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Die frühere Colonia Dignidad in Chile
Vom Folterzentrum zum Ferienparadies

Heute werden in der Villa Baviera im Süden Chiles ausgelassene Oktoberfeste gefeiert, früher herrschte auf dem Gelände eine totalitäre Sektengemeinschaft. In der sogenannten Colonia Dignidad unter Führung eines deutschen Laienpredigers wurde tyrannisiert, gefoltert und getötet. Die Wandlung in eine Art Touristik-Zentrum stößt vor allem bei Chilenen auf Unmut.

Von Julio Segador |
    Demonstration von Angehörigen von Opfern der chilenischen Militärdiktatur vor dem verschlossenen Eingang zur Villa Baviera
    Demonstration von Angehörigen von Opfern der chilenischen Militärdiktatur vor dem verschlossenen Eingang zur Villa Baviera (Deutschlandradio - Julio Segador)
    "Ich habe 35 Jahre verloren, wo ich gearbeitet habe wie ein Gaul, wie ein Idiot."
    "Ich hatte die Mentalität eines Kindes von acht Jahren im Körper eines 20-Jährigen. Wusste gerade mal, wo ungefähr auf der Weltkarte Deutschland liegt. Mehr wusste ich nicht. Wie Mogli aus dem Urwald."
    "Ohne Tabletten kann ich nicht leben. Ich muss eine Tablette nehmen, der ganze Körper wurde durch diesen Missbrauch wahrscheinlich aufgepeitscht."
    "Wir durften als Kinder kein Wasser trinken und zwischendurch als Kinder haben wir dann gesagt: Was wünschst du dir? Und ich habe immer gesagt: Ich wünsche mir eine große Kanne bis zum Himmel mit einem Schlauch neben meinem Bett, dass ich immer trinken kann, so viel ich will."
    Oktoberfest in der Villa Baviera. Zu trinken haben die Gäste in dem "bayerischen Dorf" im Süden Chiles inzwischen genug, sogar Freibier gibt es. Die Bewohner der Villa Baviera tragen Tracht, Lederhosen und Dirndl. Volkstümliche Musik dröhnt aus den Lautsprechern, dazu wird deftige deutsche Kost gereicht: Schweinshaxe, Senfbraten, Nackensteaks, Bratwürste. Es riecht nach Kassler mit Kraut. Auf einer kleinen Bühne wird das erste Fass Bier angezapft:
    Bayerisches Brauchtum und Lebensfreude, die früher in der Villa Baviera undenkbar gewesen wären. Früher hieß die Villa "Colonia Dignidad", die sogenannte "Kolonie der Würde", eine totalitäre Sektengemeinschaft. 1961 war sie von dem evangelischen Laienprediger Paul Schäfer gegründet worden. Fast 300 Anhänger, die meisten davon Kriegsflüchtlinge, folgten Schäfer aus Deutschland in den Süden Chiles. Auf einem rund 17.000 Hektar großen Landgut gründeten sie die Colonia Dignidad – einen Staat im Staate. Schäfer errichtete dort eine perfide Schreckensherrschaft, die auf permanenten Psychoterror gründete. Einen brutalen Überwachungs- und Folterstaat, in dem sich Schäfer die Siedler wie Sklaven hielt. Über Jahre missbrauchte er Kinder. Er zwang die Bewohner zur Arbeit ohne Lohn. Rüde Strafen und Folter bestimmten ihren Alltag. Mehr als 50 Jahre danach versuchen die Menschen in der Villa Baviera nun einen Neuanfang. Jüngere Bewohner wie Anna Schnellenkamp wollen die frühere Colonia Dignidad auf neue Beine stellen. Sie suchen ihr Heil im Tourismus. Es gibt ein bayerisches Restaurant, ein Hotel, Freizeitmöglichkeiten in beeindruckender Natur, Bierfeste. Die Villa Baviera als modernes Dorf, das sich dem Tourismus öffnet.
    "Die Idee ist, dass die Villa Baviera mittelfristig sich umwandelt in ein kleines deutsch-chilenisches Dorf mit freiem Zugang. Wir werden jetzt Parzellen verkaufen für Interessenten, damit das ganze mehr Leben bekommt. Weil sonst die ganze Struktur einfach ausstirbt. Dass der Tourismus weiter funktioniert bedeutet, dass die Gäste frei kommen können, dass nie wieder die Villa Baviera abgeschlossen wird so wie sie es früher einmal war."
    Robert Matthusen ist einer von jenen Bewohnern der Villa Baviera, die auf den Tourismus setzen. Er verleiht Tretboote auf einem kleinen See. In Lederhose steht Robert Matthusen am Bootssteg; das Oktoberfest auf dem Gelände beschert ihm viele Kunden. Er glaubt daran, dass die Zukunft der Villa Baviera im Tourismus liegt.
    "Das ist eigentlich die einzige Möglichkeit zu beweisen, dass die Villa eigentlich nicht mehr die ist, die sie damals war. Wir sind die junge Generation, wir haben ja eine Menge hinter uns und wollen alles vergessen und bauen hier was Neues auf. Und das ist eigentlich der beste Beweis, dass wir nicht mehr die sind, die wir – beziehungsweise, wir sind es eh nicht – das waren unsere Vorfahren, oder einige von ihnen."
    Pinochets Folterkammer
    Der 44-Jährige hat das menschenfeindliche, totalitäre System Schäfers in seiner Kindheit noch erlebt. Auch er wurde körperlich und seelisch missbraucht vom Sektenführer. Nur schwer gelingt es Robert Matthusen diese unglückselige Vergangenheit abzuschütteln.
    "Das ist insofern schwierig, es gibt immer wieder welche von draußen, die versuchen alles immer wieder aufzurühren, und uns, die wir damit überhaupt nichts zu tun haben, die im Gegenteil selbst mitgelitten haben, uns das zu unterbreiten und vorzuhalten. Und das finde ich ein bisschen destruktiv."
    Sie sind jene, die in den Augen mancher Bewohner der Villa Baviera den Neuanfang verhindern wollen. Etwa 50 chilenische Demonstranten haben sich vor dem geschlossenen Tor zur Villa Baviera aufgebaut. Wachpersonal der deutschen Siedler verhindert, dass sie aufs Gelände kommen. Am Tor und am Zaun hängen die Demonstranten Schwarz-Weiß-Fotografien verschwundener Menschen auf. Es sind ihre verschwundenen Angehörigen. Eine Frau ruft laut deren Namen. Es sind die Verschwundenen der chilenischen Militärdiktatur, deren Bilder nun am gut gesicherten Zaun der Villa Baviera hängen. Die frühere Colonia Dignidad, die sich ab 1988 in Villa Baviera umbenannte, war nicht nur die Heimat der totalitären Sektengemeinschaft, in der Schäfer und seine Helfershelfer ihre Verbrechen nahezu unbemerkt begehen konnten. Die sogenannte Kolonie der Würde diente dem chilenischen Geheimdienst in den Jahren der Pinochet-Diktatur auch als Folterlager. Hier wurden regimekritische Chilenen von den Schergen der Diktatur mit Schäfers Hilfe interniert, gequält und umgebracht. Victor Sarmiento ist einer der Demonstranten. Die Spur seines Bruders Hernán verlor sich 1974 in der damaligen Colonia Dignidad.
    "Ich habe hier Unterlagen, die belegen, dass mein Bruder verhaftet und auf dem Gelände festgehalten wurde. Er war hier, wir haben uns das nicht ausgedacht. Und später tragen sie in den Bericht ein, er sei hier verschwunden. Wir gehen davon aus, dass sie ihn getötet und in Schwefelsäure aufgelöst haben."
    Der chilenische Journalist Mauricio Waibel beschäftigt sich seit Jahren mit der Vergangenheit der früheren Colonia Dignidad. Er gelangte an geheime Dokumente, die klar belegen, dass die Sektengemeinschaft und die Pinochet-Diktatur eng zusammenarbeiteten.
    "Zweifelsohne wussten die Behörden in Chile ,was auf dem Gelände der Colonia Dignidad vorging. Nicht wenige hatten dafür Sympathie. Und es gibt viele offene Fragen: Woher stammen die Kriegswaffen, die auf dem Gelände gefunden wurden? Sie hatten einen Hubschrauber, einen Flugplatz, ihre Ländereien gingen bis an die argentinische Grenze. Wie wurde all das finanziert? Welche internationalen Verflechtungen bestanden? Und gab es deutsche Helfer?"
    Gab es deutsche Helfer? Diese Frage ist bis heute nicht endgültig beantwortet. Fest steht, dass die Sektengemeinschaft von der deutschen Botschaft in Santiago de Chile breite Unterstützung erhielt. Konsularbeamte durften auf das Gelände, um die Reisepässe der deutschen Bürger en bloc zu verlängern. Dadurch vergaben sie sich die Möglichkeit, die Bewohner einzeln zu den Lebensumständen zu befragen. Die Colonia revanchierte sich und verkaufte auf dem Botschaftsgelände selbst produzierte deutsche Wurstwaren und Käse. Zur Freude des Botschaftspersonals. Kritische Nachfragen, gar Nachforschungen – Fehlanzeige. Auch deshalb waren die Bewohner der früheren Colonia Dignidad der Schreckensherrschaft Schäfers hilflos ausgesetzt. Bewohner wie Jürgen Szurgelies, der noch heute in der Villa Baviera lebt:
    Jürgen Szurgelies führt angemeldete Besucher über das Gelände der Villa Baviera, sie dürften ruhig Fotos machen, ermuntert der 51-Jährige die Schaulustigen in holprigem Spanisch. Am Restaurant Zippelhaus beginnt die Tour. Die Privaträume Schäfers sind zu sehen, die Abhörzentrale, der Turm, von dem aus der pädophile Tyrann alles im Blick behielt. Die Besucher erfahren wie sich die Sektengemeinschaft völlig autark versorgte. Die Gärtnerei, die Bäckerei und das siedlungseigene Krankenhaus können besichtigt werden.
    Über viele Jahre wurde gerade über das Krankenhaus das öffentliche Bild vermittelt, wonach sich die Colonia Dignidad selbstlos für die arme Bevölkerung in der Region einsetzt und sie kostenlos behandelt. Was nicht bekannt war: Der Arzt Hartmut Hopp, die rechte Hand Schäfers, soll in dem Krankenhaus Babys und kleine Kinder behalten haben, um sie später - als zwangsadoptierte Kinder - Paul Schäfer als Lustsklaven zuzuführen. Offiziell waren sie verstorben. Hopp wurde in Chile rechtskräftig verurteilt, flüchtete aber vor seiner Festnahme nach Deutschland. Bis heute lebt er in Krefeld unbehelligt von den deutschen Behörden. In Hopps Krankenhaus wurden drakonische Strafen toleriert und ausgeführt. Prügelexzesse, Isolationshaft, Elektroschocks, der Einsatz von Psychopharmaka. Jürgen Szurgelies hat immer ein mulmiges Gefühl, wenn er den Besuchern das inzwischen geschlossene Krankenhaus zeigt.
    "Das ist für mich eigentlich ein Ort, wo ich eigentlich nicht leben möchte. Ich wurde immer wieder mit Tabletten behandelt. Für mich war das schlimm, ich habe geheult. Für mich ist das ist ein Thema, worüber ich nicht gerne spreche. Aber es ist ein Thema, ein Einschnitt in meinem Leben, der nicht heilen kann."
    Jürgen Szurgelies ist heute ein gebrochener Mann. Jahrelang wurde er von Schäfer sexuell missbraucht. Er versuchte einige Male von der Colonia Dignidad zu fliehen - ohne Erfolg. Immer wieder fanden ihn Schäfers Häscher. Er wurde verprügelt, gefoltert, brutal ruhiggestellt.
    "Einmal einen Monat oder länger. Ich weiß nicht wie lange. Ich war kreidebleich, kreidebleich. Das waren offenbar Drogen, oder andere Dinge, die mich "beruhigten". Für mich war das schlimm, eine schlimme Zeit."

    Das Hotel und der Eingang zum Restaurant „Zippelhaus" in der Villa Baviera
    Das Hotel und der Eingang zum Restaurant „Zippelhaus“ in der Villa Baviera (Deutschlandradio - Julio Segador)
    Jürgen Szurgelies leidet noch heute körperlich und seelisch an den Folgen dieser Zeit. Dennoch ist er in der Villa Baviera geblieben. Und er konnte, wie so viele der Siedler, die auch heute noch in dem Dorf leben, die Colonia Dignidad innerlich nie wirklich verlassen. Er ist als Opfer der Sektengemeinschaft gefangen in diesem früheren Hort des Schreckens - bis heute. Auch ein alter Schuppen am Ortsrand steht auf dem Programm der Führung. Hier will Anna Schnellenkamp das Museum der Villa Baviera einrichten. Manche Schautafeln stehen schon.
    "Hier vorne fangen wir an mit dem Plakat aus Deutschland. Woher die Familien nach dem zweiten Weltkrieg hergekommen sind. Diese Halle spricht nur von den Bewohnern. Und dieser Gang spricht nur von Paul Schäfer. Das wird getrennt."
    "Eltern wurden von den Kindern getrennt"
    Anna Schnellenkamp unterscheidet zwischen der Geschichte der Villa Baviera, der früheren Colonia Dignidad, und den kriminellen Machenschaften Paul Schäfers. So soll die Geschichte dieser deutschen Kolonie auch nach außen vermittelt werden.
    "Die sind in Chile. Die Bewohner kommen an, alles wird ihnen weggenommen, sogar die Kisten, die sie mitgebracht haben mit Spielsachen ihrer eigenen Kinder, mit Wäsche, mit anderen Gegenständen. Nichts durften sie mehr öffnen. Das wurde alles auf einem Boden verschlossen. Die haben nur noch ein Paar Schuhe gehabt, keine Häuser. Eltern wurden von den Kindern getrennt. Die Eheleute und Geschwister wurden untereinander getrennt. Also ab da fängt dann in Chile das harte Leben, erstens das Aufbauleben im Land an, und dann auch das harte Leben, weil Paul Schäfer da schon seine Ideologie eingebracht hat und alles nur noch unter seiner Regie haben wollte."
    Anna Schnellenkamp ist für das Tourismuskonzept in der Villa Baviera verantwortlich. Doch die Ausstattung des Museums geht nur langsam voran. Nicht alle in der Villa Baviera unterstützen den Aktionismus der 39-Jährigen, was auch mit ihrer Herkunft zusammenhängt. Anna Schnellenkamp ist die Tochter von Kurt Schnellenkamp, einem der engsten Vertrauten von Paul Schäfer. Der heute 88-Jährige sitzt als Mitglied der früheren Führungsclique in Chile im Gefängnis. Dass ausgerechnet dessen Tochter Anna die Villa Baviera nun in eine gute Zukunft führen soll, bezweifelt Horst Schaffrik. Er kam vor 54 Jahren als Kleinkind in die damalige Colonia Dignidad.
    "Es besteht die alte Struktur, die damals unter Schäfer geschaffen wurde, die besteht heute. Das ist eigentlich, was uns nicht vorankommen lässt. Hier sind Leute, die mit sehr viel Einsatz und Eifer und Fleiß den Tourismus vorantreiben wollen. Aber es besteht die Struktur, wie sie vorher war und so kann es nicht vorwärts gehen."
    " ... die Kinder der ehemaligen Mittäter"
    Horst Schaffrik ist verbittert. Jahrelang wurde er in der Colonia Dignidad missbraucht. Erst nach dem Ende der totalitären Schreckensherrschaft Schäfers konnte er eine Familie aufbauen. Nun muss er mit ansehen, wie die Kinder der ehemaligen Führungsclique, die unter Schäfer agierte, in der Villa Baviera die Fäden in der Hand halten. Mit dieser Meinung steht Horst Schaffrik nicht alleine da. Der Publizist Horst Rückert hat lange die Hintergründe und Verbindungen zwischen den Familien der deutschen Kolonie untersucht. Er kommt zu dem gleichen Ergebnis.
    "Die Generation der 40- und 50-Jährigen, die diese Villa schmeißt, sind die Kinder der ehemaligen Mittäter von Schäfer. So verflochten mit der unseligen Geschichte der Colonia sind die jetzigen Repräsentanten und so schwierig ist es auch für die."
    Anna Schnellenkamp hat das menschenfeindliche System Schäfers in ihrer Kindheit noch erlebt. Sie will dem Grauen der Vergangenheit mit dem Museum Rechnung tragen. Die Schreckensherrschaft und die Verbrechen Paul Schäfers sollen nicht totgeschwiegen werden, sagt sie. Ebenso wenig, dass die Colonia Dignidad während der chilenischen Militärdiktatur als Folterzentrum diente. Doch sie will auch, dass die Bewohner der heutigen Villa Baviera eine Chance auf eine halbwegs glückliche Zukunft bekommen. Diese Chance sieht sie im Tourismus und in Events wie dem Oktoberfest in dem bayerischen Dorf.
    "Die Kinder warten schon das ganze Jahr auf das Fest. Und auch die Eltern sagen, wenn man das nicht mehr machen darf, dann ist es doch wieder wie früher, dass wir nur das machen dürfen, was uns vorgegeben wird. Und wir möchten auch nicht die ganze Zeit wie neben einem Friedhof leben, sondern wir möchten auch ein bisschen leben und Aktivitäten frei machen dürfen. Das Oktoberfest möchten wir dann auch gerne beibehalten, trotz der Kritik."
    Doch Anna Schnellenkamp stößt an ihre Grenzen. Sie ist wie viele andere Bewohner, die in der deutschen Kolonie groß wurden, ein Opfer der Machenschaften Schäfers und seiner perversen Führungsclique. Oft zweifelt sie am neuen Kurs der Villa Baviera, der früheren Colonia Dignidad.
    "Manchmal sage ich, das passt nicht, dass wir überhaupt noch weitermachen. Vor allem, wenn man dann von den eigenen älteren Bewohnern plötzlich Sachen erfährt, wie die Jüngeren damals bestraft wurden, die als Kleinkinder hergekommen sind. Da sage ich mir: Was mache ich hier eigentlich? Lohnt sich das hier, weiterzumachen? Was verteidigt man hier? Aber ich verteidige nicht die schlechte Seite, sondern ich versuche, den Leuten zu helfen. Aber ich stelle mich jedes Mal wieder vor diese ungelöste Frage, ob das hier überhaupt richtig ist hier weiterzumachen, ob man nicht lieber doch alles verlassen soll und ganz von vorne anfangen. Also diese Unsicherheit und diese Frage, die einen richtig quält zwischendurch, die ist nicht weg. Die kommt immer wieder."
    Bis heute fällt der Gemeinschaft die Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit der Colonia Dignidad schwer. An einer Außenwand des Hotels, wo auf Plakaten die Geschichte der Siedler skizziert wird, werden die Schäfer-Jahre von 1961 bis 1997 lapidar als "años difíciles", als "schwierige Jahre" bezeichnet.
    "Es kann nicht sein, dass man auf einem Friedhof ein Touristikzentrum eröffnet"
    Am Zaun vor dem noch immer gut gesicherten Eingang zur Villa Baviera hängen die Angehörigen der Diktatur-Opfer die Plakate der Verschwundenen ab. Ein letztes Lied noch, in dem sie ihre Hoffnung zum Ausdruck bringen, doch noch etwas über das Schicksal ihrer Verwandten zu erfahren. Ein Schicksal, das untrennbar mit der heutigen Villa Baviera verbunden ist, wo an diesem Tag Bewohner und Gäste bierselig feiern. Die Villa Baviera, dieses bayerische Dorf im Süden Chiles, fast am Ende der Welt, trägt schwer an seiner Vergangenheit. Ist es angesichts der schlimmen, menschenverachtenden Verbrechen, die dort über Jahrzehnte verübt wurden, möglich Tourismus zu betreiben? Victor Sarmiento, dessen Bruder hier verschwand, schüttelt den Kopf.
    "Es kann nicht sein, dass man auf einem Friedhof ein Touristikzentrum eröffnet. Hier sind immer noch unentdeckte Massengräber, hier wurden Leute exekutiert. Und die Listen der Verschwundenen werden immer länger. Tausende Regimegegner waren in der Colonia Dignidad. Das kann doch nicht sein, dass hier nun fröhlich ein Oktoberfest gefeiert wird. Die Schergen der Kolonie sind immer noch da."