Eine junge Frau mit Rucksack wandert über eine große Blumenwiese, auf der ein Flügel steht. Sie klimpert ein paar Triller, dann eine Akkordfolge, und schlägt sich selbst, nachdem ihr ein falscher Ton unterlaufen war. Jelineks "Winterreise" beginnt bei Kriegenburg wie eine Kurzskizze der "Klavierspielerin" der österreichischen Autorin: mit einem masochistischen Leidensverhältnis gegenüber der hohen Klangkunst, mit dem Hang zu Selbstverletzung und Selbstekel. Dann kommen andere junge Damen hinzu, allesamt bekleidet mit einem leichten pastellweißen Kleidchen mit Blumenmuster. Ein Hauch Sommernachtstraum, Frühlingserwachen und Schatten schöner Mädchenblüte liegt über dem Beginn dieser Winterreise. Der "Winter kalt und wild" sind hier höchstens ein paar Schneeflocken, die die fünf Frauen aus einem Tütchen klauben und auf ihr Gesicht niedergehen lassen, oder eine paar kleine Eisbrocken, mit denen sie sich die Arme abreiben. Mit zahllosen Einfällen aus dem erweiterten Regiebaukasten illustriert, unter- und übermalt Kriegenburg das, wovon in diesem monströsen Solo mit seiner nie abreißenden Logorrhoe gerade so geredet wird. Es geht wie immer um alles, um Liebe, Sterben und Einsamkeit, vor allem um den Riss zwischen der Autorin und der sie umgebenden Welt und auch um das Auseinanderdriften von persönlicher und historischer Zeit:
"Die Zeit. Die nimmt alles, das muss sie wohl, sie kann ja nichts dafür, aber mich nimmt sie nie mit. Die nimmt wirklich alles und jeden, aber mich nicht. Sie nimmt andre in Flugzeugen und Autos mit, sogar auf Fahrrädern, die Zeit hat alle Beförderungsmittel für die Tüchtigen immer dabei, die ist auf alles vorbereitet, je nach Geldbeutel, aber sie nimmt mich nicht mit. Ich bin keine von denen, keine von den Tüchtigen."
Die fünf Frauen wechseln sich ab bei diesem massigen Monolog. Während eine das Wort hat, zeichnet eine andere mit Kreide kleine Bilderrahmen auf das schwarze Bühnenportal, eine andere bastelt sich aus Scheren und Kordel eine Dornenkrone, noch eine andere legt sich auf eine offene Schere. Selbstverstümmelung bleibt ein regieliches Leitmotiv in diesem ersten Teil, in dem die Jelinek sich in ihrem ihr eigenen kalauernden, wortverspielten Reden um den heißen Brei langsam dem Herz der Finsternis nähert: Ihre familiäre Vorgeschichte ist das Ziel der Wanderung.
Wenn aber dann im zweiten Teil tatsächlich von dem demenzkranken Vater die Rede ist, von seinem Leiden unter Frau und Tochter, ist Kriegenburg die ironische Distanz plötzlich ausgegangen. Nun dröhnt Maria Schrader mit dunkel timbrierter Bruststimme und setzt ein von Qual zerfurchtes Tragödinnengesicht auf. Alle stecken nun in dunklen Anzügen und haben sich gesenkten Hauptes auf einer Parkbank versammelt. Aus der leichten Schwebe im assoziativen Niemandsland schlägt die Inszenierung hart auf im pathetischen Melodrama. Eine dreiviertel Stunde dauert dieser Qualmonolog, der auf das Ende der Wanderung, der Winterreise und auf den "Leiermann" zuführen soll.
"Bewegung ist wichtig aber eine Bewegung ist noch viel wichtiger – es geht nicht mehr weiter mit uns. Ein bisschen könnten wir noch wenn wie könnten wie wir wollen, auf unwirtbaren Wegen würden wir überall hingehen, durch Stürme und über Berge und der Rücken würde keine Last fühlen es muss ja weitergehen, nur nicht stillstehen, immer weitergehen."
Elfriede Jelinek wendet das romantische Motiv des Wanderers, der auszieht, um in der Welt das äußere Abbild seines inneren Seelenzustandes zu finden in eine leerläufige Bewegungsmanie der Gegenwart, in eine verordnete Rastlosigkeit. Kein anderes Werk der Kunst bedeute ihr mehr, hat sie einmal über die "Winterreise" gesagt. Und ein wenig scheint ihr Trauergesang auch eine Klage über den Verlust des lyrische Ichs zu sein, darüber, dass nur noch in ironischer Brechung vom Ich in der Welt die Rede sein kann. Die Inszenierung hat dafür längst keine Bilder mehr. Denn die hübsche von Nikolaus Frinke errichtet Blumenwiese und das, was der Regie dazu einfällt, ist nun nicht mehr ironischer Kontrapunkt zum Text, sondern, nach immerhin drei Stunden, nur noch eine verbrauchte Idee.
"Die Zeit. Die nimmt alles, das muss sie wohl, sie kann ja nichts dafür, aber mich nimmt sie nie mit. Die nimmt wirklich alles und jeden, aber mich nicht. Sie nimmt andre in Flugzeugen und Autos mit, sogar auf Fahrrädern, die Zeit hat alle Beförderungsmittel für die Tüchtigen immer dabei, die ist auf alles vorbereitet, je nach Geldbeutel, aber sie nimmt mich nicht mit. Ich bin keine von denen, keine von den Tüchtigen."
Die fünf Frauen wechseln sich ab bei diesem massigen Monolog. Während eine das Wort hat, zeichnet eine andere mit Kreide kleine Bilderrahmen auf das schwarze Bühnenportal, eine andere bastelt sich aus Scheren und Kordel eine Dornenkrone, noch eine andere legt sich auf eine offene Schere. Selbstverstümmelung bleibt ein regieliches Leitmotiv in diesem ersten Teil, in dem die Jelinek sich in ihrem ihr eigenen kalauernden, wortverspielten Reden um den heißen Brei langsam dem Herz der Finsternis nähert: Ihre familiäre Vorgeschichte ist das Ziel der Wanderung.
Wenn aber dann im zweiten Teil tatsächlich von dem demenzkranken Vater die Rede ist, von seinem Leiden unter Frau und Tochter, ist Kriegenburg die ironische Distanz plötzlich ausgegangen. Nun dröhnt Maria Schrader mit dunkel timbrierter Bruststimme und setzt ein von Qual zerfurchtes Tragödinnengesicht auf. Alle stecken nun in dunklen Anzügen und haben sich gesenkten Hauptes auf einer Parkbank versammelt. Aus der leichten Schwebe im assoziativen Niemandsland schlägt die Inszenierung hart auf im pathetischen Melodrama. Eine dreiviertel Stunde dauert dieser Qualmonolog, der auf das Ende der Wanderung, der Winterreise und auf den "Leiermann" zuführen soll.
"Bewegung ist wichtig aber eine Bewegung ist noch viel wichtiger – es geht nicht mehr weiter mit uns. Ein bisschen könnten wir noch wenn wie könnten wie wir wollen, auf unwirtbaren Wegen würden wir überall hingehen, durch Stürme und über Berge und der Rücken würde keine Last fühlen es muss ja weitergehen, nur nicht stillstehen, immer weitergehen."
Elfriede Jelinek wendet das romantische Motiv des Wanderers, der auszieht, um in der Welt das äußere Abbild seines inneren Seelenzustandes zu finden in eine leerläufige Bewegungsmanie der Gegenwart, in eine verordnete Rastlosigkeit. Kein anderes Werk der Kunst bedeute ihr mehr, hat sie einmal über die "Winterreise" gesagt. Und ein wenig scheint ihr Trauergesang auch eine Klage über den Verlust des lyrische Ichs zu sein, darüber, dass nur noch in ironischer Brechung vom Ich in der Welt die Rede sein kann. Die Inszenierung hat dafür längst keine Bilder mehr. Denn die hübsche von Nikolaus Frinke errichtet Blumenwiese und das, was der Regie dazu einfällt, ist nun nicht mehr ironischer Kontrapunkt zum Text, sondern, nach immerhin drei Stunden, nur noch eine verbrauchte Idee.