"Ich wurde geliebt, lebte sorglos und im Überfluß - in einer schützenden Seifenblase. Dann erlebte ich Elend, Hunger, Verzweiflung und Angst."
Zwanzig Jahre ihres Lebens hat Malika Oufkir in marokkanischen Kerkern verbracht - unschuldig eingesperrt mit ihrer Mutter und ihren fünf Geschwistern. Doch ihr erstes Gefängnis war der Königspalast.
Bevor der Name Oufkir mit Bann belegt wurde, gehörte er zu den angesehensten Marokkos. Malikas Vater bekleidete seit den späten fünfziger Jahren höchste staatliche Ämter, z.B. als Innen- und Verteidigungsminister. Das Unglück schlich sich früh an - in Gestalt einer ganz besonderen Ehre: König Mohamed V. beschloß, Oufkirs fünfjährige Tochter Malika zu adoptieren - als Gespielin für seine eigene Tochter Prinzessin Amina.
Elf lange Jahre, von 1958 bis 1969, lebte Malika Oufkir im Königspalast. Ihre scharfsichtigen Schilderungen des Palastlebens geben dem Leser Einblick in eine völlig fremdartige Parallelwelt, wo die Zeit seit Jahrhunderten stehengeblieben ist. An der Spitze der höfischen Hierarchie steht seit dem Tode Mohameds V. 1961 sein Sohn Hassan II. als absoluter Herrscher von Gottes Gnaden. Alle Mitglieder des Hofes sind ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er bestimmt ihr Dasein bis in die intimsten Details. Malika, die unglückliche Prinzessin wider Willen, sehnt sich nach der Normalität und Geborgenheit ihres Elternhauses. Jahrelang trägt sie sich mit Selbstmord- und Fluchtgedanken. Bis die Siebzehnjährige ihrem König und Adoptivvater die Rückkehr zu den Eltern abtrotzt und damit zwei Jahre ungetrübten Glücks.
Bislang war Malikas Vater der treueste Gefolgsmann des Königs. Nach einem blutigen Putschversuch des Militärs im Sommer 1971 stattet König Hassan seinen Innenminister sogar mit noch mehr Macht aus: Oufkir wird zusätzlich Verteidigungsminister und Generalstabschef der königlichen Luftwaffe. In der Folgezeit beobachtet Malika Oufkir immer deutlichere Anzeichen eines Bruchs zwischen dem König und ihrem Vater. Letzterer - so vermutet sie heute - wollte eine konstitutionelle Monarchie errichten. Am 16. August 1972 unternimmt General Oufkir mit Hilfe der königlichen Luftwaffe einen Staatsstreich. Der König überlebt; Oufkir stirbt noch am selben Tag. Gleich nach dem Ende der viermonatigen Trauerzeit wird die ganze Familie abgeholt - Gefangenschaft ohne Erklärung, ohne Prozeß und ohne Aussicht auf Befreiung. Malika war gerade 19 geworden. Abdellatif, ihr jüngster Bruder war ein Kleinkind von zweieinhalb Jahren und ihre jüngere Schwester Myriam litt unter Epilepsie.
Mit rückhaltloser Offenheit gibt das Buch Einblick in die Pein der Gefangenen. Malika Oufkir berichtet vom Hunger, der Menschen zu Monstern macht, von Krankheiten ohne medizinische Behandlung, vom Zusammenleben mit dem Ungeziefer, vom langsamen Verstreichen der Zeit, ihrem ärgsten Feind, der ihnen ihre Jugend stahl, bevor sie gelebt und geliebt haben konnten. Ohne Rücksicht auf Tabus beschreibt sie die Sehnsucht nach Sexualität, um die ihre Gedanken immer wieder kreisen.
Die Lektüre schmerzt, doch kann man das Buch nicht aus der Hand legen. Zu sehr fasziniert der unglaubliche Lebenswillen und Humor, zu neugierig ist man auf die Überlebensstrategien, die täglich neu erdacht werden müssen. Bald schwand die Hoffnung auf Hilfe einflußreicher Freunde. Kann Malika Oufkir ihnen verzeihen?
"Ich verzeihe ihnen, weil sie wie ich Opfer eines repressiven Systems waren, einer Schreckensherrschaft, unter der die Marokkaner weder denken noch ihre Meinung äußern durften."
Auf dem Tiefpunkt ihrer Verzweiflung nehmen die Oufkirs ihr Schicksal selbst in die Hand und inszenieren im April 1987 einen filmreifen Ausbruch. Sechs Tage lange können sie sich dem Zugriff der Polizei entziehen. Sie nutzen die Zeit, um die internationale Öffentlichkeit auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Daraufhin wird eine Villa in Marrakesch ihr goldener Käfig. Erst Jahre später gelingt die abenteuerliche Flucht ins Ausland.
Doch um frei zu sein, genügt es nicht, dem Kerker zu entrinnen. In Paris seit 1996 fühlte sich Malika Oufkir als Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit. Das Buch "Die Gefangene" war für sie ein Stück Selbstbefreiung. Hatte sie Angst vor den Folgen ihrer Offenheit?
"Schreiben ist eine Form der Befreiung und zugleich der Wiedergeburt. Alles verschweigen zu müssen, davor hatte ich Angst. Wenn man solche Schrecken wie ich erlebt hat, wovor soll man sich da noch fürchten? Es gab das Risiko, den Mächtigen zu mißfallen. Aber Worte setzen sich durch. Man muß Zeugnis ablegen, um Fehler fruchtbar zu machen. Damit das Unrecht sich nicht wiederholt."
Immer wieder spricht Malika Oufkir über die Unmöglichkeit, wieder ein normales Leben zu führen:
"Ich finde mich nur schwer ins Leben zurück. Ich habe weder Diplom noch Berufserfahrung, um Arbeit zu finden. Meine Ausbildung heißt Gefängnis. Die bleibt mir lebenslänglich."
Trotz allem ist der mutigen Marokkanerin das Wort "Rache" fremd. Kein Blick zurück im Zorn - stattdessen will sie ihrem Heimatland auf dem Weg zur Demokratie helfen. Den Beginn der politischen Öffnung markierten im Winter 1997 die Wahlen zu einem Zweikammersystem nach deutschem Vorbild. Optimismus keimte auf, als König Hassan II. den oppositionellen Sozialdemokraten Abderrahman Youssoufi zum Premierminister ernannte. Doch Youssoufis mächtiger Gegenspieler, der Innenminister Driss Basri - ein berüchtigter Hardliner - und vor allem die unberührte totalitäre Machtfülle des Königs machten die Beobachter skeptisch. Seit dem Tode Hassans II. im Juli dieses Jahres wurde sein ältester Sohn Mohamed VI. zum neuen Hoffnungsträger Marokkos. Vorbild und Freund des 36jährigen Jungmonarchen ist der spanische König Juan Carlos. Malika Oufkir:
"Mit Mohamed VI beginnt für Marokko eine neue Ära. Er ist nicht für die Fehler seines Vaters verantwortlich. Angesichts einer Fülle von Problemen ist seine Aufgabe ohnehin sehr schwierig. Deshalb sollten die Marokkaner jetzt nicht abrechnen, sondern Solidarität zeigen. Ihm helfen heißt die Vergangenheit begraben. Für mich bedeutet das, mich als Patriotin und Bürgerin Marokkos zu fühlen und nicht als sein Opfer."
Malika Oufkir ist zu stolz zuzugeben, daß sie nur auf ein Zeichen wartet, um ihr Heimatland wiedersehen zu können. Ein Signal wäre z.B. der freie Verkauf ihres Buches in Marokko. Vorerst haben nun die deutschen Leser die Möglichkeit, dieses spannend geschriebene Stück marokkanischer Zeitgeschichte kennenzulernen und damit eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Repräsentantin ihres Landes.
Zwanzig Jahre ihres Lebens hat Malika Oufkir in marokkanischen Kerkern verbracht - unschuldig eingesperrt mit ihrer Mutter und ihren fünf Geschwistern. Doch ihr erstes Gefängnis war der Königspalast.
Bevor der Name Oufkir mit Bann belegt wurde, gehörte er zu den angesehensten Marokkos. Malikas Vater bekleidete seit den späten fünfziger Jahren höchste staatliche Ämter, z.B. als Innen- und Verteidigungsminister. Das Unglück schlich sich früh an - in Gestalt einer ganz besonderen Ehre: König Mohamed V. beschloß, Oufkirs fünfjährige Tochter Malika zu adoptieren - als Gespielin für seine eigene Tochter Prinzessin Amina.
Elf lange Jahre, von 1958 bis 1969, lebte Malika Oufkir im Königspalast. Ihre scharfsichtigen Schilderungen des Palastlebens geben dem Leser Einblick in eine völlig fremdartige Parallelwelt, wo die Zeit seit Jahrhunderten stehengeblieben ist. An der Spitze der höfischen Hierarchie steht seit dem Tode Mohameds V. 1961 sein Sohn Hassan II. als absoluter Herrscher von Gottes Gnaden. Alle Mitglieder des Hofes sind ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er bestimmt ihr Dasein bis in die intimsten Details. Malika, die unglückliche Prinzessin wider Willen, sehnt sich nach der Normalität und Geborgenheit ihres Elternhauses. Jahrelang trägt sie sich mit Selbstmord- und Fluchtgedanken. Bis die Siebzehnjährige ihrem König und Adoptivvater die Rückkehr zu den Eltern abtrotzt und damit zwei Jahre ungetrübten Glücks.
Bislang war Malikas Vater der treueste Gefolgsmann des Königs. Nach einem blutigen Putschversuch des Militärs im Sommer 1971 stattet König Hassan seinen Innenminister sogar mit noch mehr Macht aus: Oufkir wird zusätzlich Verteidigungsminister und Generalstabschef der königlichen Luftwaffe. In der Folgezeit beobachtet Malika Oufkir immer deutlichere Anzeichen eines Bruchs zwischen dem König und ihrem Vater. Letzterer - so vermutet sie heute - wollte eine konstitutionelle Monarchie errichten. Am 16. August 1972 unternimmt General Oufkir mit Hilfe der königlichen Luftwaffe einen Staatsstreich. Der König überlebt; Oufkir stirbt noch am selben Tag. Gleich nach dem Ende der viermonatigen Trauerzeit wird die ganze Familie abgeholt - Gefangenschaft ohne Erklärung, ohne Prozeß und ohne Aussicht auf Befreiung. Malika war gerade 19 geworden. Abdellatif, ihr jüngster Bruder war ein Kleinkind von zweieinhalb Jahren und ihre jüngere Schwester Myriam litt unter Epilepsie.
Mit rückhaltloser Offenheit gibt das Buch Einblick in die Pein der Gefangenen. Malika Oufkir berichtet vom Hunger, der Menschen zu Monstern macht, von Krankheiten ohne medizinische Behandlung, vom Zusammenleben mit dem Ungeziefer, vom langsamen Verstreichen der Zeit, ihrem ärgsten Feind, der ihnen ihre Jugend stahl, bevor sie gelebt und geliebt haben konnten. Ohne Rücksicht auf Tabus beschreibt sie die Sehnsucht nach Sexualität, um die ihre Gedanken immer wieder kreisen.
Die Lektüre schmerzt, doch kann man das Buch nicht aus der Hand legen. Zu sehr fasziniert der unglaubliche Lebenswillen und Humor, zu neugierig ist man auf die Überlebensstrategien, die täglich neu erdacht werden müssen. Bald schwand die Hoffnung auf Hilfe einflußreicher Freunde. Kann Malika Oufkir ihnen verzeihen?
"Ich verzeihe ihnen, weil sie wie ich Opfer eines repressiven Systems waren, einer Schreckensherrschaft, unter der die Marokkaner weder denken noch ihre Meinung äußern durften."
Auf dem Tiefpunkt ihrer Verzweiflung nehmen die Oufkirs ihr Schicksal selbst in die Hand und inszenieren im April 1987 einen filmreifen Ausbruch. Sechs Tage lange können sie sich dem Zugriff der Polizei entziehen. Sie nutzen die Zeit, um die internationale Öffentlichkeit auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Daraufhin wird eine Villa in Marrakesch ihr goldener Käfig. Erst Jahre später gelingt die abenteuerliche Flucht ins Ausland.
Doch um frei zu sein, genügt es nicht, dem Kerker zu entrinnen. In Paris seit 1996 fühlte sich Malika Oufkir als Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit. Das Buch "Die Gefangene" war für sie ein Stück Selbstbefreiung. Hatte sie Angst vor den Folgen ihrer Offenheit?
"Schreiben ist eine Form der Befreiung und zugleich der Wiedergeburt. Alles verschweigen zu müssen, davor hatte ich Angst. Wenn man solche Schrecken wie ich erlebt hat, wovor soll man sich da noch fürchten? Es gab das Risiko, den Mächtigen zu mißfallen. Aber Worte setzen sich durch. Man muß Zeugnis ablegen, um Fehler fruchtbar zu machen. Damit das Unrecht sich nicht wiederholt."
Immer wieder spricht Malika Oufkir über die Unmöglichkeit, wieder ein normales Leben zu führen:
"Ich finde mich nur schwer ins Leben zurück. Ich habe weder Diplom noch Berufserfahrung, um Arbeit zu finden. Meine Ausbildung heißt Gefängnis. Die bleibt mir lebenslänglich."
Trotz allem ist der mutigen Marokkanerin das Wort "Rache" fremd. Kein Blick zurück im Zorn - stattdessen will sie ihrem Heimatland auf dem Weg zur Demokratie helfen. Den Beginn der politischen Öffnung markierten im Winter 1997 die Wahlen zu einem Zweikammersystem nach deutschem Vorbild. Optimismus keimte auf, als König Hassan II. den oppositionellen Sozialdemokraten Abderrahman Youssoufi zum Premierminister ernannte. Doch Youssoufis mächtiger Gegenspieler, der Innenminister Driss Basri - ein berüchtigter Hardliner - und vor allem die unberührte totalitäre Machtfülle des Königs machten die Beobachter skeptisch. Seit dem Tode Hassans II. im Juli dieses Jahres wurde sein ältester Sohn Mohamed VI. zum neuen Hoffnungsträger Marokkos. Vorbild und Freund des 36jährigen Jungmonarchen ist der spanische König Juan Carlos. Malika Oufkir:
"Mit Mohamed VI beginnt für Marokko eine neue Ära. Er ist nicht für die Fehler seines Vaters verantwortlich. Angesichts einer Fülle von Problemen ist seine Aufgabe ohnehin sehr schwierig. Deshalb sollten die Marokkaner jetzt nicht abrechnen, sondern Solidarität zeigen. Ihm helfen heißt die Vergangenheit begraben. Für mich bedeutet das, mich als Patriotin und Bürgerin Marokkos zu fühlen und nicht als sein Opfer."
Malika Oufkir ist zu stolz zuzugeben, daß sie nur auf ein Zeichen wartet, um ihr Heimatland wiedersehen zu können. Ein Signal wäre z.B. der freie Verkauf ihres Buches in Marokko. Vorerst haben nun die deutschen Leser die Möglichkeit, dieses spannend geschriebene Stück marokkanischer Zeitgeschichte kennenzulernen und damit eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Repräsentantin ihres Landes.