Beatrix Novy: Das Kindler Literaturlexikon gibt es auch online, aber ganz egal: diese dicken schwarzen oder blauen Bände von Ma bis Mo, von Pa bis Re und so weiter sind für viele unentbehrlich. Und auch bei den allergrößten Aufräumern stehen die dünnen weißen Bände der Zeitschrift "Text und Kritik" immer noch in den Regalen vieler Germanisten. Mit beiden, mit der bahnbrechenden Zeitschrift und mit dem Nachschlagewerk, ist ein Name fest verbunden: Heinz Ludwig Arnold, Literaturkritiker, Publizist, Autor. Wie erst kurz vor der Sendung bekannt wurde, ist er gestorben. Vor zwei Jahren noch hat er hier bei uns in "Kultur heute" das gesagt:
"Der Mythos Kindler, an dem zu arbeiten oder den sozusagen mal wieder auf die Füße zu stellen, das ist schon eine große Herausforderung. Der Mythos Kindler besteht darin, dass es das einzige Lexikon dieser Qualität auf der ganzen Welt ist, das Werke, die sozusagen die Geschichte der Menschheit, die Geistesgeschichte der Menschheit geschrieben haben von meinetwegen Hammurabi bis Einstein und bis zur Gegenwart, der gesamten Welt, der unterschiedlichsten Nationen und unterschiedlichsten Kulturkreise zusammenführt."
Novy: Heinz Ludwig Arnold über den letzten Teil seines Lebenswerkes. Er ist heute gestorben. Deswegen sitzt hier mein Kollege aus der Buchredaktion, Denis Scheck, der ihn auch gut kannte. Denis Scheck, das Erfassen und Erklären zunächst einmal nur der deutschen Gegenwartsliteratur, das war doch das Werk von Heinz Ludwig Arnold, mit dem er anfing.
Denis Scheck: Absolut. Er kam ja in ganz jungen Jahren, so Anfang 20, als Privatsekretär ausgerechnet zu Ernst Jünger. Das war eine prägende Gestalt für ihn. Die zweite war die lebenslange Freundschaft mit Friedrich Dürrenmatt. Und wenn ich jetzt so seine Stimme in diesem O-Ton aus dem Archiv noch mal höre, dann wird mir auch klar, worin diese Lebensleistung des Mannes Heinz Ludwig Arnold bestand, der ja neben dem Kindler, neben "Text und Kritik" vor allem auch durch diese lose Blattsammlung "Das kritische Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" uns das Wissen zur Verfügung stellte, nämlich dass er vermeintlich heterogenes, schweres, komplexes wunderbar leicht machen konnte und man, wenn man ihm zuhörte, nicht nur etwas von seinem Enthusiasmus mitbekam, sondern auch selber dachte, Mensch, ist ja im Grunde ganz einfach.
Novy: Er schrieb also auch gut, lesbar, verständlich?
Scheck: Oh ja! Er zählte eben nicht zu den großen Dunkelmännern der deutschen Literaturkritik, die wabern und Nebel verbreiten, sondern Heinz Ludwig Arnold war ein Mann der Aufklärung, ein Mann, der eher mit dem Florett als mit dem Säbel zu Werke ging. Es war meistens ein Vergnügen, seine Texte zu lesen. Er war jemand, der durchaus pointieren konnte, der Spaß am Leben und an der Literatur hatte und das auch transportierte. Es ist ja so: Er ist 71 Jahre alt geworden. Ich wäre, Frau Novy, nicht verblüfft, von Ihnen zu erfahren, dass er 142 Jahre alt geworden war, denn Heinz Ludwig Arnold war unglaublich fleißig. Er war ja nicht nur einer der bedeutendsten deutschen Literaturkritiker, sondern eben auch Verleger. Er hat ja diese "Text und Kritik" selber gegründet, als junger Mann, als Student noch, und dann auch mit eigenem unternehmerischen Risiko das kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur und dann als Altersaufgabe, als Alterswerk, wie er sagte, noch mal den ganzen Kindler gemacht. Natürlich hat er das nicht allein gemacht, um Gottes willen. Ihm zur Seite stand seine Frau, die Christiane Freudenstein-Arnold, aber auch natürlich ein riesiges Team beim Kindler und bei den Lexika ebenfalls. Aber es war für ihn eine Lebensaufgabe, uns, die wir vermeintlich immer so alles über die jeweiligen Autoren wissen, wenn jetzt ein Literaturpreis vergeben wird, oder aus traurigem Anlass wie heute, uns überhaupt diese Informationsquellen zur Verfügung zu stellen, und das sind natürlich die vornehmsten Aufgaben.
Novy: Wie kam er eigentlich dazu, diese, ja auch irgendwie könnte man sagen, dienende Rolle für die Literatur zu übernehmen? Gibt es irgendwelche biografischen Hinweise, gibt es etwas in seiner Geschichte, womit man sich das besser erklären kann?
Scheck: Ich habe einige Abende mit ihm verbringen dürfen, und natürlich redet man biografisch. Ich weiß, dass ihn immer umgetrieben hat das Interesse an der Person der Autoren. Ich habe als junger Student Bände gelesen mit Autoren-Interviews, also die großen Interviews mit Dürrenmatt, mit Handke, mit Grass, die er geführt hat, die jetzt auch als CD gerade wieder neu erschienen sind, wo man überhaupt mal lernen konnte, wie man mit Autoren denn spricht und worüber man sprechen kann, und er war so wie Dürrenmatt eben auch jemand, der mit großen Ideen schon gerne jongliert hat, der ein enorm politisches Anliegen mit der Literatur verband. Was ihn im Innersten umtrieb, die Nähe zu den Autoren zu suchen, das war sicherlich eine Liebe zur Literatur, die ihm wohl sein Elternhaus und sein Studium mitgegeben hat, aber eben auch der konkrete Auftrag, etwas zu verändern. Er wollte die Welt anders hinterlassen, als er sie vorgefunden hat, er wollte Dinge in Ordnung bringen. Und das Schöne an Heinz Ludwig Arnold war das: Wann immer man ihm begegnete, man verließ ihn meist mit guter Laune, und das ist ja schon mal nicht wenig, was man sagen kann über einen Literaturkritiker.
Novy: Das ist also das, was Sie als Erinnerung an Heinz Ludwig Arnold nun mitnehmen, der, wie wir heute erfahren haben, gestorben ist. Vielen Dank, Denis Scheck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema:
Anthologie mit verschiedenen Stimmlagen - Heinz Ludwig Arnold/Hermann Korte (Hrsg.): "Lyrik der DDR", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 448 Seiten
Überarbeitetes Standardwerk zur Literatur - Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): "Kindlers Literatur Lexikon", Metzler Verlag, Stuttgart 2009, 14.548 Seiten
"Der Mythos Kindler, an dem zu arbeiten oder den sozusagen mal wieder auf die Füße zu stellen, das ist schon eine große Herausforderung. Der Mythos Kindler besteht darin, dass es das einzige Lexikon dieser Qualität auf der ganzen Welt ist, das Werke, die sozusagen die Geschichte der Menschheit, die Geistesgeschichte der Menschheit geschrieben haben von meinetwegen Hammurabi bis Einstein und bis zur Gegenwart, der gesamten Welt, der unterschiedlichsten Nationen und unterschiedlichsten Kulturkreise zusammenführt."
Novy: Heinz Ludwig Arnold über den letzten Teil seines Lebenswerkes. Er ist heute gestorben. Deswegen sitzt hier mein Kollege aus der Buchredaktion, Denis Scheck, der ihn auch gut kannte. Denis Scheck, das Erfassen und Erklären zunächst einmal nur der deutschen Gegenwartsliteratur, das war doch das Werk von Heinz Ludwig Arnold, mit dem er anfing.
Denis Scheck: Absolut. Er kam ja in ganz jungen Jahren, so Anfang 20, als Privatsekretär ausgerechnet zu Ernst Jünger. Das war eine prägende Gestalt für ihn. Die zweite war die lebenslange Freundschaft mit Friedrich Dürrenmatt. Und wenn ich jetzt so seine Stimme in diesem O-Ton aus dem Archiv noch mal höre, dann wird mir auch klar, worin diese Lebensleistung des Mannes Heinz Ludwig Arnold bestand, der ja neben dem Kindler, neben "Text und Kritik" vor allem auch durch diese lose Blattsammlung "Das kritische Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" uns das Wissen zur Verfügung stellte, nämlich dass er vermeintlich heterogenes, schweres, komplexes wunderbar leicht machen konnte und man, wenn man ihm zuhörte, nicht nur etwas von seinem Enthusiasmus mitbekam, sondern auch selber dachte, Mensch, ist ja im Grunde ganz einfach.
Novy: Er schrieb also auch gut, lesbar, verständlich?
Scheck: Oh ja! Er zählte eben nicht zu den großen Dunkelmännern der deutschen Literaturkritik, die wabern und Nebel verbreiten, sondern Heinz Ludwig Arnold war ein Mann der Aufklärung, ein Mann, der eher mit dem Florett als mit dem Säbel zu Werke ging. Es war meistens ein Vergnügen, seine Texte zu lesen. Er war jemand, der durchaus pointieren konnte, der Spaß am Leben und an der Literatur hatte und das auch transportierte. Es ist ja so: Er ist 71 Jahre alt geworden. Ich wäre, Frau Novy, nicht verblüfft, von Ihnen zu erfahren, dass er 142 Jahre alt geworden war, denn Heinz Ludwig Arnold war unglaublich fleißig. Er war ja nicht nur einer der bedeutendsten deutschen Literaturkritiker, sondern eben auch Verleger. Er hat ja diese "Text und Kritik" selber gegründet, als junger Mann, als Student noch, und dann auch mit eigenem unternehmerischen Risiko das kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur und dann als Altersaufgabe, als Alterswerk, wie er sagte, noch mal den ganzen Kindler gemacht. Natürlich hat er das nicht allein gemacht, um Gottes willen. Ihm zur Seite stand seine Frau, die Christiane Freudenstein-Arnold, aber auch natürlich ein riesiges Team beim Kindler und bei den Lexika ebenfalls. Aber es war für ihn eine Lebensaufgabe, uns, die wir vermeintlich immer so alles über die jeweiligen Autoren wissen, wenn jetzt ein Literaturpreis vergeben wird, oder aus traurigem Anlass wie heute, uns überhaupt diese Informationsquellen zur Verfügung zu stellen, und das sind natürlich die vornehmsten Aufgaben.
Novy: Wie kam er eigentlich dazu, diese, ja auch irgendwie könnte man sagen, dienende Rolle für die Literatur zu übernehmen? Gibt es irgendwelche biografischen Hinweise, gibt es etwas in seiner Geschichte, womit man sich das besser erklären kann?
Scheck: Ich habe einige Abende mit ihm verbringen dürfen, und natürlich redet man biografisch. Ich weiß, dass ihn immer umgetrieben hat das Interesse an der Person der Autoren. Ich habe als junger Student Bände gelesen mit Autoren-Interviews, also die großen Interviews mit Dürrenmatt, mit Handke, mit Grass, die er geführt hat, die jetzt auch als CD gerade wieder neu erschienen sind, wo man überhaupt mal lernen konnte, wie man mit Autoren denn spricht und worüber man sprechen kann, und er war so wie Dürrenmatt eben auch jemand, der mit großen Ideen schon gerne jongliert hat, der ein enorm politisches Anliegen mit der Literatur verband. Was ihn im Innersten umtrieb, die Nähe zu den Autoren zu suchen, das war sicherlich eine Liebe zur Literatur, die ihm wohl sein Elternhaus und sein Studium mitgegeben hat, aber eben auch der konkrete Auftrag, etwas zu verändern. Er wollte die Welt anders hinterlassen, als er sie vorgefunden hat, er wollte Dinge in Ordnung bringen. Und das Schöne an Heinz Ludwig Arnold war das: Wann immer man ihm begegnete, man verließ ihn meist mit guter Laune, und das ist ja schon mal nicht wenig, was man sagen kann über einen Literaturkritiker.
Novy: Das ist also das, was Sie als Erinnerung an Heinz Ludwig Arnold nun mitnehmen, der, wie wir heute erfahren haben, gestorben ist. Vielen Dank, Denis Scheck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Anthologie mit verschiedenen Stimmlagen - Heinz Ludwig Arnold/Hermann Korte (Hrsg.): "Lyrik der DDR", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 448 Seiten
Überarbeitetes Standardwerk zur Literatur - Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): "Kindlers Literatur Lexikon", Metzler Verlag, Stuttgart 2009, 14.548 Seiten