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Der Untergang Roms
Wie eine krisengeschüttelte Weltmacht zusammenbrach

Auf dem Höhepunkt der Macht reichte Roms Einfluss von Britannien bis nach Nordafrika, von Spanien bis nach Syrien. Das römische Imperium verfügte über eine gut funktionierende Verwaltung und ein straff geführtes Heer. Rom galt als Inbegriff der Zivilisation und feinen Lebensart.

Von Barbara Weber |
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    Eines der bekanntesten Bauwerke der Römer: Das Kolosseum in Rom (picture alliance / ZB)
    Selbst bis in die tiefste Provinz profitierten seine Bewohner von ausgebauten Straßen und florierendem Fernhandel; sie genossen Wein zu ausgewählten Speisen, wohnten zum Teil in Steinhäusern mit Fußbodenheizung, errichteten Basiliken, Foren, öffentliche Bäder, Aquädukte und Theater. Doch während Ostrom erst 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II. unterging, erlebte Westrom seit dem 3. Jahrhundert eine Jahrhunderte dauernde Krise, die in die Welt des europäischen Mittelalters mündete.
    Welche Ursachen steckten hinter dem Untergang dieser westlichen Großmacht? Welchen Anteil hatten Bürgerkriege, Völkerwanderung oder die Barbarisierung der spätrömischen Armee? Warum gingen mit dem Untergang Roms auch zivilisatorische Errungenschaften verloren? Darüber diskutieren Althistoriker und Archäologen noch heute. Das gern kolportierte Argument, die spätrömische Dekadenz habe dem Sturm der Germanen nicht Stand gehalten, wird heute in Fachkreisen nicht mehr vertreten.

    "Omnia ornamenta palatii, quae Odoacar Constantinopolim transmiserat..."
    Anonymus Valesianus nennen die Historiker den unbekannten Autor, der von dieser Begebenheit berichtet: Die Übergabe des weströmischen Kaiserornats an Ostrom im Jahr 476 n.Chr., nachdem der hohe Offizier Odoaker den schwachen Kaiser Romulus Augustus abgesetzt hatte.
    Odoaker verbannte den jungen Kaiser und übersandte die Kaiserinsignien nach Ostrom mit der Bemerkung, man brauche in Italien keinen eigenen Kaiser mehr sondern unterstelle sich dem Kaiser in Konstantinopel.
    "Das ist das eine, was interessant ist, und das andere, dass der abgesetzte junge Kaiser nicht getötet wird, was eigentlich das normale Schicksal eines Kaisers gewesen wäre. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, in denen ein Mann, der einmal den Purpur getragen hat, nicht getötet wird",
    sagt Dr.Henning Börm, Althistoriker an der Universität Konstanz.
    "Das sind beides deutliche Symbole dafür, dass nicht nur ein Kaiser vom Thron entfernt worden ist, sondern dass tatsächlich das weströmische Kaisertum, das Kaisertum in Italien, abgeschafft werden soll."
    Der Untergang des Römischen Großreiches vollzieht sich in zwei Schritten:
    Rund 550 Jahre ist es her, dass der osmanische Sultan Mehmed II. Byzanz - den Nachfolger Ostroms mit der Hauptstadt Konstantinopel - besiegt und damit dessen Ende besiegelt hat.
    Doch was rund tausend Jahre vorher in dem westlichen Teil des Imperiums geschah und wie das zu interpretieren ist - darüber diskutieren die Wissenschaftler, denn fraglich ist, ob die Übergabe des Kaiserornats 476 n.Chr. an Konstantinopel wirklich den Untergang des Weströmischen Reiches bedeutete.
    Das Gegenargument lautet: Der mächtige weströmische Kaiserhof existierte auch ohne Kaiser 80 Jahre weiter, so dass der Historiker Henning Börm ein anderes Datum bevorzugt:
    "Das Jahr 554, von dem noch nie jemand etwas gehört hat, das aber insofern wichtig ist, als in diesem Jahr der weströmische Kaiserhof abgeschafft wird."
    Auch der Althistoriker Prof.Christoph Schäfer von der Universität Trier gibt zu bedenken:
    "In manchen Randbereichen setzt die Tendenz zu mittelalterlichen Strukturen sehr viel früher ein, in den Kernbereichen, auch des westlichen Imperiums, relativ spät, für meine Begriffe ab der Mitte des 6.Jahrhunderts. 476 als Epochendatum ist absolut nicht haltbar."
    Der Prozess des Untergangs ist demnach ein schleichender und setzt hierzulande östlich des Rheines rund 200 Jahre früher ein als im westlichen Rheinland.
    Nicht nur die Diskussion, wann das Römische Reich untergegangen ist, sondern auch welche Faktoren zum Untergang des Imperiums geführt haben, hält bis heute an.
    In der Vergangenheit bot die Spätantike Raum zu Spekulationen.
    Bereits im 18.Jahrhundert postulierte der britische Historiker Edward Gibbon in seinem epochalen Werk "The History of the Decline and Fall of the Roman Empire" die Ansicht, Westrom sei letztendlich an drei Faktoren gescheitert: dem Christentum, der Dekadenz und den Germanen.
    Damit schloss er sich prominenten Vordenkern an: Montesquieu beschrieb Dekadenz als einen maßgeblichen Faktor. Voltaire hingegen gab dem Christentum eine nicht unerhebliche Schuld am Verfall des römischen Imperiums.
    Heute wird der Fall des Weströmischen Reiches differenzierter betrachtet, aber nach wie vor stellen sich Fragen:
    Welche Faktoren führten letztendlich zum Ende der Großmacht?
    Inwiefern spielten innerrömische Bürgerkriege und Warlords eine Rolle?
    Was bedeutete Völkerwanderung in dem Zusammenhang?
    Das interessiert nicht nur Altertumskundler, sondern auch Zeithistoriker und Politiker, denn das Römische Reich gilt als der Referenzpunkt für alle nachfolgenden Imperien, sei es das britische Empire oder die Imperialmacht USA. Und noch ein Aspekt scheint von Interesse, nämlich der nach bestimmten Kriterien, womöglich Mustern, nach denen Weltreiche entstehen, ihren Höhepunkt erreichen und untergehen.
    Ein Imperium entsteht
    Rom auf dem Höhepunkt der Macht
    "Wir stehen zu Füßen des Grabmals des Lucius Poblicius. Das Grabmal hat eine Höhe von mehr als 15 Metern, es entspricht der Höhe eines dreigeschossigen Einfamilienhauses. Es ist eines der besterhaltenen römischen Grabmäler nördlich der Alpen."
    Römisch-Germanisches Museum Köln. Der Archäologe und Direktor des Museums Dr. Marcus Trier steht vor dem Dionysos Mosaik, das an dieser Stelle vor rund 2000 Jahren den Boden einer römischen Villa geschmückt hat. Dahinter ragt das Steinmonument des Poblicius, das an einer der Ausfallstraßen unter einem Privathaus gefunden wurde.
    "Lucius Poblicius war ein römischer Veteran, der in Xanten seinen Dienst verrichtet hat und der nach seinem Ausscheiden aus der Armee eine finanzielle Abfindung bekam, so wie das üblich war, und offensichtlich danach wirtschaftlich und ganz sicher sozial Karriere gemacht hat."
    Wie der Veteran als Zivilist sein Geld verdient hat, wissen die Wissenschaftler nicht. Aber er muss es zu großem Wohlstand gebracht haben.
    "Denn anders ist ein Grabmal von 15 Metern Höhe aus lothringischem Kalkstein, den man von weither hierhin holen musste, aus dem oberen Moselbereich hierhin bringen musste, nicht zu erklären. Ja, man sieht die Sockelzone so etwa fünfeinhalb Meter hoch, darüber dann dieses auf Säulen aufgesetzte Grabdach und den guten Lucius Poblicius in der Mitte stehen, links und rechts von ihm stehen weitere lebensgroße Kalksteinfiguren, die sicherlich Familienmitglieder portträtieren sollten."
    Lucius Poblicius ließ das Denkmal für sich und seine Angehörigen etwa 40 n.Chr. errichten. Es war die Zeit der Expansion des Römischen Reiches. Poblicius, der als Militär ursprünglich aus Süditalien kam, beschloss nach seiner Militärlaufbahn nicht nach Italien zurückzukehren sondern blieb im damaligen Oppidum Ubiorum, einer aufstrebenden Provinzstadt am Rhein, die 10 Jahre später zur Veteranenkolonie erhoben wurde und fortan als Colonia Claudia Ara Agrippinensium die höchste Rechtsform erlangte, die einer Stadt in einer römischen Provinz verliehen werden konnte.
    Rund 100 Jahre später zeigte sich der Erfolg, den Männer wie Poblicius errungen hatten: Aus Rom war ein Imperium geworden.
    Prof. Michael Gehler, Historiker an der Universität Hildesheim:
    "Diese kontinuierliche Ausdehnung, dieses schrittweise Wachstum von einem Stadtstaat zu einem Weltreich mit der größten Ausdehnung unter Kaiser Trajan, mit einer Ausweitung vom Nahen Osten über Nordafrika, Spanien, England, weite Teile des Nordens Europas, Germaniens, das ist ein wesentlicher Punkt."
    "Das heißt, unter heutiger Terminologie würde das Römische Reich drei Kontinente berühren", ergänzt Prof. Kai Ruffing, Althistoriker an der Universität Kassel.
    "Zweitens war immer wieder bewundernswert auch für Militärhistoriker das effiziente Heer, auch die Verwaltungsreformen und Strukturen, die das römische Reich geleistet hat", meint Prof. Michael Gehler.
    So ist der logistische Aufwand für das Militär enorm, verfügt das Römische Reich zur Hochzeit doch über 30 Legionen, also rund 150.000 – 180.000 Mann an regulärer Linieninfanterie. Dazu kam die gleiche Anzahl an Hilfstruppen.
    Eine Berufsarmee – so Dr.Henning Börm – ein stehendes Heer, das unterteilt ist:
    "In eine Hälfte, das sind die Legionen, in denen die römischen Bürger dienen und die andere Hälfte, genauso stark oder sogar stärker, nichtrömische Hilfstruppen, die von Anfang an eine große Rolle spielen."
    Die Rekruten der Hilfstruppen gelten als hochmotiviert, denn:
    "Wenn man dort fertig gewesen ist, bekommt man das römische Bürgerrecht und kann, wenn man will, vielleicht auch eine andere Karriere machen. Diese Armee ist entscheidende Machtbasis der Kaiser. Man kann, muss aber nicht, Rom als Militärmonarchie oder Militärdiktatur bezeichnen. Die Kaiser haben den Oberbefehl über das Heer und das Heer macht den Kaiser."
    "Darüber hinaus hatte das Militär eine hohe wirtschaftliche Funktion", so Kai Ruffing,
    "denn im Gegensatz zu vielen anderen Reichen hat Rom Geld an die Peripherie, an das Militär gespült, und dort entstand an den Grenzen eine hohe Nachfrage nach verschiedenen Gütern, also etwa Wein oder Garum, eine Art Fischsauce, und diese Nachfrage provozierte dann wieder Handel in diese Region. Und letztlich und endlich ist das Militär auch ein ganz wesentlicher Punkt für das, was wir Romanisierung oder Romanisation nennen, also die Übernahme von römischer Lebensart."
    So verfügten die Militärstandorte auch in der Peripherie beispielsweise über eigene Bäder. Das Heer baute Straßen und errichtete Aquädukte. Insofern produzierte die schiere Präsenz des Heers technologischen Fortschritt auch im Hinterland.
    Rom galt als Inbegriff der Zivilisation und feinen Lebensart, die auch Bürger in der Provinz nicht missen wollten: feines Töpferhandwerk aus Italien, Gläser, nordafrikanische Amphoren, Zimt und Pfeffer aus Indien, Austern vom Mittelmeer, Elfenbein und Datteln aus Afrika, Werkzeuge wie Scheren, Nadeln und Webgewichte, um feine Tücher herzustellen.
    Diese Güter auch in die Provinz zu transportieren, setzt eine ausgebaute Infrastruktur voraus: Fernstraßen auf denen der Fernhandel florieren kann. Christoph Schäfer:
    "Die antike Wirtschaft ist ein durchaus komplexes System. In der Forschung ist es zwar noch etwas umstritten, aber wir müssen sagen, es ist eine sehr moderne Wirtschaft gewesen, wo man auch Massengüter über weite Strecken transportieren musste und konnte, und die einzigen Verkehrswege, die auch kostenmäßig hierfür am besten geeignet waren, das sind natürlich die Wasserwege, das heißt die Seewege und vor allem dann auch die Binnenwasserstraßen, das heißt die Flüsse."
    "Wenn Sie etwa an die Trierer Römerbrücke denken von 155 n.Chr., diese Brücke, die Brückenpfeiler wurden aus Blöcken gebaut, die in der Nähe von Andernach gebrochen wurden." ergänzt Dr.Ronald Bockius, Leiter des Forschungsbereichs Antike Schifffahrt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz.
    "Von Andernach nach Trier, das ist heute eine gute Autostunde, aber in der Antike, wenn man sich den Transport über Land vorstellt, über die Eifel, das ist nicht zu vergleichen mit dem, was die Verbindung über Mosel und Rhein ermöglicht."
    "Die Wirtschaft im römischen Imperium ist nicht nur stärker als die seiner Nachbarn nördlich von Rhein und Donau oder südlich der Sahara, sie ist auch ausdifferenzierter", meint Kai Ruffing.
    "Das Reich war weitgehend monetarisiert, das heißt, wirtschaftliche Transaktionen wurden im Wesentlichen über Geldaustausch geregelt. Wir können in der Hochzeit eine ausgeprägte berufliche Spezialisierung feststellen, und allein das ist schon ein Zeichen dafür, dass man im Wesentlichen Geld und Dienstleistungen und Waren über den Markt tauschte."
    Neben Militär und Wirtschaft gibt es weitere Aspekte, die das Imperium Romanum zu seiner Hochzeit auszeichnen. Michael Gehler:
    "Ein wesentlicher kulturgeschichtlicher Punkt ist die starke Fähigkeit zur Aufnahme, zur Absorption anderer Kulturen, denken wir an die etruskische Kultur, denken wir an die griechische Kultur, die ja im Imperium Romanum auch aufgesogen wurde, Stichwort Hellenismus, sicher auch die Frage der geistig kulturellen Ausstrahlungskraft, denken wir an die römische Philosophie, die von der griechischen profitiert hat aber auch an das römische Recht, das heute noch an den Universitäten an den Rechtsfakultäten gelehrt wird, an die technisch zivilisatorischen Errungenschaften. Und nicht zuletzt, denken wir an die herausragenden Führungsfiguren, denken wir an den Reformer Diokletian, denken wir an den Philosophen Marc Aurel und nicht zuletzt Cäsar, diese Kaiser stehen für ganz verschiedene Profile."
    Die Komplexität, ein weiteres Kriterium für Imperien, nahm über die Jahrhunderte so zu, dass nach dem Tod Kaiser Theodosius des Großen das Reich 395 unter seinen Söhnen aufgeteilt wurde: Allerdings lässt sich in dem Zusammenhang weniger von einer Reichsteilung als von einer Kaiserteilung sprechen, Kaiserresidenz im Osten war Konstantinopel, im Westen Mailand, später Ravenna, selten Rom. Allerdings hatte es in den Jahrhunderten zuvor immer wieder mehrere Kaiser und Kaiserstädte wie Trier gegeben, um das Reich administrativ besser regieren zu können.
    Die geografische, machtpolitische, militärische, wirtschaftliche und kulturpolitische Bedeutung des Imperium Romanum hat letztendlich dazu geführt, dass sich für dieses Reich eine eigene Kategorie gebildet hat. Kai Ruffing:
    "Das Römische Reich ist das paradigmatische Imperium, könnte man sagen, denn aus ihm ist die historiografische Kategorie Imperium ja letztlich hergeleitet. Und es ist auch das rezeptionsgeschichtlich wirkungsmächtigste Imperium, denn viele nachfolgende Staatlichkeiten und Imperien beziehen sich explizit auf Rom."
    Von Vandalen, Hunnen und Barbaren
    Die Völkerwanderung
    Aus dem Film "Die Feuerzangenbowle":
    Lehrer: "Sie haben für heute die Völkerwanderung repetiert. Nun Knebel, erzählen Sie uns mal, welchen Volksstamm können Sie denn am besten."
    Schüler: "Die Goten."
    Lehrer: "Schön, dann erzählen Sie doch mal etwas von den Goten."
    Schüler: "Die Goten saßen ursprünglich – ursprünglich saßen die Goten in – es saßen die Goten ursprünglich in - Schweden."
    Lehrer: "Richtig, und von dort gingen sie?"
    Schüler: "Von dort gingen sie in die Gegend von Danzig. Und von da gingen sie dann nach Russland. Und von da nach, ja, da wussten sie eigentlich nicht recht, was sie machen sollten und - äh - zerfielen dann in die Ost- und in die Westgoten."
    Dr. Philipp von Rummel ist Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin:
    "Wahrscheinlich jeder kennt diese Szene aus dem Film "Die Feuerzangenbowle", in der der arme Schüler verzweifelt versucht, an der Landkarte zu erklären, wo die Ostgoten und die Westgoten hingezogen sind. Das ist sozusagen die Völkerwanderung, also lange Pfeile, die an der Ostsee beginnen und dann über das Schwarze Meer bis in das Römische Reich, teilweise bis Afrika weisen und diesen gezielten Wanderungsprozess implizieren."
    Wilde Germanenstämme, wüste Hunnenhorden, unzivilisierte Gotenverbände - mit der Völkerwanderung verbindet man gemeinhin das Bild von bedrohlichen Barbaren oder anders ausgedrückt: einheitlichen ethnischen Gruppen, die aus der Peripherie aufbrechen und dann in das Römische Reich ziehen.
    "Dieser Begriff ist aber in der letzten Zeit sehr stark in die Kritik geraten, weil sowohl der Begriff Völker für diese Gruppen teilweise sehr schwierig ist und eben die Wanderung auch, deswegen gibt es andere Begriffe, die eigentlich dafür geeigneter sind, was wir meinen, zum Beispiel im Englischen der Begriff 'Migration Period', der sehr viel neutraler ausdrückt, was da eigentlich geschehen ist."
    Was da eigentlich geschehen ist, wird nach wie vor heftig diskutiert: Waren es tatsächlich Völker, die mit Familien, Kindern, Alten, dem Hausrat und dem Vieh in langen Trecks ins Römische Reich gezogen sind? Oder handelte es sich nicht vielmehr um Armeen, um militärische Verbände, begleitet von Angehörigen?
    Zum Beispiel: Die Goten
    "Die Goten sind insofern in einer gewissen Sonderrolle, weil sie doch sehr stark sich zunächst mal zu integrieren versuchen in das Imperium", schränkt Prof.Christoph Schäfer von der Universität Trier gleich ein.
    "Wir können es zum Beispiel festmachen an Alarich, dem berühmten Alarich, der 410 Rom erobert, und Rom wird nun geplündert. Es ist ganz merkwürdig, als dann 45 Jahre später die Vandalen Rom erobern, unglaublich viel noch vorhanden ist, etwa der siebenarmige Leuchter, den Titus aus Jerusalem nach Rom verschleppt hat, den entfernen dann die Vandalen und nicht die Goten des Alarich. Also so viel kann es mit der Plünderei dann doch nicht gewesen sein. Und Alarichs Ziele selbst waren eigentlich gar nicht die, Rom selbst zu erobern, sondern er wollte eigentlich nur ein entsprechendes Heermeisteramt innerhalb der römischen Armee einnehmen."
    Alarich war der Meinung, dass ihm als Kommandeur seiner eigenen Stammes -krieger, einer Söldnerarmee in römischen Diensten, ein hoher Posten in Westrom zustünde. Nicht ganz zu Unrecht, denn andere Warlords hatten das vor ihm auch schon erreicht.
    Das sah der Kaiser anders, und so kam es zu einem kriegerischen Konflikt innerhalb des Systems oder anders ausgedrückt, zu einem Bürgerkrieg.
    "Hätte der Kaiser Honorius in diesem Fall geschickter agiert, dann wäre die Sache mit Alarich und Rom sicherlich anders verlaufen und Alarich hätte seinen Platz innerhalb der römischen Armee gefunden."
    Zum Beispiel: Die Vandalen
    Philipp von Rummel:
    "Die Vandalen waren ja, als sie in Nordafrika ankamen, schon ziemlich lange unterwegs gewesen an den Grenzen des Römischen Reiches und dann im Römischen Reich drinnen, die haben das Land erobert, haben die alte römische Elite dort ersetzt und haben selbstverständlich deren Häuser übernommen, deren Wohnkultur, die ja sehr angenehm war mit Bädern, schöne Häuser, Mosaiken. Das haben die Vandalen alles einfach weiter genutzt und auch weiter gepflegt übrigens, denn im Vandalenreich wurden weiterhin prächtige Häuser errichtet. Da wurden Mosaiken gelegt. Also die vandalische Eroberung ist überhaupt kein Bruch."
    Die Vandalen saßen in Nordafrika quasi schon im sprichwörtlichen Fleischtopf, denn hier lag die Kornkammer des Römischen Reiches. Durch einen Friedensvertrag mit Rom erlangten sie den Status eines Verbündeten und wurden in römische Dienste gestellt. Doch Geiserich, Herrscher der Vandalen, wollte mehr: zum einen sich mit dem Kaiserhaus verschwägern und zum anderen eine römische Karriere als Heermeister. Beides erfüllte sich durch verschiedene Umstände nicht, was Geiserich einen Grund gab, nach Rom zu marschieren.
    Auch hier zeigte sich: Geiserich wollte zunächst von Rom akzeptiert werden und strebte eine hohe Position innerhalb des Römischen Imperiums an. Letztendlich pflegten die Vandalen unter Geiserich die römische Lebensart. Da sieht der Archäologe Philipp von Rummel auch Gemeinsamkeiten mit den Goten.
    Zum Beispiel: Die Hunnen
    "Die Hunnen haben nie fest innerhalb des Römischen Reiches gelebt sondern haben aus erst Donauraum, dann Theißgebiet heraus, militärisch agiert in das Römische Reich hinein. Der berühmte Hunnenkönig Attila hatte dann zwar eine feste Residenz mit einem aus Holz errichteten Palast, aber der Großteil seiner Leute wohnt immer noch in Zelten um diesen Palast herum. Das ist schon sehr anders als die Vandalen in Karthago residierten oder der Gotenkönig Theoderich in Ravenna."
    Fazit: So groß die Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen auch waren - auffallend bei den meisten Beteiligten der sogenannten Völkerwanderung ist eine Gemeinsamkeit:
    "Alle Gruppen, sowohl verschiedene gotische Gruppen, Vandalen, hunnische Gruppen, waren in erster Linie Militärs. Das waren Soldaten, die mal für mal gegen das römische Reich agierten."
    Von Foederati und anderen Kampfeinheiten
    Das Militär in der Spätantike
    "Wir stehen hier vor einem Wrack aus dem späten 4.Jahrhundert. Man sieht die vordere Partie eines sehr schlanken Fahrzeuges, dessen Einbauten erkennen lassen, dass es sich um ein riemenangetriebenes, also um ein großes Ruderfahrzeug gehandelt hatte, das über eine eng untergebrachte Mannschaft verfügte, die in zwei Reihen im Rumpf saß. Das ist ein ganz klares Kennzeichen für die militärische Verwendung dieses Fahrzeugs."
    Museum für Antike Schifffahrt Mainz. Dr.Ronald Bockius, Leiter des Museums, steht vor den Resten eines antiken Schiffsrumpfes aus Eiche.
    "Das Fahrzeug war ursprünglich gegen 18 Meter lang, erhalten waren in diesem Fall noch 16,2. Da fehlte das Heck, hier ist der Bug erhalten. Es ist ein sehr schlanker Rumpf, der mit mindestens 24 Ruderern besetzt war, die sich gegenüber saßen, 12 auf jeder Seite."
    Das Boot ist eines von fünf römischen Militärbooten, die in den 80er Jahren in Mainz entdeckt wurden. In spätantiker Zeit befand sich an der Fundstelle wohl eine Pier, die sich bis zum damaligen Rheinufer erstreckte. Dort wurden die Schiffe abgewrackt und haben sich dank einer Überlagerung durch Flusssedimente erhalten.
    Zwar gibt es in der Antike relativ durchgängige Traditionen, was die Konstruktion im Militärschiffbereich anbelangt, allerdings lässt sich ab dem späten 3. Jahrhundert eine Veränderung im Schiffsbau beobachten. Prof.Christoph Schäfer:
    "Da werden Binnenkriegsschiffe ab dem 3.Jahrhundert in unseren Breiten neu entwickelt, gebaut, die vollkommen angepasst sind an die Bedingungen, viel einfacher konstruiert als die leistungsfähigeren älteren Modelle aber eben in Masse zu produzieren."
    Die Devise heißt jetzt: Masse statt Klasse. Aber die Masse an Schiffen ist exakt auf die geänderten Bedingungen im Imperium abgestellt.
    Längst ist aus der Expansion ein Rückzug geworden: Seit dem Fall des obergermanisch-raetischen Limes um das Jahr 260 n.Chr. bildet der Oberrhein die Grenze zu den Barbaren. Das erfordert eine neue Strategie. Prof. Kai Ruffing:
    "Das Militär wird zunächst mal ausgebaut, und die Veränderungen der Spätantike sind im Wesentlichen einer neuen Bedrohungslage geschuldet, das heißt, dem Römischen Reich entstehen am Rhein und an der Donaugrenze durch die großen germanischen Stammesverbände neue Feinde, die auf die Grenzen drücken."
    Seit ungefähr 300 n.Chr. können auch Nichtrömer in die reguläre Armee eintreten. Die Unterteilung zwischen Bürgern in der Legion und den Hilfstruppen aus Nichtrömern hat sich aufgelöst. Jetzt dienen Römer und Nichtrömer gemeinsam. Das hat zur Folge, dass Letztere Karriere machen und hohe Offiziersränge erreichen können. Eine weitere Veränderung sind Militärverträge mit verbündeten Armeen, sogenannten Föderaten wie Goten oder Vandalen. Dr. Henning Börm:
    "Die Föderaten sind Kriegerverbände von Nichtrömern, die auch anders als diejenigen, die in die reguläre Armee eintreten, dadurch nicht römische Bürger werden, sondern explizit Nichtrömer, Reichsfremde bleiben, die unter eigenen Anführern kämpfen. Diese Anführer kann man Warlords nennen oder Kriegsunternehmer. Die kommen aus dem nichtrömischen Bereich und bieten den Kaisern ihre Dienste an und sind dadurch sehr viel günstiger und billiger als es die reguläre römische Armee ist, denn man muss sie nicht mit eigenen Waffen ausstatten usw."
    Im Gegenzug wünschen sich die Föderaten eine Versorgung durch den römischen Staat.
    "Man muss sich das so vorstellen: Das sind eher arme Leute, die irgendwo aus der Pampa kommen und die jetzt alles, was sie dem Römischen Reich anbieten können, im Gegenzug für einen Anteil am Wohlstand, ist ihre körperliche Gesundheit und ihr Schwertarm, und das sind diese Föderatenarmeen, die als Dienstleister in das römische Reich kommen, nicht als Eroberer sondern um den Römern mit der Waffe zu dienen."
    Und die dann eine große Rolle bei den Bürgerkriegen spielen.
    "Oh ja, eine entscheidende Rolle sogar, denn in dem Maße, in dem die Bürgerkriege, die ab dem frühen 5.Jahrhundert einsetzen, eskalieren, ist es natürlich notwendig für die unterschiedlichen Parteien, schnell schlagkräftige Armeen aufzustellen. Die Verluste in diesen innerrömischen Auseinandersetzungen sind sehr hoch. Wenn man sich das anschaut, das ist schon ein Phänomen, das man für das 3. und 4.Jahrhundert beobachten kann: Die großen, heftigen Verluste, die die römische Armee erleidet, wo einige 10.000 Menschen sterben, die werden mit einer Ausnahme, der Schlacht von Adrianopel, nicht im Kampf gegen äußere Feinde erlitten, sondern im Kampf Römer gegen Römer."
    Fast immer geht es um bessere Bezahlung oder Status innerhalb des Römischen Reiches: Föderalistische Armeen wie die der Goten, fordern neben höherem Sold für die Soldaten auch eine entsprechend herausgehobene Position für ihre Führung. Einigen Barbaren gelingt das, bietet das Militär in der Spätantike doch auch für Fremde ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten. In dem Punkt ist die spätrömische Gesellschaft hochgradig durchlässig.
    Dr.Roland Steinacher, Historiker an der Universität Wien:
    "Stilicho ist ein Beispiel eines Mannes, der am Rande der römischen Welt geboren wurde. Sein Vater war wohl ein Vandale im Bereich der unteren Donau lebend, der aber bereits Erfahrungen hatte, der seine Karriere als römischer Offizier gemacht hatte und seinem Sohn das Beste wünschte, es seinem Sohn ermöglichte, eine Karriere bis hinauf in die Spitze der militärischen Hierarchie zu machen."
    An der Spitze der militärischen Hierarchie stand der Heermeister, Magister militum. Stilicho war in dieser Position direkt dem Kaiser unterstellt.
    "Und es gelang Stilicho über beinahe zwei Jahrzehnte, Einfluss in der ersten Ebene der Reichspolitik zu erlangen. Er endet dann recht gewaltsam wie so viele Menschen in dieser Zeit im beginnenden 5.Jahrhundert, die an der Spitze der Hierarchie, an der Spitze der Gesellschaft ihre Rolle spielen konnten, aber Stilicho ist ein gutes Beispiel dafür, wie mobil, wie groß die Aufstiegschancen im militärischen Bereich in der spätrömischen Welt waren."
    Diese im 5.Jahrhundert geschaffene Position des Heermeisters war im Westen mit einer zunehmenden Machtfülle verbunden.
    "Diesen Heermeistern gelingt es offensichtlich in dem Maße, in dem die Kaiser sich in ihrem Palast zurückziehen, was diverse Gründe hat, die Loyalität der Soldaten zu gewinnen", sagt Henning Börm.
    "Am Anfang des Jahrhunderts können wir noch sehen, dass dann, wenn sich die Soldaten zwischen dem dynastisch legitimierten Kaiser und dem Heermeister entscheiden sollen, sie sich für den Kaiser entscheiden, aber schon in der Mitte des Jahrhunderts können wir beobachten, dass die Kaiser offensichtlich weitgehend machtlos sind, weil die tatsächliche Gefolgstreue der Soldaten inzwischen dem gehört, der sie wirklich kommandiert, also dem Heermeister. Und das ist gefährlich. Das interessante allerdings dabei ist, dass ab ungefähr 421/422 die Heermeister anders als in früheren Zeiten nicht mehr versuchen, dann selbst Kaiser zu werden, das heißt, die Entmachtung des Kaisertums schreitet soweit voran, dass die Heermeister im Westen lieber Marionetten auf den Thron setzen, statt sich selbst zum Kaiser zu machen, was viele durchaus gekonnt hätten."
    Die Entmachtung des Kaisertums zeigt sich auch in der Provinz, meint Roland Steinacher.
    "Als die römischen Strukturen nicht mehr so durchgreifend funktionieren, im Westen stärker als im Osten, da haben sie dann auch das Phänomen, dass militärische Eliten die Macht übernehmen in einzelnen römischen Provinzen, etwa die Vandalen in Afrika, die Goten in Italien oder Spanien, später die Franken in Gallien, dem späteren Frankreich."
    Ein entscheidender Punkt dieser Machtübernahme war die Eroberung Nordafrikas durch die Vandalen zwischen 429 und 439 die wichtigste Provinz des Imperium Romanum, die wirtschaftliche Grundlage, die Kornkammer Roms. Nordafrika galt damals als sehr reich und erbrachte viele Steuern. Das stärkte das Kaiserhaus. Als dann die Vandalen diese Ströme von Afrika nach Italien unterbrachen, schwächte das nicht nur die wirtschaftliche Basis Roms, sondern auch das Kaiserhaus, das sich davon nie mehr erholte. Mangels Steuern konnten die Privatarmeen, die Söldnerheere, nicht mehr bezahlt werden. Kai Ruffing:
    "Nicht zuletzt aus dieser Gemengelager heraus wird man sagen können, dass sich damit auch immer mehr die Loyalität von germanischen Heeresverbänden gegenüber der Figur des Kaisers auflöste, wenn der nicht in der Lage war, den Sold zu bezahlen."
    Von Münzen, Wechseln und Handelsgütern
    Die Wirtschaft in der Spätantike
    "Hier gibt es verschiedene Läden, in denen Produkte sind, die von weit her nach Trier gebracht worden sind, weil auch der Trierer den Anspruch hatte, den Luxus, den ein Römer hatte, hier zu bekommen."
    Dr. Sabine Faust, Leiterin der Sammlung im Rheinischen Landesmuseum Trier, steht in der Inszenierung einer römischen Ladenstraße anlässlich einer Sonderausstellung über römische Städte nördlich der Alpen. Sie deutet auf filigrane Gläser, die auf einem Regal stehen:
    "Sigilaten, Dinge, die damals nicht hier hergestellt werden konnten, sondern aus Italien, aus Südfrankreich hierhin kamen, aus anderen Herren Länder, also aus Afrika. Zimt und Pfeffer aus Indien, Austern, die vom Mittelmeer so schnell hierhin gebracht werden konnten, dass man sich nicht daran vergiftet hat. Wenn wir dann zum nächsten gehen, dann ist das nicht ein Laden, der Dinge anbietet, die von weit her gebracht werden, sondern einheimische Erzeugnisse. Der absolute Verkaufsschlager im 3. und 4. Jahrhundert ist die Spruchbecherkeramik, also die Weinkeramik aus Trier, die bis Rumänien verhandelt worden ist, da ist ein ganzes Regal mit diesen Produkten gezeigt, dann gehen wir in den nächsten Laden."
    Die Porta Nigra in Trier
    Die Porta Nigra in Trier (picture-alliance / dpa / Friedel Gierth)
    Von Krise ist in der ehemaligen Kaiserresidenz Trier im 4.Jahrhundert wenig zu spüren. Trier gehört wohl zu den Regionen, die die Veränderungen zunächst relativ unbeschadet überstehen und ist damit kein Einzelfall, wie neue Studien zeigen. Kai Ruffing:
    "Dass, was wir feststellen können ist, dass selbstverständlich auch in der Spätantike noch weitreichende Handelsbeziehungen möglich waren und durchaus auch gegeben waren. Wir können sie nur als Althistoriker sehr schlecht quantifizieren, ich würde eher sagen, dass da die Kontinuitäten im Handel überwiegen, vielleicht sogar bis ins 8.Jahrhundert hinein."
    Doch lässt sich ein gewisser Wandel der Struktur ab dem 3.Jahrhundert nicht übersehen. Das konnte Christoph Schäfer bei der Auswertung gefundener Schiffswracks erkennen:
    "Was wir aber sehen, ist, dass in den vielen Schiffwracks aus der Antike, die wir kennen, signifikante Veränderungen der Ladung auftreten."
    Das betrifft vor allem Münzfunde: Auf den römischen Handelsschiffen, die zwischen dem 1. und beginnenden 3.Jahrhundert n.Chr. untergegangen waren, machten Archäologen kaum nennenswerte Münzfunde. Das änderte sich auf den Schiffen im 3.Jahrhundert:
    "Da braucht man offenbar wieder Geld. Und das bedeutet, dass ein bargeldloses System, ein Kapitaltransfer, der über Kredite, Wechsel, der über lange Distanzen funktionierte, jetzt offenbar nicht mehr intakt war, denn das Ganze basiert natürlich auf einem großen Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Schuldner, und wir wissen sehr genau, dass im 1. oder 2. Jahrhundert auch die Kapitäne der Handelsschiffe nicht große Bargeldsummen mitnehmen mussten, wenn Reparaturen anfielen, unvorhergesehene Schäden auftraten, dann konnte man sich vor Ort in den Zielhäfen oder auch in den Häfen entlang der Wegstrecke Geld leihen."
    Das Ende einer Zivilisation
    Was von Rom übrig blieb
    "Wir sehen die Grundmauern des Stadthalterpalastes aus dem 4.Jahrhundert, das sind fast zwei Meter starke Fundamentmauern."
    Dr. Marcus Trier, Direktor des Römisch-Germanischen Museums Köln, deutet auf die vor ihm stehenden imposanten Mauern des römischen Praetoriums.
    "Ursprünglich war der Bau rund hundert Meter lang, etwa 20-25 Meter hoch, es war ein gewaltiger Großbau, indem die Repräsentanten Roms hier am Rhein ihren Amtsgeschäften nachgegangen sind, die Region regiert haben, Niedergermanien regiert haben. Was wir hier sehen ist die Bauphase des 4.Jahrhunderts, sprich die letzte römische Architekturphase dieses Großbaus, und diesen Bau des 4.Jahrhunderts, den haben dann auch die fränkischen Herrscher genutzt, denn aus dem Praetorium wurde der fränkische Königspalast, die aula regia, Gregor von Thur, der fränkische Geschichtsschreiber, nennt diesen Palast um 520 n.Chr. aula regia."
    Zu der Zeit existiert das Römische Reich als politische Einheit nicht mehr. An seine Stelle treten kleinere Reiche: die Franken in Gallien, die Burgunder in der heutigen Schweiz und Südostfrankreich, die Goten in Spanien und Italien, die Vandalen in Afrika. Mit dieser geografischen Einheit zerbricht auch all das, was für diese Einheit stand: Die wichtigen Institutionen, das Kaisertum im Westen, der römische Senat, der bis zuletzt eine große Rolle spielt, die kaiserliche Administration, das überregionale Steuerwesen - all das ist nicht mehr da.
    Die Veränderungen werden sichtbar, besonders in den Städten. Die Aquädukte verfallen, es fehlt das Know-how, sie zu erhalten.
    Das zeigen zum Beispiel Ausgrabungen in Trier, Dr. Georg Breitner, Archäologe am Rheinischen Landesmuseum Trier:
    "Wir haben in Trier auch verzweifelte Versuche, das fortzusetzen. Es gibt so einige Wiederbelebungen römischer Wohnhäuser auch durch Franken, und da sieht man richtig, dass das Know-how eigentlich fehlt. Da wurden Mosaike dann geflickt, das sieht ganz katastrophal aus, und die Heizungen, die waren vollkommen verrußt. Also man hat es offensichtlich versucht, es auch weiterhin zu bestücken, hat sie dann zugefüllt, hat eine einfache Stollenheizung eingefügt, die hat auch nicht funktioniert. Man hat die Räume verkleinert. Man hat in die Steinhäuser Hütten reingesetzt. Es fehlte die soziale Infrastruktur, es fehlte die Verwaltungsstruktur, es fehlte auch das Know-how für die Instandhaltung der Infrastruktur, so dass letztendlich dieses ganze städtische Gefüge, das letztendlich aus diesen ganzen Komponenten auch am Leben gehalten werden konnte, nicht mehr vorhanden war und die Stadt zunehmend verödete."
    Das demonstrieren eindrucksvoll die gefundenen Überreste der Statuen. Die Archäologen fragten sich, warum ab einer bestimmten Epoche plötzlich nur noch Fragmente von ehemals Meisterwerken bei Ausgrabungen zu finden waren? Füße, Arme, Hände, vielleicht ein Stück Bein - wo war der Rest der ehemals in Trier so zahlreichen Marmorstatuen?
    Die Erklärung ist ernüchternd, meint die Archäologin Dr. Sabine Faust:
    "In Trier endet das Römische Reich irgendwann im 5.Jahrhundert, und dann stehen hier natürlich noch immer eine ganze Menge Dinge aus Marmor, aus Bronze, aus anderen schönen Steinen, die nicht mehr gewertschätzt werden. Also die Christen machen alles kaputt, was nackt ist und was heidnisch aussieht. Aber auch Dinge, die relativ unverfänglich sind, werden einfach zerstört. Alle möglichen Dinge aus Marmor sind zerschlagen worden, um das daraus zu machen, aus was es besteht, nämlich Kalk daraus zu brennen. Mit Kalk kann man Häuser weiß streichen."
    "Und so verschwindet dann Schritt für Schritt, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, verschwindet dann diese großartige römische Stadtkultur",
    sagt der Archäologe Dr. Marcus Reuter, Direktor des Rheinischen Landesmuseums Trier.
    Die Änderungen werden deutlich. Der Sinn für eine gehobene Ästhetik geht verloren. Statuen benötigen die Barbaren nicht mehr, statt Ziergärten mit Springbrunnen legen sie nun in der Stadt Gemüsebeete an. Allerdings scheinen einige Aspekte römischen Lebens so attraktiv, dass die Eindringlinge sie übernehmen, sagt Philipp von Rummel:
    "Zum Beispiel haben die frühmittelalterlichen Rechte doch viel stärkere Wurzeln im römischen Recht als man früher dachte. Die lateinische Schriftlichkeit bleibt erhalten. Die Kirche setzt in vielerlei Hinsicht die Tradition des Römischen Reiches fort. Die römischen Klassiker werden weiterhin gelesen, werden in den Klöstern kopiert, und auch in den Strukturen sieht man an vielen Stellen das Römische Reich weiterleben, wenn Sie denken an den Stadtplan von Köln heute. Da sieht man immer noch die Struktur der alten römischen Stadt durchscheinen."
    Zum Beispiel die Hohe Straße, heute die meist frequentierte Einkaufsstraße Deutschlands, zu römischer Zeit als cardo maximus Teil der Limesstraße oder die heutige Schildergasse, das west-östliche Pendant, als decumanus maximus, Teil eines überregionalen Straßennetzes, das in westlicher Richtung über Jülich und Aachen bis zum Atlantik führte.
    Das Scheitern einer Weltmacht
    Diskussionen über Gründe
    Aberglaube, Absolutismus, Anarchie, Antigermanismus, Apathie, Arbeitskräftemangel, Aristokratie, Autoritätsverlust, Badewesen, Bankrott, Barbarisierung, Berufsarmee, Besitzunterschiede, Bevölkerungsdruck, Bleivergiftung, Bodenerschöpfung, Bürgerkrieg, Bürokratie, Charakterlosigkeit, Christentum, Degeneration, Despotismus, Disziplinlosigkeit, Egoismus, Energieschwund, Entgötterung....
    Alexander Demandt zählt in seinem Buch 210 Gründe für den Fall Roms.
    Führungsschwäche, Geldgier, Genusssucht, Germanenangriffe, Gladiatorenwesen, Großgrundbesitz, Halbbildung, Hauptstadtwechsel, Hedonismus, Homosexualität, Hunnensturm, Imperialismus, Impotenz, Individualismus, Inflation, Integrationsschwäche...
    Der Aufzählung muss im Grunde nichts hinzugefügt werden, denn welche Ursachen letztendlich zum Untergang des Weströmischen Reiches geführt haben, darüber diskutieren Wissenschaftler und Intellektuelle seit Hunderten von Jahren. Jeder Begriff scheint dabei schon einmal gefallen zu sein. Immerhin wurde ein Problem dabei inzwischen erkannt: Historiker konstruieren Kausalitäten, salopp ausgedrückt: Sie zäumen das Pferd von hinten auf und suchen nach plausiblen Ereignissen, die ihre These belegen. Dazu kommt der Mangel an zuverlässigen Quellen.
    Henning Börm:
    "Das kann man vielleicht so illustrieren als würde man sagen: Wir versuchen, die Geschichte des letzten Jahrzehnts anhand vielleicht eines Ausschnitts aus einer Talkshow und dem Kleinanzeigenteil der Bildzeitung oder so zu rekonstruieren."
    Auch der Wiener Historiker Roland Steinacher misstraut antiken Quellen, denen er zwar eine hohe literarische Qualität bescheinigt, die dadurch aber auch Realität gestalten und nicht abbilden:
    "Genau hier liegt das Problem: Unsere Vorfahren in den letzten Jahrhunderten haben genauso wie wir die Versuchung verspürt, aus diesen konstruierten literarischen Bildern eine den zeitgenössischen politischen und sozialen Bedürfnissen genehme Realität zu schaffen."
    Eine gestaltete Realität, die im Laufe der Geschichte stets neu gestaltet wird.
    "Tacitus kritisiert die römischen Eliten seiner Zeit und hält ihnen tugendhafte Barbaren entgegen."
    Aus solchen und ähnlichen Quellen speiste sich das Vorurteil mancher Althistoriker, dass das Römische Reich an seiner eigenen Dekadenz zugrunde gegangen sein musste, eine These, die heute als unhaltbar gilt. Eine andere These macht das aufkommende Christentum für den Untergang verantwortlich. Kai Ruffing:
    "Ob man die Christen allerdings für den Untergang Roms verantwortlich machen kann, das ist eher zu bezweifeln. Letztlich gibt es in der Forschung Positionen, die sagen, das Christentum hat Rom gestärkt, andere sagen, das Christentum hat zum Untergang geführt. Ich glaube, dass der religiöse Sektor bei diesem Untergang nicht sehr wesentlich ist."
    In einem Punkt sind sich die Wissenschaftler einig, so Kai Ruffing:
    "In der Tat wird man wohl von einer Gemengelage ausgehen müssen, von verschiedenen Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und immer weiter beschleunigen. Zum einen sind sicher die Hunnen zu nennen, wie Peter Heather vor allem herausgearbeitet hat, die wiederum die germanischen Stämme ins Rutschen bringen, die auf die Grenzen drücken. Dadurch entstehen dem römischen Staat militärische Belastungen, die er ohne die Rekrutierung von germanischen Soldaten nicht mehr in der Lage ist zu meistern."
    Da gleichzeitig seit dem späten 4. und 5. Jahrhundert durch barbarische Inseln auf dem Reichsgebiet und durch die spätere vandalische Eroberung Nordafrikas die Steuern wegbrechen, kann das Militär nicht mehr besoldet werden. Das führt wieder zu Bürgerkriegen, die häufig angezettelt werden, um ausstehenden Wehrsold anzumahnen.
    Was heute wieder - zuletzt in einer opulenten Veröffentlichung über Imperien - diskutiert wird, ist die Frage, inwiefern sich hinter dem Verlauf der römischen Geschichte ein Muster erkennen lässt, das auch für andere Großreiche gilt. Michael Gehler, Historiker an der Universität Hildesheim, sieht dieses Phänomen ambivalent:
    "Die Frage der Zyklenhaftigkeit der Geschichte, also Aufstieg, Blüte, Verfall, vielleicht auch formuliert in der Form Expansion, Aufstieg, Zenit, Erosion – ja, ein starkes ja aber auch dann ein etwas schwächeres nein. Ja, es gibt in der Geschichte eine Fülle von Anhaltspunkten, Befunde für diese Tendenzen. Ein etwas schwächeres nein, was die Regelhaftigkeit angeht im Sinne einer präzisen, zeitlich eingrenzbaren Phasenentwicklung, die man eins zu eins auf verschiedene dieser Prozesse und Vorgänge übertragen kann, da wird es schwierig."
    Untermauert wird die These dadurch, dass es in der Geschichte kein Machtgebilde gegeben hat, das von unbegrenzter Dauer war:
    Steht das Römische Reich also Pars pro toto für alle anderen Imperien? Zumindest was seine Ausstrahlungskraft anbelangt, gibt es da wenig Widerspruch, meint Philipp von Rummel:
    "Das zeigt sich natürlich daran, dass Karl der Große sich 800 in Rom zum Kaiser krönen lässt. Da stellt sich natürlich die Frage, warum lässt er sich zum römischen Kaiser krönen, und das kann man doch recht klar damit erklären, dass doch die ganzen Mittel, die man in dieser Zeit hatte, um über Herrschaft und über politische Ordnungen nachzudenken, eine alte römische Sprache ist, und das reißt auch in der ganzen Zeit zwischen 800 und dem letzten weströmischen Kaiser nicht ab."
    Und noch ein Aspekt zeigt die ausstrahlende Macht des Imperiums bis in heutige Zeit:
    "Das Römische Reich hat vor allen Dingen auch in seiner Spätzeit so unglaublich starke kulturelle Ressourcen entwickelt, in vielerlei Hinsicht und nicht zuletzt durch das Christentum, denn die Idee der Stadt Rom als Zentrum des westlichen Christentums eben doch sehr stark verbunden ist mit der Erinnerung an die ersten christlichen Kaiser Konstantin und seine Nachfolger, und das wirkte selbstverständlich bis in die Zeit Karls des Großen und wirkt ja, wenn sie daran denken, dass der Papst in Rom residiert und lebt, Bischof von Rom ist, wirkt das im Grunde bis heute als Reminiszenz an das Römische Reich."
    Literatur:

    Bockius, Ronald: Römische Kriegsschiffe, in: Fischer, Thomas: Die Armee der Caesaren, Archäologie und Geschichte, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2012.

    Börm, Henning: Westrom, Von Honorius bis Justinian, Kohlhammer Urban Taschenbücher, Stuttgart, 2013.

    Christ, Karl: Krise und Untergang der römischen Republik, 8. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2013.

    Dietmar, Carl; Trier, Marcus: Colonia, Stadt der Franken, Köln vom 5. bis 10. Jahrhundert, 2. Auflage, Dumont Verlag, Köln, 2011.

    Fehr, Hubert; von Rummel, Philipp: Die Völkerwanderung, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 2011.

    Fischer, Thomas; Trier, Marcus: Das römische Köln, J.P. Bachem Verlag, Köln, 2014.

    Hrsg. Gehler, Michael u.a.: Imperien und Reiche der Weltgeschichte, Epocheübergreifende und globalhistorische Vergleiche, Teil 1 + 2, Harrossowitz Verlag, Wiesbaden, 2014.

    Heather, Peter: Der Untergang des Römischen Weltreiches, 4. Auflage, Klett Cotta, Stuttgart, 2009.

    Landesmuseum Württemberg; Rheinisches Landesmuseum Trier (Hrsg.): Ein Traum von Rom, Stadtleben im römischen Deutschland, Konrad Theiss Verlag, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2014.

    Pohl, Walter: Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, 2. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln, 2005.

    Ward-Perkins, Bryan: The Fall of Rome and the end of civilization, Oxford University Press, Oxford New York, 2005.