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DFG-Projekt
Sozialer Wandel durch digitale Medien

Smartphone, Tablet und die sozialen Netzwerke - kommuniziert wird inzwischen hauptsächlich digital. Besonders Kinder und Jugendliche wachsen wie selbstverständlich mit den Medien auf. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) untersucht den sozialen Wandel durch die digitalen Medien.

Von Doris Arp |
    Ein Mann surft mit seinem Smartphone im Internet. Fast neun von zehn Deutschen finden es unhöflich, wenn ihr Gegenüber beim Essen immer wieder auf das Smartphone schaut. Foto: Nicolas Armer
    Überall und immer online? (picture alliance / dpa / Foto: Nicolas Armer)
    Karlsruhe hat es, Lingen hat es, Augsburg, Frankfurt und Berlin haben es auch - so wie viele andere Orte in anderen Ländern: ein Happy Video. Darin tanzen und lachen Menschen zu dem Song "Happy" des amerikanischen Popmusikers Pharrell und zeigen auf diese Weise ihre Stadt. Per YouTube ziehen seit letztem Jahr diese glücklichen Botschaften um die Welt.
    Vor allem jungen Leuten wird nachgesagt, dass sie sich gerne im Netz treffen. Sie werden oft als die "Generation Internet" oder die "SMS- und WhatsApp-Generation" bezeichnet oder allgemeiner als die Digital Natives.
    "Ja, die Internetnutzung, man ist 24/7 online, das Handy hat immer WLAN oder ist im mobilen Netz. Ich bin ja damit aufgewachsen, ich kenn das ja gar nicht anders. Internet, soziale Medien, Fernsehen nicht so viel, Video on Demand. Studentin: WhatsApp, Facebook, Instagram, halt tagsüber, aber abends wird auch mal abgeschaltet und morgens geht es wieder los. 2. Studentin: Während der Arbeit zum Beispiel gar nicht oder während der FH selten, weil da hat man keine Zeit, aber privat schon. Ja, Hauptkommunikationsmittel."
    "Was ist das überhaupt eine Mediengeneration? Also gerade wenn man die Digital Natives nimmt, da ist der Mythos, die wären alle gleich. Genau das können wir zeigen ist nicht der Fall. Manche sind ganz intensiv in den Medien unterwegs manche weniger. Also wir haben nicht eine Generation von Leute, die in allen Medien gleich aktiv wären oder die auch die Medien gleich nutzen.
    Digitale Geräte im Alltag omnipräsent
    Kinder und Jugendliche wachsen selbstverständlich mit Medien auf. Ihr Alltag ist durchdrungen von digitalen Geräten, in und mit denen sie spielen, kommunizieren und sich informieren. Briefpapier vermuten 16-Jährige wohl nur noch im Heimatmuseum.
    "Genauso wie mit den Printmedien, wieso soll ich die Zeitung von gestern holen, wenn ich in der App Spiegelonline die aktuellen Nachrichten gucken kann."
    "Das Medium ist die Botschaft", so hatte es der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan Anfang der 60er Jahre formuliert. Stark verkürzt steckt dahinter die These, dass neue Technologien wie der Buchdruck, elektronische und digitale Medien, die Art und Weise unseres Denken verändern und damit auch einen Einfluss auf das soziale Miteinander haben. Der Buchdruck schaffte Leser, wo vorher nur Erzähler und Zuhörer waren. Elektronische Medien schickten Bilder und Töne breit und über Landesgrenzen hinweg und schafften erstmals zeitgleich vielfältige Zuhörer und Zuschauer. Und die digitalen Medien sind weltumspannende Alleskönner im Sekundentakt. Buch, Radio, Internet – jedes Medium hat seine eigenen Gesetze der Nutzung. Entsprechend schnell bekamen die digitalen Kurznachrichten ihre eigenen sprachlichen Abkürzungen. Facebook legt bestimmte Formen der Kommunikation nahe, wie beispielsweise das schnelle "Status-Updaten".
    "Sicher ist es nicht egal, mit welchen Medien man kommuniziert. Wir nennen das in unserem Projekt Prägekraft der Medien. Also die Medien, die man nutzt, die prägen schon die Kommunikation. Die Pointe ist, es ist nicht einfach eine Wirkung. Sie können Facebook nutzen, um rein mit einer lokalen Clique vernetzt zu sein, dann stärkt Facebook die Kommunikation dieser lokalen Clique. Facebook kann aber genauso gut dazu dienen, den Kontakt zu halten mit verschiedenen Leuten an sehr verschiedenen Orten."
    Andreas Hepp gehört zu einem bundesweiten Forschungsnetz mit dem Titel "Mediatisierte Welten". An mehreren Universitäten arbeiten Soziologen, Medienwissenschaftler, Psychologen und Politikwissenschaftler daran, besser zu verstehen, was eine Durchdringung aller Lebensbereiche durch Medien bedeutet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dafür ein Schwerpunktprogramm aufgelegt, das jetzt nach vier Jahren in die dritte und letzte Phase geht. Mit ihr kommen nun die ersten Ergebnisse. Die Bremer Kommunikationswissenschaftler beispielsweise fragten unterschiedliche Generationen, wie sie Medien für ihre Beziehungen nutzen.
    "Was uns interessiert ist, wie über unterschiedliche Medien hinweg Vergemeinschaftung oder Gemeinschaften hergestellt werden. Zum Beispiel in Cliquen, Freundeskreisen, in der Familie und wie sich da unterschiedliche Generationen unterscheiden und wo sie sich nicht unterscheiden, denn auch das gibt es. Da ist das Ergebnis schon recht einschneidend, also deutlich anders als das, was wir vermutet haben."
    Fünf unterschiedliche Typen
    Ergebnisse dieser qualitativen Studie liegen bislang zu den Digital Natives vor, also der Generation der 16- bis 30-Jährigen und zu der älteren Generation ab dem Rentenalter. Die mittlere Generation wird noch ausgewertet. Aber es zeichnen sich schon jetzt überall erstaunliche Ähnlichkeiten ab. Es sei eher eine Typfrage als eine der medialen Nutzung, wie Menschen ihre sozialen Beziehungen finden und pflegen. Fünf Typen haben die Bremer Kommunikationswissenschaftler ausgemacht. Den Lokalisten:
    "Das sind Leute, bei denen sich die Vergemeinschaftungen eigentlich alle im lokalen Raum abspielen. Wenn die Familie, dann die vor Ort, dann ist es die Kirchengemeinde vor Ort, lokale Feuerwehr, die Clique vor Ort und Ähnliches."
    Die Multilokalisten sind ihnen sehr ähnlich, nur dass sie Beziehungen in zwei, drei verschiedenen Orten pflegen - Pendler zum Beispiel. Anders die Zentristen:
    "Das sind die Leute, für die ist, wenn es um Vergemeinschaftung geht immer ein Thema ganz wichtig, also zum Beispiel sehr religiöse Menschen oder Leute, die ganz aktiv sind in einer Populärkultur oder einer bestimmten Szene."
    Diese drei Gruppen, so Andreas Hepp, bilden das größte Spektrum. An den jeweiligen Polen stehen der Pluralist, der dem Klischee vom Digital Native am nächsten komme, und der Isolationist, der oft unfreiwillig, kaum soziale Kontakte pflege.
    "Das Interessante ist: Wir finden diese Typen bei allen Menschen unterschiedlichen Alters. Also man kann jetzt nicht sagen, nur weil junge Menschen aktiver sind in den digitalen Medien, wären das jetzt alle Pluralisten. Es gibt genauso gut ältere Pluralisten oder Pluralisten mittleren Alters. Das gleiche gilt für Lokalisten, also es gibt auch ganz junge Lokalisten, für die ist das Dorf alles, wenn es um Vergemeinschaftung geht, genauso wie es ältere Lokalisten gibt."
    Medien gestalten Beziehungen
    Egal ob jemand Lokalist, Zentralist oder Pluralist ist, seine Gemeinschaftsorientierung habe er unabhängig davon wie intensiv und welche Medien er zur Kontaktpflege nutzt. Kurz gefasst: Twitter, Facebook, Instagram und Co. bestimmen nicht den Horizont der Freundschaftspflege. Aber die Medien gestalten Beziehungen, sagt Prof. Friedrich Krotz. Der Soziologe der Universität Bremen koordiniert das bundesweite Forschungsprojekt.
    "Was untersuchen die Projekte? Sie untersuchen zum Beispiel den politischen Diskurs, der über Twitter entsteht. Sie untersuchen, wie Parlamentsangehörige und Parteimitglieder Positionen beziehen und dafür Medien nutzen. Untersucht wurde, wie informieren sich eigentlich 12- bis 14-jährige Kinder heute überhaupt über die Welt und ihre Verläufe. Untersucht werden aber auch die Mediennutzungen von Migranten, untersucht werden Geschäftsmodelle, die mit den Medien zusammenhängen."
    Zusammen mit den anderen beteiligten Wissenschaftlern soll aus der Vielzahl dieser eher losen Forschungsenden der "Mediatisierten Welten" ein Konzept entstehen, das theoretisch greift, was praktisch so schnell und flüchtig erscheint. Die digitalen Medien wandeln sich rasant. Allein schon die Vielfalt und das Tempo verlangten neue Theorien, meint Krotz. Bislang habe die Medien- und Informationsforschung vor allem einzelne Medien in den Blick genommen und mögliche direkte Wirkungen zum Beispiel durch Gewaltdarstellungen erforscht. Das DFG-Forschungsprogramm hingegen stelle nicht Medien, sondern Menschen in den Vordergrund.
    "Normalerweise ist Forschung so organisiert, dass sie einen bestimmten Schnitt in der Realität zu einem bestimmten Zeitpunkt macht. Wir versuchen aber, gerade weil die Veränderungen in dem Medienbereich so groß sind, und auch nicht nur da, auch Globalisierung ist eine Veränderung, auch Individualisierung, und wir versuchen, die Existenz als Schnittpunkt von Prozessen zu begreifen und wenn man Prozesse untersucht, dann muss man andere Konzepte haben, anders denken, andere Forschungsmethoden benutzen. Das ist der Begriff der mediatisierten Welten den wir haben: Wir leben nicht in einer Welt, sondern wir haben viele kleine Lebensbereiche, die wir soziale Welten nennen in der Soziologie. Und in einer passiert dann was Neues mit sozialen Medien und das überträgt sich dann in andere. Das ist ein Prozess, den wir versuchen zu verstehen."
    Kein leichtes Vorhaben für einen genuin schwerfälligen Wissenschaftsbetrieb. Die mediale Realität scheint immer schon einen Schritt weiter. Und ihre Nutzer auch. Virales Marketing nennt die Werbebranche so ansteckende Nachrichten wie die Happy-Botschaften - und nutzt sie derweil auch ohne Medientheorie ganz praktisch für Verkaufsbotschaften.