Ann-Kathrin Büüsker: Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 auf der Computermesse CEBIT gesagt. Unsere Daten zu schützen und uns die Möglichkeit dazu zu geben, selbst über sie zu verfügen, das ist derzeit eine der Aufgaben, die die Politik massiv beschäftigt – auch weil Unternehmen wie Facebook unsere Daten nicht zu schützen scheinen oder nur unzureichend. Dafür hat sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg gestern auch bei den Spitzen der Fraktion des EU-Parlaments entschuldigt und Besserung gelobt.
Mit dabei war Jan-Philipp Albrecht, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament und Parlamentsberichterstatter für die Datenschutz-Grundverordnung, die ab Ende der Woche europaweit umgesetzt sein muss. Guten Morgen, Herr Albrecht!
Jan-Philipp Albrecht: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Herr Albrecht, wir wollen über Facebook und den Datenschutz in Europa sprechen. War dieses Treffen gestern, dieses Format, dem wichtigen Thema Datenschutz nicht ein bisschen unwürdig?
Albrecht: Nein. Ich glaube, es war wichtig, dass Mark Zuckerberg einmal Rede und Antwort steht, und zwar nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern in den USA und ihren Vertretern, sondern auch hier in Europa. Dass er dabei im Grunde genommen keine Frage beantwortet hat, die wir ihm gestellt haben, ist eine große Enttäuschung einerseits, andererseits aber auch ein wichtiger Beleg für uns, dass wir stärker zur Regulierung greifen müssen und die Regeln besser durchsetzen müssen bei Facebook.
Büüsker: Also ein wichtiges Treffen, damit die EU auch mal zeigen kann, dass sie Macht hat?
Albrecht: Na ja, das müssen wir nicht zeigen. Das ist schlicht und einfach so. Wenn am Freitag die Datenschutz-Grundverordnung inkraft tritt, dann ist das ein Schritt, um unser Recht besser durchzusetzen gegenüber internationalen Konzernen wie Facebook, denn da sind scharfe Sanktionen verankert, und die werden gerade gegenüber Facebook und anderen Internet-Konzernen, die den Datenschutz verletzen, hart durchgesetzt. Anders als jetzt gegenüber kleineren Unternehmen oder Vereinen, für die diese Strafen nicht gedacht sind und wo sie verhältnismäßig ausfallen sollen, sollen sie hier abschreckend ausfallen.
"Nicht unbedingt das beste Format"
Büüsker: Aber dass Mark Zuckerberg Fragen einfach nicht beantworten kann, sich so ein Format schaffen kann, wo ihm das überhaupt möglich ist, das macht die EU doch auch ein bisschen lächerlich.
Albrecht: Ja, es war nicht unbedingt das beste Format, was da gestern gelaufen ist. Ich hätte mir das auch absolut anders gewünscht, weil eine wirkliche Befragung, wo dann auch die Antwort folgen muss oder erzwungen werden kann, anders aussieht. Auf der anderen Seite ist es ja auch in der Hand von Mark Zuckerberg gewesen, hier das Vertrauen, das verloren gegangene Vertrauen bei den Verbrauchern in Europa zurückzugewinnen. Diese Chance hat er verpasst, und ich glaube, er hat sich damit auch keinen großen Gefallen getan, denn jetzt wissen auch die Fraktionsvorsitzenden im Europäischen Parlament, dass es keinen Sinn macht, mit diesem Unternehmen weiter zu reden, sondern dass sie zu scharfer Regulierung greifen müssen.
Büüsker: Gehen wir in die Thematik Datenschutz hinein. Dank der Datenschutz-Grundverordnung soll ich als Nutzerin in Zukunft besser über meine Daten bestimmen können. Aber ich meine, wenn ich weiterhin Mitglied bei Facebook bleibe, dann unterwerfe ich mich ja trotzdem deren Regeln. Was bringt das, wenn ich zwar über meine Daten bestimmen kann, aber, wenn ich Mitglied bleiben möchte, doch zustimmen muss?
Albrecht: Eine wichtige Frage, die ich Mark Zuckerberg gestern auch gestellt habe, ist verbunden mit der neuen Grundverordnung, nämlich dass ich eigentlich nicht gezwungen werden kann, wenn ich Facebook nutzen möchte, Daten freizugeben von mir, die mit der Nutzung gar nicht verbunden sind, die nicht nötig sind, um das System zu nutzen. Trotzdem fragt Facebook diese Daten immer noch ab, und zwar auf eine Friss-oder-stirb-Variante. Sie geben mir keine Möglichkeit, Nein zu sagen, und das ist schlichtweg mit diesen neuen Regeln nicht vereinbar, und ich hoffe und erwarte, dass ab Freitag, wenn diese Regeln gelten, die Aufsichtsbehörden europaweit zusammenarbeiten und das scharf gegenüber Facebook durchsetzen.
"Kommt Facebook dem nicht nach, müssen Strafen folgen"
Büüsker: Das heißt, da werden auf EU-Ebene sich jetzt die Fachleute an die neuen Regelungen dransetzen müssen und die genauestens überprüfen?
Albrecht: Das ist genau der Punkt. Ich glaube, dass vieles von dem, was Facebook derzeit macht und wo es sagt, da halten wir uns an die Datenschutz-Grundverordnung oder an die europäischen Datenschutzregeln, nur vorgeschoben ist. Ebenso zum Beispiel auch das, was wir gestern angesprochen haben, dass die Daten zwischen Facebook und WhatsApp – die gehören ja zusammen – quergenutzt werden. Das haben schon mehrere Gerichte in Europa für unzulässig erklärt. Wenn Facebook dem nicht nachkommt, dann müssen Strafen folgen, und notfalls muss man auch zu scharfen Mitteln des Wettbewerbsrechts greifen und Facebook entflechten. Als größter Binnenmarkt der Welt kann die Europäische Union das, und wir sollten selbstbewusst an diese Frage herangehen und uns nicht kleinreden.
Büüsker: Dann lösen wir uns vielleicht mal von den großen Akteuren und gucken mit Blick auf die Datenschutz-Grundverordnung auch auf die Kleinen, weil hier in Deutschland sorgt diese Verordnung ja im Moment für viel Verunsicherung. Es gibt viele Blogger, Webseiten-Betreiber, die schalten ihre Seiten im Moment erst mal ab, weil sie das Gefühl haben, dass sie mit dem Ganzen überhaupt nicht zurechtkommen, dass sie ihre Webseiten nicht regelkonform gestalten können. Haben Sie die Folgen für die Kleinen unterschätzt?
Albrecht: Ich glaube, unterschätzt haben wir vor allen Dingen, dass viele, die von der Verordnung betroffen sind, erst sehr spät davon mitbekommen haben, denn die Verordnung ist ja schon seit zwei Jahren in Kraft. Die hat einen Übergangszeitraum bis zu ihrer Anwendung, der jetzt am Freitag endet, und da gilt es nun, diese Aufklärung nachzuholen. Aber keiner, der sich als Blogger oder Webseiten-Betreiber oder auch als Handwerksunternehmen darum bemüht, die Datenschutzregeln einzuhalten, dafür auch mehr Zeit braucht, wird Probleme mit den Aufsichtsbehörden bekommen. Und es muss auch niemand vor mehr Abmahnungsgefahr sich fürchten, als das schon jetzt der Fall ist, denn die Regeln dazu ändern sich nicht. Im Grunde genommen gilt der Grundsatz: Wer sich schon heute an die Datenschutzregeln hält, der muss sich auch unter der Datenschutz-Grundverordnung keine Sorgen machen, denn da ändert sich grundsätzlich für die Allermeisten nichts.
EU-Gesetze besser durchsetzbar gegen Weltkonzerne
Büüsker: Das sagen Sie. Aber sogar die deutsche Datenschutzbeauftragte Voßhoff hat die Möglichkeit gestern eingeräumt, dass diese Welle der Abmahnungen kommen könnte, und sie hat die Politik zum Handeln aufgerufen, das zu verhindern. Wie kann das denn sein, dass so ein neues Gesetz so viele Unklarheiten lässt?
Albrecht: Nein. Gesetzesreformen bringen natürlich immer auch offene Fragen mit sich. Erst recht, wenn wir europäische Gesetze anstatt nationalen Gesetzen machen. Niemand kann erwarten, dass die europäischen Gesetze danach eins zu eins genauso aussehen, wie sie in Deutschland sind. Aber es bringt uns ja was, europäische Gesetze zu machen, gerade weil wir die dann auch gegenüber internationalen Konzernen durchsetzen können. Da wo es Unklarheiten gibt, da müssen wir jetzt Beratung leisten. Da muss jetzt das Augenmerk drauf liegen. Die Sorgen müssen ernst genommen werden. Aber das Abmahnwesen, das ist eine deutsche Unart. Die hat mit dem Datenschutz nichts zu tun und die wird auch durch die Datenschutz-Grundverordnung nicht verschärft. Es ist deswegen richtig, darüber nachzudenken, das zu ändern. Ich würde das sehr begrüßen. Aber der Datenschutz ändert an dieser Frage überhaupt nichts.
Büüsker: Sie haben eben angesprochen, dass viele Nutzer und Nutzerinnen erst zu spät von der ganzen Sache mitbekommen hätten, und haben jetzt argumentiert, dass das Ganze eigentlich eine Regelung ist, die gut für die Menschen sein soll. Aber wenn etwas, was für die Bürgerinnen und Bürger gedacht ist, so viel Verunsicherung hervorruft und offensichtlich auch eine gewisse Unkenntnis im Moment da ist, haben Sie dann nicht letztlich als Politik was falsch gemacht, weil Sie das Thema nicht gut genug vermittelt haben?
Albrecht: Vieles von dem, was da jetzt derzeit kolportiert wird, ist wirklich Panikmache. Da werden viele Unwahrheiten verbreitet und auch Missinformationen und Missinterpretationen dessen, was da passieren kann. Niemand muss damit rechnen, dass der Datenschutz ganz anders aussieht. Im Gegenteil! Es wird im Grunde genommen genauso aussehen wie vorher. Das Problem ist häufig, dass viele Menschen und viele Unternehmen auch sich auch heute schon nicht an den Datenschutz gehalten haben, und da müssen wir dann gemeinsam darüber reden und müssen vielleicht auch schauen, wie können wir das gemeinsam schaffen, dass wir alle diese Regeln ernst nehmen, die wir alle wollen und die ein Grundrecht schützen, nämlich das Grundrecht auf Datenschutz.
Natürlich hat die Politik da die Hauptverantwortung. Wir müssen diese Vermittlung besser machen, sicherlich bei EU-Gesetzen noch mal umso mehr, weil da das Augenmerk häufig gar nicht drauf liegt oder die Aufmerksamkeit fehlt. Deswegen gilt es jetzt, gemeinsam da nachzubessern und bei der Vermittlung anzusetzen und dafür zu sorgen, dass alle sich mit diesen neuen Regeln auch zurechtfinden.
"Da braucht es mehr Erklärungsarbeit"
Büüsker: Sie sagen, da sind viele Mythen im Umlauf und viele Unwahrheiten. Aber wenn Vereine und Betriebe jetzt plötzlich einen Datenschutzbeauftragten brauchen, weil da zu viele Leute einfach mit den Daten hantieren, das ist ja schon eine große handfeste Veränderung für die betroffenen Vereine und Betriebe. Das hätte doch im Vorfeld viel besser kommuniziert werden müssen.
Albrecht: Das ist aber keine Veränderung, die die Datenschutz-Grundverordnung bringt. In der Datenschutz-Grundverordnung steht nirgends etwas zu der Anzahl der Personen, die Daten verarbeiten. Das steht im Bundesdatenschutzgesetz und das stand auch schon vorher im Bundesdatenschutzgesetz. Sie sehen, da werden Mythen verbreitet, dass das mit der Datenschutz-Grundverordnung zu tun hat. Stimmt aber nicht! In den allermeisten Fällen sind das Anforderungen, die schon jetzt im Gesetz, in den Gesetzen in Deutschland existieren.
Büüsker: Also wissen wir einfach alle zu wenig über Datenschutz?
Albrecht: Ich glaube, dass das ein Hauptproblem ist, und wir müssen daran ansetzen. Es geht überhaupt nicht, die Sorgen kleinzureden. Ich versuche nur aufzuklären, und ich glaube, dass das viele andere auch tun sollten, und da habe ich von der Bundesregierung und auch von der EU-Kommission noch viel zu wenig gehört. Ich habe die Bundesregierung zum Beispiel noch nicht damit gehört, dass sie versuchen, den Menschen zu erklären, warum die Datenschutz-Grundverordnung auch von ihnen auf europäischer Ebene, also von der Bundesregierung mit verabschiedet wurde – übrigens von allen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, auch mit verabschiedet wurden. Da braucht es mehr Erklärungsarbeit. Das können nicht nur die 750 Europaabgeordneten machen, die 500 Millionen Europäer vertreten.
Büüsker: … sagt Jan-Philipp Albrecht. Er ist innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament und Parlamentsberichterstatter für die Datenschutz-Grundverordnung. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Albrecht.
Albrecht: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.