In Zeiten, in denen ein Dioxin-Skandal erneut Schlagzeilen macht, erlangt Karen Duves Buch "Anständig essen" eine ungeahnte Brisanz. Wir sind die Endverbraucher, wie man so schön sagt. Das letzte Glied in einer Nahrungskette, die von wirtschaftlichen Interessen gelenkt wird. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt, Moral habe im Wirtschaftssystem so viel zu suchen wie Doping im Sport. Das bedeutet: wir können nicht erwarten, dass ein Wirtschaftssystem und auch eine Lebensmittelindustrie, die wirtschaftliche Interessen verfolgt, Moral selbst hervor bringt. Wir selbst sind dazu aufgefordert, Ethos und Anstand im System zu verankern und uns achtsamer als Konsumenten zu verhalten.
Karen Duve macht es uns vor im Selbstversuch. Am Anfang steht die schnöde Lust auf eine Hähnchen-Grillpfanne für 2,99 Euro. "Qualfleisch" raunt ihre vegetarische Mitbewohnerin: "du weißt doch ganz genau, wie diese Hühner gehalten werden." Und da Karen Duve beschlossen hat, ein besserer Mensch zu werden, macht sie sich Gedanken. Sie lässt die Hähnchen-Grillpfanne eine Hähnchen-Grillpfanne sein und startet einen Selbstversuch. "Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist", lautet ihre Devise. Jeweils zwei Monate lang testet sie konsequent Ernährungsformen: bio, vegetarisch, vegan, streng vegan und frutarisch. Mit allem was dazu gehört: sie verzichtet auf lieb gewonnene Gelüste und trügerische Gewohnheiten, riskiert heiße Debatten im Familien- und Freundeskreis, krümmt keiner Pflanze mehr ein Haar in ihrem zunehmend verwildernden Garten, entsorgt Lederjacke, Schuhe und Daunendecken und gerät auf eine Reise ohne Wiederkehr:
Von all den bestürzenden Entdeckungen, die man im Laufe seines Lebens so macht - die Eltern sind doch nicht perfekt, Liebe ist vergänglich und ich werde wahrscheinlich nie in einem offenen Sportwagen durch Paris fahren und meine langen Haare im Wind wehen lassen -, war dies die schlimmste: dass sich hinter der hellen, freundlichen Welt der Supermärkte und Apotheken eine mitleidlose, düstere Fabrik des Leidens verbirgt, eine Hölle, in der die Tiere die gequälten Seelen sind und die Menschen die Teufel, die sie foltern. Es ist, als hätte ich diese Wahrheitspille aus dem Film "Matrix" geschluckt. 'Hier sind zwei Pillen, entscheide dich. Nimmst du die blaue, dann bleibt alles, wie es ist; du glaubst, was du glauben willst, brauchst nicht zur Kenntnis nehmen, welche Folgen dein Konsumverhalten für andere Menschen und Tiere hat, und niemand wird dir deswegen Vorwürfe machen. Nimmst du die rote, dann erfährst du, wie es wirklich ist. Alles, was ich dir anbiete, ist die Wahrheit, nicht mehr. Ich sage nicht, dass es für dich leicht wird, nur, dass es die Wahrheit ist. Und wenn du dich einmal dafür entschieden hast, gibt es kein Zurück.' Ich begreife auf einmal sehr gut, warum die meisten Menschen sich für die blaue Pille entscheiden.
Karen Duve hat sich für die rote Pille entschieden. Tagsüber probiert sie, wie Tofugerichte wirklich schmecken, und kümmert sich um Esel, Pferd, Katzen, Hund und Hühner auf ihrem Hof in Brandenburg. Nachts rettet sie Huhn Rudi aus der Massentierhaltung. Sie unterbricht ihren Erfahrungsbericht mit immer wieder neuen Meldungen von Naturkatastrophen und Zahlen und Fakten aus der Massentierhaltung. Auch ist es ihr ein Anliegen, waschechte Veganer und Frutarier zu treffen. Besonders skurril ist ihr Besuch beim Kirchentag "Mensch und Tier" mit Vortragsthemen wie "Wäre Gott auf die Jagd gegangen? - Der Jäger im Fokus von Tierschutz und Kirche". Sie gerät mitten hinein ins Auge des Orkans: der ethischen Frage nach dem Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. Der unverrückbaren Tatsache, dass wir - als selbst ernannte Krone der Schöpfung - unseren eigenen Lebensraum ohne Ehrfurcht ausbeuten und zerstören. Und damit den Ast ansägen, auf dem wir selber sitzen. Homo sapiens hat den gesamten Planeten Erde in Besitz genommen und vermehrt sich unaufhörlich. Warum wir Menschen als "intelligente Tiere" andere Tiere quälen und vernichten, versucht Karen Duve zu erklären. Nur betreibt sie - ob im Stil des Buches gewollt oder ungewollt - vereinfachende Küchenphilosophie:
Einer der Grundpfeiler des menschlichen Überlegenheitsgefühls ist der Stolz auf unsere Intelligenz. Zugegeben, kein Tier außer uns kann zum Mond fliegen, die Golden Gate Bridge bauen oder Sachertorte backen, aber leider kann ich persönlich das auch alles nicht und hoffe trotzdem sehr, dass mir deswegen nicht die Menschenrechte abgesprochen werden. Neugeborene, Menschen mit starken Behinderungen und Leute wie ich fließen also nicht immer mit in die Betrachtung der eigenen Gruppe ein, wenn von den erstaunlichen Leistungen des Homo sapiens die Rede ist. Wir haben die Erde unseren Bedürfnissen unterworfen, Häuser gebaut, Autos gebaut, Straßen für unsere Autos und Klimaanlagen für unsere Häuser, den Boden gedüngt und Pflanzen genetisch verändert. Gefährliche Tiere haben wir weitestgehend ausgerottet oder hinter Gittern gesteckt und einen Haufen ungefährlicherer Tiere gleich dazu. Den nützlichen Tieren haben wir die Hörner ausgebrannt, damit sie für unsere grausamen Ställe taugen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und wer das Bedürfnis verspürt und es bezahlen kann, lässt eine Heizung in seiner Garagenauffahrt versenken und muss nie wieder Schnee schippen.
"Moral" ist das Zauberwort, das durch die Sätze Karen Duves blitzt. Und unser moralisches Verhalten ist im Umgang mit Tieren heute so komplex wie nie zuvor. Wir verdinglichen das Tier zum reinen Produktionsmittel - rund 98 Prozent der in Deutschland zum Verzehr gehaltenen Tiere stammen aus Massentierhaltung - und schreiben ins Bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik, Tiere nicht als "Sachen" zu werten. Wir verhätscheln das eigene Kaninchen als Kinderspaß und verspeisen genüsslich das Kaninchen aus der Metzgerei. Wir subventionieren eine barbarische Tötungsmaschinerie und appellieren an die Vernunft des Verbrauchers, ausschließlich Qualitätsprodukte aus gesunder Landwirtschaft zu kaufen.
Was ist los mit der Spezies "Mensch"? Es scheint so: Je stärker wir versuchen, unseren zivilisatorischen Problemen mit den Spielregeln menschlicher Intelligenz auf den Grund zu gehen, umso unergründlicher werden sie. Und umso deutlicher stoßen wir auf Grenzen. Grenzen unseres Moralempfindens. Unseres Verantwortungsgefühls. Unseres Bewusstseins. Wir leben nicht in einer Welt für alle Lebewesen. Wir leben in unserer Welt. Ein Begriff wie "Menschenwürde" nützt keinem vorm Aussterben bedrohten Nebelparder. Wovon hängt der Wert eines Lebewesens ab? Davon, wie komplex seine Empfindungen und sein Verhalten sind? Dann würde, so die Erkenntnis der Neurobiologie, ein Baby auf ungefähr der gleichen Stufe wie ein Schäferhund stehen. Vielleicht ist es also doch viel ehrlicher zu sagen: Wir können nicht genau wissen, wie Tiere empfinden. Aber wir sind in der Lage, Tiere zu schützen.
Der US-Amerikaner Jonathan Safran Foer schafft es, in seinem Buch "Tiere essen" die wundersame Ambivalenz unserer menschlichen Moral zu entlarven. In dem Kapitel "Worte / Bedeutungen" fächert er einen Katalog aus Begriffen auf wie "Anthropozentrismus" oder "Umweltschutz", findet originäre Erläuterungen, und lässt scheinbare Gegensätze wie "Masthähnchen" und "menschlich" kommentarlos aufeinander prallen. Seine Reflexionen sprengen eingefleischte Kategorien. Er fordert - mit der Substanz einer durchlebten Erfahrung vom Fleischesser zum Vegetarier - zum Nachdenken heraus.
Karen Duve setzt - voll und ganz - auf die Authentizität ihres Selbstversuchs, bis man sich fragt, ob man wirklich wissen möchte, dass die Autorin jetzt zu- oder abgenommen hat und sie die gekochten Erbsen mit Kokosnussmilch und Pfeffer neuerdings dreimal täglich isst. Schluss mit literarischen Selbstversuchen, möchte man ausrufen. Egal, ob ein halbes Jahr ohne Internet oder ein Jahr lang ohne Fleisch: wozu eigentlich die Bemühung von Autoren, sich vor dem lesenden Publikum als Versuchskaninchen zu präsentieren? Und woher die Lust, ihnen dabei über die Schulter zu schauen? Wohlmöglich weil unsere Intelligenz nun mal Grenzen hat und kein kategorischer Imperativ, sondern nur noch Empathie weiter hilft - eine Moral des Herzens.
Karen Duve hat sich für uns mit Mut und Humor ins Ernährungslabor begeben. Begonnen hat sie mit einer Hähnchen-Grillpfanne. Geendet ist sie mit 5 guten Vorsätzen: kein Fleisch mehr aus Massentierhaltung; höchstens nur noch 10 Prozent von dem, was sie früher an Fisch, Fleisch und Milchprodukten konsumiert hat, essen; keine Lederprodukte mehr und keine Produkte, in die Daunen verarbeitet worden sind, kaufen; insgesamt weniger konsumieren, gebrauchte Sachen bevorzugen und sich 2011 jeden Tag von mindestens einem Gegenstand aus ihrem Besitz befreien. Hoffentlich, so denkt man zum Schluss, finden all diese Gegenstände neue, glückliche Besitzer - schließlich hat das Jahr 365 Tage.
Hörbuch: Karen Duve liest. Anständig essen. Ein Selbstversuch. 4 CDs. 19,95 Euro. roofmusic/tacheles
Karen Duve macht es uns vor im Selbstversuch. Am Anfang steht die schnöde Lust auf eine Hähnchen-Grillpfanne für 2,99 Euro. "Qualfleisch" raunt ihre vegetarische Mitbewohnerin: "du weißt doch ganz genau, wie diese Hühner gehalten werden." Und da Karen Duve beschlossen hat, ein besserer Mensch zu werden, macht sie sich Gedanken. Sie lässt die Hähnchen-Grillpfanne eine Hähnchen-Grillpfanne sein und startet einen Selbstversuch. "Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist", lautet ihre Devise. Jeweils zwei Monate lang testet sie konsequent Ernährungsformen: bio, vegetarisch, vegan, streng vegan und frutarisch. Mit allem was dazu gehört: sie verzichtet auf lieb gewonnene Gelüste und trügerische Gewohnheiten, riskiert heiße Debatten im Familien- und Freundeskreis, krümmt keiner Pflanze mehr ein Haar in ihrem zunehmend verwildernden Garten, entsorgt Lederjacke, Schuhe und Daunendecken und gerät auf eine Reise ohne Wiederkehr:
Von all den bestürzenden Entdeckungen, die man im Laufe seines Lebens so macht - die Eltern sind doch nicht perfekt, Liebe ist vergänglich und ich werde wahrscheinlich nie in einem offenen Sportwagen durch Paris fahren und meine langen Haare im Wind wehen lassen -, war dies die schlimmste: dass sich hinter der hellen, freundlichen Welt der Supermärkte und Apotheken eine mitleidlose, düstere Fabrik des Leidens verbirgt, eine Hölle, in der die Tiere die gequälten Seelen sind und die Menschen die Teufel, die sie foltern. Es ist, als hätte ich diese Wahrheitspille aus dem Film "Matrix" geschluckt. 'Hier sind zwei Pillen, entscheide dich. Nimmst du die blaue, dann bleibt alles, wie es ist; du glaubst, was du glauben willst, brauchst nicht zur Kenntnis nehmen, welche Folgen dein Konsumverhalten für andere Menschen und Tiere hat, und niemand wird dir deswegen Vorwürfe machen. Nimmst du die rote, dann erfährst du, wie es wirklich ist. Alles, was ich dir anbiete, ist die Wahrheit, nicht mehr. Ich sage nicht, dass es für dich leicht wird, nur, dass es die Wahrheit ist. Und wenn du dich einmal dafür entschieden hast, gibt es kein Zurück.' Ich begreife auf einmal sehr gut, warum die meisten Menschen sich für die blaue Pille entscheiden.
Karen Duve hat sich für die rote Pille entschieden. Tagsüber probiert sie, wie Tofugerichte wirklich schmecken, und kümmert sich um Esel, Pferd, Katzen, Hund und Hühner auf ihrem Hof in Brandenburg. Nachts rettet sie Huhn Rudi aus der Massentierhaltung. Sie unterbricht ihren Erfahrungsbericht mit immer wieder neuen Meldungen von Naturkatastrophen und Zahlen und Fakten aus der Massentierhaltung. Auch ist es ihr ein Anliegen, waschechte Veganer und Frutarier zu treffen. Besonders skurril ist ihr Besuch beim Kirchentag "Mensch und Tier" mit Vortragsthemen wie "Wäre Gott auf die Jagd gegangen? - Der Jäger im Fokus von Tierschutz und Kirche". Sie gerät mitten hinein ins Auge des Orkans: der ethischen Frage nach dem Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. Der unverrückbaren Tatsache, dass wir - als selbst ernannte Krone der Schöpfung - unseren eigenen Lebensraum ohne Ehrfurcht ausbeuten und zerstören. Und damit den Ast ansägen, auf dem wir selber sitzen. Homo sapiens hat den gesamten Planeten Erde in Besitz genommen und vermehrt sich unaufhörlich. Warum wir Menschen als "intelligente Tiere" andere Tiere quälen und vernichten, versucht Karen Duve zu erklären. Nur betreibt sie - ob im Stil des Buches gewollt oder ungewollt - vereinfachende Küchenphilosophie:
Einer der Grundpfeiler des menschlichen Überlegenheitsgefühls ist der Stolz auf unsere Intelligenz. Zugegeben, kein Tier außer uns kann zum Mond fliegen, die Golden Gate Bridge bauen oder Sachertorte backen, aber leider kann ich persönlich das auch alles nicht und hoffe trotzdem sehr, dass mir deswegen nicht die Menschenrechte abgesprochen werden. Neugeborene, Menschen mit starken Behinderungen und Leute wie ich fließen also nicht immer mit in die Betrachtung der eigenen Gruppe ein, wenn von den erstaunlichen Leistungen des Homo sapiens die Rede ist. Wir haben die Erde unseren Bedürfnissen unterworfen, Häuser gebaut, Autos gebaut, Straßen für unsere Autos und Klimaanlagen für unsere Häuser, den Boden gedüngt und Pflanzen genetisch verändert. Gefährliche Tiere haben wir weitestgehend ausgerottet oder hinter Gittern gesteckt und einen Haufen ungefährlicherer Tiere gleich dazu. Den nützlichen Tieren haben wir die Hörner ausgebrannt, damit sie für unsere grausamen Ställe taugen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und wer das Bedürfnis verspürt und es bezahlen kann, lässt eine Heizung in seiner Garagenauffahrt versenken und muss nie wieder Schnee schippen.
"Moral" ist das Zauberwort, das durch die Sätze Karen Duves blitzt. Und unser moralisches Verhalten ist im Umgang mit Tieren heute so komplex wie nie zuvor. Wir verdinglichen das Tier zum reinen Produktionsmittel - rund 98 Prozent der in Deutschland zum Verzehr gehaltenen Tiere stammen aus Massentierhaltung - und schreiben ins Bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik, Tiere nicht als "Sachen" zu werten. Wir verhätscheln das eigene Kaninchen als Kinderspaß und verspeisen genüsslich das Kaninchen aus der Metzgerei. Wir subventionieren eine barbarische Tötungsmaschinerie und appellieren an die Vernunft des Verbrauchers, ausschließlich Qualitätsprodukte aus gesunder Landwirtschaft zu kaufen.
Was ist los mit der Spezies "Mensch"? Es scheint so: Je stärker wir versuchen, unseren zivilisatorischen Problemen mit den Spielregeln menschlicher Intelligenz auf den Grund zu gehen, umso unergründlicher werden sie. Und umso deutlicher stoßen wir auf Grenzen. Grenzen unseres Moralempfindens. Unseres Verantwortungsgefühls. Unseres Bewusstseins. Wir leben nicht in einer Welt für alle Lebewesen. Wir leben in unserer Welt. Ein Begriff wie "Menschenwürde" nützt keinem vorm Aussterben bedrohten Nebelparder. Wovon hängt der Wert eines Lebewesens ab? Davon, wie komplex seine Empfindungen und sein Verhalten sind? Dann würde, so die Erkenntnis der Neurobiologie, ein Baby auf ungefähr der gleichen Stufe wie ein Schäferhund stehen. Vielleicht ist es also doch viel ehrlicher zu sagen: Wir können nicht genau wissen, wie Tiere empfinden. Aber wir sind in der Lage, Tiere zu schützen.
Der US-Amerikaner Jonathan Safran Foer schafft es, in seinem Buch "Tiere essen" die wundersame Ambivalenz unserer menschlichen Moral zu entlarven. In dem Kapitel "Worte / Bedeutungen" fächert er einen Katalog aus Begriffen auf wie "Anthropozentrismus" oder "Umweltschutz", findet originäre Erläuterungen, und lässt scheinbare Gegensätze wie "Masthähnchen" und "menschlich" kommentarlos aufeinander prallen. Seine Reflexionen sprengen eingefleischte Kategorien. Er fordert - mit der Substanz einer durchlebten Erfahrung vom Fleischesser zum Vegetarier - zum Nachdenken heraus.
Karen Duve setzt - voll und ganz - auf die Authentizität ihres Selbstversuchs, bis man sich fragt, ob man wirklich wissen möchte, dass die Autorin jetzt zu- oder abgenommen hat und sie die gekochten Erbsen mit Kokosnussmilch und Pfeffer neuerdings dreimal täglich isst. Schluss mit literarischen Selbstversuchen, möchte man ausrufen. Egal, ob ein halbes Jahr ohne Internet oder ein Jahr lang ohne Fleisch: wozu eigentlich die Bemühung von Autoren, sich vor dem lesenden Publikum als Versuchskaninchen zu präsentieren? Und woher die Lust, ihnen dabei über die Schulter zu schauen? Wohlmöglich weil unsere Intelligenz nun mal Grenzen hat und kein kategorischer Imperativ, sondern nur noch Empathie weiter hilft - eine Moral des Herzens.
Karen Duve hat sich für uns mit Mut und Humor ins Ernährungslabor begeben. Begonnen hat sie mit einer Hähnchen-Grillpfanne. Geendet ist sie mit 5 guten Vorsätzen: kein Fleisch mehr aus Massentierhaltung; höchstens nur noch 10 Prozent von dem, was sie früher an Fisch, Fleisch und Milchprodukten konsumiert hat, essen; keine Lederprodukte mehr und keine Produkte, in die Daunen verarbeitet worden sind, kaufen; insgesamt weniger konsumieren, gebrauchte Sachen bevorzugen und sich 2011 jeden Tag von mindestens einem Gegenstand aus ihrem Besitz befreien. Hoffentlich, so denkt man zum Schluss, finden all diese Gegenstände neue, glückliche Besitzer - schließlich hat das Jahr 365 Tage.
Hörbuch: Karen Duve liest. Anständig essen. Ein Selbstversuch. 4 CDs. 19,95 Euro. roofmusic/tacheles