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Das Todesurteil gegen Marschall Philippe Pétain

Sein Name spaltet bis heute die französische Gesellschaft. Der Marschall Philippe Pétain wurde als Sieger von Verdun zum Retter Frankreichs im Ersten Weltkrieg und ging in die Ruhmesgeschichte unseres Nachbarlandes ein. Doch als er 1940 nach der Niederlage Frankreichs gegen Hitler-Deutschland, zum Staatschef aufgestiegen, mit dem deutschen Diktator kollaborierte, wurde er in den Augen vieler Franzosen zum Verräter, der keinen Platz im kollektiven Gedächtnis der Nation verdient. Nur ein Gnadenakt seines großen Gegenspielers, des Generals de Gaulle, rettete ihn vor dem Tod.

Von Peter Hölzle |
    " Den Befehlen der Regierung ist Folge zu leisten ... die Kriegsumstände werden die deutsche Armee in die Kampfzonen zurückführen, in denen sie besondere Anordnungen treffen kann. Diese Notwendigkeit zu akzeptieren, ist eine Empfehlung, die in Ihrer aller Interesse liegt ... ."

    Mit diesen Worten bereitete Marschall Philippe Pétain am 6. Juni 1944 die Franzosen auf die bereits begonnene Landung der Alliierten in der Normandie vor. Es war dies die letzte offizielle Verlautbarung des französischen Staatschefs, in der er sich noch einmal als willfähriges Werkzeug der deutschen Besatzungsmacht erwies. Aber schon Ende August war Pétain ein König ohne Land. Sein Hitler-Deutschland angeschlossener Satellitenstaat, den er nach dem deutschen Blitzsieg 1940 vom Kurort Vichy aus regiert hatte, existierte nicht mehr. Der Vormarsch der alliierten Verbände hatte ihm ein Ende gemacht. Der Rückzug der Wehrmacht wurde auch der Rückzug der Regierung Pétain. Ein unfreiwilliger Rückzug, denn der Marschall und seine Minister, obwohl vom Kainsmal der Kollaboration mit den Deutschen gezeichnet, wollten sich lieber den Truppen des freien Frankreich unter General de Gaulle ergeben als dem deutschen Heer in ein Zwangsexil folgen. Schließlich war de Gaulle einmal der Untergebene Pétains gewesen. Da konnte der Marschall auf mildernde Umstände hoffen. Auf die musste er freilich noch ein ganzes Jahr hoffen.

    Erst blieb er bis zum 20. April 1945 nominelles Staatsoberhaupt des nach Sigmaringen an der Donau verpflanzten Vichy-Frankreichs, das dort nur noch als Staatsphantom existierte. Dann stellte er sich den Behörden der Provisorischen französischen Regierung, die ihm den Prozess machen ließ. Ein gemessen an der Schwere der Anklage erstaunlich kurzer Prozess, der nur drei Wochen dauerte. Die wesentlichen Punkte der Anklageschrift:

    "Unterzeichnung des Waffenstillstands mit Hitler-Deutschland, Verschwörung gegen die französische Republik und die Sicherheit des Staates, Kollaboration mit dem Feind, bereitwillige Unterstützung der deutschen Kriegsmaschine, Preisgabe der Kriegsflotte, Auslieferung französischer Arbeitskräfte zur Zwangsarbeit nach Deutschland, Unterstützung des deutschen 'Kreuzzuges gegen den Bolschewismus. "

    Der Angeklagte nahm dazu nur einmal kurz Stellung. In der ersten Sitzung am 23. Juli führte er aus:

    " Ich habe mich freiwillig gestellt, um dem französischen Volk Rechenschaft abzulegen, nicht dem Hohen Gerichtshof, der das französische Volk nicht repräsentiert. Nach meiner Einschätzung hat der Waffenstillstand Frankreich gerettet, habe ich während der vierjährigen Besatzungszeit durch mein Handeln die Franzosen vor dem Schlimmsten bewahrt, habe die Befreiung vorbereitet und die einzig möglichen Grundlagen für den nationalen Wiederaufstieg gelegt. Indem Sie mich verurteilen, verlängern Sie die Zwietracht in Frankreich. ... Ich erkläre mich für unschuldig und verweigere jede weitere Aussage ... ."

    Auch wenn das Geschworenengericht im Prozessverlauf einige Anklagepunkte wieder fallen ließ, hielt es am Verratsvorwurf fest und verurteilte Marschall Pétain in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1945 zum Tode. Das Urteil fiel mit vierzehn zu dreizehn Stimmen denkbar knapp aus und war von einer Empfehlung begleitet. 17 der insgesamt 27 Geschworenen plädierten für die Nichtvollstreckung des Urteils. In diesem Wunsch mag auch schlechtes Gewissen mitgeschwungen haben, denn fast der ganze Justizapparat des befreiten Frankreich war der alte des Vichy-Regimes. Das heißt: Richter und Staatsanwälte, in Sonderheit Chefankläger Mornet, hatten auf ein Staatsoberhaupt ihren Amtseid geleistet, das sie jetzt verurteilten: Marschall Philippe Pétain.

    Da dies allgemein bekannt war, suchten viele von ihnen ihren Gesinnungswandel durch Übereifer zu beweisen, was oft zu drakonischen Strafen führte. Das Strafmaß für Pétain ist gleichfalls unter diesem Blickwinkel zu sehen. Albert Camus, der den Pétain-Prozess beobachtete, nahm Anstoß an der verbreiteten Heuchelei. In der Résistance-Zeitung Combat schrieb er am 2. August 1945 in Anspielung auf Generalstaatsanwalt Mornet und einige Zeugen der Anklage:

    " Bis jetzt war dieser Prozess voller Humor ..., schwarzem Humor wohlgemerkt. Denn einem Prozess, in dem es um die Ehre und zum Teil um die Zukunft Frankreichs geht, kann man sich nur ironisch nähern, wenn man feststellt, dass darin ein Vertreter der Anklage und Zeugen der Anklage auftreten, die über keine Legitimation zur Anklage verfügen. ... es sind dies Menschen, die in allen Regimen oben schwimmen."

    Wohl auch in Erkenntnis dieser menschlichen Befindlichkeit folgte Staatschef de Gaulle der Begnadigungsempfehlung des Gerichts. Schon am 17. August wandelte er die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe um. Der Gnadenakt fiel ihm leicht. So sehr er in Pétain den Kollaborateur verachtete, so sehr bewunderte er in ihm den Militär, der als 'Sieger von Verdun' Frankreich im Ersten Weltkrieg vor der Niederlage gerettet hat.