Maja Ellmenreich: Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch. Wer bei diesem Satz sichtbar oder auch nur innerlich nickt, der mag überrascht sein, dass er so gar nicht im Grundgesetz steht. Genau das aber fordert jetzt der Deutsche Kulturrat, angesichts der abertausenden Flüchtlinge, die bereits in Deutschland sind beziehungsweise kommen werden: eine Verankerung von Deutsch als gemeinsamer Sprache im Grundgesetz. Mit der Begründung: Die deutsche Sprache sei ein wesentliches kulturelles Bindeglied in Deutschland und solle daher eine besondere Beachtung erfahren. Darüber möchte ich mit dem Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch sprechen. Er ist Professor am Seminar für deutsche Philologie der Universität Mannheim. Herr Hörisch, machen wir erst einmal Bestandsaufnahme. Das Grundgesetz macht Berlin zur deutschen Hauptstadt und die Farben Schwarz-Rot-Gold zu Nationalfarben. Warum ist die Sprache bislang außen vor geblieben?
Jochen Hörisch: Das Grundgesetz hat ja selbst eine sehr schöne Sprache, wenn man bedenkt, dass in der Regel juristische Texte unseren Hohn und Spott verdienen. Aber schon der erste Satz ist ja wie in Stein gemeißelt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Wunderbarer Satz. Die Frage ist, welchen Status er hat. Ist das eine Beschreibung, oder ist das eine Norm? Wir wissen, dass die Würde des Menschen tagtäglich angegriffen wird in unerträglicher Weise. Wenn man das jetzt reinschreiben würde, die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch, müsste man genauso fragen, was der Status dieses Satzes ist. Ist das eine normative Verbindlichkeit, die nicht zu erfüllen heißt, ihr fliegt raus, oder ist das ein Satz, den man mit dem Satz vergleichen kann, die Würde des Menschen ist unantastbar? Das ist das Schöne und das ist das Problematische an solchen Sätzen, die daher kommen, als würden sie etwas konstatierend feststellen, und die doch einfach eine Erwartungshaltung artikulieren, die aber juristisch schwer einzuklagen ist.
Ellmenreich: Ich vermute mal, dass es ein symbolischer Akt ist, auch diese Sprache zu verankern?
Hörisch: Das ist ein hochgradig symbolischer Akt und das Symbol - insofern der Kulturrat, der ja nun wirklich unverdächtig ist, nationalistische Anfälle zu haben - will, glaube ich, sehr deutlich ein Signal vermitteln, wir wollen mit euch kommunizieren, ihr müsst übrigens auch mit uns kommunizieren können, sonst wird jede Form von Integrationsprojekt scheitern. Würde man den Satz nicht reinschreiben - und Sie merken, in welche Richtung meine Argumentation geht -, hieße das, ein Gespräch mit euch interessiert uns nicht, richtet euch ein, schottet euch von uns ab, wir schotten uns von euch ab, wir haben uns nichts zu sagen. Das wäre ein katastrophales Signal. Insofern finde ich den Impuls, der hinter dieser Forderung steht, sehr überzeugend.
Ellmenreich: Was meinen Sie denn, ist Integration gar nicht möglich ohne eine gemeinsame Sprache?
Hörisch: In schönen romantischen Liebesfilmen mag das der Fall sein. Dann ist der Augenaufschlag, dann sind die Gesten, dann ist die Körpersprache so verbindlich, dass man vergessen kann, dass die beiden Liebenden miteinander gar nicht kommunizieren müssen. Die machen dann mit dem Mund was viel schöneres als reden, zum Beispiel küssen. Aber Sie merken, dass das sofort in das romantische, in das etwas klischeehafte Register reinwächst.
Ellmenreich: Und so ein Film dauert auch nur 90 Minuten meistens.
Hörisch: Ja und am Happy End wird gewöhnlich abgeblendet. Das wissen wir spätestens seit Tucholsky. Also mit dem Mund kann man sehr, sehr vieles machen. Man muss was zum Beißen kriegen, man muss artikulieren können, man sollte ein erfülltes Leben haben, wo auch mal ein Kuss drin ist. Eine Liebesbeziehung zu der neuen Umgebung, in der man jetzt drinsteckt, sollte sich entwickeln können, und all das ist an die Schwelle gebunden, die da heißt, ich muss die Fremdsprachenschwelle überwinden. Ich muss in der fremden Sprache, die möglicherweise die fremde Sprache bleibt, auch die eigene erkennen. Die Fremde muss eine schöne Fremde, muss eine vertraute Fremde werden.
"In Sprache klingen bestimmte Formen von Emotionalität mit"
Ellmenreich: Wenn wir davon ausgehen, dass Sprache Bewusstsein schafft, stelle ich mir die Frage und die stelle ich Ihnen jetzt, Herr Hörisch, welche Inhalte denn eine Sprache transportiert vielleicht auch außer der puren Benennung von Dingen?
Hörisch: Jede Sprache hat eine bestimmte Form von Melodik, von Emotionalität, von Atmosphäre dabei. Lassen Sie mich bewusst, weil wir ja wenig Zeit haben - lange zu sprechen wäre viel besser -, Klischeebeispiele nennen. Versuchen Sie mal, das deutsche Wort Heimat zu übersetzen. Hihi, haha, es ist ein abgelutschtes Beispiel, aber es ist schon sehr schwer, das ins Englische oder ins Französische zu übersetzen. Welche bestimmten Formen von Emotionalität mitklingen in einer Sprache, heißt ja auch für andere, wie beleidigend es sein kann. Wenn man bestimmte Worte, was weiß ich nicht was, Koran oder Allah in einer verächtlichen Weise aussprechen würde oder in schlimme Kontexte stellen würde, merkt man sofort, dass Sprache viel, viel mehr ist als ein Benennungssystem. Wir haben die alte Alternative von zählen und erzählen. Die Zahlen sind nüchtern und dann kann man zu allen eindeutigen Relationen kommen. In der Sprache schwing immer unendlich viel mit. Jede Information ist auch eine Mitteilung. Unter Mitteilung kann man dann die affektiven, die emotionalen Dimensionen der Sprache begreifen, und die sind ganz, ganz eng an Klangbilder, an Assoziationsräume, die mit bestimmten Worten verbunden sind, gekoppelt, und auch da muss man sich einschwingen und versuchen, die zu verstehen.
Ellmenreich: Die Sprache hilft auch zur kulturellen Identifikation beziehungsweise zur kulturellen Integration?
Hörisch: Ja, und die Integration kann natürlich eine sein, die die Identität von Identität und Differenz betont. Klingt jetzt sehr abstrakt, ist es auch, meint aber, man kann dasselbe unterschiedlich ausdrücken. Und ich verstehe sehr viel von einer Kultur, wenn ich merke, dass man dasselbe sagen will, aber doch eben anderes mitschwingt.
Ellmenreich: Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch. Haben Sie vielen Dank! Wir sprachen über die Forderung des Deutschen Kulturrates, Deutsch als gemeinsame Sprache im Grundgesetz zu verankern.
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