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"Das Fest der Bedeutungslosigkeit"
Kein linearer Handlungsverlauf

Milan Kunderas Welterfolg "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" aus dem Jahr 1984 nimmt sich neben seinem neuesten Werk "Das Fest der Bedeutungslosigkeit" geradezu schmökerhaft aus. Mit ansteigendem Alter schrieb der in Paris zurückgezogen lebende Schriftsteller nicht nur immer dünnere, philosophisch extrahierte, sondern auch immer weniger Bücher.

Von Ursula März |
    Der Schriftsteller Milan Kundera auf einem Bild von 2005
    Der Schriftsteller Milan Kundera auf einem Bild von 2005 (picture-alliance/ dpa/dpaweb)
    Sie flanieren, sie plaudern, begegnen sich zufällig im Park, pflegen die leichtfüßige Art des Philosophierens und finden sich am Ende auf einer Cocktailparty ein: Geradezu urfranzösisch wirkt der Habitus der vier älteren Herren, die Milan Kundera in seinem neuen Roman "Das Fest der Bedeutungslosigkeit" auf die Reise durch 140, großzügig gedruckte Prosaseiten schickt.
    Einen Plot gibt es so wenig wie einen linearen Handlungsverlauf. Der Leser begegnet vielmehr kleinen Szenen, verstreuten Dialogen und miniaturhaften Reflexionen, die scheinbar aus dem Nichts erscheinen und wieder verschwinden; zeitlich wie narrativ nur sehr locker miteinander verbunden. Man könnte meinen, der große europäische Romancier habe sich in diesem Alterswerk den virtuosen Spaß erlaubt, die Substanz eines Romans auf ihre äußerste Essenz zu reduzieren. Ein literarisches Vergnügen der abstrakten und, das sei nicht verschweigen, der eher unterkühlten Art.
    Der Nabel der Welt
    Dass diese Prosa dem Geist der Ironie entsteigt, deutet sich schon in der ersten Szene an. Einer der vier Herren, Alain, sinniert beim Spaziergang durch den Jardin du Luxembourg, was es bedeutet, dass junge Mädchen neuerdings nicht ihre Brüste, ihren Po oder ihre Schenkel zum Zielobjekt erotischer Blicke machen, sondern ausgerechnet ihren zwischen Hose und T-Shirt frei sichtbaren Nabel. Der sprichwörtliche Nabel der Welt erweist sich als kleine modische Zeitgeistgeste und Alains Kindheitstrauma, als Junge von der Mutter verlassen worden zu sein und als letzte Erinnerung die an ihren Nabel behalten zu haben, verliert in der Bedeutungsökonomie des Ironischen an Gewicht. Nicht durch Zufall wählt Milan Kundera eine weiße Vogelfeder, die während der Cocktailparty von der Decke herunter durch die Luft schwebt, als Emblem dieses kleinen Buches, auf dem auch die Gattungsbezeichnung Roman viel zu schwer zu Lasten scheint.
    Biografische Vergangenheit
    An allen Ecken und Enden des Prosastücks weisen Spuren in Kunderas literarische und biografische Vergangenheit. Die zentralen Themen und Motive, die seine Romane und Essays über Jahrzehnte begleiteten, leuchten noch einmal auf: Die Kunst der erotischen Verführung, die weibliche Schönheit, der politische und der menschliche Verrat, das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit und, dies am einprägsamsten, die Epoche der stalinistischen Diktatur, die Milan Kundera in der Tschechoslowakei erlebte. Charles, einer der vier Herren, erzählt eine Anekdote, die davon handelt, dass niemand lachte, wenn Stalin Witze erzählte, da seine Zuhörer das Lachen verlernt hatten. Damit spielt Kundera auf seinen ersten Roman "Der Scherz" aus dem Jahr 1967 an, in dem Student zur Zwangsarbeit verurteilt wird, weil er einen Witz erzählt hat.
    All dies, so teilt uns der große europäische Schriftsteller durch den erregungslos schlendernden Habitus mit, hat das Feld der Bedeutung verlassen und ist in den schwebenden Zustand der heiteren Nonchalance übergangenen. Nur aus ihr, nur aus der Heiterkeit, ist ein letzter Sinn der Dinge zu gewinnen. Und nur die Poetik der Abgeklärtheit scheint Milan Kundera an der Form des Romans noch zu interessieren. "Die Bedeutungslosigkeit", lautet der Kernsatz seines neuen Buches, "ist die Essenz der Existenz." Ein solcher Satz beansprucht geradezu überdeutlich, als altersweise gewertet zu werden. Er befindet sich zugleich in fataler Nähe zu einer Art Altersweisheitskitsch, den man als Bewunderer des Werks von Milan Kundera lieber ignorieren möchte.
    Milan Kundera: "Das Fest der Bedeutungslosigkeit".
    Aus dem Französischen von Uli Aumüller. Hanser Verlag 2015, 140 Seiten, 16.90 Euro