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Der texanische Sänger Jace Everett
Zwischen Gospel, Country und Sozialismus

Totengräber, Lkw-Wäscher, gefallener Country-Star: Jace Everett ist 43 Jahre alt und hat fünf CDs veröffentlicht. Während seine Nachbarn in Nashville zu den Topverdienern der Country-Szene gehören, fährt er im Kleinbus durch die Lande und verteilt Musik, die zwar auch nach Country klingt, aber doch mehr nach Nick Cave als nach Johnny Cash.

Von Knut Benzner |
    Ein Wüstenabschnitt in Texas.
    Ein Wüstenabschnitt in Texas. (picture alliance / dpa / Karl-Heinz Eiferle)
    Musik: Bad Things Instrumental Version – Jace Everett
    Gospel.
    "With the bible being in my hand all the time..."
    Ergebener Christ. Vertrauen in Gott. Country.
    "It´s very bizarre."
    Totengräber. Kellner. LKW-Wäscher. Gefallener Country-Star.
    "And it´s not that important. What´s important is what I do here and now."
    Sozialismus.
    "I am an agnostic, I don´t know."
    Cospel. Country, Sozialismus - der texanische Sänger Jace Everett. Sie hören eine Sendung von Knut Benzner.
    Musik: Bad Things Instrumental Version – Jace Everett
    Ein paar Fotografien und ein Video.
    "Hello , hello Jace Everett here, how are you?"
    Die Fotografien, diese Reihe, diese Serie, haben durchaus etwas bewusst Unheilbringendes. Er, Jace Everett, 43 Jahre alt, vor einem jener Häuser, wie man sie im Süden überall findet: Viktorianisch im Stil, stabile Säulen, Loggia, Flachdach, umlaufender Balkon. Solche Häuser findet man im Süden deshalb überall, weil der weiße Süden mal reich war und der Reichtum sich auf Sklaverei, Ausbeutung und Rassismus gründete. Er, Jace Everett, also vor einem solchen Haus:
    "Nashville, Tennessee. Yeah, Nashville Tennessee."
    Die Bibel in der Rechten
    Eine Bibel in der rechten Hand. Er reißt die Bibel nach oben, er sieht in seinem schwarzen Anzug aus wie ein Prediger, seht her, ich verkünde das Wort Gottes, sein Gesichtsausdruck gleitet ins Testamentarische, durchdrungen von einer Mission, der Bekehrung, "Höret, ich sage Euch!" Eifernd und drängend. Ein weiteres Foto, vor demselben Haus, er, Jace Everett, hinter einem Sarg - der Sarg inklusive Intarsien selbstverständlich, irgendwie erinnert das an Johnny Cash, an dessen dräuende LP-Cover, er, Cash, als Revolverheld mit Staubmantel, Bibel oder Revolver – beliebig, das eine ist das andere. Geboren wurde Everett in Evansville, Indiana, und aufgewachsen?
    "I grew up in Fort Worth, Texas, but I've been in Nashville since 2001."
    Aufgewachsen in Fort Worth, Texas, seit 2001 in Nashville, Tennessee. Das erwähnte Video, "How to become an overnight sensation", wie macht man über Nacht Furore?
    Was brauchst Du zuerst, um in der Country-Musik Furore zu machen? Zuerst musst Du Musik studieren, dann brauchst Du einen Job, zum Beispiel in einer grazilen Gaststätte, wo Du einen Country-Star treffen kannst, dann musst Du trinken lernen und reden. Und trinken. Dann brauchst Du einen Vertrieb und einen Verleger, einen Agenten, der sich um Dich kümmert, einen anderen Agenten, der Dir Auftritte besorgt. Anschließende wäre ein Schallplattenvertrag sinnvoll. Und selbstverständlich eine Firma, die die Rechte an Deinen Songs verwertet. Ganz genau so hat er es gemacht und dass ein Star aus ihm geworden ist oder vielleicht mal wird - überhaupt keine Skepsis."
    Nashville heute, Jace Everett:
    "Es ist großartig, ich meine, eine Menge Leute denken an Nashville natürlich im Zusammenhang mit Country-Musik und das ist natürlich richtig, aber dort leben auch Jack White von den Black Keys und die Kings Of Leon und Sheryl Crow, es hat sich eine ziemlich gute Rock-Szene entwickelt, die hat es zwar schon länger gegeben, aber nun entwickelt sie Zugkraft. Was ich mache, ist eigentlich gar kein Country, ich habe Country gemacht, ich habe Country-Songs geschrieben und hatte einen großen Hit als Country-Songautor, aber was ich mache, ist mit meinem Trio mehr Rock and Roll, mehr Nick Cave als Johnny Cash – was die Inspiration betrifft. Country ist allerdings Teil dessen, was ich tue, ich glaube an das Songwriter-Handwerk, das Country hatte, angefangen bei Hank Williams über Waylon Jennings, der einen enormen Einfluss auf mich hatte. Aber ich mag auch Kraftwerk, ich mag alles, somit versuchen wir von allem ein wenig, was wir machen."
    Niemand hat etwas gegen Country.
    "Ich ebenfalls nicht, nur: Es gibt eine Menge Country-Musik, gegen die ich etwas habe. Einiges von dem Zeug ist... Das war allerdings immer so."
    In jedem Typ Musik gibt es Mist und es gibt anderes gutes Zeug. Was ist der momentane Mist, den er meint?
    "Viel von dem, was im Nashville-Radio läuft, sie nennen es Bro-Country und es geht um Pick-Up-Trucks und Bier trinken, die amerikanische Flagge und es nervt seit einer Weile."
    Ein paar Namen eventuell? Keine Namen, sie seien seine Nachbarn und sie wüssten, was sie sind. Die Nachbarn: Nette Leute, dumme Musik.
    "Ich weiß nicht, ob sie nett sind oder nicht. Ich kümmere mich nicht darum, ich höre NPR, das öffentliche Radio, Nachrichten und Informationen, ich höre nicht viel Musik."
    Bro-Country? Mädchen-Hintern in abgeschnitten Jeans!
    Wenn man Musik mache, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Namen, die er nicht nannte: Florida Georgia Line, Luke Bryan, Jake Owen, Jason Aldean und viele, viele andere. Bro-Country, Mädchen-Hintern in abgeschnittenen Jeans, das besagte Bier in der Hand auf einer Heckklappe des Kleintransporters – die Vergegenständlichung, die Verdinglichung jeglicher Erfahrung.
    Seine Nachbarn und er wohnen in Belle Mead, französisch für "schöne Weide". Ein piekfeiner, nobler, feudaler Teil der Stadt, aber ich, sagt er, ich lebe in einem nicht noblen Teil eines nicht noblen Stadtteils. Seine noblen Nachbarn bewohnen Häuser, die bis zu 18 Millionen Dollar teuer sind, wollte man sie kaufen. In Bell Mead wohnen Al Gore, Vince Gill und Amy Grant – sie ist seine Frau – sowie Geschäftsleute. Benannt ist Belle Mead nach einer Plantage, "The Queen of Southern Plantations", zu ihrer Blüte 22 Quadratkilometer groß.
    Musik: God Made You Mean – Jace Everett
    Sein Trio: Er, Dan Cohen, Kasey Todd – zwei Beatles-Fans, deren Herz auf einer Beatles-Tour in Hamburg dann höher schlägt. Jace Everett und die Religion:
    "Ich wuchs halt in Texas auf mit der Bibel in der Hand, allezeit. Ich wuchs sehr, sehr religiös auf, ich bin es jedoch überhaupt nicht mehr. Die CD Terra Rosa, die letzte vor meiner Best-Of, das sind elf Songs, die auf Bibel-Geschichten basieren. Meine Meinung dazu: Ich bin keine religiöse Person, gleichwohl ist Religion ein wichtiger Teil dessen, wo ich herkomme. Religion und Politik, ich rede gerne darüber – was auf Cocktail-Partys selbstverständlich stets entsetzlich ist. Das sind aber nun mal meine beiden Lieblingsthemen."
    Texas ist größer als die USA – Texas ist Bush-Land: Selbst in Texas, sagt Everett, begännen die Menschen zu realisieren, dass das nicht die beste Sache war.
    "Doch selbst Tennessee ist konservativ, rechts stehend, dort, wo wir leben, ist der einzige nicht-konservative Fleck, Nashville. Nashville und Memphis."
    Er hat den Eindruck, er sei ein Aufständischer und Aufrührer.
    "Ich bin da im Süden, kämpfe einen gerechten Kampf für das, was für mich bessere Politik ist, demokratischer und progressiver, geradezu sozialistische Ideen wie Gesundheitswesen und Bildung. Ich würde mich freuen, wenn solche Dinge Beförderung bekämen – nach Eurem Vorbild. Bei uns hat man den Leuten erzählt, dass man hier in Europa Schlange stehen muss, um einen Arzt zu sehen. Wir wissen, dass das nicht wahr ist, sie erzählen es uns aber. Ja – und die Leute glauben es, weil sie Amerika nie verlassen haben und den Unterschied nie gesehen."
    Ein Land mit immerhin zwei Grenzen:
    "Ja, vor den Mexikanern haben sie Angst und auf die Kanadier sehen sie herunter."
    Musik: That´s The Kind Of love I´m In – Jace Everett
    "That´s The Kind Of Love I´m In", seine erste Single, erschienen 2005. Ein Jahr später erreicht ein Song, dessen Co-Autor er ist, Platz eins der Billboard Country-Charts. Der Sänger ist Josh Turner, strenggläubiger Christ, Typ angenehmer Kerl von nebenan, drei Nummer-Eins-CDs, vier Nummer-Eins-Hits, fünf Jahre jünger als Everett und wie der für ein paar Semester an der Belmont University in Nashville, größtes christliches College von Tennessee.
    Musik: Your Man – Josh Turner
    "Your Man" ist ein belangloses Liebeslied. 2008 dann, Everett war wieder in Texas, die Musik-Industrie Nashvilles ist keine Talentshow, Arbeit als Kellner, Lastwagenfahrer, es war ein Kipplaster, Bauarbeiter, Bilderrahmer, Fotograf, Lkw-Wäscher, Möbelpacker und Bedienungshilfe. Er begann sein Leben zu hassen, seine Frau, sie hatten sich in Monaco kennen gelernt, ließ sich scheiden.
    Musik: Bad Things – Jace Everett
    2008 dann wurde ein Song seiner ersten CD Titelsong beziehungsweise Erkennungsmelodie einer Fernsehserie. Die Serie war True Blood Vampire, Horror, Drama, Sex, Fantasy. Und der Song war Bad Things: "But before the night is through, I wanna do bad things with you."
    Musik: Let´s Begin Again – Jace Everett
    "Ich würde nicht sagen, dass ich ein Atheist bin. Denn das verlangte so viel Glauben wie der einer religiösen Person. Zu wissen, dass es keinen Gott gibt, ist ambitioniert, ich bin nicht ambitioniert, ich bin Agnostiker, ich weiß es nicht."
    Ein Agnostiker geht davon aus, dass sich Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes bzw. mehrerer Götter nicht beweisen lassen.
    "Und es ist nicht so wichtig. Was wichtig ist, ist das, was ich mache, wie ich Dich behandle, meine Freunde und meine Band, den Planeten, solche Dinge sind wichtig. Warum ich der Religion den Rücken kehrte? Ich kam jung an Jahren nach Europa, ich las Bücher, ich traf viele Leute und war diversen Vorstellungen, diversem Gedankengut ausgesetzt. Meine kindlichen Ideen wurden zunehmend unbedeutend, denn die Welt war größer als dergleichen. Ich wurde erwachsen, ich wurde reifer, denke ich. Einige meiner alten Freunde wünschen mich zur Hölle, doch das ist o.k., sie sind immer noch nett zu mir, für den meisten Teil. Die Frage, ob es Gott gibt, ist so alt wie Gott selbst. So alt wie der Verstand. Eine vergnügliche Frage, ein schönes Trinkspiel."
    Musik: No Place To Hide (Mountain Mix) – Jace Everett
    Er ist Songwriter. Fünf CDs.
    "Manchmal sind sie ein bisschen Country, manchmal Rock'n'Roll, ich mag gute Songs, ich mag gute Melodien, gute Texte, egal, welchen Stils sie sein sollten, das ist was für Schallplattenfirmen und Radiostationen, die das einordnen sollen, das ist nicht meine Arbeit."
    Fünf CDs, die Songs von ihm selbst und in Kooperation mit seinem Gitarristen, einem der beiden erwähnten Beatles-Fans, Dan Cohen, geschrieben. Fünf CDs bei fünf verschiedenen Schallplattenfirmen.
    "Ich bin nicht reich, und ich werde wahrscheinlich nie reich sein, allerdings mache ich das, was ich will und das ist eine erstaunliche Möglichkeit."
    Einige der neuen Country-Sängerinnen, Country-Sänger und Country-Bands, die in seiner Nachbarschaft leben, sind mehr als reich.
    "Oh ja, sehr, Multimillionäre, ganz sicher, Gott schütze sie, hoffe, sie genießen es. Ich möchte nur nicht ihre Songs singen, sie sind schrecklich. Man kann mir nicht genug bezahlen, um solche Songs zu singen. Ich kann gemietet werden, aber nicht gekauft."
    Bro-Country, noch ein paar Worte zu diesem Bro Country: Musik von weißen Männern für weiße Männer, Fitness-Studio gestählt, Baseballkappe, durchaus gebildet, liebenswert und reizend, alle zwischen 30 und fast 40, Bro-Country ist kein neues Phänomen, vordergründig unpolitisch und politisch in dem Sinn, dass sie Oberflächlichkeit symbolisieren. Musikalisch musikalisches Mittelmaß, nebensächlich, fast befangen - für was Bro steht, weiß niemand, vielleicht für brother, den Bruder im Geiste, vormodern, die Mädchen laufen den Bro-Country-Stars hinterher. Ein weiterer dieser Sänger heißt Sam Hunt:
    Musik: House Party - Sam Hunt
    Ja, ja, das läuft als Country. Ganz Zeitgemäße sampeln und mischen und bringen ein wenig Hip-Hop unters vermeintliche Landvolk. Bro-Country? Bro Country, meinen einige, spalte die Country-Musik. Jace Everett war auf dem Sprung, die erste CD immerhin bei einer so genannten major company. Und nun:
    "So weiter machen und versuchen, nicht zu sterben. Mit so was kann man leicht ermordet werden, ich achte somit darauf, nicht zu sterben und weiter zu machen.
    Es ist mühsam. Ja klar, es ist ziemlich mühsam. Wir sind mit einem Kleinbus unterwegs, wir haben uns einen Kleinbus gemietet, ich, mein Schlagzeuger, mein Gitarrist, kein Roadmanager, kein Fahrer, keiner, der die CDs verkauft, nur wir drei. Dennoch wir mögen das auf diese Art."
    In den USA hat er doch aber einen richtigen Bus?
    "Nein, ganz und gar nicht, einen Kleinbus und einen Anhänger. Ich hatte mal einen Bus, als ich versuchte, die Country-Sache zu machen. Die Bus-Tage sind allerdings vorbei, vielleicht niemals zurück zu bekommen. Ich mag Dinge, die schwieriger sind als sie sein sollten. Wie hieß der noch mal, Sisyphos, hieß er so?"
    Er findet Sisyphos gut
    So hieß er. Er finde es gut, die Felsbrocken den Berg hoch zu schuften und jeden verdammten Morgen wieder damit anzufangen, macht ihm Vergnügen, er wisse nicht, warum. 2013 erschien seine letzte CD, die Bibelgleichnis-CD Terra Rosa, dunkel, sandig, sich selbst ausradierender Humor, heiser, lärmend, leise, Liebe, Tod, Vertrauen: Er hatte mit seinen Eltern alle Kirchen durch, von katholisch-episkopal bis evangelikalen Methodisten.
    "Nach der Terra-Rosa-CD hatte ich Frieden mit IHM geschlossen, manchmal kämpfe ich noch, habe ein wenig Wut oder Furcht oder Irritationen. Die Zeit nach der CD war tatsächlich therapeutisch, ich dachte, mehr habe ich nicht darüber zu sagen. Gelegentlich benutze ich biblische Metaphern, es gibt kraftvolle Metaphern, aber ich bin in Frieden mit dem Nicht-Wissen, das ist ein guter Ort zum Sein."
    Musik: Love Cut Me Down – Jace Everett
    Country-Musik baute darauf auf, Samstags Nacht gesündigt zu haben und Sonntag Morgen erlöst zu werden. Auf was baute Country noch auf beziehungsweise welchem sozial-ökonomischen Umfeld entsprang diese Musik? Auf und aus Armut. Arbeiter- und Farmpächterkinder, die Musik war sozialer Aufstieg, aber dass aus diesem Umstand Country sowie Sozialismus Hand in Hand verbunden waren.
    "Die Mehrheit meines Landes, so Everett weiter, ist ziemlich konservativ. Nicht, weil sie böse Leute sind, sondern weil man ihnen halt böse Sachen erzählt. Sozialismus ist ein furchterregendes Wort in den USA, sie denken sofort an Kommunismus, für sie das gleiche."
    Im Mai 2015 erschien die erste EP seines mittlerweile 19-jährigen Sohnes, Jaques Merlino. Der war damals mit seiner Mutter zurück nach Monaco gegangen, für zehn Jahre. Es sei, hatte Everett damals gesagt, viel weiter weg von Monaco nach Texas gewesen als von Texas nach Monaco. Produziert in Nashville, diese EP, klingt sie...
    Musik: Love Letter – Jaques Merlino
    ...französich, als singe in Nashville jemand Chansons auf englisch. Er, Everett, und sein Gitarrist Dan Cohen haben eine podcast-Radiosendung, Talking into microphones, sie reden über Musik, Kultur, bullshit und, Zitat, "anderen Unsinn." Da sitzt in einer Folge der Vater, Everett, mit dem Sohn, Jaques Merlino, sie unterhalten sich. .Amüsant. Amüsant zu hören. Bis dahin.
    "Bis dahin, vergesst nicht die Zahnseide, betreibt Sex und ruft Eure Mutter an. Schon klar, sie ist ein bisschen blöd, aber sie hat Euch bis hierher gebracht. Umarmung und so´n Scheiß, Jace Everett."
    Musik: Pretty Good Plan - Jace Everett