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Diesmal kappte die Stasi die Leitung nicht
Bohley-Biermann: Ein Stück Radiogeschichte

Es ist ein Stück Radiogeschichte- und im Rückblick ein kleines Wunder: zehn-einhalb Minuten lang tauschten sich am 24.Oktober 1989 Bärbel Bohley, prominente Dissidentin aus Ost-Berlin, und Wolf Biermann, ebenso prominenter Liedermacher und seit seiner Ausbürgerung durch die DDR 1976 in Hamburg zu Hause, live über die Wellen des Deutschlandfunks aus.

    Das Gespräch bezieht sich auf das Dokument der Woche - Bärbel Bohley lädt Wolf Biermann nach Ost-Berlin ein

    Diesmal kappte die Stasi die Leitung nicht
    Er habe fest damit gerechnet, dass die Stasi die Leitung nach Ost-Berlin kappen würde - wie so oft, erinnert sich Wolfgang Labuhn 25 Jahre später an seine größte Sorge während der außergewöhnlichen Schalte. Labuhn, lange Jahre prägende Stimme der aktuellen Informationssendungen im Deutschlandfunk und deren Leiter, hatte diese außergewöhnliche deutsch-deutsche Konferenz im Radio erst möglich gemacht.
    Geheimprojekt des Moderators
    Von einer kurzentschlossenen Visite bei der ihm gut bekannten Bärbel Bohley in Ostberlin hatte der DLF-Journalist im Herbst 1989 Bohleys Wunsch mitgenommen, einmal Wolf Biermann zu treffen – wenn schon nicht real, dann wenigstens übers Telefon. Das gelang am 24. Oktober, mit Hilfe der damaligen Bundespost. Nach unzähligen Anwählversuchen der Damen vom Amt kam die Konferenzschaltung zwischen Hamburg, Ostberlin und Köln zustande, gegen viertel vor acht Uhr morgens, zur besten Sendezeit. Eine riesige Überraschung übrigens nicht nur für die Hörer, sondern auch für die Hierarchen im Sender. Denn denen hatte Wolfgang Labuhn nichts von dem Projekt erzählt, weil er befürchtet hatte, dass die ihm sonst aus übertriebener Vorsicht die deutsch-deutsche Telefonzusammenführung untersagt hätten.
    Ein Stück Radiogeschichte
    Der Rest ist, wie gesagt, Radiogeschichte: Von der nüchternen Ankündigung des Moderators „Um 7 Uhr 43 möchten wir etwas Neues ausprobieren" über Wolf Biermanns emotionales Schwanken zwischen Hoffnung und Skepsis über die Veränderungschancen in der DDR bis zu Bärbel Bohleys ruhiger Zuversicht, dass sich die Dinge in der DDR sehr wohl ändern würden. Legendär der Schluss, als Moderator Labuhn ein Bibelzitat Biermanns nutzte, um den Sänger und die Dissidentin zu verabschieden- und der Liedermacher ihm ins Wort fiel: "Schade! Können wir nicht noch ein bisschen quasseln? Ohne Sender?" Dass daraus schließlich nichts wurde, lag nicht an Moderator Labuhn, sondern an westdeutschen Fleischhändlern. Aber das ist eine andere Geschichte.