Eine Umorientierung ist aber auch noch aus einem ganz anderem Grund überlebenswichtig. Das durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzte Kohlendioxid fördert die Klimaerwärmung. Die Folgen sind oftmals beschrieben.
Mit der globalen Erwärmung, der wachsenden Schere zwischen den Habenichtsen und den Besitzenden, dem Mittleren Osten und der Fördermaximum beim Öl treten wir in das Endstadium der fossilen Brennstoffära ein. Das ist der Sonnenuntergang einer ganzen Energieepoche, die mit Kohle und Dampfkraft im 17. Jahrhundert begann. Wir stecken damit für die nächsten 4-5 Jahrzehnte in einer sehr, sehr gefährlichen Situation. Wir müssen den Übergang von den Brennstoffen aus Kohlenwasserstoff zu einem neuen Energieregime für die nächsten 2 oder 3 Jahrhunderte bewerkstelligen. Noch ist die Frage offen, ob wir den Übergang hinbekommen oder die Zivilisation kollabiert.
Die Chancen für eine Wasserstoffwirtschaft stehen nicht schlecht, denn die Grundvoraussetzungen sind bereits geschaffen. Wasserstoff ist im Übermaß vorhanden, denn er ist eines der häufigsten chemischen Elemente auf diesem Planeten. Allerdings muss man ihn erst aus Erdgas oder Wasser gewinnen. Die Technik ist bekannt, steckt aber noch in ihren Kinderschuhen. Zur Wasserstoffherstellung wird auf alle Fälle Strom benötigt. Hier hofft Jeremy Rifkin auf die erneuerbaren Energien. Erdwärme, Wind, Wasser und Sonne sollen die Elektrizität liefern, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Damit wäre ein Dilemma der regenerativen Energien gelöst, die nur zu bestimmten Zeiten Strom liefern, der sich zudem nicht speichern lässt. Mit der Gewinnung von Wasserstoff stände ein idealer Energieträger zur Verfügung, der sich jederzeit in Brennstoffzellen wieder in Strom und Wärme wandeln lässt. Brennstoffzellen können Laptops ebenso antreiben wie Autos oder Zentralheizungen.
Bereits jetzt bereitet sich die Fahrzeugindustrie auf das Wasserstoffzeitalter vor - nicht ganz freiwillig. Kalifornien hat beschlossen, ab 2009 nur noch emissionsfreie Autos zuzulassen. Das Brennstoffzellenauto ist hier die einzige echte Alternative zum klassischen Verbrennungsmotor. Alle großen Autokonzerne haben bereits Modelle entwickelt. Jeremy Rifkin erwartet sich davon aber nicht nur saubere und leise Autos, sondern auch eine allmähliche Abkehr von zentralen Energieversorgungssystemen:
Wenn diese Autos nicht fahren, sind sie Kraftwerke. Man kann sie ans Haus, die Fabrik, das Geschäft anstöpseln und Primärstrom produzieren. Wenn 25% der Fahrzeuge in welchem Land auch immer in den Stunden, in denen sie nicht benutzt werden, ans Stromnetz angeschlossen sind, dann braucht man keine Kraftwerke mehr, kann alle Kraftwerke schließen. Das brächte eine massive Dezentralisierung wie in der Kommunikation mit sich.
Jeder Bürger sein eigener Stromerzeuger. Wenn sich Hausbesitzer oder kleine Gemeinden Heizanlagen in den Keller stellen, die mit Brennstoffzellen Wärme und Strom herstellen, werden die großen Kraftwerke überflüssig. Computergesteuert zusammengeschaltet können Hunderte solcher kleinen Anlagen ein virtuelles Großkraftwerk bilden. Die großen Versorgungsunternehmen werden ihre Macht verlieren. Jetzt ist der Kunde wirklich König, denn er ist gleichzeitig Erzeuger wie Verbraucher. Niemand kann ihn mehr erpressen. Zudem wird die Wasserstoffwirtschaft, davon ist Jeremy Rifkin überzeugt, die 3. Welt aus der Schuldenfalle befreien und zu gleichberechtigten Partnern in der Weltwirtschaft aufsteigen lassen.
Viele sagen, dass der wahre Nutznießer die 3. Welt sein wird, weil sie das Öl nie wird bezahlen können, immer mehr Schulden machen und immer ärmer und hoffnungsloser wird. Wenn Brennstoffzellen billiger werden, werden sie in der ganzen 3. Welt erneuerbare Energien einsetzen. Die Nichtregierungsorganisationen werden dafür sorgen, daß erneuerbare Energien in lokale Gemeinschaften kommen, solare Energien, geothermische, Wasserkraft, Biomasse. Sie werden Strom erzeugen, ihr Wasser reinigen, Trinkwasser gewinnen, Wasserstoff abspalten, speichern und in Brennstoffzellen einsetzen und Mininetze bilden, so dass sie lokal Strom, Wärme und Licht haben. Ohne Strom kein wirtschaftlicher Aufschwung.
Jeremy Rifkin geht sogar noch weiter. Für ihn wird die Wasserstoffwirtschaft weltweit einen Siegeszug der Demokratie einleiten. Bisher erforderte das fossile Brennstoffsystem stark zentralisierte Strukturen: nur weltweit operierende Multis konnten Förderung, Transport, Verarbeitung und Verteilung z.B. des Erdöls finanzieren und organisieren. Alle Entscheidungen wurden von oben nach unten gefällt. Die Wasserstoffära bringt eine völlige Umkehrung dieser Kommandostruktur. Dank Computersteuerungen übers Internet miteinander verbunden, können die zahllosen selbstständigen Produzenten von Brennstoffzellenenergie bei allen Entscheidungen mitreden und mitentscheiden. Das dezentrale Energiesystem ist basisdemokratisch. Das Internet, das Web macht's möglich:
Die großen wirtschaftlichen Revolutionen in der Geschichte ereignen sich, wenn zwei Dinge passieren. 1. eine grundsätzliche Änderung in der Kommunikation. 2. eine grundsätzliche Änderung im Energieregime. Digitaltechnologie, Software, Telkommunikation werden dafür eingesetzt werden, Stromnetze zu dezentralisieren, so dass man die Energie jederzeit überall von gleich zu gleich hinbringen kann. Wenn man sich diesem Kommunikationssystem anschließt und es zur Sprache der dezentralisierten Energie wird, dann bedeutet das eine der großen, tiefreichenden sozialen und wirtschaftlichen Revolutionen der Geschichte. Es wird das Leben so grundlegend wie Dampfkraft und Kohle ändern. Es wird unser persönliches Leben, die Lebensbedingungen und unsere Regierungen ändern.
Voraussetzung dieser sicherlich verlockenden Vision ist allerdings, dass die Menschen bereit sind, sich dafür auch zu engagieren, nicht alles einfach wieder anderen überlassen, keine Versorgungsmentalität zeigen. Was Jeremy Rifkin in seinem Szenario zudem viel zu wenig berücksichtigt, sind die banalen Alltagsprobleme der Brennstoffzellen- und Wasserstoffproduktion. Noch ist keineswegs entschieden, welche Technologie wo eingesetzt werden wird, gibt es massive Kostenprobleme, denn Brennstoffzellen werden erst dann billig, wenn sie massenhaft gefertigt werden. Dazu bedarf es aber ungeheuer großer Vorinvestitionen in Milliardenhöhe, die nur Weltkonzerne aufbringen können. Das Buch lässt also viele Detailfragen offen, beschränkt sich auf den großen visionären Wurf. Die Stoßrichtung stimmt. Die Mühen des steinigen Weges zum Ziel werden aber nicht ernst genug genommen.