitte – Jesus. Von dort umfängt einzig seine Gestalt Helligkeit und Licht. Sein Haupt reicht über die ferne Horizontlinie der Landschaft hinaus und in die transparente Sphäre des Himmels hinein.
    "Seine Frömmigkeit vollzieht sich durch das Auge"
    Wie hält Leonardo es also mit dem 'geistig-geistlichen' Anspruch des christlichen Abendmahlthemas? Friedrich Nietzsche hat von Leonardos "überchristlichem Blick" gesprochen. Der Philosoph Karl Jaspers:
    "Leonardo hat gelebt mit der Transzendenz des Spirituellen, spricht von Gott, aber dieser Gott ist nicht der offenbarte Gott der Bibel. Seine Frömmigkeit vollzieht sich durch das Auge. Sie vollzieht sich im Sehen der Transparenz dieser Sichtbarkeit, in der alle Erscheinungen Gleichnisse werden."
    Bei Leonardo finden sich die Worte:
    "Hier erhebt sich das menschliche Denken zur Anschauung des Göttlichen."
    Deshalb schau genau hin: Brot und Wein sind da – die sichtbaren Gaben der Erde. Doch darf das Auge nicht dabei stehenbleiben. Der Blick muss weiter gehen, bis sich Brot und Wein in ein Gleichnis wandeln, das eine andere Wahrheit offenbart. Deshalb schau auf Jesus und folge der Neigung seines Kopfes, der Richtung seines gesenkten Blicks, der Geste seiner rechten Hand. Sie weist auf das Brot, das vor ihm auf dem Tisch liegt, und weist zugleich darüber hinaus.
    Der Kunsthistoriker Herbert von Einem deutet Jesu Haltung so:
    "Christi Gebärde darf nicht nur (wie es Goethe und seine Nachfolger getan haben) auf die Verratsankündigung bezogen werden. Während die Jünger allein von dem Unheil, das ihnen droht, bewegt sind, besiegelt Christus durch sie seine göttliche Sendung."
    "Nehmt, esset, das ist mein Leib."
    Heißt es im Matthäusevangelium. Trotzdem sollte eins ebenso wenig übersehen werden, wie Karl Jaspers hervorhebt:
    "Jesus hat sich nicht selbst zum Sakrament gemacht. Das Abendmahl als Kulthandlung ist eine Gründung der Apostel."
    Was Ludovico Sforza, der herzogliche Auftraggeber, zu Leonardos "Abendmahl" gesagt hat, ist nicht überliefert. Aber für ihn, den gläubigen Christen, wird klar gewesen sein, wie das Wandbild zu verstehen ist.
    Ob der Dichter Conrad Ferdinand Meyer jemals im Refektorium von Santa Maria delle Grazie gewesen ist, ist nicht bekannt. Und doch findet er Worte, als stünde er direkt vor Leonardos Bild:
    "Es sprach der Geist: Sieh auf!
    Ich hob den Blick. In lichtem Wolkenraume
    Sah ich den Herrn das Brot den Zwölfen brechen
    Und ahnungsvolle Liebesworte sprechen.
    Es sprach der Geist: Sieh auf! Ein Linnen schweben
    Sah ich und vielen schon das Mahl gegeben.
    Es sprach der Geist: Sieh auf! Die Luft umblaute
    Ein unermesslich Mahl, so weit ich schaute."