Die gegenwärtigen Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Polen hätten nichts mit der jetzigen polnischen Regierung zu tun, sagte Aleksandra Rybinska. Sie ist Journalistin der Wochenzeitung "wSieci" und des Internetportals "wPolityce". Viele Dinge aus dem deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag seien immer noch nicht realisiert worden, sagte sie im DLF, etwa dass Polen in Deutschland den Status einer Minderheit erhalten, um damit mehr finanzielle Unterstützung und etwa eigene Schulen zu bekommen.
"Es ist ein bisschen eine Unverhältnismäßigkeit in der Realisierung dieses Vertrages." Außerdem seien polnische Verbände, deren Vermögen in der Nazizeit konfisiziert wurden, immer noch nicht entschädigt worden. Auch seien viele Verbände-Mitglieder in Konzentrationslagern umgekommen. Dass das von polnischer Seite moniert werde, habe nichts mit Stimmungsmache gegen Deutschland zu tun.
Kein persönliches Problem mit Deutschland
"Ich würde nicht sagen, dass die Beziehungen so unglaublich schlecht sind, wie sie oft dargestellt werden", sagte Rybinska. Im Vertrag steht zwar etwas von Freundschaft, die existiere aber nur zwischen Personen; Staaten dagegen agierten nach Interessen. "Deutschland und Polen haben nicht immer die gleichen Interessen", daraus resultierten Spannungen, nicht aus einer Feindschaft heraus oder weil der Chef der Partei PiS, Jaroslaw Kaczynski, persönlich ein Problem mit Deutschland habe.
"Ich sehe keine Eskalation", führte Rybinska aus: "Ich verstehe nicht, warum ich ständig danach gefragt werde." Die polnische Regierung habe ihre Außenpolitik neu ausgerichtet, sie versuche aktiv, einen osteuropäischen Block mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu bilden – nicht gegen die EU, nicht gegen Deutschland, sondern als Ergänzung, die Polen eine stärkere Position in der EU verschaffen solle.
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" - so heißt das Dokument offiziell. Ein Dokument, das nach der deutschen Wiedervereinigung schwarz auf weiß festhält, was beide Länder einander darin versprechen: eine weitere Aussöhnung, einen engen Austausch und, wie der Name schon sagt, Freundschaft. 25 Jahre liegt die Unterzeichnung zurück, der Jahrestag ist eigentlich morgen, aber die Feierlichkeiten beginnen schon heute. Der polnische Präsident Duda besucht Berlin und morgen reist dann der deutsche Bundespräsident Gauck nach Warschau. Überschattet ist der Termin allerdings von aktuellen Differenzen.
Vor der Sendung konnte ich darüber mit Aleksandra Rybinska sprechen. Sie ist polnische Politologin, Journalistin der Wochenzeitung "wSieci" und des Internet-Portals "wPolityce" und ich habe sie gefragt, ob das überhaupt die richtige Grundstimmung zum Feiern sei.
Aleksandra Rybinska: Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Grund zum Feiern gibt. Natürlich ist es schön, dass wir jetzt sozusagen 25 Jahre deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag feiern. Allerdings sind ja viele Dinge aus diesem Vertrag eigentlich nicht realisiert worden. Und abgesehen von Gründen zum Feiern, dass es diesen Vertrag überhaupt gibt, und dass wir in den letzten 25 Jahren die deutsch-polnischen Beziehungen eigentlich sehr entwickelt haben, gibt es ja auch Gründe zu Kritik.
Das hat aber nicht unbedingt etwas mit der jetzigen polnischen Regierung zu tun. Ich würde das getrennt sehen. Auf der einen Seite haben wir den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag und all seine positiven und auch seine negativen Seiten, auch die Dinge, die Polen seit Jahren moniert, auch unter der vorherigen Regierung, die nie realisiert worden sind, nie umgesetzt worden sind, und auf der anderen Seite haben wir…
Schulz: Was meinen Sie da?
Rybinska: Das ist zum Beispiel staatliche Minderheit für die Polen, die in Deutschland leben, und das ist eines der Dinge, die Polen seit Jahren verlangt, und das ist nicht umgesetzt worden. Es gibt eine gewisse Asymmetrie, es ist ein bisschen eine Unverhältnismäßigkeit in der Realisierung dieses Vertrages.
Schulz: Was würde sich dadurch denn ändern?
Rybinska: Es würde sich eine ganze Menge ändern, denn wenn die Polen in Deutschland den Status einer Minderheit hätten, dann würden sie natürlich zuerst einmal mehr Rechte genießen. Zum anderen würden sie wahrscheinlich finanzielle Unterstützung bekommen. Es geht um polnische Schulen, um all diese Dinge. Dann sind noch andere Dinge ungeklärt, wie zum Beispiel das Vermögen von polnischen Verbänden, das zur Nazi-Zeit konfisziert wurde, und es ist nie zurückgegeben worden noch wurde dafür Entschädigung gezahlt, und darüber beschweren sich die polnischen Verbände. Das sind alles Dinge, die im Grunde genommen immer noch nicht abgeschlossen sind.
Rybinska sieht keine antipolnische Stimmung
Schulz: Das heißt, diese Parallelen, die Jaroslaw Kaczynski zieht zum Zweiten Weltkrieg, wenn er spricht von einer antipolnischen Stimmung, die würden Sie durchaus teilen?
Rybinska: Ich würde nicht die Meinung teilen, dass es in Deutschland grundsätzlich eine antipolnische Stimmung gibt. Ich glaube, es gibt Dinge, die sind nicht abgeschlossen worden in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen in den letzten 25, 26 Jahren. Das sind auch Dinge, die mit der Geschichte zusammenhängen. Das sind die Dinge, die ich eben erwähnt habe, zum Beispiel das Vermögen von polnischen Verbänden, das konfisziert wurde. Viele Mitglieder dieser Verbände sind in Konzentrationslagern ums Leben gekommen. Es würde nicht viel kosten, für dieses Vermögen zu entschädigen, aber trotzdem tut es die deutsche Seite nicht. Das hat mit antipolnischer Stimmung nichts zu tun, sondern das hat sicherlich mit rechtlichen Fragen zu tun. Das hat verschiedene Gründe, aber das passiert nicht, und das sind Dinge, die von polnischer Seite moniert werden. Zum anderen gibt es auch noch dieses Streitthema, das immer wieder zum Beispiel in deutschen Medien auftaucht, dass der Begriff "polnische Konzentrationslager" benutzt wird. Es wird argumentiert von Seiten dieser deutschen Medien, das ist eine geographische Bezeichnung. Trotzdem geht ja die polnische Regierung dagegen sehr scharf vor. Es gibt Spannungspunkte, aber ich würde nicht sagen, dass die Beziehungen so unglaublich schlecht sind, wie sie oft dargestellt werden. Wir haben auf der einen Seite diesen deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, in dem eindeutig von Freundschaft die Rede ist, und Freundschaft ist ja auch richtig und wichtig. Nur Freundschaft existiert meistens zwischen Personen, zwischen einzelnen Personen. Die Staaten agieren nach Interessen und Deutschland und Polen haben nicht immer die gleichen Interessen und die Spannungen rühren daher und nicht daher, dass es eine grundsätzliche Feindschaft gibt, oder dass Jaroslaw Kaczynski beispielsweise persönlich ein Problem mit Deutschland hat. Das ist sicherlich nicht der Fall.
Schulz: Dass das so ist, das zeigt sich ja auch an einem aktuellen Konflikt. Es gibt eine Ausstellung, die im Paul-Löbe-Haus gezeigt wird. Da geht es um die 25 Jahre deutsch-polnischen Dialog. Das ist inhaltlich in Polen gestaltet worden, und jetzt trifft es auf deutsche Kritik, dass der Solidarność-Anführer Lech Walesa überhaupt nicht darin vorkommt, was sich manche damit erklären - das muss man jetzt dazu sagen -, dass Walesa inzwischen ein Erzfeind von Jaroslaw Kaczynski ist. Verstehen Sie die deutsche Verstimmung an der Stelle?
Rybinska: Ich glaube nicht. Die deutsche Verstimmung, glaube ich, wäre nicht so groß gewesen, wenn sich nicht die polnische Seite beschwert hätte. Wir haben eine Opposition in Polen. Für diese Opposition ist sicherlich Lech Walesa ein Nationalheld. Was aber die Rolle Walesas anbetrifft, ist die polnische Bevölkerung grundsätzlich gespalten. Es ist nicht so, dass Jaroslaw Kaczynski etwas persönlich gegen Lech Walesa hat, sondern seine Rolle wird durchaus kritisch betrachtet von einem großen Teil der Bevölkerung in Polen und auch von Historikern. Es hat ja die Vorwürfe gegeben, es sind Dokumente aufgetaucht, die belegen, dass Lech Walesa mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammengearbeitet hat. Dementsprechend ist seine Rolle nicht so eindeutig und ich glaube, das war einer der Gründe, warum er in dieser Ausstellung nicht vorkommt.
Rybinska: Opposition lanciert Kritik nach Deutschland
Schulz: Soweit ich aber weiß, ist die deutsche Gesellschaft an der Stelle, ehrlich gesagt, nicht so gespalten, wie Sie das jetzt darstellen über die polnische Gesellschaft. Wie kommen Sie darauf, dass diese Kritik, die jetzt geäußert wurde, zum Beispiel von den deutschen Bundestagsabgeordneten, aus Polen lanciert sei?
Rybinska: Ja natürlich. Die polnische Opposition mobilisiert ständig, ob es nun Brüssel ist oder ob es Politiker in Deutschland sind. Sie mobilisieren ihre Kontakte, um da sozusagen zu alarmieren und zu sagen, dass sie verfolgt werden. Das ist alles ziemlich kompliziert. Ich kann das natürlich alles erklären. Bloß das würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Das liegt daran, dass es grundsätzlich verschiedene Auffassungen darüber gibt in Polen, ob der Runde Tisch eine gute Idee war, ob man hätte mit den Kommunisten zusammenarbeiten sollen. Lech Walesa war einer derjenigen, der für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten damals gestimmt hat, und viele Menschen in Polen sind damit nicht einverstanden und es war ein Fehler, und darüber wird in Polen grundsätzlich diskutiert. Es ist eine geschichtliche Diskussion inzwischen, denn das hat jetzt hauptsächlich geschichtliche Bedeutung. Es hat natürlich auch so Bedeutung, dass diejenigen, die dagegen waren, dass man mit den Kommunisten diesen Pakt schließt, am Runden Tisch, dass die natürlich in dem Transformationsprozess verloren haben. Die Sieger, das sind die, die heute die Opposition in Polen stellen. Deswegen ist Lech Walesa auch für sie ein positives Symbol. Und das, glaube ich, ist sehr schwer, in Deutschland zu erklären, und das kann natürlich jemand, der in Deutschland die Ausstellung sich anschaut, natürlich nicht wissen.
Schulz: Jetzt möchte ich gerne noch ergänzen, dass Walesa der erste Präsident des freien Polens war. Wenn ich es richtig weiß, ist er auch der einzige polnische Friedensnobelpreisträger. Insofern vielleicht noch mal die andere Einschätzung dagegenhaltend. - Frau Rybinska, ich möchte mit Ihnen in die Zukunft schauen. Wer oder was kann jetzt für eine Deeskalation sorgen?
"Ich sehe wirklich keine Eskalation"
Rybinska: Ich sehe keine Eskalation. Ich sehe wirklich keine Eskalation. Ich verstehe nicht, warum ich ständig danach gefragt werde. Ich sehe keine Eskalation. Die polnische Regierung hat ihre Außenpolitik neu ausgerichtet. Sie versucht, aktiv einen osteuropäischen Block zu bilden aus verschiedenen Staaten: Ungarn, den Tschechen, der Slowakei. Das ist nicht gegen die Europäische Union gerichtet. Es ist nicht gegen Deutschland gerichtet. Es ist eine Ergänzung, die Polen natürlich auch eine stärkere Position in Europa sichern soll. Polen hat sich entschieden, die jetzige polnische Regierung hat sich entschieden, eine etwas selbstbewusstere Außenpolitik zu führen. Das heißt nicht, dass es eine Eskalation gibt. Das heißt nicht, dass die Beziehungen grundsätzlich schlecht sind und dass man sie jetzt retten müsste. Ich glaube, es ist etwas gewöhnungsbedürftig für Deutschland nach den letzten acht Jahren, wo grundsätzlich die Regierung von Donald Tusk fast gar keine Außenpolitik geführt hat, und nicht nur gegenüber Deutschland, sondern überhaupt. Sie war sehr passiv. Dementsprechend ist das jetzt eine etwas gewöhnungsbedürftige Veränderung. Aber das heißt nicht, dass es hier eine Eskalation gibt, und ich würde doch wirklich die Rhetorik, die da manchmal kommt - ich könnte da auch etliche Beispiele jetzt hier aufzählen von deutschen Politikern, die rhetorisch etwas danebengelegen haben in den letzten anderthalb Jahren. Aber das heißt nicht, dass die Politik der deutschen Regierung, die Politik der polnischen Regierung auf Eskalation ausgerichtet ist.
Schulz: Es gibt ja aber diese massiven Verstimmungen. Es gibt auch auf europäischer Ebene diesen sogenannten Rechtsstaats-Mechanismus, der jetzt ins Laufen gekommen ist. Es hat eine formale Ermahnung aus Brüssel gegeben, weil es große Sorgen gibt über das Mediengesetz, das die öffentlich-rechtlichen Medien unter die Kontrolle der Regierung stellt, über die Lähmung des Verfassungsgerichts, darüber, dass eine Regierungschefin die Urteile des Verfassungsgerichts nicht mehr anerkennt. Das alles sehen Sie nicht als Eskalation?
Rybinska: Was hat das mit den deutsch-polnischen Beziehungen zu tun?
Schulz: Deutschland ist ein europäischer Partner.
Rybinska: Das ist richtig. Aber ich sehe in der Prozedur, die Brüssel auf den Weg gebracht hat, vor allem einen Machtkampf innerhalb der Europäischen Union, zwischen den europäischen Institutionen, denn im Grunde genommen ist ja dieser Artikel VII Lissaboner Vertrag gar nicht dazu benutzt worden, um diese Prozedur in Gang zu bringen, sondern eine innere Anordnung der Europäischen Kommission. Das heißt, laut dem Europäischen Rat ist das überhaupt nicht legal. Dementsprechend sehe ich hier einen Kampf zwischen Europäischem Rat und Europäischer Kommission und nicht ein Problem zwischen Deutschland und Polen. Das sind alles Dinge, die werden so in den Medien dargestellt, aber man muss auch mal hinter die Kulissen sehen. Diese Prozedur wird irgendwann an ihr Ende kommen. Dieses Ende wird wahrscheinlich ein Veto sein von Ungarn und Rumänien und etlichen anderen Ländern, und damit wird das abgeschlossen. Man sieht ja auch schon, die Europäische Kommission rudert ja bereits zurück. Man hat einen Teil dieser Meinung, die da herausgegeben worden ist zum Thema Polen, geheim gehalten. Man versucht, der polnischen Regierung entgegenzukommen, und ich denke, Brüssel ist auch nicht auf eine Eskalation bedacht und dieser alarmistische Ton ist meiner Meinung nach völlig fehl am Platz. Diese Prozedur wird weitergehen. Die polnische Regierung meiner Meinung nach sollte auch irgendwann einlenken und wird dann auch irgendwann konkrete Dinge vorstellen müssen, konkrete Vorschläge, wie sie diesen inneren Konflikt lösen will. Ich weiß, da ist eine Expertenkommission zugange, die hat auch inzwischen ihre Arbeit abgeschlossen, eine parlamentarische Expertenkommission, und die wird jetzt auch im Juli ihre Vorschläge vorstellen.
Schulz: Die polnische Journalistin Aleksandra Rybinska im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.