Die Krippe bleibt leer. Denn die Geburt Jesu ereignet sich in einer Höhle. Der einzige Schutz, den die schwangere Maria findet. Josef geht los, um eine Hebamme zu suchen. Plötzlich bleibt die Zeit stehen. Josef erlebt, dass alles in der Bewegung inne hält, die Schafe erstarren, die Hirten essen nicht weiter, auch die Vögel bleiben in der Luft stehen.
"Also der gesamte Kosmos bleibt für einen Moment stehen. Das ist auch ein bestimmtes Motiv, das man aus der Antike kennt. Das ist der Moment, in dem sich die Geburt Jesu ereignet, die Josef so auf eigene Weise erlebt", sagt der Evangelische Theologe Jens Schröter von der Humboldt Universität Berlin.
Das ist so die Art und Weise wie hier deutlich gemacht wird, dass es sich um ein außergewöhnliches, außerhalb der Zeit, außerhalb der Dinge geschehenes Ereignis handelt.
Als Jesus zur Welt kommt, erstrahlt ein Licht
Die Geburt Jesu in der Höhle wird im Protevangelium des Jakobus geschildert. Der Text stammt aus dem zweiten Jahrhundert und war besonders verbreitet und beliebt in der Ostkirche. Als Jesus zur Welt kommt, erstrahlt ein blendendes Licht in der Höhle. Josef bringt die Hebamme zu Maria, die die Jungfrauengeburt als Wunder preist. Als Salomé das Geschehen bezweifelt und die Jungfrauenschaft nach der Geburt mit ihren eigenen Händen untersucht, da verkümmern ihr die Hände. Entsetzt beklagt sie ihren Unglauben, wird aber wieder geheilt als sie das Jesuskind verehrt.
Jungfrauengeburten sind keine Erfindung der Christen, das gab es in der Antike häufiger. Die christlichen Kindheitslegenden widmen viele Kapitel der Reinheit und Keuschheit der Maria, dass sie davidischen Geschlechts sei. Auch in der Buddha-Vita wird schon früh eine übernatürliche Geburt bezeugt.
"Das gibt bei Moses oder Platon oder Alexander dem Großen, dass bei Geburten solcher herausgehobener Figuren, sich irgendwelche besonderen Dinge ereignen, dass ist nicht für die Antike singulär. Damit soll gesagt werden, dass die unterschieden sind von allen anderen Menschen", sagt Jens Schröter.
Blüten sprießen, Düfte wehen, Vögel zwitschern
Die Geburt des Jesuskindes wird schon in den frühesten Texten von kosmischen Wunderzeichen begleitet – wie die Geburt der anderen göttlichen Kinder Buddha und Krishna. Götter und himmlische Wesen schützen den neugeborenen Erlöser. So erscheinen glückbringende Sternenkonstellationen. Blüten sprießen, Düfte wehen, Vögel zwitschern. Nicht nur die himmlischen Wesen jubeln, der göttliche Glanz dringt bis zu finstersten Höllenbewohnern vor. Denn mit dem göttlichen Kind wird auch ein künftiger Retter geboren, der die Menschen auf den richtigen Weg führen wird. In den Kindheitsevangelien finden sich viele Elemente, die auch in die Kunst eingeflossen sind. Der Stall, die Flucht nach Ägypten oder Geschichten über den kleinen Jesus.
Jens Schröter: "Das Ganze zeigt, dass das frühe Christentum nicht nur aus solchen Texten gelebt hat, die wir im Neuen Testament haben, die wir kanonisch oder biblisch nennen. Sondern dieses immer schon in einem größeren Traditionsbereich sich bewegt hat. Und das Christentum auch aus solchen Traditionen gelebt hat, eigentlich immer schon, die nicht im strengen Sinne biblische Traditionen sind. Aber durchaus diese biblischen Traditionen aufnehmen, interpretieren und sie weitererzählen. Und darin besteht der eigentlich Wert und der eigentliche Reiz dieser Art von Schriften."
Im Kindheits-Evangelium des Thomas stammt ebenso aus dem zweiten Jahrhundert. Es zeigt ein Jesuskind, das noch wenig gezähmt erscheint. Ein Kind, das poltert, gekränkt ist oder Rache nimmt. Ein wenig ungeschliffen. Als der fünfjährige Jesus am Sabbat an einem Bach spielt und aus Lehm Spatzen formt, da beschweren sich die Erwachsenen beim Vater Josef, dass das Kind die Feiertagsgebote bricht. Als Josef den kleinen Jesus ermahnt, klatscht dieser nur in die Hände und sagt zu den Spatzen: Fort mit euch! Und die Spatzen breiteten die Flügel aus und flogen davon.
Er solle wie ein Baum verdorren, sofort verdorrte jener Junge
In anderen Geschichten verflucht Jesus schon mal seine Spielkameraden. Als Jesus einmal einen Damm gebaut hatte und ein anderer Junge einfach das Wasser ablaufen lässt, wird Jesus wütend. Er beschimpft den Jungen als Gottlosen und Dummkopf. Er solle nun auch wie ein Baum verdorren. Und sofort verdorrte jener Junge und starb. Die Eltern aber beschwerten sich bitterlich bei Josef.
Ein anderer Junge rempelte den kleinen Jesus einmal beim Spielen an. Auch diesen Jungen verwünschte Jesus. Er solle seinen Weg nicht mehr fortsetzen. Und der Rempler fiel hin und starb. Die Eltern aber erschraken. Sie fragten, woher dieser Jesus stamme. Sie forderten von Josef, dass Jesus das Dorf verlasse. Es sei denn, Josef lehre ihn zu segnen statt zu verfluchen. Josef wies den kleinen Jesus zurecht. Auf die Frage, warum er so handele, antwortete Jesus:
"Ich weiß, dass diese Worte nicht die deinen sind, trotzdem will ich deinetwegen schweigen. Jene aber sollen ihre Strafe tragen."
Und sofort erblindeten die, die ihn angezeigt hatten. Darauf zog Josef den kleinen Jesus am Ohr. Der Fünfjährige aber tadelt seinen Vater.
"Es ist alles legendarisch"
Jens Schröter: "Also alles, was wir über Geburt und Kindheit Jesu sagen können, ist alles legendarisch. Es ist diese eine Schrift, diese Kindheitserzählung des Thomas, dass die solche befremdlichen, anstößigen Episoden enthält, das ist so."
Der Erzieher Zachäus war über den Verstand des kleinen Jesus erstaunt und wollte ihn die Schrift lehren und unterweisen.
Und Jesus fragt den Lehrer weiter aus. Zachäus aber vermochte auf die Gelehrsamkeit des Jungen nicht zu antworten. Tief betrübt bittet er Josef, seinen Sohn Jesus wieder zurückzunehmen. Er sagt:
"Ich ertrage die Strenge seines Blickes nicht, noch auch nur ein einiges Mal seine durchdringende Rede. Dieses Kind ist nicht erdgeboren. Das kann auch Feuer bändigen. Es ist wohl gar vor der Erschaffung der Welt gezeugt worden. Dieser ist irgendwie etwas Großes, ein Gott oder ein Engel.
Jesus belehrt oder verflucht
Der erste Schulbesuch ist ein Beispiel, das auch in der Buddha-Vita auftaucht. Die göttlichen Kinder kennen bereits alle Schriftzeichen oder auch Schriften. Sie sind allwissend und unterweisen stattdessen ihre Schulmeister. Nur Krishna braucht im Dschungel keine Schrift. Die Schulbesuche des kleinen Jesus werden in der Kindheitserzählung des Thomas mehrfach aufgegriffen. Jesus belehrt oder verflucht noch andere Schulmeister, weil sie die göttliche Natur des Jungen nicht erkennen. Als Zachäus seinen Irrtum einsieht, werden sofort alle geheilt, die Jesus einst verflucht hatte.
Aber auch in der Kindheitserzählung findet der kleine Jesus noch seine Rolle. Er heilt einen jungen Mann, der sich in den Fuß gehackt hat. Und als er seinem Vater beim Weizen-Säen aufhilft, da vergräbt Jesus nur ein einziges Korn. Der Vater erntet daraus 400 Wagenladungen Getreide. Alles Getreide, was übrig war, schenkt Jesus den Armen des Dorfes. In weiteren Episoden erweckt er sogar Tote zum Leben.
Die Gelehrten sind von der Weisheit des Jungen berührt
Es läuft darauf hinaus, dass der 12jährige Jesus im Tempel in Jerusalem die Ältesten und Schriftgelehrten zum Schweigen bringt - das steht auch im Lukasevangelium. Als göttlicher Sohn kennt Jesus die Schriften und ihre Auslegung. Die Gelehrten sind von der Weisheit des Jungen berührt.
Der Tempelbesuch ist eine Episode in der göttliche Kinder ihre wahre Natur offenbaren können. Auch über den kleinen Buddha überliefert, wie er erstmals einen Tempel besucht. Alle Götterstatuen aus dem vedisch/hinduistischem Kult fallen sofort auf ihr Angesicht und beten den Buddha-Knaben an. Auch der kleine Krishna beendet den Opferkult für den alten vedischen Gott Indra und führt eine neue Religion ein. Die Legenden vom Tempelbesuch unterstreichen die Universalität und den kosmologischen Anspruch der Lehre der göttlichen Kinder. Natürlich haben die Kindheitslegenden keinerlei historischen Inhalt, sagt der Theologe Jens Schröter, aber:
"Es ist wirklich interessant bei diesen Texten, das finde ich ein ganz spannendes Feld, dass man gerade bei diesen Texten gut sehen kann, wie literarische Rezeption und bildliche Rezeption wie das so ineinander greift. Das ist für diese Phase der Christentumsgeschichte ganz wichtig."
Die Lebenswege der göttlichen Kinder ähneln sich
Alle göttlichen Kinder scheinen miteinander verwandt. Sie gehen einen ähnlichen wunderbaren Lebensweg. Nach übernatürlicher Zeugung und Geburt müssen sich die Kinder bewähren. In der Welt werden sie verfolgt oder bedroht und überstehen alle Gefahren unbeschadet.
Sie haben unbändige Kräfte wie der kleine Krishna oder strotzen nur so vor Weisheit und Wissen wie Buddha und Jesus. Sie durchlaufen keine richtigen Entwicklungsstufen wie andere Kinder. Aber an ihrer Vollkommenheit stößt sich ihre Umgebung bisweilen. Ihre göttliche Natur bleibt lange unverstanden, bis es zu einem öffentlichen Auftritt kommt:
Im Tempel, in der Schule oder in einer Situation der Bedrohung durch Dämonen. Geschichten über göttliche Kinder wie Krishna, Buddha oder Jesus gibt es in vielen Religionen. Ihre Wunder können beunruhigen oder erstaunen. Auf jeden Fall geben sie einen Einblick in den Volksglauben der jeweiligen Religion. Dort gab es jenseits hoher Theologien ein Gespür für andere göttliche Wirklichkeiten, die hinter dem Wortlaut stehen, dass religiöse Bilder eben auf Allegorien verweisen. Das Kindchenschema wirkt.