Archiv


Die Türkei gibt sich ein Asylgesetz

Eine Rekordzahl an Asylbewerbern vermeldet das UN-Flüchtlingshilfswerk in diesem Jahr aus der Türkei. Allerdings hat die Türkei weder Asylbehörde noch Asylgesetz – um Flüchtlingsfragen kümmert sich die Polizei. Das soll sich nun ändern.

Von Susanne Güsten |
    Istanbuler Nächte: Im Vergnügungsviertel Kumkapi wird jeden Abend so gefeiert – an weiß gedeckten Tischen unter freiem Himmel, bei frischem Fisch, viel Schnaps und Live-Musik. Kaum einer der feiernden Türken und Touristen hier kennt die andere Welt von Kumkapi nur ein paar Hundert Meter entfernt. In Kellerlöchern und überfüllten Betonbauten hausen hier Tausende Flüchtlinge aus aller Welt: aus Afghanistan, Iran und Irak, aus Sudan, Somalia und Kongo.

    Tausende Kilometer weit sind sie gekommen, doch nun geht es nicht mehr weiter. In Kumkapi stecken die Flüchtlinge in der Sackgasse. Vor ihnen liegt die Festung Europa, in die sie nicht hineinkommen, zurück können sie nicht. Und hier bleiben dürfen sie auch nicht, denn die Türkei gewährt ihnen grundsätzlich kein Asyl. Nur für Europäer gilt in der Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention. Das hat historische Gründe, erläutert der Asylrechtsprofessor Kemal Kirisci von der Bosporus-Universität:

    "Die sogenannte geografische Einschränkung ist ein Überbleibsel von 1951, als die Genfer Konvention unterzeichnet wurde. Die meisten anderen Staaten haben diese Einschränkungen seither aufgehoben, nur die Türkei nicht. Heute ist die Türkei das einzige ernstzunehmende Land der Welt, dass noch eine solche Einschränkung beibehält."

    Bisher wurde die Lücke vom UNHCR überbrückt, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das afrikanische und asiatische Flüchtlinge in der Türkei weiter vermittelt an Drittländer wie die USA und Australien. Doch angesichts der dramatisch steigenden Flüchtlingszahlen weiß auch die UN-Behörde nicht mehr weiter. Den 29.000 neu registrierten Asylbewerbern und 15.000 anerkannten Asylberechtigten stehen in diesem Jahr nur knapp 6.000 Plätze in Aufnahmeländern gegenüber. Schon jetzt warten Flüchtlinge in der Türkei durchschnittlich vier bis fünf Jahre, manchmal auch sieben oder acht Jahre. Zwar duldet die Türkei sie für die Dauer des Verfahrens, doch die Bedingungen sind hart, sagt Taner Kilic, Vorsitzender des türkischen Flüchtlingshilfsvereins Mülteci-Der:

    "Das Innenministerium weist den Asylbewerbern für die Dauer des Verfahrens eine türkische Provinzstadt zu. Da müssen sie sich dreimal die Woche bei der Ausländerpolizei melden. Aber keiner fragt, wie sie da hinkommen oder wo sie da unterkommen oder wie sie überleben sollen – das ist ihr Problem. Materielle Hilfen gibt es weder vom türkischen Staat noch vom UNHCR."

    Zur Schwarzarbeit gezwungen, geraten die Flüchtlinge leicht mit der Polizei aneinander, werden inhaftiert und abgeschoben, ohne dagegen Rechtsmittel einlegen zu können, wie der Europäische Menschenrechtsgerichtshof immer wieder kritisiert hat. Das soll sich nun ändern. Der Gesetzentwurf, der dem türkischen Parlament jetzt vorliegt, genügt den höchsten Ansprüchen, sagt Asylrechtsprofessor Kirisci:

    "Das Gesetz ist von der Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichts geprägt. Es wird allen Anforderungen des Gerichts gerecht, was etwa das Rückschiebungsverbot, Asylverfahren und Haftbedingungen angeht. Seine Autoren haben bewusst den Schwerpunkt auf die Menschenrechte gelegt statt auf den Sicherheitsgedanken."

    Auch Menschenrechtler wie Taner Kilic begrüßen das Gesetz, allerdings mit einem großen Vorbehalt:

    "Insgesamt ist es ein gutes Gesetz, bis auf ein Problem: Die sogenannte geografische Einschränkung wird damit nicht aufgehoben. Das bedeutet, dass Flüchtlinge weiterhin vom UNHCR in Drittländer ausgesiedelt werden müssen. Die entscheidende Reform, die Aufhebung der geografischen Einschränkung, die steht noch aus."

    Das könne sich die Türkei nicht leisten, argumentieren Befürworter des Gesetzes mit Verweis auf die Lage im benachbarten Griechenland, das den Ansturm von Flüchtlingen selbst als EU-Mitglied nicht bewältigen kann. Natürlich werde die Türkei die Einschränkung eines Tages aufheben müssen, um der Europäischen Union beitreten zu können, sagt Asylrechtsprofessor Kirisci:

    "Aber warum sollte die Türkei dieses Recht aufgeben, bevor sie die EU-Mitgliedschaft bekommt? Ich sehe das als politisches Unterpfand für die Verhandlungen mit der EU."