Burkhard Müller-Ullrich: Jetzt horchen wir mal in die deutsch-polnische Grenzregion hinein, denn dort stellt der Künstler Michael Kurzwelly die Welt auf den Kopf – und das ist prima, denn der Kopf, das ist der Ort, wo die Welt ja hingehört. Herr Kurzwelly, es gibt den Ort Slubice auf der polnischen und Frankfurt/Oder auf der deutschen Seite. Zumindest glaubte ich bis jetzt, dass es diese beiden Orte gibt. Aber wir erreichen Sie jetzt in Slubfurt. Das kenne ich nicht. Wo ist das, bitte?
Michael Kurzwelly: Slubfurt liegt an der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze. Früher waren das die beiden Städte Frankfurt/Oder und Slubice. Die beiden Städte haben sich aufgelöst zu Gunsten von Slubfurt, einer Stadt, die zur Hälfte in Polen und Deutschland liegt.
Müller-Ullrich: Das ist aber eine Fantasie?
Kurzwelly: Nein! Die Realität entsteht natürlich als erstes im Kopf und landet dann so nach und nach in der Realität.
Müller-Ullrich: Und wie viel davon ist schon in der Realität gelandet und wie sieht die Realität aus?
Kurzwelly: Slubfurt wurde 1999 gegründet und dann 2000 in das Register der europäischen Städtenamen eingetragen und entwickelt sich seitdem ständig. Nachdem wir die Olympiade durchgeführt haben zwischen Slubfurt und Gubien, ist auch das Identitätsgefühl der Slubfurter stark gewachsen, und 2009 haben wir dann das Slubfurter Parlament gegründet, das in unregelmäßigen Abständen immer in den beiden Stadtteilen Slub und dann wieder im Stadtteil Furt tagt. 2010 wurde ich dann angerufen von Andrzej Wasowski aus Schtschechin, der sagte, wir möchten gerne, dass die gesamte deutsch-polnische Grenzregion zu so einem neuen Raum wird, und so entstand dann Nowa Amerika und Slubfurt ist heute die Hauptstadt von Nowa Amerika.
Müller-Ullrich: Jetzt ist Nowa Amerika auch schon wieder ein Name, der stutzig macht. Wie kommt es denn zu dem?
Kurzwelly: Ganz einfach! Wir benutzen ja ständig dieselben Strategien, wie sie in anderen nationalen Räumen genutzt werden. Ich habe vorhin von Olympiade gesprochen, die braucht man dazu, um Identität zu stiften. Sie wissen ja: Wenn jemand mit einer Fahne auf der Brust durch die Ziellinie läuft, dann freut sich eine ganze Nation. Deshalb haben wir diese Fußballteams, die Slubfurter; da gab es Integration sofort, als wir einen gemeinsamen Gegner hatten: die Gubiener. Mit diesen Methoden arbeiten wir und so auch mit Nowa Amerika. Nowa Amerika wurde ja auf einem konspirativen Treffen in Schtschechin gegründet und bezieht den Namen eigentlich aus einer Wirklichkeitskonstruktion, wie sie schon Friedrich der Große im 18. Jahrhundert angewendet hat. Im sogenannten Warthebruch gab es früher sehr große Sumpfgebiete und die hat er trockenlegen lassen und hat dort Landwirte angesiedelt, die eigentlich nach Amerika emigrieren wollten, und so haben sich dann dort Dörfer gebildet und diese Dörfer bekamen dann Namen wie Pennsylvania, Maryland, und diesen Landstrich nannte Friedrich der Große damals Neu Amerika. Wir kreieren hier einen neuen Raum, beiderseits unseres Rückgrats, der beiden Flüsse Oder und Neiße, und aus dem "wir und die anderen", also hier die Deutschen, dort die Polen, die dann vielleicht noch so was wie deutsch-polnische Freundschaft praktizieren, sind jetzt Nowa-Amerikaner geworden. Das heißt, es gibt bei uns Postpolen und Postdeutsche und ansonsten sind wir alle Nowa-Amerikaner, und deshalb sind wir wir und es gibt die anderen nicht mehr.
Müller-Ullrich: Ja, Sie sagen "wir". Aber wie finden das denn die Slubfurter, die selber noch gar nicht wissen, dass sie Slubfurter sind, sondern sich immer noch für Einwohner von Slubice und Frankfurt an der Oder halten?
Kurzwelly: Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Es gibt diejenigen, die das gut finden, es gibt diejenigen, die bereits Slubfurter geworden sind. Es sind ja immerhin knapp 400 Ausweise, die wir damals ausgestellt haben, von Slubfurt. Jetzt geben wir nur noch Nowa-Amerika-Personalausweise heraus. Das fängt natürlich gerade erst an, weil wir heute Abend auch die Nowa-Amerika-Passstelle eröffnen. Also die Reaktionen sind unterschiedlich.
Müller-Ullrich: Funktioniert das wirklich, dass Freundschaft an den Landesgrenzen entsteht? Es gibt ja auch gegenteilige Wahrnehmungen, nämlich die, dass da, wo die Völker einander wirklich so in Grenzsituationen begegnen, auch das Misstrauen fast noch größer ist als aus dem Landesinneren heraus.
Kurzwelly: Ja es gibt solche Wahrnehmungen. Es gibt auch Dinge, die dem entsprechen. Wir haben es ja hier in der deutsch-polnischen Grenzregion mit einer ganz besonderen Situation zu tun, da ja die Grenzen Polens von Osten nach Westen verschoben wurden und damit auch die Grenze Deutschlands verschoben wurde und für die Menschen praktisch die größte Völkerwanderung im 20. Jahrhundert stattfand, so dass es hier praktisch einen kompletten Bevölkerungsaustausch gegeben hat und Menschen sozusagen hier nebeneinander wohnten, die erstens mal vorher überhaupt noch nichts miteinander zu tun hatten, und zum anderen haben wir es hier mit Menschen zu tun, die sich schwierig tun überhaupt in der Begegnung, weil sie alle irgendwie Entwurzelte waren. Das entspannt sich natürlich sowieso mittlerweile. Wir sind sozusagen bürgergesellschaftlich aktiv. Das heißt, wir plädieren für so eine Art von grenzüberschreitender Bürgergesellschaft, in der wir gemeinsam diesen Raum gestalten, ohne überhaupt noch von Polen und Deutschen zu sprechen, weil das aus unserer Sicht anachronistisch ist.
Müller-Ullrich: Die Grenze ist weg, die nationalen Identitäten sind anachronistisch und die Einwohner von Slubfurt liegen einander in den Armen, und das alles dank Michael Kurzwelly, der uns darüber Auskunft gegeben und gestern im Collegium Polonicum von Slubfurt – formerly known as Frankfurt/Oder – die "Nowa Amerika Uniwersytät" eröffnet hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Kurzwelly: Slubfurt liegt an der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze. Früher waren das die beiden Städte Frankfurt/Oder und Slubice. Die beiden Städte haben sich aufgelöst zu Gunsten von Slubfurt, einer Stadt, die zur Hälfte in Polen und Deutschland liegt.
Müller-Ullrich: Das ist aber eine Fantasie?
Kurzwelly: Nein! Die Realität entsteht natürlich als erstes im Kopf und landet dann so nach und nach in der Realität.
Müller-Ullrich: Und wie viel davon ist schon in der Realität gelandet und wie sieht die Realität aus?
Kurzwelly: Slubfurt wurde 1999 gegründet und dann 2000 in das Register der europäischen Städtenamen eingetragen und entwickelt sich seitdem ständig. Nachdem wir die Olympiade durchgeführt haben zwischen Slubfurt und Gubien, ist auch das Identitätsgefühl der Slubfurter stark gewachsen, und 2009 haben wir dann das Slubfurter Parlament gegründet, das in unregelmäßigen Abständen immer in den beiden Stadtteilen Slub und dann wieder im Stadtteil Furt tagt. 2010 wurde ich dann angerufen von Andrzej Wasowski aus Schtschechin, der sagte, wir möchten gerne, dass die gesamte deutsch-polnische Grenzregion zu so einem neuen Raum wird, und so entstand dann Nowa Amerika und Slubfurt ist heute die Hauptstadt von Nowa Amerika.
Müller-Ullrich: Jetzt ist Nowa Amerika auch schon wieder ein Name, der stutzig macht. Wie kommt es denn zu dem?
Kurzwelly: Ganz einfach! Wir benutzen ja ständig dieselben Strategien, wie sie in anderen nationalen Räumen genutzt werden. Ich habe vorhin von Olympiade gesprochen, die braucht man dazu, um Identität zu stiften. Sie wissen ja: Wenn jemand mit einer Fahne auf der Brust durch die Ziellinie läuft, dann freut sich eine ganze Nation. Deshalb haben wir diese Fußballteams, die Slubfurter; da gab es Integration sofort, als wir einen gemeinsamen Gegner hatten: die Gubiener. Mit diesen Methoden arbeiten wir und so auch mit Nowa Amerika. Nowa Amerika wurde ja auf einem konspirativen Treffen in Schtschechin gegründet und bezieht den Namen eigentlich aus einer Wirklichkeitskonstruktion, wie sie schon Friedrich der Große im 18. Jahrhundert angewendet hat. Im sogenannten Warthebruch gab es früher sehr große Sumpfgebiete und die hat er trockenlegen lassen und hat dort Landwirte angesiedelt, die eigentlich nach Amerika emigrieren wollten, und so haben sich dann dort Dörfer gebildet und diese Dörfer bekamen dann Namen wie Pennsylvania, Maryland, und diesen Landstrich nannte Friedrich der Große damals Neu Amerika. Wir kreieren hier einen neuen Raum, beiderseits unseres Rückgrats, der beiden Flüsse Oder und Neiße, und aus dem "wir und die anderen", also hier die Deutschen, dort die Polen, die dann vielleicht noch so was wie deutsch-polnische Freundschaft praktizieren, sind jetzt Nowa-Amerikaner geworden. Das heißt, es gibt bei uns Postpolen und Postdeutsche und ansonsten sind wir alle Nowa-Amerikaner, und deshalb sind wir wir und es gibt die anderen nicht mehr.
Müller-Ullrich: Ja, Sie sagen "wir". Aber wie finden das denn die Slubfurter, die selber noch gar nicht wissen, dass sie Slubfurter sind, sondern sich immer noch für Einwohner von Slubice und Frankfurt an der Oder halten?
Kurzwelly: Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Es gibt diejenigen, die das gut finden, es gibt diejenigen, die bereits Slubfurter geworden sind. Es sind ja immerhin knapp 400 Ausweise, die wir damals ausgestellt haben, von Slubfurt. Jetzt geben wir nur noch Nowa-Amerika-Personalausweise heraus. Das fängt natürlich gerade erst an, weil wir heute Abend auch die Nowa-Amerika-Passstelle eröffnen. Also die Reaktionen sind unterschiedlich.
Müller-Ullrich: Funktioniert das wirklich, dass Freundschaft an den Landesgrenzen entsteht? Es gibt ja auch gegenteilige Wahrnehmungen, nämlich die, dass da, wo die Völker einander wirklich so in Grenzsituationen begegnen, auch das Misstrauen fast noch größer ist als aus dem Landesinneren heraus.
Kurzwelly: Ja es gibt solche Wahrnehmungen. Es gibt auch Dinge, die dem entsprechen. Wir haben es ja hier in der deutsch-polnischen Grenzregion mit einer ganz besonderen Situation zu tun, da ja die Grenzen Polens von Osten nach Westen verschoben wurden und damit auch die Grenze Deutschlands verschoben wurde und für die Menschen praktisch die größte Völkerwanderung im 20. Jahrhundert stattfand, so dass es hier praktisch einen kompletten Bevölkerungsaustausch gegeben hat und Menschen sozusagen hier nebeneinander wohnten, die erstens mal vorher überhaupt noch nichts miteinander zu tun hatten, und zum anderen haben wir es hier mit Menschen zu tun, die sich schwierig tun überhaupt in der Begegnung, weil sie alle irgendwie Entwurzelte waren. Das entspannt sich natürlich sowieso mittlerweile. Wir sind sozusagen bürgergesellschaftlich aktiv. Das heißt, wir plädieren für so eine Art von grenzüberschreitender Bürgergesellschaft, in der wir gemeinsam diesen Raum gestalten, ohne überhaupt noch von Polen und Deutschen zu sprechen, weil das aus unserer Sicht anachronistisch ist.
Müller-Ullrich: Die Grenze ist weg, die nationalen Identitäten sind anachronistisch und die Einwohner von Slubfurt liegen einander in den Armen, und das alles dank Michael Kurzwelly, der uns darüber Auskunft gegeben und gestern im Collegium Polonicum von Slubfurt – formerly known as Frankfurt/Oder – die "Nowa Amerika Uniwersytät" eröffnet hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.