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Die Literatur des Maghreb

Verlegerin Donata Kinzelbach wurde Anfang dieses Jahres mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Es ehrt fast schon ein Lebenswerk, die nicht abreißende Bemühung, kulturelle Missverständnis über den Weg der Literatur abzubauen, darauf hinzuweisen, dass es zwischen Maghreb und Europa nicht nur Trennendes, sondern auch sehr viel Gemeinsames gibt.

Von Kersten Knipp |
    Warum eigentlich, fragte einmal der algerische Schriftsteller Rachid Boudjedra, geben sich die meisten Europäer mit so vordergründigen Bildern des Maghrebs zufrieden? Genügen ihnen die stets gleichen Bilder von Palmen, Kamelen und der Sahara? Oder wollen sie gar nichts anderes kennenlernen? Boudjedra nahm genau dieses an. Das Bild des Maghreb stamme größtenteils immer noch aus dem Kolonialismus. Und weil der so schöne Bilder produziere, hänge man ihm kulturell weiter an. Doch seit gut 20 Jahren kann man, wenn man will, in Deutschland auch andere Bilder zur Kenntnis nehmen. So lange führt die Verlegerin Donata Kinzelbach den nach ihr benannten Kinzelbach-Verlag, der viele der renommiertesten Autoren des Maghreb im Programm führt. Die Frage ist nur: Wie kommt man auf die Idee, sich mit maghrebinischer Literatur zu beschäftigen?

    "Also ich hatte einfach das Gefühl, das diese Autoren wirklich etwas zu sagen haben, dass sie etwas bewegt und diese Eigenschaft, dass diese Autoren vielfach Wanderer zwischen Welten sind, dass da verschiedene Kulturkreise und damit auch verschiedene Einflüsse mit eingeschmolzen werden, das, fand ich, bereichert die Literatur sehr. Also die Autoren lesen dann ja auch Literatur aus dem europäischen Raum oder aus dem amerikanischen, und das wird eben alles eingeflochten. Also zum Beispiel bei Boudjedra ist sehr oft Joyce, Faulkner oder Proust doch nachzulesen letztendlich als Anleihe, und das macht es sehr reich und sehr facettenreich."

    Avancierte Erzähltechniken und teilweise sehr ernste Stoffe - das sind vielleicht die beiden wichtigsten Kennzeichen der maghrebinischen Literatur. In Ländern, in denen es so viele politisch und religiös-kulturell bedingte Probleme gibt wie in Tunesien, Marokko und Algerien haben die Autoren reichlich Gelegenheit sich abzuarbeiten. Driss Chraibi, Mohammed Dibb, Abdelhak Serhane und der 1993 von algerischen Islamisten ermordete Tahar Djaout: Allesamt waren sie Dissidenten, gingen auf Distanz zu ihrem Land - teilweise im wörtlichen Sinn, nämlich durch das Exil. Skeptisch sind die Autoren darüber geworden, spielen mit den Traditionen und Ideologien, in deren Namen in ihren Ländern die Bürgerrechte so oft bedroht waren. Die Autoren schrieben gegen die vom Staat verantworteten Missstände an, sahen sich aber auch gezwungen, gegen die religiös oder pseudoreligiös motivierten Exzesse Stellung zu beziehen.

    "Also, bei den Intellektuellen ist natürlich die Gefahr des Fundamentalismus erkannt worden, sehr früh sogar, und dann auch in die Literatur eingegangen, also ganz extrem bei Boudjedra mit 'Fils de la Haine', 'Prinzip Hass' im Deutschen, wo er ganz offen darlegt die Machenschaften, wie die Fundamentalisten die Leute betrogen haben und wirklich also mit diesen kleinen Leuten auch gespielt wird. Also zum Beispiel dass während der Wahl mit Laserstrahlen Koranverse in den Himmel gemalt werden, also dass sich auch dann die Fundamentalisten dieser westlichen Technik, die sie sonst ja verpönen, bedienen, um die Leute gefügig zu machen. Und das kleine Volk guckt in den Himmel und sagt 'Allah hat uns gesagt, wir müssen FIS wählen'."

    Aus dem Werk vieler Autoren kann man vor allem eines lernen: Es gibt keinen unüberbrückbaren ideologischen Gegensatz zwischen Orient und Okzident, die Grenze zwischen republikanischem und religiösem Denken verläuft quer durch die Regionen. Zu leicht übersieht man in Europa, dass die überwiegende Mehrheit der Maghrebiner mit religiösem Fundamentalismus nichts im Sinn hat. Ihnen leihen die Autoren ihre Stimme. Und sie erklären, wie es, wie es bisweilen eben doch zu im Namen des Islam begangener Gewalt kommt. Wer auf Erden nicht froh wird, hofft eben auf den Himmel. Doch Heilsversprechen haben meistens eines doppelten Boden, eine abgründige Seite. Skepsis den von dem französischen Philosophen Jean-Francois sogenannten "Großen Erzählungen" gegenüber pflegen darum nahezu alle Autoren des Maghreb. Denn seit kolonialen Zeiten wissen sie, dass man gerade den hochherzigen Versprechen nicht trauen kann. Die Beschäftigung mit den Folgen des Kolonialismus, berichtet Donata Kinzelbach, ist auch heute noch ein zentrales, weil aktuelles Thema der maghrebinischen Literatur.

    "Und auch dieses Hin-und-Her-Switchen-Müssen, das ist natürlich ganz dramatisch, und dass das auch junge Menschen aus der Bahn wirft, die gar nicht wissen, wo sie hingehören oder schlimmer noch, im Norden Marokkos, die spanisch sozialisiert waren, kolonisiert waren, die haben gesagt, wir sind aufs Gymnasium gegangen, wir haben gedacht, wir wären Spanier. Uns hat überhaupt keiner gesagt, dass wir Marokkaner waren. Also das hat mir neulich jemand gesagt bei einer Lesung, und da war ich ganz berührt. Also er sagte, wir waren ja auch nicht dumm, aber wir haben gedacht, wir wären Spanier. Das wurde uns so gesagt, und da war ein alter Herr, der konnte noch sämtliche Berge und Flüsse runterleiern - aber natürlich die spanischen. Er sagte, wir wussten nichts von Marokko. Und das ist natürlich wirklich gelebter Kolonialismus in ganz fataler Ausprägung."

    Doch wie sich orientieren? Bedeutende maghrebinische Autoren schreiben auf Französisch - nicht zuletzt deswegen, weil der heimische Markt so ausgesprochen schlecht bestellt ist. Marokko und Tunesien mögen einen zumindest halbwegs funktionierenden Buchmarkt haben. Hier finden die Autoren ihr Publikum, wenn auch der Kreis der Leser eher beschränkt ist - zumal Bücher für die Verhältnisse beider Länder ausgesprochen teuer sind. Ganz anders aber sieht es in Algerien aus: Hier, berichtet Kinzelbach, fehlen nahezu alle Voraussetzungen für ein literarisches Leben.

    "Also in Algerien zum Beispiel ist der Literaturmarkt eigentlich daniederliegend. Es gibt so gut wie keine Buchhandlungen, und die paar, die es gibt, die haben ein paar Bücher darumstehen. Also, wie wir das kennen, dass man irgendwo hingeht und ein Buch bestellt, das gibt es nicht. Also man kauft, was da steht, oder nicht. Das wiederum ist auch die Lösung des Rätsels, weswegen die Buchmesse in Algier dann dermaßen besucht ist. Denn da kommen die Leute hin und decken sich für das ganze Jahr ein. Die kaufen also wirklich säckeweise, weil da gibt es jetzt einmal Bücher. Und da gilt es dann sich zu bevorraten; und es ist natürlich ganz schlimm, wenn man sich vorstellt, dass man in einem Land gar nicht das Buch bekommen kann, was man will. Das ist für uns unvorstellbar. Wir gehen irgendwo hin, und diese ganzen Barsortimenter, am nächsten Tag spätestens liegt das Buch in der Buchhandlung. Und das ist natürlich ein unendlicher Luxus, den gibt es da gar nicht. Das heißt, da wird die Literatur also dilettantischst vertrieben oder eben gar nicht vertrieben. Die existiert einfach und liegt irgendwo rum."

    Eben darum drängen die maghrebinischen Autoren auf den europäischen Markt. Und aus diesem Grund schreiben viele von ihnen auf Französisch - zum Schaden des Arabischen, an dem viele kreative Ströme vorbeifließen. Zwar haben sich in letzter einige prominente Autoren wie etwas Rachid Boudjedra dazu entschlossen, wieder auf Arabisch zu schreiben. Aber der europäische und darum natürlich auch der deutsche Markt spielt für viele Autoren eine große Rolle, berichtet Donata Kinzelbach.

    "Relativ wenig, umsatzzahlenmäßig. Im Kopf bedeutet er ganz, ganz viel. Sie wollen alle hier irgendwo verlegt sein, und sie sind ganz glücklich, wenn sie Deutschland einen Verleger haben. Und ich habe zum Beispiel mit meinen Autoren überhaupt nie Verträge, binde die überhaupt nicht an mein Haus, ich möchte, dass die mit jedem Buch neu entscheiden, wollen sie es zu mir bringen oder nicht. Und bisher ist noch nie jemand gegangen, und da denke ich, das mache ich doch richtig. Ich möchte keinen knebeln, also, wenn jemand denkt, ich mache meinen Job nicht gut, soll er gerne woanders hingehen."

    So bleibt der Kinzelbach Verlag weiterhin eine zentrale Bühnen für alle für den Maghreb relevanten literarischen, kulturellen und politischen Diskussionen. So wird diesen Sommer auch ein Band zur "Geschlechterordnung in Nordafrika" erscheinen. Und die nächste literarische Neuerscheinung wird "Gestrandet" von Youssouf Amine Elalamy sein, ein in mehreren Stimmen orchestriertes Buch über zwölf Flüchtlinge aus dem Maghreb, die bei der Überquerung des Mittelmeers den Tod fanden. Zwölf Stimmen, zwölf unglückliche Schicksale. Sie erinnern daran, dass der Maghreb längst nicht so romantisch ist, wie man es sich in Europa gerne vorstellt. Wo dafür aber eine Literatur entstanden ist, die es hier weitestgehend noch zu entdecken gilt.