Harry Pendel und der legendäre Kanal - das sind die Angelpunkte von John le Carre's neuestem Roman "Der Schneider von Panama". Doch was, zum Teufel, könnte man fragen, soll ein Herrenausstatter mit den präsumtiven Querelen um diesen Schiffahrtsweg zu schaffen haben? Für le Carre allerdings, der in seinen Spionagegeschichten oft genug ganz ungewöhnliche Konstellationen gewählt hat, ist das natürlich überhaupt keine ernstzunehmende Frage. Immerhin hat er sich für die persönlichen Hintergründe des Agentengewerbes ja schon immer mindestens ebenso interessiert wie für konspirative Verwicklungen. Und nach psychologischen Maßgaben hat Harry Pendel durchaus das Zeug zum Spion. Er besitzt nicht nur genügend Phantasie für allerlei Heimlichkeiten, sondern hat sich auf seinem windungsreichen Lebensweg auch beträchtliche Fähigkeiten zur Verstellung antrainiert. Und die Verstellung ist, das hat le Carre durch seine eigene Geheimdienstpraxis erkannt, für Agenten nicht nur Arbeitsmittel sondern zugleich ein tiefgehendes Bedürfnis. Sie dient ihnen, so schrieb er einmal, "als Waffe, Leute auszustechen, vor denen wir normalerweise Angst hätten; als Fluchtburg, zu der nicht die Starken, die Draufgänger sich hingezo-gen fühlen, sondern wir schüchternen Burschen, die wir keine vierundzwanzig Stunden der Realität standhalten könnten, würde uns nicht das feste Gefüge der Verschwörung den Rücken stärken. Mit dem "Schneider von Panama" hat le Carre nun einen weiteren dieser verletzlichen Geheimniskrämer ins Gefecht geschickt.
Interessant für die professionellen Informationssammler wird Harry Pendel durch seine Kontakte zu sämtlichen Fraktionen der führenden panamaischen Herrenwelt. Allen, ob Managern, Botschaftern, Oppositonellen und Politikern bis hin zum Präsidenten schneidert er edle, zur Not auch papageienhaft grelle Anzüge auf den Leib. Was ihn für die Rekrutierung aber erst empfänglich macht, das sind seine finanzielle Misere sowie die Erpreßbarkeit wegen der dunklen Flecken in seiner Biographie. Das alles macht sich ein ehrgeiziger junger Agent aus der Londoner Zentrale zunutze. Getarnt als Angehöriger der Botschaft des Vereinigten Königreichs, wirbt er Pendel an. Zugunsten britisch-amerikanischer Interessen soll der nun auskundschaften, was die Panamesen wohl demnächst mit dem Kanal vorhaben, wie es mit der stillen Opposition steht, ob da nicht etwa die Japaner einiges im Schilde führen ... usw.
Pendel beginnt also mit seinen Berichten kräftig und noch mehr zu verdienen als mit der Zuschneideschere. Allerdings hat die Sache einen Haken. Es fehlt ihm nämlich völlig an brisantem Material. Einerseits weil weder im Untergrund der Regimegegner noch in den Chefetagen der Politik Nennenswertes passiert. Und andererseits weil Pendel bei seinen Quellen nur Klatsch oder freundlichen Small-Talk abschöpfen kann. Daher muß er, um seine Honorare zu sichern, die Phantasie tüchtig mitarbeiten lassen - er übertreibt, erfindet und kombiniert auf gut Glück. Doch unvermeidlich verwandeln sich seine Hirngespinste im Geheimdienstapparat zu harten Fakten und Handlungsgrundlagen. Woraus für Pendel selbst, seine Umgebung und das ganze Land schlimme Folgen entstehen. Wer hier gewisse Parallelen zu Graham Greenes >>Unser Mann in Havanna << entdeckt, der liegt ganz richtig. Tatsächlich war es dieses Buch seines großen Vorläu-fers, das le Carre nicht ruhen ließ, bis er nun seine eigene Variation des Themas geschrieben hatte.
Daß es in diesem Roman nicht primär um jene Art von halsbrecherischer Action geht, bei der man im Lesesessel die Sicherheitsgurte strammziehen muß - das werden die le Carre-Kenner ahnen und zu schätzen wissen. Wie gesagt, gehört le Carre ja nicht zu den Haudegen sondern - wie schon Greene - zu den Seelenforschern des Spionage-Genres. Die geheimnisvollen Nischen des Innenlebens seiner Helden beleuchtet er mit derselben Hingabe wie die Tricks der politischen Drahtzieher. Durch die Mittel der erlebten Rede und des inneren Monologs, sowie durch virtuose Perspektivwechsel stellt sich eine oft beträchtliche erzählerische Dynamik her. Der panamaische Schauplatz und sein Personal treten in nuancenreichen, tiefenscharfen Bildern vor Augen. Hervorragend versteht sich le Carre darauf, greifbare Menschen zu porträtieren, anstatt, wie es in diesem Genre häufig geschieht, nur Gliederpuppen, an den Fäden der Handlung zappeln zu lassen. Sein Held - und nicht nur er - ist eine faszinierend geschilderte Figur.
"Die beiden Romane, mit denen ich begraben werden möchte", so bekannte le Carre, "sind >>Ein blendender Spion<< und>>Der Schneider von Panama<<." In der Tat: Diese Geschichte über einen spionierenden Herrenausstatter gehört mit Sicherheit zu seinen besten.