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Demonstration für schärfere Waffengesetze in den USA
Protest gegen "ein Klima der Angst und Bedrohung"

Die von Schülern organisierte Kundgebung in Washington für schärfere Waffengesetze in den USA sei Ausdruck eines Gefühls von Angst und Zorn, sagte die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson im Dlf. Eine Chance habe der Protest aber nur, wenn der Druck auf die Politiker bis zum Herbst aufrechterhalten werde.

Britta Waldschmidt-Nelson im Gespräch mit Peter Sawicki |
    In Washington D.C. wird eine Bühne für die Redner beim "Marsch für unsere Leben" aufgebaut. Die Demonstraten wollen schärfere Waffengesetze in den USA fordern.
    Eine Bühne für die Redner beim "Marsch für unsere Leben" in Washington D.C. (imago / UPI Photo)
    Peter Sawicki: Der Marsch für unsere Leben, er dürfte heute in den USA die Schlagzeilen beherrschen – das Ganze übrigens kurz vor dem 50. Todestag des Bürgerrechtlers Martin Luther King. Könnte deshalb heute auch eine neue Bürgerrechtsbewegung in Gang kommen? Darüber sprechen wir jetzt mit der Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson von der Universität Augsburg. Schönen guten Morgen!
    Britta Waldschmidt-Nelson: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Kann das heute ein historischer Tag werden?
    Waldschmidt-Nelson: Es könnte schon ein historischer Tag werden, und ich würde das wünschen für Amerika und auch für diejenigen jungen Menschen, die diese Massendemonstration jetzt organisiert haben, aber man muss halt abwarten - zum einen, wie viel Teilnehmer kommen, zum anderen, welche Wirkung das haben wird.
    Sawicki: Wenn wir dann eben mal draufschauen auf das Potenzial, das möglicherweise dahintersteckt, also eine halbe Million Menschen wird erwartet mindestens allein in Washington, dazu finden ja auch Märsche in Dutzenden weiteren Städten statt im ganzen Land. Was für ein Signal kann daraus hervorgehen?
    "Ein wichtiges Signal"
    Waldschmidt-Nelson: Zum einen ist so ein Signal immer ganz besonders wichtig, weil es zeigt, dass eben jetzt nicht nur auf lokaler Ebene einige Aktivisten sich dieses Themas annehmen, sondern dass die in der Lage sind, auf nationaler Ebene Leute so zu mobilisieren, dass da wirklich zu Hunderttausenden die Menschen nach Washington reisen. Die reisen ja dorthin, um so einen Marsch zu veranstalten, und das hat in der Vergangenheit, das hat ja im Laufe der Jahrzehnte viele Märsche sozusagen auf der Mall in Washington … diese Mall hat ja eine ganz besondere Bedeutung, das ist sozusagen der nationale sakrale Platz von Amerika, und es war damals eben der berühmte March on Washington, 63, nachdem sich ja dann auch wichtige gesetzliche Veränderungen ergeben haben. Also es gibt immer wieder diese Anstrengungen der Leute, die nationale Öffentlichkeit zu mobilisieren, und dafür ist dieser Platz auf der Mall vor dem Lincoln Memorial sehr geeignet in Amerika, insbesondere wenn dann auch entsprechend große nationale und internationale Medienaufmerksamkeit dem geschenkt wird.
    Sawicki: Davon darf man ja ausgehen, dass das der Fall sein wird, allein auch durch die sozialen Medien, da waren ja die jungen Menschen, die Schüler aus Florida, ja sehr aktiv. Was ist das aus Ihrer Sicht für eine Generation, was macht diese Schüler jetzt aus, die ja mit Waffengewalt sozusagen groß geworden sind?
    Waldschmidt-Nelson: Ja, das ist auch wirklich ein entscheidender Unterschied noch mal, glaube ich, der auch diese ganz, ganz tiefe Frustration und existenzielle Angst dieser jungen Menschen zum Ausdruck bringt … ist die Tatsache, dass fast alle von ihnen - also die wesentlichen Führungsfiguren sind ja da neben der Emma González, jeder kennt auch Sarah Chadwick, David Hogg, Cameron Kasky, die sind alle 17, 18, 19 Jahre alt. Das heißt, sie sind auf die Welt gekommen nach diesem fürchterlichen Columbine-Schulmassaker damals im April 1999. Da wurden ja damals von zwei weißen Schülern zwölf andere umgebracht, ein Lehrer erschossen, 24 verletzt. Dieses Massaker in Columbine war ja das erste große dieser School Shootings, die seither sich aber immer mehr gehäuft haben. Das hat ja inzwischen ein Ausmaß angenommen, das man sich hier in Deutschland überhaupt nicht vorstellen kann. Also alleine in diesem Jahr hat es in den USA schon mehr als 19 solcher School Shootings gegeben, nicht alle von denen mit tödlichem Ausgang. Ich glaube, Menschen kamen bei ungefähr zehn dieser Shootings ums Leben, aber das ist im ersten Vierteljahr, das muss man sich mal vorstellen.
    "Neu ist die Massenbewegung von betroffenen Schülern"
    Sawicki: Wie hat das diese jungen Menschen geprägt, was haben Sie für einen Eindruck?
    Waldschmidt-Nelson: Das erzeugt einfach ein Klima der Angst. Die können ja nicht mehr so zur Schule gehen wie unsere Kinder hier, dass man irgendwie zur Schule geht und sich darüber Sorgen macht, wann die nächste unangekündigte Stehgreifaufgabe geschrieben wird, sondern die gehen da durch die Schule … Wir haben gerade fünf Jahre in Washington D.C. gelebt und meine Tochter hat da auch eine Zeit lang eine öffentliche Schule besucht. Da mussten die jeden Morgen durch Metalldetektoren gehen, und es gab immer diese Gun Drills.
    Sawicki: Hat Ihre Tochter Angst gehabt?
    Waldschmidt-Nelson: Ja, schon, und das hatte sie vorher nicht. Also dieses Gefühl, da kann irgendwie so ein Gunman sein, und in einer Shopping Mall in der Nähe der Schule, die meine Kinder besucht haben, war dann auch so ein kleiner Amoklauf, also von einem Menschen, der da fünf Leute erschossen hat in der Mall. Und das war eine Shopping Mall, wo meine Kinder auch oft hingegangen sind nach der Schule. Und wenn man also wirklich so täglich als Schüler bereits mit dieser Art von tödlicher Gefahr konfrontiert wird und mit diesem täglichen Klima der Angst und Bedrohung leben muss, das erzeugt dann eben dieses Gefühl einerseits von Angst, aber dann auch von Zorn, denn diese jungen Menschen sehen ja, dass das in anderen Ländern, die zum Beispiel andere Waffengesetze haben, nicht so ist. Und das ist eben jetzt das, wo sie wirklich fordern, dass die Politik sich verändern muss, dass dieser unglaubliche Einfluss der National Rifle Association gebrochen werden muss, und sie haben da wirklich, finde ich, mit einer ganz bewundernswerten Tatkraft und Initiative die sozialen Medien in einem Maße mobilisiert, wie das vonseiten der Schüler bisher noch nie passiert ist in der amerikanischen Geschichte. Das ist wirklich neu, dass jetzt hier nicht nur Eltern und einige demokratische Politiker sich aufregen, sondern eine Massenbewegung von betroffenen Schülern ins Leben gerufen wurde.
    Sawicki: Und ist das möglicherweise eine Parallele, wenn wir jetzt den Bogen schlagen zur Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King vor 50 Jahren, kann man das vergleichen?
    "Unser Recht auf Leben wird hier unterminiert"
    Waldschmidt-Nelson: Also es gibt Vergleichspunkte und es gibt andere Punkte, die deutlich unterschiedlich sind. Vergleichbar ist sicherlich, dass diese Schüler heute sich bedroht fühlen und sozusagen in ihrem Recht auf Leben sich bedroht fühlen. Die Situation damals, als King und die anderen Mitglieder der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auf die Straßen gingen und für ihre Gleichberechtigung gekämpft haben, war ja die, dass sie tatsächlich im Süden der USA noch vollkommen legal segregiert und diskriminiert wurden. Sie waren ja zum Beispiel auch completamente im Süden vom Wahlrecht ausgeschlossen, sie dürften nicht die gleichen Schulen besuchen wie die Weißen, sie durften nicht auf öffentliche Hochschulen gehen, also sie waren wirklich Menschen zweiter Klasse. Und da ist natürlich noch mal ein Unterschied, wenn man sich die Verfassung anguckt der Vereinigten Staaten. Die Verfassung hatte ja eigentlich Diskriminierung verboten, das heißt, der Süden, die Gesetze, die Regeln, diese sogenannten Jim Crow Laws oder Black Codes, mit denen im Süden die Schwarzen diskriminiert wurden, die haben gegen die Verfassung verstoßen. Heute ist es so, dass diese jungen Schüler sagen, unser Recht auf Leben wird hier unterminiert, aber auf der anderen Seite steht eben in der Verfassung, da gibt es diesen zweiten Verfassungszusatz, das berüchtigte Second Amendment, wo eben ja das Recht auf Waffenbesitz der amerikanischen Bürger verfassungsrechtlich geschützt ist. Das ist also jetzt ein Unterschied. Die kämpfen jetzt für etwas, was nicht unbedingt ein ihnen verfassungsmäßig garantiertes Recht ist, sondern im Gegenteil, sie wollen, dass ein Recht, was in der Verfassung garantiert ist, zumindest eingeschränkt wird. Sie betonen ja auch deshalb immer wieder, dass sie nicht ein totales Waffenverbot durchsetzen wollen, das ist in Amerika auch einfach nicht durchsetzbar …
    Sawicki: Das heißt, es geht, wenn ich da einhaken darf, um eine Neuinterpretation dieses Zusatzes in der Verfassung?
    Waldschmidt-Nelson: Ja, Neuinterpretation vielleicht noch nicht mal, aber sie sagen, dieses … ja, vielleicht doch Neuinterpretation insofern, als dass die Schüler jetzt sagen, es steht zwar da, jeder darf eine Waffe besitzen, aber jeder, das müssen wir weiter interpretieren. Zum Beispiel eine Sache, für die sie auf jeden Fall ja eintreten wollen, ist, dass grundsätzlich bei allen Menschen, die Waffen kaufen, Background Checks gemacht werden, also geschaut wird, sind das Leute, die einen kriminellen Hintergrund schon haben, sind das Leute, die in psychiatrischer Behandlung sind, sind das Leute, die zum Beispiel Psychopharmaka einnehmen - solche Leute sollten vom Waffenkauf ausgeschlossen werden. Außerdem wollen sie gern das Verbot von diesen Militärwaffen. Das sind ja praktisch Maschinengewehre, die man auch kaufen kann, und sie sagen, diese Art von Waffen, Schnellfeuergewehre, die braucht eine Privatperson nicht zu besitzen.
    Sawicki: Und wie lang muss der Atem dieser Bewegung dann sein, um diese Änderung mittelfristig oder langfristig durchzusetzen?
    "Das muss bis zum Herbst aufrechterhalten werden"
    Waldschmidt-Nelson: Mittelfristig wäre es vor allem sehr, sehr wichtig, sozusagen jetzt die Attacken auf die Leute, die republikanischen Kongressabgeordneten, die Gelder von dieser National Rifle Association bekommen, das muss auf jeden Fall bis zum Herbst, also bis zu den Wahlen im November aufrechterhalten werden. Dann hätte man eine Chance. Und wenn die Jugendlichen das jetzt schaffen, dafür zu sorgen, dass viele, sag ich mal, besonders konservative Republikaner, die eben für diesen vollkommen uneingeschränkten Waffenbesitz eintreten, wenn die ihre Sitze im Kongress verlieren und sich dann wieder eine demokratische Mehrheit im Kongress finden könnte, dann gäbe es vielleicht tatsächlich eine Chance, bessere Waffengesetze zu verabschieden.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson von der Universität Augsburg. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns gefunden haben!
    Waldschmidt-Nelson: Sehr gerne, Herr Sawicki!
    Sawicki: Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.