Daniel Heinrich: Ein Sachbearbeiter soll schuld sein, soll die Verantwortung dafür tragen, dass vor zwei Tagen ein Papier aus dem Innenministerium an die Öffentlichkeit gedrungen ist, das seitdem in Berlin und Ankara für Wirbel sorgt. Die Türkei sei "eine zentrale Aktionsplattform für Islamisten im Nahen Osten", heißt es dort. Das Außenministerium am Werderschen Markt hat sich inzwischen von dem Papier distanziert. In Ankara in der Türkei ist man sauer, und Thomas de Maizière ist in Erklärungsnot.
Am Telefon ist Jan Techau, Direktor des Carnegie Center Europa. Herr Techau, was ist eigentlich eine zentrale Aktionsplattform für Islamisten?
Jan Techau: Ja, das ist ein butterweicher Begriff. Keiner weiß so genau, was damit genau gemeint ist. Ist das sozusagen ein Rückzugsgebiet, ist das ein Ort, von dem aus operiert wird, ist das ein Ort, an dem das Geld verwaltet wird. Das ist nicht klar definiert. Das wissen die Autoren des Geheimdienstberichtes alleine, was damit genau gemeint ist, aber was natürlich klar ist, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, ist, dass die Türkei mittlerweile eine zentrale Rolle spielt, nach Aktensicht der Geheimdienste hier, für die Organisation islamistischer Tätigkeiten. Es wird ja sehr spezifisch das Wort Terrorismus vermieden, aber dass die Türkei aufgrund der ideologischen Nähe der Regierung in Ankara zu diesen Kreisen da zu so einer Art Meeting Point mindestens und Austauschplattform geworden ist, das, glaube ich, kann man durchaus so feststellen.
Heinrich: Wie sieht das genau aus?
"Die Baustelle Nummer Eins für die Türkei ist nicht der Islamische Staat"
Techau: Also das ist im Einzelfall sehr, sehr schwierig für Außenstehende zu beurteilen, was die Aktivitäten dort genau umfasst. Am Ende sind es die Geheimdienste und die Sicherheitsbehörden, die das alleine wissen, und wenig von dem kommt wirklich sozusagen konkret an uns heran, an Außenstehende, die wir ja letztlich auch sind. Was da genau passiert ist, ist schwer zu sagen, aber was auf jeden Fall festgestellt werden kann, ist, dass die türkische Regierung im Verhältnis gerade zum Islamischen Staat eine ganze Zeit lang, was die Grenzkontrolle zu Syrien angeht, sehr, sehr lax mit der Situation umgegangen ist und da mal ein und auch mal zwei Augen zugedrückt hat, wenn es da um die Schmuggeltätigkeiten des IS geht oder wenn es darum ging, dass auch der Rekrutierungsnachwuchs über die Grenze nach Syrien hinein dann fließen konnte. Wenn man das zugrunde legt, dann kann man sich vorstellen, dass durchaus da vor Ort auch Sympathisanten zusammenkommen, dass sich dort Leute treffen, zumindest im Grenzgebiet, wenn nicht sogar auch in anderen Städten, um sich zu treffen, um miteinander zu konferieren, um in einem Rückzugsgebiet, in dem nicht Krieg herrscht, in dem sie nicht von Sicherheitskräften intensiv verfolgt werden, sich zu treffen und dort sozusagen miteinander dann auch in einen Austausch zu treten.
Heinrich: Inzwischen ist die Türkei Teil der Anti-IS-Koalition – übertreibt man es hierzulande nicht ein bisschen nicht mit der Kritik?
Techau: Na ja, die Türkei hat sich zwar formal dieser Koalition angeschlossen, ist aber eigentlich immer durch vornehme Zurückhaltung aufgefallen in dieser Koalition. So richtig mit Entschlossenheit hat es eigentlich den Kampf gegen den IS nicht vorangetrieben. Die Baustelle Nummer Eins für die Türkei ist nicht der Islamische Staat, sondern ist die PKK und ist zusätzlich jetzt, nach dem Putschversuch und nach der sehr, sehr angespannten politischen Situation im Lande, ist wirklich einfach die innere Stabilität des Landes, da bleibt wenig Kraft, wenig Konzentration, wenig Ressource übrig, um da wirklich richtig kräftig einzusteigen, zumal ja gerade der Sicherheitsapparat im Moment durch die Bereinigungsaktion von Präsident Erdogan auch in seinem Mark wirklich erschüttert ist. Da systematisch zu operieren und sich mit Entschlossenheit an so einer Koalition zu beteiligen, ist sehr, sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.
Heinrich: Sie sprechen die PKK schon an. Die Türkei selbst wird auch immer wieder von Anschlägen erschüttert. Da gibt es die PKK, da gibt es, im Verdacht zumindest, den sogenannten Islamischen Staat, und da gibt es auch linksextreme Terrorgruppen. Machen wir da nicht das Opfer zum Täter?
"Die Türkei leidet seit langer Zeit unter Terrorismus"
Techau: Also wer Opfer und wer Täter ist, ist in der Region ja immer eine sehr, sehr schwierige Situation. Es ist ganz sicher, dass die Türkei unter Terrorismus seit langer Zeit zu leiden hat. Die PKK hat an dieser Front gekämpft. Dann hat es eine Annäherung gegeben, Präsident Erdogan hat diese Annäherung sogar selbst explizit vorangetrieben. Dann ist alles zusammengefallen, und jetzt ist die Situation wieder so wie es ist. Die Türkei ist sicherlich zunächst mal Opfer dieses Terrorismus, was die PKK angeht, aber man muss natürlich auch feststellen, dass die Türkei selber nicht gerade mit Samthandschuhen mit den von ihr identifizierten Feinden umgeht, vor allen Dingen den inneren Feinden, und da verschwinden die Grenzen dann schon. Was im Osten der Türkei sich beispielsweise abspielt in dem sogenannten Kampf gegen die PKK, das ist etwas, worüber sehr wenig nur berichtet wird, was aber ganz furchtbare Dimensionen angenommen hat und was auch in keinem Verhältnis zur Gefahr steht. Deswegen also hier verschwimmende Grenzen, würde ich sagen.
Heinrich: Herr Techau, lassen Sie uns noch mal einen Blick auf dieses Papier werfen. Ein großer Punkt Kritik wurde geäußert an der türkischen Nähe zur Hamas. Jetzt hat die Türkei gerade wieder ihre Verbindungen zu Israel verbessert. Warum dann die ganze Aufregung?
Techau: Weil natürlich vermutet wird, dass die ideologische Nähe, die besteht zwischen Präsident Erdogan und seiner Partei und den ideologischen Vordenkern der führenden Kaste in der Türkei, wenn man so will, zu diesen Bewegungen, dass das nicht nur sozusagen freundschaftlich duldende Beziehungen sind, sondern dass da vielleicht möglicherweise mehr dahintersteckt. Man hat dafür nie so richtig wirklich handfeste Beweise gefunden. In den Geheimdienstkreisen wird mit diesen Informationen schon länger umgegangen, aber eine richtig belastbare Nagelprobe hat es bisher nicht gegeben. Es gab im vergangenen Jahr, nachdem die Türkei das russische Flugzeug abgeschossen hatte, ihre Militärmaschine, ja einen Brief, den Putin an Präsident Obama, wo die türkischen, die russischen Geheimdienstinformationen an die Amerikaner weitergegeben wurden, wo damals die Russen versucht haben, die Türkei da in ein sehr, sehr negatives Licht zu rücken. Niemand weiß genau, ob diese Informationen belastbar sind oder ob das im Wesentlichen eine Propagandaaktion der Russen war in diesem Fall, aber es besteht insofern seit langer Zeit der Verdacht, dass das islamistische Programm, das Präsident Erdogan in seinem Land fährt, sozusagen nicht nur Halt macht an den Grenzen der Türkei, sondern darüber hinaus eine Agenda hat, und dass dann eben Gruppierungen wie die Hamas und andere durchaus sympathisch und wohlwollend betrachtet werden, das ist natürlich etwas, was für den Westen, der diese Organisation als terroristische Gruppierung ansieht, auch zu recht natürlich, etwas, was diplomatisch eigentlich nicht gangbar ist.
Heinrich: Lassen wir es mal islamisch-konservativ nennen das Programm, das Präsident Erdogan da durchzieht. Jan Techau, der Direktor des Carnegie Centers Europa. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.