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Deutschtürken streiten über Erdogan
Denunziationen und gezielte Einflussnahme

In den sozialen Netzwerken werden Menschen in Deutschland aufgefordert, Erdogans Kritiker dem türkischen Präsidialamt zu melden. Auch Boykottaufrufe gegen Geschäfte gibt es - und Versuche, durch AKP-nahe Personen die deutschen Parteien zu beeinflussen.

Von Kemal Hür |
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan schwenken am 31.07.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) türkische Fahnen. Mehrere Tausend Deutschtürken sind zu einer Pro-Erdogan-Demonstration in Köln zusammengekommen
    Die Pro-Erdoğan-Demonstration in Köln am 31. Juli 2016 war maßgeblich von der AKP-Lobbygruppe UETD organisiert. (Oliver Berg, dpa / picture alliance)
    Im Eingangsbereich eines türkischen Supermarktes in Berlin sitzt Levent Bayram bei einem Glas Tee. Er bekommt seit dem Putschversuch in der Türkei Drohungen und Beschimpfungen über die sozialen Netzwerke, erzählt er:
    "Da hat mir jemand geschrieben, ich solle aufpassen, wenn ich in die Türkei reise, würde ich am Grenzpunkt geküsst werden von der Polizei, was so viel heißen soll, wie dass mich die Polizei festnehmen wird, weil ich Erdogan-kritische Sachen auf Facebook veröffentlicht hätte."
    Levent Bayram bekennt sich zur Gülen-Bewegung, die der türkische Präsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht. Der 42-jährige gebürtige Berliner hat in der Türkei eine Gülen-Schule besucht und Germanistik studiert. Bis vor einem halben Jahr arbeitete er für das Nachrichtenportal "Deutsch-türkische Nachrichten". Ihm wurde gekündigt, nachdem das Sprachorgan der Gülen-Sekte "Zaman" in der Türkei unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt wurde.
    So wie Bayram geht es vielen Erdogan-Gegnern, egal, ob sie dem Islamisten Gülen nahestehen oder nicht. In den sozialen Netzwerken werden die Menschen aufgefordert, Erdogan-Kritiker dem Präsidialamt zu melden. Im Internet kursieren außerdem Listen von Geschäften, gegen die zum Boykott aufgerufen wird. Levent Bayram kennt einige:
    "Ein Supermarkt zum Beispiel wurde auf der Liste erwähnt als Unterstützer der Terrororganisation. Daraufhin sind Leute hingegangen, die die Mitarbeiter beschimpft haben, was Rufschädigung ist, was Imageschädigung ist. Das habe ich tatsächlich gesehen, dass es passiert ist."
    Die Betreiber des betroffenen Geschäftes bestätigen diese Vorfälle und können E-Mails und Kurznachrichten als Beweis zeigen. Der Supermarkt unterscheidet sich in nichts von all den anderen türkischen Märkten in Berlin, der Boykott-Aufruf ist nur mit der behaupteten Gülen-Nähe der Inhaber begründet.
    Auch ein alevitischer Geschäftsmann in Berlin wurde als Erdogan-Gegner denunziert. Als Alevit ist er weit entfernt von der Gülen-Bewegung, der Prediger will schließlich alle Aleviten islamisch assimilieren. Aber Erdogans Anhänger schwärzen als Terroristen-Unterstützer an, wer gegen ihren Präsidenten ist.
    Weder der alevitische noch der Gülen-nahe Geschäftsmann wollen sich im Radio hören. Sie haben Angst um ihre Geschäfte, sagen sie.
    Lobbyisten in den deutschen Volksparteien
    Doch Erdogans Einfluss reicht noch weiter. Ein breites Netz von Lobbyisten sucht gezielt die Nähe zur deutschen Politik. Erdogans Leute sitzen auch in den deutschen Volksparteien SPD und CDU. Salim Cakmak (CDU):
    "Für mein Einvernehmen ist der Einfluss sehr groß. Wir wissen ja, dass es früher ein Deutsch-Türkisches Forum gegeben hat, das sich aufgelöst hat und mittlerweile Union der Vielfalt ist. Das Deutsch-Türkische Forum hat die türkeistämmigen Leute angesprochen. Und durch die Union der Vielfalt wird die Arbeit weitergeführt. Also ich kann sagen, dass das über die Union der Vielfalt in die CDU hinein geschieht."
    Salim Cakmak ist im Vorstand der Union der Vielfalt. Er spricht von knapp 300 Mitgliedern dieser Migrantenorganisation in der CDU. 50 bis 60 von ihnen kämen aus Organisationen, die dem türkischen Präsidenten Erdogan oder seiner Partei AKP nahestünden:
    "Wir reden von den Organisationen Graue Wölfe, die Ülkücü-Bewegung, DITIB-Leute, die dem Religionsministerium unterstellt sind. Es sind UETD-Vertreter, wo bekanntlich die UETD sich als Lobby-Organisation der AKP sich offenbart. Es sind Milli Görüs-Leute, und natürlich auch die Deutschland-Vertretungen von MÜSIAD und Young Müsiad."
    Die letzteren sind AKP-nahe islamische Arbeitgeberverbände. Salim Cakmak hat mit zwei Parteikollegen zusammen ein Papier über den Einfluss der AKP-Lobby verfasst und an die CDU-Führung geschickt. Eine Reaktion kam bislang nur vom Generalsekretär Peter Tauber: Die CDU sei offen für Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, aber die Partei sei kein Ort, Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Religionen auszutragen.
    Doch auch in der SPD ist dieses Problem bekannt. Der ehemalige Generalsekretär der islamistischen Milli Görüs und heutige Menschenrechtsbeauftragte der AKP-Regierung, Mustafa Yeneroglu, war SPD-Mitglied. Auch einer der wichtigsten Berater Erdogans, Ozan Ceyhun, saß schon mal für die SPD im Europaparlament. Der Anmelder der Pro-Erdogan-Demonstration am vergangenen Sonntag in Köln ist ebenso ein Genosse, der gleichzeitig ein Funktionär der AKP-Lobby-Organisation UETD ist. Offenbar sei er ein passives Mitglied und bekleide keine Funktionen in der Partei, sagt Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt in der SPD:
    "Mir fehlt da jedes Verständnis dafür. Man kann an solche Leute nur appellieren, sich mal genau zu überlegen, in welcher Partei sie sind, in der Sozialdemokratischen Partei, die gerade die AKP in der Türkei bekämpft. Und da es noch keine Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Sonstiges gibt, muss man das deutlich machen im Moment und dafür sorgen, dass solche Leute niemals in Funktionen kommen innerhalb der Sozialdemokratie."
    Das Ziel dieser Funktionäre sei offenkundig, sagen der Sozialdemokrat Bozkurt und der Christdemokrat Cakmak: Sie wollten Einfluss auf die Türkei-Politik der Parteien und auf Behördenentscheidungen zugunsten ihrer Organisationen nehmen. Die Parteien müssten in Zukunft wachsamer sein und Parteiausschlüsse nicht scheuen.