Christoph Reimann: "Für dich bin ich nicht real, ein Gesicht im Datenstrom", heißt es im Song "Apparat" aus dem Debütalbum "Soft Kill". Was ist das denn, was da besungen wird? Etwa die Melancholie der digitalen Zeit?
Jannik Schneider: Es geht um den digitalen Raum, den wir ja zu 90 Prozent erleben pro Tag. Es ist eine Sache, die uns irgendwie umgibt und die sich irgendwie lohnt für uns, zu besingen. Und es ist jetzt gar nicht in erster Linie kritisch gemeint oder negativ, sondern es soll halt alle Seiten beleuchten. Ja, und das wäre zum Beispiel ein: Wie gut kennt man sich? Oder wie gut kennt man sich eben nicht? Letzen Endes geht es in dem Song, an der Stelle, jetzt darum. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine krasse kritische Auseinandersetzung ist mit Internet, sondern halt sowohl positiv als auch negativ.
Reimann: Was sehen Sie denn positiv zum Beispiel? Denn beim Hören dieses Albums dachte ich: Na, der Sound ist so düster. Die vielen Texte sind es eigentlich auch. Vielleicht hat Jannik Schneider auch Angst vor der Zukunft, vor so einer technoiden Zukunft?
Schneider: Angst habe ich überhaupt nicht. Ich glaube, es gibt sehr viele schöne Seiten, die auch Kommunikation über das Internet haben kann. Nur weil man sich nicht gegenübersitzt und sich nicht im realen Leben sieht, muss das jetzt nicht zwingend negativ sein. Also, ich finde Chatten und sich Sticker und Gifs zu schicken kann auch total romantisch sein.
Reimann: Und was war der Grund, diese Platte zu machen, Benito Pflüger?
Benito Pflüger: Also, prinzipiell natürlich erst mal, dass wir eine Band haben.
Reimann: Na ja, aber dieser thematische Schwerpunkt - warum haben Sie den gewählt?
Pflüger: Der thematische Schwerpunkt hat sich entwickelt, weil wir, wie Jannik ja auch gerade schon gesagt hat, - ist das Digitale ein Teil unseres Lebens. Und für uns hat sich das gar nicht so zufällig irgendwie ergeben, sondern wir haben das halt einfach gemerkt, dass das ein großer Teil unserer Texte war. Wir haben gar nicht verstanden, warum wir jetzt so die einzigen sind, die das machen, oder in der Minderheit, was Rockmusik betrifft. Aber das war für uns einfach eine interessante Thematik, die sich oft einfach angeboten hat.
Reimann: Sie haben gerade gesagt: Sie haben das Gefühl, Sie sind die einzigen mit diesem, ja, vielleicht mit diesem Blick nach vorne oder mit der Beschäftigung mit digitalen Welten. Adele zum Beispiel, die sah man singen in einer Telefonzelle. Das würde Ihnen wahrscheinlich nicht passieren. Nervt Sie dieser Retrotrend, den es ja noch wie vor gibt?
Pflüger: Ja, nervt ist vielleicht fast ein bisschen stark. Aber es interessiert uns einfach nicht so. Also, es ist jetzt nicht so, dass wir Leute blöd finden, die das machen. Aber ich finde es einfach erstaunlich, dass viele Leute so viel Zeit online verbringen und da ja auch Romantisches erleben oder Schönes, das aber sehr wenige dann künstlerisch verarbeiten. Das betrifft hauptsächlich Rockmusik, meiner Meinung nach. In der Popmusik ist es teilweise anders. Ich meine, Adele ist da natürlich ein Beispiel für diese eher nostalgische Strähne in der Popmusik. Aber es gibt ja auch im Pop jetzt Drake mit "Hotline Bling" oder so was, wo da modernere technische Geräte zum Vorschein kommen.
Reimann: Drake, der zum Beispiel auch setzt auf den Vocoder-Effekt, diese Stimm-Verfremdung, genauso wie Frank Ocean oder Kendrick Lamar. Das haben Sie jetzt übernommen. Kommt das von denen, oder woher kommt das?
Schneider: Also, das ist auf jeden Fall dadurch beeinflusst, dass wir sehr viel solche Musik hören. Es ist eigentlich im Prinzip ja gar nichts Besonderes, es ist nur, wir haben gemerkt, dass es in Deutschland scheinbar noch sehr selten ist und dadurch immer thematisiert wird, dass wir das machen. Aber zum Beispiel im amerikanischen Trap oder in der Popmusik ist es ja eine gängige Methode, die aber uns sehr entgegen kam, weil es eben so ein bisschen die Stimme verfremdet und man sich löst von den Personen, die wir sind. Und dass es eben nicht um mich, Jannik Schneider, geht oder Benito Pflüger, sondern um irgendetwas Drittes, sozusagen.
Reimann: Warum wollen Sie nicht über sich singen?
Schneider: Dieser authentische Moment, den es ja in der deutschen Popmusik sehr klar gibt, dass ich jetzt darüber singe, wie ich jetzt irgendwie durch den Supermarkt gegangen bin oder wie ich mich verliebt habe oder wie ich mich getrennt habe - das finde ich sozusagen nicht spannend genug. Also, ich will gar nicht über mein eigenes Leben singen, sondern will mir lieber Dinge ausdenken und Information, die vielleicht von mir kommt, codieren, damit die von anderen vielleicht wieder decodiert werden kann. Also, es steckt von uns allen sehr viel in diesen Texten. Aber wir verpacken das halt lieber in einer neuen Thematik, sei es irgendeine wissenschaftliche wie Teilchenbeschleunigung oder Chatten im Internet. Und das ist, glaube ich, für uns einfach spannender. Sonst würde Texte-Schreiben, keinen Spaß machen, wenn ich nur über mich und über meine alltäglichen Erfahrungen schreiben würde.
Reimann: Authentizität haben Sie gerade angesprochen. Sie machen ja doch schon etwas Besonders, indem Sie eben den Vocoder verwenden in Ihrer Musik. Sie haben es schon gesagt: Im deutschsprachigen Pop oder in der Rockmusik, zumindest in dem Teil, der sich für irgendwie intellektuell hält, kommt diese Stimmverfremdung nicht vor, weil man dann eben abweicht von so einer Authentizitätsvorstellung, hingeht zum Artifiziellen. Warum war es Ihnen so wichtig, eben diesen Weg zu gehen?
Pflüger: Für uns widerspricht diese Effektierung der Stimme oder auch bei den Instrumenten nicht der Authentizität an sich. Also, ich verstehe diesen Begriff Authentizität, und ich glaube, der Rest meiner Band auch, einfach anders. Eher wie den Begriff "real" im Hip-Hop. Ich habe mal eine Definition davon gehört, die fand ich sehr zutreffend, nämlich dass "real" nicht bedeutet, dass man sich selber gut darstellt, dass man "echt" ist, sondern dass man etwas besonders gut spielt und glaubwürdig. Weil am Ende die künstlerische Darstellung, ob jetzt auf der Bühne oder auf einem Album, immer eine Inszenierung ist. Ob man jetzt authentisch versucht, seinen Tagesablauf zu besingen oder übers Kaffeetrinken mit Freunden oder die große Liebe oder ob man das eben verfremdet. Es ist eher der Punkt, wie will ich mich authentisch darstellen? Und ich finde eigentlich, das machen wir auch am Ende. Und da hat dieser Vocoder dann einfach nur den Effekt, das Ganze etwas interessanter zu machen.
Reimann: Einerseits bedienen Sie sich dieses Effekts, der Ihre Musik ja aber auch technisch wirken lässt, also passend zum Thema Ihrer Platte. Es wirkt unmenschlich kühl, Sie werden da, Jannik Schneider, zu einer Art Cyborg, wenn Sie singen. Andererseits beklagen Sie ja auch in manchen Titeln die Vereinzelung im Digitalen. Ist das der Zwiespalt, in dem Sie stecken? Die heute 20- bis 30-Jährigen?
Schneider: Zwiespalt? Ja und nein, würde ich sagen. Bei den Vocoder beispielsweise, klar, einerseits wirkt das alles sehr viel technischer und cyborgartiger. Andererseits ist es auch ein Experiment einfach, wie so eine Verfremdung der Stimme ankommt oder wie sie funktioniert. Und ob diese Stimme auch angenommen wird. Ich habe auch auf Konzerten schon viele negative Rückmeldungen von einzelnen Leuten, mit denen ich gesprochen habe, bekommen, weil sie eben sehr verwirrt waren. Weil sie gerne die richtige Stimme gehört hätten. Und das ist, glaube ich, einfach ein Moment, den ich sehr interessant finde, das auszuprobieren, wie diese Verfremdung sich auswirkt.
Reimann: Sie nennen Ihre Musik Soft Punk und die Platte haben Sie "Soft Kill" genannt. Wer wird denn da sanft ums Leben gebracht? Was ist der "Soft Kill"?
Pflüger: Der Zuhörer im besten Fall. Also, unsere Musik ist für uns so emotionell, dass sich das eben ein bisschen wie ein sanfter Tod anfühlt.
Reimann: Warum soll ich als Hörer den sanften Tod sterben, Jannik Schneider? Warum ist Weichheit so wichtig? Sie singen ja auch, dass Sie so weich sein wollen?
Schneider: Also, ich glaube, das Schöne an dem Begriff "soft" und an dem Begriff "weich" ist halt, dass es sehr formbar ist und sich im Gegensatz zum Rock weiterentwickeln kann. Ich glaube, es ist einerseits diese Komponente, die uns an dem Begriff interessiert hat, und andererseits die ganzen Synthesizer, die ganzen weichen Sound-Elemente, die auch aus der elektronischen Musik kommen, zu verbinden mit einer schrofferen Form von Rock, dem Punk, oder dem Post-Punk. Das sollte sozusagen die Fusion sein. Und letzten Endes die Vorstellung davon, dass ich von sehr vielen Emotionen sterbe, weil ich etwas sehr traurig finde oder sehr fröhlich, ist, glaube ich, für uns eine schöne Vorstellung von einem Tod.
Reimann: Woher kommt eigentlich diese Melancholie, die sich durch die ganze Platte zieht?
Schneider: Ich glaube, das ist generell einfach eine Grundstimmung von uns. Ich glaube, das ist eine Melancholie, etwas, das in uns allen drin steckt. Und wenn wir Musik schreiben, können wir gar nicht anders, als auf eine gewisse Art und Weise melancholisch zu sein, was auch immer das dann heißt. Ich glaube, emotionale Songs im weitesten Sinne oder traurige Songs zu schreiben, macht uns, glaube ich, einfach mehr Spaß als fröhlichen Sommerpop-Hit.
Reimann: Das müssen Sie mir erklären. Warum macht Traurigkeit Spaß?
Schneider: Also, Traurigkeit meinte ich nicht, sondern Melancholie ist ja durchaus auch ein positiver Begriff. Wenn man traurig ist in einem Moment, es sich aber so schön wie möglich macht. Und das heißt aber nicht, dass wir alle im Studio sitzen und heulen, sondern nur, dass - ich verbinde Melancholie gar nicht so sehr mit Traurigkeit, sondern einfach mit einem emotionalen Zustand, in dem man sehr sensibel ist und eventuell jedes Gefühl, das man spürt, sehr stark sein kann. Vielleicht ist Traurigkeit da der falsche Anhaltspunkt.
Reimann: Leben wir in melancholischen Zeiten?
Pflüger: Ich glaube, wir leben in Zeiten, wo sehr viele Menschen melancholisch sind, aber versuchen, das zu überdecken, sei es mit Facebook-Profilen oder Instagram-Profilen oder teuren Klamotten sich das Ganze quasi schönzukaufen oder schon zu designen. Das funktioniert halt heutzutage noch viel besser als früher, weil jeder heute die Fähigkeit hat, sich selber zu inszenieren, auch im Digitalen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Ringer
Tourdaten:
15.02.2017 Hamburg
16.02.2017 Mainz
17.02.2017 Stuttgart
18.02.2017 München
19.02.2017 Wien (AT)
21.02.2017 Düsseldorf
22.02.2017 Leipzig
23.02.2017 Groningen (NL)
24.02.2017 Berlin
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