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Das Ding mit uns

Nicht nur von der immer intimeren Beziehung zwischen Mensch und Ding ist in Wolfgang Ullrichs Buch "Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?" die Rede. Mit philosophischer Brille und historischer Perspektive untersucht der Autor auch, wie Produkte entwickelt und vermarktet werden, wie Dinge gemacht werden und was sie deshalb mit uns machen.

Von Olaf Karnik |
    "Mir war aufgefallen, dass in unserer alltäglichen Welt es ganz viele Gegenstände gibt heutzutage, die nicht nur einen Gebrauchswert haben, sondern die darüber hinaus noch sehr viele Signale abgeben. Das fängt bei der Zahnbürste an, das geht beim Duschgel weiter, und das bezieht sich auf nahezu alle alltäglichen Gegenstände heutzutage - dass sie etwa dem Käufer ein bestimmtes Rollenangebot machen, dass er ein Stück weit seine Identität darin wiederfinden kann und damit natürlich auch ausdrücken kann. Mir ist also aufgefallen, dass Dinge heute nicht nur als Statussymbole fungieren, wie das über lange Zeiten in der Kultur üblich war, sondern dass sie auch als, ja, Anlässe fungieren für den Konsumenten, über sich selber nachzudenken, sich selber einzuordnen, sich sowas auch wie einen Lebensentwurf damit zu geben oder ihn zu konkretisieren - dass Dinge also die Rolle von Freunden, von Partnern, von Gefährten, von Kritikern übernommen haben, was sie in diesem Ausmaß ganz gewiss noch nie in unserer Kultur gehabt haben."

    Wolfgang Ullrichs Beobachtungen sind nicht von der Hand zu weisen, deswegen macht auch der von ihm geprägte Begriff der Konsumkultur Sinn. Ebenso wie seine These, dass ein Konsumbürgertum heute das traditionelle Bildungsbürgertum abgelöst habe. Denn viele entwickeln ihr Selbstverständnis heute primär aus Konsumgütern und weniger aus der Identifikation mit klassischen Bildungsgütern. So macht der promovierte Philosoph und Kunsthistoriker, der heute ebenso als Hochschuldozent wie als Unternehmensberater tätig ist, deutlich, dass es im Kapitalismus kein Jenseits der Konsumgesellschaft mehr gibt. Fast alle Konsumartikel sind in ihrem ästhetischen Mehrwert so stark ausdifferenziert, dass sie einen reinen Gebrauchswert, der die Grundbedürfnisse befriedigt, um ein Vielfaches übersteigen. So verheißen Konsumgüter häufig eine Vielzahl von Möglichkeiten - sie fungieren als Biografie-Requisiten, motivieren zur Fiktionalisierung des eigenen Lebens oder suggerieren durch ihr Neuheitsimperativ die Chance eines permanenten Neuanfangs.

    Deswegen sind nach Ullrich Identitätskonstruktionen und Lebensentwürfe quer durch alle sozialen Schichten und Milieus zunehmend durch ein Habenwollen von Konsumgütern geprägt. Aber nicht nur von der immer intimeren Beziehung zwischen Mensch und Ding ist in seinem Buch die Rede. Mit philosophischer Brille und historischer Perspektive untersucht der Autor auch, wie Produkte entwickelt und vermarktet werden, wie Dinge gemacht werden und was sie deshalb mit uns machen.

    "Eine überzeugende Inszenierung stammt von Adidas. Ein Shower Gel, dessen Behälter Elemente des Turnschuh-Designs aufnimmt und das mit 'Energisant' und 'body recharge' beschriftet ist, gibt sich auch sonst wie eine Batterie, mit deren Hilfe sich der Körper wieder aufladen lässt. So ist der Verschluss wie der Schalter eines technischen Geräts gestaltet und mit 'on' und 'off' markiert: Wenn man 'anschaltet', kommt das Gel aus der Flasche; der Energiekreislauf ist in Bewegung gesetzt. Selbst das Sound-Design passt dazu, da der Schalter beim Drehen knackt, was das Gefühl, eine Funktion auszulösen, nochmals verstärkt. Damit die Aufladmetaphorik passt, muss der Nutzer sich oder seinen Körper jedoch wiederum 'verdinglichen'. (...) So ernüchternd diese Vorstellung sein mag, so verführerisch ist sie zugleich, da sie den Konsumenten davon freispricht, irreversibel zu altern. Statt der Zeit unterworfen zu sein, kann man grundsätzlich immer wieder neu anfangen."

    Nicht nur mit aktuellen Produkt- und Image-Analysen wartet Ullrich auf, auch eine historisch-vergleichende Perspektive wird angelegt. So schildert er, wie sich die Gestaltung von Personenwaagen innerhalb von drei Jahrzehnten stark verändert hat. In den 70er Jahren noch fröhlich-bunt, rund und mit einer Interpretationsspielraum lassenden Anzeige ausgestattet, sind die Waagen von heute zu nüchternen, kantig-digitalen Messgeräten mutiert. Es gibt Diagnosewaagen und solche mit Trendanzeige, die vorherige Messdaten speichern und somit Abweichungen von einem anvisierten Ziel dokumentieren. Von einem unkomplizierten Vorgang sei das Wiegen heute also zu einem Problemkomplex geworden, folgert Ullrich in Hinblick auf die gesellschaftlichen Konditionierungen, die von den Dingen ausgehen. Sein geisteswissenschaftlicher Ansatz schafft hier erhellende Momente, wie man sie von Marktforschern nicht erwarten darf. Wenn schon totale Konsumkultur, dann bitte auch den aufgeklärten Konsumenten, scheint Ullrichs Motto zu lauten. Dass Aufklärung aber von Seiten der Hersteller und mit Studien beauftragen Institute nicht unbedingt gewollt wird, zeigt Ullrichs Untersuchung der wissenschaftlichen Grundlagen der Konsumkultur.

    "Je mehr mit Milieu-Studien gearbeitet wird, desto eher bewahrheiten sich aber auch ihre Definitionen. So tauchen in den erhobenen Daten. etwa in jenen Fotos von Wohnzimmern, zunehmend Produkte auf, die bereits mit Hilfe von Milieustudien entwickelt und einem speziellen Milieu zugeordnet wurden. Die Arbeit der Soziologen wird damit nicht nur erleichtert, sondern zum Muster einer 'self-fulfilling prophecy': Die Gesellschaft passt sich ihren Einteilungen an. Da es kaum noch Waren gibt, die nicht irgendwelchen Typologien folgen, hat sich der Kunde jedesmal zu entscheiden, welcher Mentalität, welchem Lebensstil und welchen Werten er den Vorzug gibt. Selbst wenn keine Produktvariante genau passt, muss er sich auf etwas festlegen. Studien, die Menschen typologisieren, besitzen somit nicht nur deskriptiven Charakter, sondern üben normierenden Einfluss aus."

    Zu den interessantesten Kapiteln in "Haben Wollen" zählt sicherlich Ullrichs Auseinandersetzung mit den Methoden der Markt- und Konsumentenforschung. Fazit: Aus Konkurrenzangst herrsche hier eine Geheimhaltungspolitik vor, die dem Geist aufgeklärter Wissenschaft widerspricht. Ausführlich stellt der Autor auch dar, wie akribisch Erkenntnisse und Methoden der Soziologie, Psychologie, Gehirnforschung und Geisteswissenschaften herangezogen werden, um die Märkte und Konsumenten so gut zu verstehen, dass man ihr Verhalten vorhersagen und kontrollieren kann. Dass diese Überzeugung aber wegen der Unübersichtlichkeit vieler Faktoren letztlich naiv ist, darüber besteht auch bei Ullrich kein Zweifel. Umso größere Hoffnung setzt der Autor in feuilletonistische Produktkritik und in Konsumwissenschaft als zukünftiges Lehrfach.

    "Man könnte das in der Schule schon beginnen lassen, dass es so ein Fach wie Warenkunde oder Konsumkunde, das man irgendwo zwischen dem Deutsch- und dem Kunstunterricht anzusiedeln hätte, einfach noch nicht existiert, dass es aber sozusagen sehr viel Bedarf gäbe für ein solches Fach, in dem man etwa Markenkunde unterrichten könnte, in dem man erklären könnte, mit welchen Menschenbildern verschiedene Hersteller arbeiten, in der man Grundzüge der Warenästhetik auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung darstellen könnte. Aber, was ich mir auch vorstellen könnte, ist dass einzelne Produkte die sozusagen so komplex codiert sind, die mit soviel Raffinesse entwickelt sind, genauso rezensiert werden in Feuilletons wie ein Roman oder wie eine Inszenierung eines Theaterstücks rezensiert wird. Und dass damit auch Kriterien und Ansprüche auch definiert werden und gewisse Infantilisierungen, die die heutige Konsumkultur mit sich bringt, dann auch stärker als solche benannt und kritisiert werden - also, etwa die Tatsache, dass zwar ganz viele Marken darauf Wert legen, dass sie irgendwelche Geschichten erzählen, dass sie sich sozusagen andocken an alte Mythen oder an Topoi aus der Literaturgeschichte oder Religionsgeschichte oder Kunstgeschichte, dass sie das aber oft dann so verkürzt oder so plump machen, dass das was übrig bleibt eigentlich nur wirklich eine recht lächerliche und vor allem parasitäre Situation bedeutet."