O-Ton Martin Schulz: "Was mich am meisten schockiert hat, ist, dass dieser ultimative Charakter gewählt worden ist: Entweder Ihr nehmt, was wir wollen, wir Briten, oder Ihr habt Pech gehabt."
Andreas Kolbe: Gereizte Reaktionen auf die EU-Rede des britischen Premiers David Cameron – Martin Schulz war das, der Präsident des Europaparlaments.
"BrExit" ist das Schlagwort des Tages, ein Exit der Briten aus der Europäischen Union. Den hat Premier David Cameron heute in seiner lang erwarteten Grundsatzrede zur EU angedroht. Sollten die Konservativen in zwei Jahren die Wahlen gewinnen, so soll das Volk über den Verbleib in der Union abstimmen.
Mitgehört hat der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Herr Abelshauser, die EU, für Großbritannien ist das vor allem ein großer Binnenmarkt. Wäre das für die britische Wirtschaft nicht ein großer Rückschlag, wenn London da aussteigen würde?
Werner Abelshauser: Nun, den Binnenmarkt will Großbritannien ja zuallerletzt verlassen. Darum geht es, glaube ich, in dieser Auseinandersetzung zuletzt. Die Briten wollen eigentlich den Binnenmarkt erhalten. Sie wollen aber innerhalb der EU keine weitere Vergemeinschaftung, schon gar keine Vergemeinschaftung der Schulden, aber auch keine Vereinigten Staaten von Europa. Daraus haben sie nie einen Hehl gemacht und deswegen sollte man das nun auch nicht als eine solche Sensation betrachten. Das ist eine alte britische Position. Deswegen hat de Gaulle, der ja für ein föderales Europa war, damals in den 60er-Jahren jahrelang die Briten blockiert. Er wollte nicht, dass sie in die Europäische Union kamen, weil er wusste, dass das mit den Briten nicht geht. Also die Anhänger eines föderalen Europas, einer Vereinigten Staaten von Europa, die werden sich freuen, wenn die Briten austreten. Diejenigen, die glauben, dass Europa aus der Vielfalt lebt und vor allem den Binnenmarkt braucht, aber nicht darüber hinaus eine einheitliche Politik, die werden traurig sein.
Kolbe: Wäre das denn überhaupt denkbar, dass Großbritannien aus der EU austritt, aber eben Mitglied dieses Binnenmarktes bleibt, was von Kritikern ja gern als Rosinenpicken beschrieben wird?
Abelshauser: Nun ja, das liegt dann ganz an Großbritannien. Wenn Großbritannien austreten würde, könnte es sich so verhalten, wie es die Norweger tun, wie es die Schweizer tun, die ja auch den Binnenmarkt akzeptieren, aber darüber hinaus keine politische Vergemeinschaftung mitmachen. Das geht, natürlich!
Kolbe: Es gibt aber auch in Großbritannien warnende Stimmen, die vor allem mit Blick auch auf die Finanzindustrie sagen, da stehe möglicherweise Wachstum auf dem Spiel, da wären Arbeitsplätze gefährdet. Könnte Großbritannien so einen Austritt aus der EU wirtschaftlich einfach so verkraften? Das Land ist ja auch hoch verschuldet.
Abelshauser: Ja, das ist ein wichtiges Argument. Ich meine, die britische Industrie ist nur noch ein Schrotthaufen. Das Einzige, was die Briten noch vorweisen können, ist die Londoner City. Das trägt ungefähr 15 Prozent zum Sozialprodukt bei. Das ist also auch nicht so furchtbar gewaltig. Aber immerhin: Das ist ein Pfund, mit dem die Briten wuchern wollen, und deswegen wehrt sich ja auch die Finanzwirtschaft dagegen, gegen den Austritt, und deswegen wehren sich ja auch die Wirtschaftsverbände dagegen. Die wissen schon, dass sie innerhalb der Europäischen Union Wettbewerbsvorteile haben und von außerhalb die Regeln nicht mehr mitbestimmen können. Und das ist der wesentliche Punkt bei der City, bei der Finanzmarktwirtschaft, denn der Finanzmarkt in Großbritannien kann nur die Neuregelung verhindern, wenn man drin bleibt. Wenn man rausgeht aus der Europäischen Union, dann ist die Gefahr jedenfalls groß, dass der Rest von Europa, Kontinentaleuropa, neue Regeln zur Bändigung des Finanzmarktes findet. Wenn die Briten drin bleiben, ist das sehr viel schwerer.
Kolbe: Werfen wir den Blick doch mal anders herum. Kann Kontinentaleuropa denn auch ohne die Briten?
Abelshauser: Jederzeit. Großbritannien ist keine Wirtschaftsmacht in dem Sinne. Großbritannien hat eine gewisse weltwirtschaftliche Bedeutung, was den Finanzmarkt angeht, aber das nur sehr, sehr bescheiden. Ansonsten ist Großbritannien auf dem Weltmarkt ferner liefen. Der britische Anteil am Weltmarkt ist etwa halb so groß, wie der deutsche. Das könnte man leicht vernachlässigen, obwohl innerhalb Europas Großbritannien der größte Handelspartner Deutschlands ist - das waren früher die Franzosen, jetzt ist es Großbritannien -, allerdings mit einem gewaltigen Defizit. Die Briten sind nicht in der Lage, genug Güter auf dem deutschen Markt abzusetzen, um einen Ausgleich der Handelsbilanz zu erzielen.
Kolbe: Großbritannien droht mit dem Austritt aus der EU. Welche wirtschaftlichen Folgen das haben könnte, dazu war das der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Abelshauser: Bitte sehr, Herr Kolbe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Kolbe: Gereizte Reaktionen auf die EU-Rede des britischen Premiers David Cameron – Martin Schulz war das, der Präsident des Europaparlaments.
"BrExit" ist das Schlagwort des Tages, ein Exit der Briten aus der Europäischen Union. Den hat Premier David Cameron heute in seiner lang erwarteten Grundsatzrede zur EU angedroht. Sollten die Konservativen in zwei Jahren die Wahlen gewinnen, so soll das Volk über den Verbleib in der Union abstimmen.
Mitgehört hat der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Herr Abelshauser, die EU, für Großbritannien ist das vor allem ein großer Binnenmarkt. Wäre das für die britische Wirtschaft nicht ein großer Rückschlag, wenn London da aussteigen würde?
Werner Abelshauser: Nun, den Binnenmarkt will Großbritannien ja zuallerletzt verlassen. Darum geht es, glaube ich, in dieser Auseinandersetzung zuletzt. Die Briten wollen eigentlich den Binnenmarkt erhalten. Sie wollen aber innerhalb der EU keine weitere Vergemeinschaftung, schon gar keine Vergemeinschaftung der Schulden, aber auch keine Vereinigten Staaten von Europa. Daraus haben sie nie einen Hehl gemacht und deswegen sollte man das nun auch nicht als eine solche Sensation betrachten. Das ist eine alte britische Position. Deswegen hat de Gaulle, der ja für ein föderales Europa war, damals in den 60er-Jahren jahrelang die Briten blockiert. Er wollte nicht, dass sie in die Europäische Union kamen, weil er wusste, dass das mit den Briten nicht geht. Also die Anhänger eines föderalen Europas, einer Vereinigten Staaten von Europa, die werden sich freuen, wenn die Briten austreten. Diejenigen, die glauben, dass Europa aus der Vielfalt lebt und vor allem den Binnenmarkt braucht, aber nicht darüber hinaus eine einheitliche Politik, die werden traurig sein.
Kolbe: Wäre das denn überhaupt denkbar, dass Großbritannien aus der EU austritt, aber eben Mitglied dieses Binnenmarktes bleibt, was von Kritikern ja gern als Rosinenpicken beschrieben wird?
Abelshauser: Nun ja, das liegt dann ganz an Großbritannien. Wenn Großbritannien austreten würde, könnte es sich so verhalten, wie es die Norweger tun, wie es die Schweizer tun, die ja auch den Binnenmarkt akzeptieren, aber darüber hinaus keine politische Vergemeinschaftung mitmachen. Das geht, natürlich!
Kolbe: Es gibt aber auch in Großbritannien warnende Stimmen, die vor allem mit Blick auch auf die Finanzindustrie sagen, da stehe möglicherweise Wachstum auf dem Spiel, da wären Arbeitsplätze gefährdet. Könnte Großbritannien so einen Austritt aus der EU wirtschaftlich einfach so verkraften? Das Land ist ja auch hoch verschuldet.
Abelshauser: Ja, das ist ein wichtiges Argument. Ich meine, die britische Industrie ist nur noch ein Schrotthaufen. Das Einzige, was die Briten noch vorweisen können, ist die Londoner City. Das trägt ungefähr 15 Prozent zum Sozialprodukt bei. Das ist also auch nicht so furchtbar gewaltig. Aber immerhin: Das ist ein Pfund, mit dem die Briten wuchern wollen, und deswegen wehrt sich ja auch die Finanzwirtschaft dagegen, gegen den Austritt, und deswegen wehren sich ja auch die Wirtschaftsverbände dagegen. Die wissen schon, dass sie innerhalb der Europäischen Union Wettbewerbsvorteile haben und von außerhalb die Regeln nicht mehr mitbestimmen können. Und das ist der wesentliche Punkt bei der City, bei der Finanzmarktwirtschaft, denn der Finanzmarkt in Großbritannien kann nur die Neuregelung verhindern, wenn man drin bleibt. Wenn man rausgeht aus der Europäischen Union, dann ist die Gefahr jedenfalls groß, dass der Rest von Europa, Kontinentaleuropa, neue Regeln zur Bändigung des Finanzmarktes findet. Wenn die Briten drin bleiben, ist das sehr viel schwerer.
Kolbe: Werfen wir den Blick doch mal anders herum. Kann Kontinentaleuropa denn auch ohne die Briten?
Abelshauser: Jederzeit. Großbritannien ist keine Wirtschaftsmacht in dem Sinne. Großbritannien hat eine gewisse weltwirtschaftliche Bedeutung, was den Finanzmarkt angeht, aber das nur sehr, sehr bescheiden. Ansonsten ist Großbritannien auf dem Weltmarkt ferner liefen. Der britische Anteil am Weltmarkt ist etwa halb so groß, wie der deutsche. Das könnte man leicht vernachlässigen, obwohl innerhalb Europas Großbritannien der größte Handelspartner Deutschlands ist - das waren früher die Franzosen, jetzt ist es Großbritannien -, allerdings mit einem gewaltigen Defizit. Die Briten sind nicht in der Lage, genug Güter auf dem deutschen Markt abzusetzen, um einen Ausgleich der Handelsbilanz zu erzielen.
Kolbe: Großbritannien droht mit dem Austritt aus der EU. Welche wirtschaftlichen Folgen das haben könnte, dazu war das der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Abelshauser: Bitte sehr, Herr Kolbe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.