"Die Grundzüge dieses Manifests bestehen darin, dass die Frau genauso wie der Mann auf Erden erschaffen wurde, damit sie die Erde im Sinne Allahs, des Erhabenen, bevölkert. Er erschuf sie auf Adam und für Adam. Wenn sie ihre Pflicht gegenüber Allah erfüllt hat, hat sie keine andere großartige Aufgabe, als ihrem Ehemann zur Seite zu stehen."
So heißt es in dem Manifest mit dem Titel „Frauen des Islamischen Staates", das die Mitglieder der Khansa'a-Brigaden herausgegeben haben. Um wen es sich bei den Autorinnen handelt, erläutert Hamideh Mohagheghi. Sie lehrt islamische Theologie an der Universität Paderborn.
"Das ist eine Gruppe, die zum IS gehört, die Frauen der IS, die sich selbst als Dschihad oder Widerstand gegen Einflüsse von außen, die auch fälschlicherweise in Heiligen Krieg in Deutsch übersetzt wird, einsetzen, und für die Ideologie der IS aus ihrer Perspektive, aus Frauenperspektive arbeiten."
Die Autorinnen des Manifests kritisieren, dass Frauen in den meisten Gesellschaften ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssten. Und dabei beispielsweise als Verkäuferinnen Männern zu nahe kommen – was unziemlich sei, wie sie meinen.
Mode und Kosmetik als Teufelswerk
Die Autorinnen berufen sich auf den Koran, das Buch also, das der Tradition gemäß die Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed enthält, sowie auf die Sunna, die überlieferte Tradition der Taten Mohammeds. Welche Rolle Frauen einzunehmen hätten? Genau jene Rolle, die sie -Zitat – "zur Zeit des Propheten und der vier rechtgeleiteten Kalifen" innehatten:
"Die Hauptaufgabe der Frau und ihre wirkliche Funktion in der Gesellschaft liegt darin, für ein ausgeglichenes Zuhause für ihre Kinder und ihre Familie zu sorgen, sie erzieht sie, bildet sie und schützt die kommenden Generationen."
Von Natur aus seien Frauen sesshaft. Modegeschäfte und Kosmetiksalons seien des Teufels, ebenso Schönheits-OPs. Mit neun Jahren werde ein Mädchen zur Frau und könne heiraten. Und nur in Ausnahmefällen dürften Frauen außerhalb des Hauses arbeiten – dann, wenn es zum Wohle der muslimischen Gemeinschaft unabdingbar sei, als Lehrerinnen und Ärztinnen, als Theologinnen oder auch zur Verteidigung gegen den Feind. So die einfachen Regeln für Frauen im IS.
"Diese starke und klare Unterscheidung zwischen, was im Haus passiert und was außerhalb des Hauses passiert, da ist es dann eigentlich die traditionelle Vorstellung von Familienleben, was dann auch viele sehr traditionelle und religiöse Familien das da auch so verstehen," erklärt die Theologin und Juristin Hamideh Mohagheghi.
Dass die Rollen zwischen Mann und Frau im Manifest klar verteilt sind, ist aus Mohagheghis Sicht gar nicht so problematisch, sondern vielmehr, dass die IS-Frauen die Ausbildung von Frauen reglementieren und auf religiöses Wissen beschränken wollen.
Widersprüchliches Frauenbild
Die religiöse Ausbildung – ergänzt durch etwas Handarbeit – soll im Alter von neun Jahren beginnen. Mit etwa 16 Jahren soll sie abgeschlossen sein.
"Und das ist für mich eine Form von Ausbildung, die dann die Frauen zu unmündige Wesen erzieht, vor allem, wenn man dann so früh damit anfängt, dass dann eben sie mit 15, 16 ganz genau wissen, was ihre religiöse Pflicht ist, was dann nach Manifest sehr stark in Gebote und Verbote unterteilt wird, dass sie dann einfach nicht mehr die Möglichkeit haben, zu reflektieren, hinterfragen und auch Fragen stellen, wenn ihnen dann ein Islam, eine Lebensweise vorgezeigt wird, dass nicht mehr sie akzeptieren können."
Ein solcher Bildungsbegriff sei im 21. Jahrhundert nicht tragbar, so Mohagheghi. Und dass die Frau für den Mann erschaffen worden sei, sei auch theologisch nicht haltbar.
"Das ist ein Frauenbild, das auch mit dem traditionellen islamischen Verständnis nicht in diese Form zu vereinbaren ist. Die Frauen sind nicht dafür erschaffen, Dienerinnen ihrer Ehemänner zu sein. Das hat auch der Prophet Mohammed selbst nicht so praktiziert, und auch danach, die dann wirklich nach der islamischen Traditionen gelebt haben, in dieser Form nicht gemacht haben."
Mohagheghi setzt in ihrer Kritik des Manifests sehr grundsätzlich an: bei den Grundlagen des sogenannten "Islamischen Staates" und seiner Ideologie. Die Theologin beschreibt, wie sich in den muslimischen Ländern das Feindbild vom Westen entwickelt hat – das Bild vom moralisch verkommenen kapitalistischen Westen. Sie erläutert, wie die IS-Ideologie an dieses Feindbild anknüpft.
Frauen aus westlichen Ländern könnten angezogen werden
Was das Frauenbild des IS angeht, zeigt Mohagheghi Widersprüche innerhalb des Manifestes auf. Sie stellt drei wichtige Frauenfiguren der islamischen Tradition vor: Hagar, Maria und Fatima - stellvertretend für eine Vielzahl von Frauen, die anders gelebt haben als vom Manifest als wahrhaft islamisch gefordert. Und dennoch fürchtet Hamideh Mohagheghi, junge Frauen aus westlichen Ländern könnten vom Frauenbild des IS angezogen werden.
"Es gibt einfach junge Frauen hier in der westlichen Welt, die sehr überfordert sind mit der Rolle in der sie leben, und was dann so von ihnen erwartet wird, dass sie dann gleichzeitig gute Mutter sein müssen, gleichzeitig auch Karriere machen müssen, gleichzeitig alles tatsächlich auch in die Wege leiten müssen, um ein relativ ruhiges Leben haben zu können."
Auch wenn die Frauen einem Beruf nachgingen, hätten sie meist trotzdem noch die Hauptlast der Arbeit im Haus und mit den Kindern zu tragen. Angesichts dieser Doppelbelastung seien viele Frauen überfordert. Die Propaganda des IS falle da auf fruchtbaren Boden, so Mohagheghi.
"Also das was dann so IS ihnen anbietet, ja zuhause zu sein und begehrt zu werden und nur sich um Haus um Kinder zu kümmern, und dann haben sie alles – was auch nicht stimmt. Aber durchaus in ihrer Propaganda gaukeln sie so ein Leben vor, dass alles wunderbar und harmonisch ist. Und da ist dann die Frage, was haben wir in unserer Gesellschaft, wo vielleicht die junge Menschen anfällig macht, für dieses einfache Muster für ein Leben in Glück."