"Guten Morgen, hier ist meine Karte."
"Wo möchten Sie erstmal hin?"
"In den Lesesaal."
"In den Lesesaal, aha."
"Bitte sehr, dann kriegen Sie die Besucherkarte. Und den Schrankschlüssel. Den Weg kennen Sie?"
"Den Weg kenne ich, dankeschön."
"Wo möchten Sie erstmal hin?"
"In den Lesesaal."
"In den Lesesaal, aha."
"Bitte sehr, dann kriegen Sie die Besucherkarte. Und den Schrankschlüssel. Den Weg kennen Sie?"
"Den Weg kenne ich, dankeschön."
Christian Sachse kennt sich aus im Berliner Bundesarchiv, wo die Akten des ehemaligen Staats- und Parteiapparates der DDR lagern, von SED, Ministerien und einzelnen Betrieben. Im Sommer hat der Politikwissenschaftler und Theologe mit einer großen Untersuchung über die Zwangsarbeit politischer Häftlinge in DDR-Gefängnissen für Wirbel gesorgt. Infolge dieser Studie hat Bahn-Chef Rüdiger Grube am vergangenen Wochenende die Opfer von Zwangsarbeit bei der DDR-Reichsbahn um Entschuldigung gebeten. Auf einer Veranstaltung der "Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft" versprach er, dieses Kapitel der Unternehmensgeschichte innerhalb eines Jahres erforschen zu lassen – unabhängig davon, wer juristisch Nachfolger der Reichsbahn sei. Doch damit ist es nicht getan, sagt Rainer Wagner, Bundesvorsitzender der UOKG:
"Unsere Strategie ist, die weiteren Firmen, die ja jetzt durch die Studie von Herrn Dr. Sachse bekannt geworden sind, systematisch anzuschreiben und bitten, ihre moralische Verantwortung zu übernehmen. Und wenn dieses abgeschlossen ist, streben wir einen Runden Tisch an, wo die wichtigsten Firmen plus Politik plus Betroffene ins Gespräch kommen. Und wir hoffen, dass es zum Schluss in irgendeiner Form eine Entschädigung gibt."
Die Opferverbände führen seit Oktober erste Gespräche mit Vattenfall. Der Stromversorger hatte nach 1989/90 ehemalige DDR-Betriebe übernommen. Und auch mit Kaufhof stehen sie seit August in Kontakt. In einem an die Kaufhauskette "Galeria-Kaufhof" adressierten Brief bezeichnet Rainer Wagner diese "als eine derjenigen westdeutschen Handelsketten, die Produkte aus der DDR bezogen haben, welche unter extrem ausbeuterischen Bedingungen zumindest teilweise von Häftlingen hergestellt wurden. Die Produktion in den Gefängnissen erfolgte unter menschenverachtenden Bedingungen."
Strumpfhosen im Akkord
Kaufhof bezog Strumpfhosen vom volkseigenen Betrieb "VEB Strumpfkombinat Esda Thalheim". Einen Teil davon nähten die Frauen in der Haftanstalt Hoheneck. Über den zuständigen Außenhandelsbetrieb Textilkommerz wurde die Ware in den Westen verkauft. Davon wussten politische Häftlinge wie Konstanze Helber. Sie verbrachte den Großteil ihrer über zweijährigen Haftzeit in Hoheneck. Bevor sie vom Westen freigekauft wurde, musste sie dort Strumpfhosen heiß formen, bei mindestens 60 Grad – eine Arbeit im Akkord.
"Absolut kein Arbeitsschutz. Ich stand in meiner Häftlingskleidung, das war Sommer wie Winter die gleiche Hose, die gleiche Jacke, da drunter das gleiche Hemd. Manche Angestellte – oder Wachteln, wie sich`s nannte, haben uns erlaubt, die Jacke auszuziehen, weil es so heiß war, aber manche eben auch nicht. Da war die Gefahr des Ohnmächtigwerdens sehr, sehr groß. Was mir auch passiert ist. Zusammen gebrochen, aufgehoben, wieder weiter gearbeitet. Das war Schwerstarbeit."
Im Bundesarchiv sucht Christian Sachse im Auftrag der Opferverbände nach Belegen dafür, in welcher Weise die Betriebe in Ost und West in die Haft-Zwangsarbeit verstrickt waren. Im Fall Kaufhof sei es kein leichtes Unterfangen, die lange Kette von der Haftanstalt bis in westliche Kaufhausregal nachzuzeichnen.
Doch Sachse wird fündig: Das Strumpfkombinat Esda musste eine festgelegte Anzahl von Strumpfhosen, Damen- und Herrenstrümpfen in einem bestimmten Wert für den Westexport fertigen. Reichte in Hoheneck die Zahl der Gefangenen nicht, musste umso mehr geschuftet werden. Ein Schreiben des "Bereiches Außenhandelsbeziehungen mit der BRD und Westberlin" von 1979 belegt, an welchen Waren Kaufhof besonders interessiert war.
Nachweis konkreter Lieferungen ist schwierig
"Die Leipziger Herbstmesse 1979 zeigte, dass im Mittelpunkt der Nachfragen der Handelskonzerne der BRD folgende Positionen standen: Textilien, Elektrogeräte und Kohlebeistellherde."
Die DDR plante, in diesem Jahr Waren im Wert von 35 Millionen Valutamark an Kaufhof zu verkaufen.
"Häftlinge haben für den Export produziert. Und wir wissen die Gesamtsumme dessen, was Kaufhof in bestimmten Jahren an Waren bezogen hat. Noch nicht gefunden ist die einzelne Ware in dem gleichen Jahr, die von Häftlingen hergestellt worden ist und dann auch bei Kaufhof gelandet ist."
Das Unternehmen selbst hat in der Zwischenzeit bei der Stasi-Unterlagenbehörde nachgeforscht, ist aber nach eigenen Angaben dort nicht fündig geworden, erzählt Christian Sachse. Nun will Kaufhof im Bundesarchiv weiter graben.
"Also Kaufhof ist inzwischen eigentlich noch auf dem Stand, dass sie sagen: Es ist niemand da, der unsere Schuld und Beteiligung belegen kann. Und mehr haben wir im Moment noch nicht. Wir sind aber offen für weitere Erkenntnisse. Und über Entschädigung kann man erst dann reden, so kann man dem Brief jedenfalls indirekt entnehmen, wenn eindeutige Belege vorliegen."
Ob und wann die betroffenen Firmen sich am Runden Tisch zusammensetzen geschweige denn eine Entschädigung zahlen, ist offen. Konstanze Helber wünscht sich, dass Kaufhof es Ikea und der Deutschen Bahn nachmacht und eine Studie in Auftrag gibt über die Zwangsarbeit von politischen Häftlingen in Hoheneck.
"Vorbildfunktion ist die Bahn, sollten sie sich anschließen, und Ikea. Für mich wäre natürlich das auch sehr wünschenswert und wie eine Entschädigung, wenn es eine richtige öffentliche Entschuldigung gäbe."