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"Die lächerliche Finsternis"
Hörspiel auf der Theaterbühne

Ein somalischer Pirat vor dem Hamburger Landgericht: Das neue Hörspiel von Wolfram Lotz hat am Wiener Burgtheater seine Uraufführung gefeiert. "Wir sitzen hier mitten im Kriegsgebiet, aber wir bekommen nichts davon mit." Dusan David Parizek legt in seiner Inszenierung der Politsatire großen Wert auf die Frauenquote.

Von Hartmut Krug |
    Alles beginnt mit dem Erklärungsversuch eines somalischen Piraten vor einem Hamburger Landgericht, der beim Versuch gescheitert ist, einen Frachter zu überfallen. Wenn er davon mit scheinbarer Naivität erzählt, werden die Probleme und Zwänge einer fremden, afrikanischen Lebenswirklichkeit in schrecklich komischer Weise deutlich. Nachdem Pussi sich als Fischer versucht, aber das Meer von internationalen Fangflotten als leergefischt vorgefunden hat, habe er mit Erfolg ein Diplomstudium der Piraterie an der Hochschule von Mogadischu absolviert. Die Schauspielerin Stefanie Reinsperger spricht diesen Monolog vor einer hohen Bretterwand, anfangs ganz im Dunkeln, mit starkem Bedeutungsgestus und österreichischem Akzent:
    "Mein Name ist Ultimo Michael Pussi, und wie Sie wissen (...), bin ich ein schwarzer Neger aus Somalia. Der Einfachheit spreche ich jetzt Deutsch mit Ihnen. Bitte, das müssen sie verstehen, das macht vieles viel einfacher, gell. Zu meiner Person kann ich folgendes sagen: Ich wurde geboren in der Regenzeit, unter einem Baum. (...) Es ist richtig, dass ich Pirat bin."
    Wie in diesem Prolog die westliche Wahrnehmung einer fremden Lebenswirklichkeit mit elegant ernstem Witz beschrieben wird, das gibt den Ton für die Haupthandlung vor. Die heißt „Fahrt auf dem Fluss" und zeigt zwei Bundeswehrsoldaten, die einen bei einem Spezialauftrag durchgedrehten und verschollenen Offizier suchen sollen. Nicht um ihn zu retten, sondern um seine Aufenthaltskoordinaten für einen tödlichen Militärschlag gegen ihn durchzugeben.
    Wolfram Lotz stellt seinem Text „Die lächerliche Finsternis" zwei Anmerkungen voraus. Zum einen sei dieser „Nach Francis Ford Conrads Herz der Apokalypse" entstanden. Was bedeutet, dass die Suche seiner Bundeswehrsoldaten thematisch sowohl von Joseph Conrads Roman „Das Herz der Finsternis" wie von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse now" beeinflusst ist. Außerdem betont Lotz, dass es sich bei seinem Text um ein Hörspielskript handele. Deshalb seien bei der Umsetzung auf einer Bühne Veränderungen ratsam. Uraufführungsregisseur Dusan David Parizek nimmt zwar etliche Kürzungen vor, ändert am Text aber eher wenig. Einerseits behält er die Erzählform der Vorlage bei, andererseits wechselt er geschickt mitten im Spiel zwischen Vortragsmonolog und Figurendialogen . So entsteht ein witzig-kluges Vortrags- und Vorspiel-Theater. Das auskommt mit einem leeren Spielpodest vor Bretterwand rechts, einem Tisch links für die Schauspieler zum Geräusche machen und einem Overheadprojektor.
    Ging es bei Joseph Conrad im Kongo in das Herz der Finsternis des Kolonialismus, so führt der Weg die Protagonisten von Wolfram Lotz in Afghanistan durch Geschichte und Gegenwart von Kolonialismus und Krieg allüberall. Dabei geht es den den Hindukusch hinauf, der hier ein Fluss ist. Zwischen kolonialer Geschichte und aktuellen politischen Realitäten
    verschneidet Lotz Erfahrungen, Sprechweisen und politische wie wissenschaftliche Diskurse aus Vergangenheit und Gegenwart. Da können die Meinungen des Leiters eines Camps italienischer Blauhelmsoldaten zu fehlender Sauberkeit und sogenanntem zivilisiertem Verhalten der Eingeborenen wie heutige Klischees über Migranten und fremde Ethnien klingen:
    "Zuvor hatte es im Feldlager immer wieder Gerüchte gegeben, dass es sich bei einigen Eingeborenen um Tierfresser handeln könnte. (...) Hier in Kundus erzählt man die abstrusesten Geschichten über diese Leute. So hört man immer wieder das Gerücht, die Eingeborenen hätten ein Flussschwein umgebracht, (...) um es dann (...) in seine eigenen rausgerissenen Gedärme zu füllen. Dann habe man diese Schläuche angebrannt und verschlungen."
    In einer zwanzigminütigen Pause mit der Option an die Zuschauer, „wenn sie wollen", werden nicht nur Teile der Bretterwand zu Spänen verarbeitet und die Bühne wie zu einem wüsten Sägewerk verwandelt. Sondern es wird auch ein Text des Autors verlesen, in dem er von einem Hinweis seiner Mutter erzählt , dass in seinem Stück nur Männer aufträten. So spielen in Wien vier Schauspielerinnen alle Rollen.
    Mit Schnauzer, Sonnenbrille und Machoposen verkörpert Catrin Striebeck den Hauptfeldwebel, Frida-Lovisa Hamann gibt ihren nach Nähe und Sinn suchenden Untergebenen mit schöner Zurückhaltung, während Dorothee Hartinger mit großer Wandlungsfähigkeit zwischen Ernst und Ironie die verschiedensten Figuren verkörpert. Und Stefanie Reinsperger ist für das kräftige Bedeutungsspiel da.
    Lotz´ kluger Text, dessen Ironie durch die Ernsthaftigkeit gebändigt wird, mit der die nicht zu bewältigenden Probleme auch dargestellt werden, bescherten den Darstellerinnen, dem Regisseur und dem Autor zu Recht langen Jubel der Zuschauer. Dieses Stück wird seinen Weg über die Bühnen machen.