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Debatte um Glyphosat
"Ich wehre mich gegen diese Hysterie"

Professor Holger Deising, Präsident der deutschen Pflanzenschutz-Gesellschaft, hält Hysterie beim Unkrautvernichter Glyphosat für unangebracht: "Natürlich muss man ernst nehmen, wenn Sorgen entstehen", sagte Deising im DLF. Aber die Bewertung solle man dem Bundesinstitut für Risikobewertung überlassen. Die WHO hatte Glyphosat kürzlich als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft.

Holger Deising im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Mit einem Traktor wird nahe Sallach im Landkreis Straubing-Bogen (Bayern) Pflanzenschutzmittel auf ein Feld gespritzt.
    "Wir werden dauerhaft keinesfalls auskommen ohne chemischen Pflanzenschutz", sagt Holger Deising (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    Ralf Krauter: Glyphosat, das ist eins der meistverkauften Unkrautvernichtungsmittel. Und weil seit einigen Monaten der Verdacht im Raum steht, es sei möglicherweise krebserzeugend, prüft die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit derzeit, ob das Mittel vom Markt genommen werden sollte.
    Manche Experten sagen: Besser wär's, denn sicher ist sicher. Andere sagen: Bloß nichts überstürzen. In Berlin findet diese Woche ein internationaler Kongress für Pflanzenschutz statt. Mit organisiert hat ihn Professor Holger Deising von der Universität Halle, der zugleich auch Präsident der deutschen Pflanzenschutz-Gesellschaft ist. Ich habe ihn vorhin gefragt, wie sehr der Streit um Glyphosat die in Berlin versammelten Fachleute umtreibt.
    Holger Deising: Das ist durchaus ein großes Thema, allerdings nicht in dem Sinne, wie es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, also so, dass man sehr besorgt ist, sondern auf dieser Tagung wird versucht, sehr wissenschaftlich mit diesem Thema umzugehen. Aus dem Grunde ist es kein wirklich negatives Thema auf der Tagung.
    Krauter: Spannend ist ja das Drumherum, weil letztlich ja Wissenschaftler in diesem speziellen Fall zu sehr unterschiedlichen Aussagen kommen: Fassen wir es vielleicht noch mal kurz zusammen - die Krebsforscher der WHO kamen im März zu dem Schluss, Glyphosat ist wahrscheinlich krebserzeugend. Die Fachleute der Bundesanstalt für Risikobewertung in Berlin dagegen vermeldeten im Juli in einem Bericht an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, Glyphosat ist nicht krebserzeugend. Da gibt es offenbar einen Widerspruch. Wer hat denn nun recht?
    Deising: Das kann man so nicht sagen, dazu muss man die Daten sehen, man braucht wissenschaftliche Daten, um eine sachliche Entscheidung herbeizuführen. Ich wehre mich gegen diese Hysterie, die entsteht. Wir haben, wie Sie es gesagt haben, ein Bundesinstitut für Risikobewertung, und in diesem Institut sind Wissenschaftler, die Daten sehr sorgfältig ansehen. Denen muss man auch diese Entscheidung überlassen. Wenn man jetzt Menschen fragt, ob sie diese Sorgen teilen - natürlich teilt man diese Sorgen, aber Hysterie ist nicht angebracht. Man braucht wissenschaftliche Daten, und nur dann, wenn man die hat, kann man vernünftig entscheiden.
    "Man braucht weitere Untersuchungsverfahren"
    Krauter: Das Verzwickte an der Situation ist ja, dass da zwei durchaus renommierte Forschergruppen zu so unterschiedlichen Urteilen kommen. Wie kann das denn sein?
    Deising: Ich bin nicht so sicher, ob das so unterschiedliche Beurteilungen sind, denn, wie Sie es vorhin gesagt haben, "wahrscheinlich" oder "möglicherweise" krebsgefährdend. Das impliziert bereits, man braucht weitere Untersuchungsverfahren, und man hat heute ja auch durchaus Methoden, die vielleicht sehr viel besser geeignet sind als diejenigen, die vor einiger Zeit noch eingesetzt wurden.
    Wenn wir jetzt Pflanzenschutzmittel zulassen wollen, dann beginnt es natürlich zunächst mit einer Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln, und wir sprechen hier von ungefähr 150.000 Substanzen, die zunächst getestet werden, und nur eine von ungefähr 150.000 Substanzen schafft es an den Markt. Man muss dazu auch sagen, dass Pflanzenschutzindustrien, die solche Mittel entwickeln, insgesamt deutlich mehr als 200 Millionen Euro aufwenden müssen, um ein Mittel überhaupt zur Zulassung zu bringen, und dabei ist jeweils ein Drittel von dieser Summe, also ungefähr 70 Millionen Euro, notwendig, um Sicherheitsforschung toxikologischer Art zu machen - zum einen, um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen und zweitens auch, um ökotoxikologische Daten zu erheben.
    Eine solche Industrie forscht intensiv an solchen Fragen, um zu vermeiden, dass nachher solche Unfälle passieren. Natürlich muss man ernst nehmen, wenn Sorgen entstehen - das ist ganz klar -, aber dafür hat der Gesetzgeber natürlich auch die Möglichkeit geschaffen, die Zulassung für Mittel wieder zurückzuziehen. Insofern begrüße ich sehr, dass es jetzt zur Diskussion um dieses Glyphosat-Thema kommt, und ich bin, ehrlich gesagt, gespannt, wie sich diese beiden großen Behörden entscheiden.
    Krauter: Entscheidend für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ist ja letztlich das Urteil der Bundesanstalt für Risikobewertung. Haben Sie Einblicke - stehen die Kollegen dort denn jetzt arg unter Druck, ihre Empfehlung vielleicht zu überarbeiten, wo es jetzt doch ordentlichen Gegenwind eben von den Krebsforschern der WHO gibt?
    Deising: Die Kollegen werden sicherlich unter Druck stehen, weil die Öffentlichkeit eine Entscheidung erwartet. Ich bin nicht sicher, ob dabei die Einschätzung von anderen Institutionen eine Rolle spielen wird, aber das müssen wir wirklich den Wissenschaftlern dieses Bundesinstituts für Risikobewertung überlassen.
    Verluste durch Glyphosat-Verbot
    Krauter: Der jährliche Umsatz mit Glyphosat, der wird von Fachleuten auf 5,5 Milliarden Euro beziffert - vor dem Hintergrund ist es natürlich klar, dass die großen Hersteller ein Verkaufsverbot für eine schlechte Idee halten, aber wie gut kämen eigentlich die Landwirte ohne diesen Unkrautvernichter klar, falls es je zu einem Verbot käme? Drohen dann wirklich Ernteeinbrüche von fünf bis zehn Prozent in Deutschland, wie mancher Fachmann vorhersagt?
    Deising: Das ist durchaus realistisch diese Einschätzung, denn Sie müssen sich vor Augen halten, dass ungefähr ein Drittel der Ernteverluste auf Unkrautkonkurrenz zurückgeht. Also wenn Sie Unkraut so wachsen lassen, ohne für die Kontrolle zu sorgen, dann müssen Sie bis zu 30 Prozent Ernteausfall erwarten. Und wenn ein zentrales Mittel wegbricht, dann sind diese Einschätzungen, die Sie eben genannt haben, durchaus nicht unrealistisch.
    Krauter: Das heißt, man könnte den Wegfall von Glyphosat im Ernstfall, wenn es dazu käme, nicht kompensieren mit anderen Mitteln?
    Deising: Es ist schwer kompensierbar.
    Krauter: Wäre denn ein Kompromiss vielleicht denkbar aus Ihrer Sicht, bei dem man Glyphosat nicht komplett verbietet, aber vielleicht Grenzwerte definiert, um eventuell vorhandene Krebsrisiken zu verringern?
    Deising: Grenzwerte sind definiert. Grenzwerte sind für alle Pflanzenschutzmittel definiert, das heißt also, dass Ernteprodukte grundsätzlich untersucht werden auf die darin enthaltenen Pflanzenschutzmittel. Und sobald dort eine Überschreitung eines Grenzwertes festgestellt wird, wird das sofort vom Markt genommen und Sie werden solche Produkte nicht mehr in den Regalen der Supermärkte und bei Einzelhandelsketten finden.
    Geht es auch ohne Pflanzenschutz?
    Krauter: Ist Glyphosat vielleicht auch deswegen so ins Kreuzfeuer geraten, weil es ein Symbol ist für eine Form der Landwirtschaft, die manche Leute ablehnen generell?
    Deising: Es ist natürlich klar, dass in der öffentlichen Wahrnehmung Pflanzenschutzmittel per se etwas Schlechtes sind. Das ist genau das Gleiche mit der Gentechnik. Wenn wir uns aber vor Augen halten, dass wir weltweit betrachtet jetzt uns in einem exponentiellen Bevölkerungswachstum befinden, dass wir die Sieben-Milliarden-Grenze längst hinter uns haben und dass wir wirklich in raschen Schritten auf die Zehn-Milliarden-Grenze zugehen, wenn wir uns ferner vor Augen halten, dass wir bis zum Jahre 2050 die Nahrungsproduktion weltweit verdoppeln müssen, dann ist völlig klar, dass wir ohne Pflanzenschutz nicht auskommen.
    Wir können nicht davon ausgehen, dass wenn wir nur biologischen Pflanzenschutz machen, dass wir dann solche Ziele erreichen. Im Gegenteil: Wenn wir ökologisch wirtschaften - so der offizielle Begriff ja -, dann können wir davon ausgehen, dass unser Ernteniveau sich so bei 60, vielleicht 65 Prozent einpendelt. Da gibt es sehr gute und sehr belastbare Untersuchungen, die so was abschätzen helfen. Also ich glaube, wir werden nicht auskommen ohne Transgen-Technologie und wir werden dauerhaft keinesfalls auskommen ohne chemischen Pflanzenschutz, und dazu gehören Fungizide, dazu gehören natürlich auch Insektizide und natürlich auch Unkrautvernichtungsmittel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.