Er sei immer offen für Vorschläge. Aber man stelle sich vor, jemand anderes hätte die Kritik zu Zeiten Gegor Gysis gemacht. Er wäre ziemlich sauer gewesen, sagte Bartsch im DLF. Vielleicht sei dies auch als Selbstkritik gemeint gewesen, wie DLF-Korrespondent Gerhard Schröder im Programm erklärt habe. Schließlich sei Gysi vor wenigen Monaten noch selbst Fraktionsvorsitzender gewesen.
Aus Niederlagen müsse man natürlich Schlussfolgerungen ziehen. Doch zugleich sollte man auch über Erfolge reden. So habe die Linke bei den Kommunalwahlen in Hessen zugelegt. Bartsch räumte ein, vor allem in Ostdeutschland gebe es Ängste. "Der Flüchtlingszuzug wird als Bedrohung im Verteilungskampf wahrgenommen." Der Politik werde nicht zugetraut, diese zu zerstreuen. Die AfD habe hier offensichtlich mit einer schlichten Antwort überzeugt: "Grenzen zu und eure Probleme sind gelöst." Anders als die AfD betreibe die Linke jedoch keinen Populismus, sondern eine verantwortungsvolle Politik.
Die Linke habe eine klare Entscheidung getroffen. "Wir sind gegen Obergrenzen." Das Grundrecht auf Asyl kenne keine solche Obergrenze. Geschlossene Grenzen lösten keine Probleme. Das, was sich derzeit an den EU-Außengrenzen und in der Türkei abspiele, sei "skandalös".
Bartsch betonte, man müsse endlich etwas gegen die Fluchtursachen tun, und nicht nur darüber reden. Die Position seiner Partei sei, dass die Menschen sich dort, wo sie geboren wurden, entwickeln können müssten. Deutschland trage hier eine Mitverantwortung, schließlich habe die Bundesrepublik Soldaten und Waffen in alle Welt exportiert.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Christoph Heinemann: Saft- und kraftlos - die beiden Leiden stehen im Raum, wenn sich Linke am Wochenende in Magdeburg zum Parteitag treffen. Die Diagnose stammt von Dr. Gregor Gysi, dem ehemaligen Chef der Linken-Bundestagsfraktion. Begründung: Die Linke vermittle auf Bundesebene den Eindruck, nicht in die Regierung zu wollen.
- Am Telefon ist wach Dietmar Bartsch, der Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Guten Morgen!
Dietmar Bartsch: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Ist Die Linke saft- und kraftlos?
Bartsch: Na ja, natürlich nicht. Aber wissen Sie, ich glaube, dass wir aus den Niederlagen, die beschrieben worden sind, natürlich Schlussfolgerungen ziehen müssen. Wir dürfen aber nun wirklich auch nicht die Lage irgendwo hinreden, wo sie nicht ist. Wir sind bundesweit in Umfragen stabil. Wir sollten auch über Erfolge reden. Eine Woche vor den Landtagswahlen haben wir zum Beispiel bei den Kommunalwahlen in Hessen flächendeckend zugelegt, in Kassel über zehn Prozent, in Marburg gar über 15. Ja, diese Niederlage gilt es, zu analysieren. Ja, es ist so: Es gibt Ängste in besonderer Weise im Osten. Es gibt Abstiegsängste. Der Flüchtlingszuzug wird als Bedrohung im Verteilungskampf wahrgenommen. Es ist in Sachsen-Anhalt die irre Situation gewesen, dass alle im Landtag vertretenen Parteien verloren haben. SPD und Grüne sind zusammen nicht so stark wie Die Linke. Ich werbe dafür: Ja, solide Analyse, nicht oberflächliches Gerede. Und dann Ärmel hochkrempeln, denn Die Linke hat immer eine Stärke gehabt, nach Niederlagen wieder aufzustehen. Und so gehen wir auch in den Parteitag.
Heinemann: Nervt Gysi?
Bartsch: Ach wissen Sie, Gregor Gysi hat so viele Verdienste um die Partei, dass er nicht nervt.
Heinemann: Das war aber jetzt sehr diplomatisch.
Bartsch: Ja, na sicherlich! Glauben Sie, dass ich was anderes sage?
Heinemann: Ja!
Bartsch: Ja? - Okay. - Gregor Gysi war ja vor wenigen Monaten noch Fraktionsvorsitzender und Herr Schröder hat eben zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass er dann das ja wohl als Selbstkritik gemeint hat. Ich bin immer dafür, wenn es Vorschläge gibt, aber vor einem Parteitag ... Ich stelle mir vor, jemand anders hätte das zu Zeiten Gregor Gysis gemacht. Er wäre ziemlich sauer gewesen. Und ich glaube, dass sich so was auch nicht wiederholen wird.
Heinemann: Dann noch mal mit Ja oder Nein. Nervt er Sie?
Bartsch: Nein!
Heinemann: Er nervt Sie nicht?
Bartsch: Nein.
Heinemann: Wieso ist selbst auf ehemaligem DDR-Gebiet - Sie haben es ja eben angesprochen - die Rechte erfolgreicher als die Linke?
Bartsch: Wir haben jetzt eine Wahl gehabt. Darauf möchte ich schon verweisen. Eine Wahl, wo die AfD stärker war als Die Linke. Sie war im Übrigen sogar stärker als Die Linke und die SPD zusammen. Das ist ein Riesenproblem. Das ist ein Riesenproblem. Ich habe einen Punkt genannt: Es sind Ängste. Der Politik wird nicht zugetraut, dass sie diese Ängste in irgendeiner Weise befriedigen kann. Und die AfD hat einfache, populistische Antworten gegeben. Das ist eine Partei, die gelenkt wird in besonderer Weise im Osten durch Rassisten, durch Chauvinisten und Nationalisten, vertritt eine neoliberale Politik und ist weder sozial, noch politisch. Aber die schlichte Antwort, Grenzen zu und eure Probleme sind gelöst, die hat offensichtlich überzeugt. Das ist Herausforderung für uns, nicht dort hinterherzulaufen.
Heinemann: Funktioniert Rechtspopulismus besser als Linkspopulismus?
Bartsch: Ich weiß nicht, wie Linkspopulismus funktioniert.
Heinemann: Fragen Sie Sahra Wagenknecht.
Bartsch: Ach wissen Sie, wir erringen gemeinsam Erfolge und wir stehen auch gemeinsam bei Niederlagen.
Heinemann: Das gilt für die AfD genauso.
Bartsch: Wenn wir eine populistische Partei wären, würden wir nicht einen Ministerpräsidenten in Thüringen stellen, Oberbürgermeister, Landräte in Verantwortung. Das hat nichts mit Populismus zu tun. Das wird uns gern von einigen angedichtet. Wir sind Oppositionsführerin im Bundestag, haben dort in Größenordnungen nicht nur Anträge, Untersuchungsausschüsse und Ähnliches vorangebracht, sind die aktivste Fraktion im Deutschen Bundestag. Das ist kein Populismus, sondern das ist verantwortungsvolle Politik.
Heinemann: Das heißt, Zuwanderung muss begrenzt werden, straffällige Asylsuchende verlieren ihr Gastrecht? Das hat ja Ihre Parteifreundin gesagt. Da stehen Sie zu?
Bartsch: Wir sind gegen Obergrenzen
Bartsch: Nein! Wir haben in unserer Fraktion ganz klare Entscheidungen getroffen. Wir sind gegen Obergrenzen. Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenzen. Wir als Linke haben auch im Bundestag Haltung bewiesen. Wir haben gegen alle Asylpakete gestimmt, im Übrigen im Bundestag wie im Bundesrat. Andere reden klug, stimmen dann aber im Bundesrat anders. Das ist bei uns nicht der Fall.
Heinemann: Aber worin unterscheidet sich denn, Entschuldigung bitte, Frau Wagenknechts Äußerung von Äußerungen der AfD?
Bartsch: Ich wiederhole das: Frau Wagenknecht hat den Beschluss genauso mitgetragen wie alle andere. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Koalition, die regiert, alles dafür getan hat, dass es jetzt diese Probleme gibt. Denn dass sie in dieser Form entstanden sind, hat A mit riesengroßen Fehlern in der Außenpolitik zu tun und hat vor allen Dingen damit zu tun, dass in Deutschland über Jahre in den Kommunen im Sozialstaat gekürzt worden ist, dass die Polizei ihre Aufgaben nicht wahrnehmen kann, dass nicht mal Registrierungen stattfinden, das Meldegesetz nicht mehr gilt. Das ist der Punkt. Und da sind wir dagegen und da haben wir im Übrigen nach einer zweifelsfrei nicht so ganz glücklichen Äußerung im Januar, die immer gern wieder zitiert wird, eine Auseinandersetzung in der Fraktion geführt. Und haben dort eine klare, ich wiederhole das, eine klare Haltung bewiesen. Diese Haltung, mit der können wir nur gewinnen, sowohl menschlich als auch moralisch. Und wir werden im Übrigen auch bei Wahlen schon im Herbst in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gewinnen.
Heinemann: Um 7:25 Uhr können wir schon mal festhalten: Gregor Gysi nervt nicht und Sahra Wagenknecht äußert sich gelegentlich etwas unglücklich. - Ihre Partei, Die Linke sagt, Sie sind gegen Obergrenzen, Sie erkennen offenbar an, dass das mit der Integration alles nicht so gut läuft. Wie passt denn das zusammen? Möchten Sie, dass 2016 wieder eine Million Migrantinnen und Migranten nach Deutschland kommen?
Bartsch: Wissen Sie, diese Frage steht doch nicht.
Heinemann: Natürlich steht sie im Raum.
Bartsch: Nein, sie steht nicht im Raum.
Heinemann: Deshalb hat die AfD gewonnen, unter anderem, genau weil die Frage im Raum steht.
Bartsch: Sie steht nicht im Raum. Und ich bin dafür, dass wir endlich nicht nur verbal über Fluchtursachen reden, sondern endlich etwas tun. Linke-Position ist nicht, kommt zu Millionen her, sondern Linke-Position ist, dass Menschen dort, wo sie geboren werden, sich entwickeln können. Wir haben leider mit Exporten von Soldaten und Waffen in alle Welt eine Mitverantwortung, im Übrigen auch mit einer Wirtschaftspolitik, die dafür sorgt, dass man dann in Jordanien Hähnchenschenkel aus Deutschland kaufen kann. Das ist genau der Punkt. Und wenn wir hier nicht angreifen, dann werden auch geschlossene Grenzen das Problem nicht lösen. Es ist doch skandalös, was aktuell an den Außengrenzen der EU läuft. Und das, was mit der Türkei und diesem furchtbaren Deal bei einem Despoten läuft, der Menschenrechte missachtet, der Frauenrechte missachtet, der Kurden tötet, das ist die falsche Politik. Unser Fokus muss auf der Großen Koalition und ihren Fehlentscheidungen liegen. Die Große Koalition hat den Boden bereitet für die AfD.
Heinemann: Sie würden alle Menschen, die kommen wollen, reinlassen?
Bartsch: Wissen Sie, diese Frage steht doch nicht.
Heinemann: Doch! Sie steht im Raum.
Bartsch: Menschen in Not kommen in unser Land
Bartsch: Ja, Menschen in Not kommen in unser Land. Und Sie würden dann die Menschen an der Grenze mit Waffengewalt zurückdrängen? Das will die AfD, das wollen wir ausdrücklich nicht. Deutschland ist geprägt durch die christlich-jüdischen Werte und da gehört im Übrigen das dazu, was in der Bibel steht, dass der Fremde, der in Not hier herkommt, bei uns willkommen ist. Das wird Gott sei Dank so bleiben und die Mehrheit der Menschen sieht das so. Ich wiederhole, dass wir mit dieser Haltung moralisch, menschlich und politisch auch bei Wahlen erfolgreich sein werden.
Heinemann: Herr Bartsch, wieso wählen Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer die AfD und nicht Die Linke?
Bartsch: Ja, das ist ein Fakt, den wir zur Kenntnis nehmen müssen. Die AfD war bei Arbeitern und Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt stärkste Partei, auch in Baden-Württemberg. Das sind Ängste, das sind Abstiegsängste. Es ist so, dass der Flüchtlingszuzug noch mehr als Bedrohung wahrgenommen wird im Verteilungskampf um staatliche Mittel. Dieses Problem müssen wir zur Kenntnis nehmen und müssen deutlich machen, dass es dort andere Wege gibt. Es ist doch so, dass Hartz IV nicht wegen der Flüchtlinge gekommen ist. Die Suppenküchen in Deutschland gab es bereits davor. Ich will diejenigen sehen, die jetzt wirklich Einschränkungen durch die Flüchtlinge entgegennehmen müssen. Aber klar ist auch: Dort wo es wie in Köln oder an anderen Stellen Kriminalität gibt, da gilt das Gesetz für alle, und zwar unabhängig von Religion, Rasse und Geschlecht. Das ist völlig klar!
Heinemann: Eine Information an Michael Große-Brömer lautet: Dietmar Bartsch ist erstens wach, zweitens nicht saft- und kraftlos. Aber, Herr Bartsch, eine Frage noch zum Schluss: Verstehen Sie am Ende dieses Gesprächs etwas besser, warum Die Linke gegenwärtig bei Wahlen keinen Erfolg hat?
Bartsch: Wissen Sie, ich wiederhole das auch noch mal. Wir hatten eine Niederlage jetzt in Sachsen-Anhalt. Und ich bitte darum, dass wir nach den Wahlen in Berlin und Brandenburg wieder ein Gespräch führen. Dafür gibt es im Übrigen, für die Niederlage in Sachsen-Anhalt, auch diverse andere Gründe.
Heinemann: Es gab drei Landtagswahlen.
Bartsch: Bei den anderen haben wir ja - - Entschuldigung, wir waren nicht im Parlament, haben dort nicht verloren. Ja, das sind trotzdem Niederlagen. Das sind Niederlagen, aber auch die landespolitisch geprägt sind. Wir stehen bei Bundesumfragen stabil dar und ich sage Ihnen voraus, wenn wir im nächsten Jahr Bundestagswahlen haben und wir uns messen lassen müssen, dann werden wir ein Ergebnis haben, was nicht nur solide ist.
Heinemann: Dietmar Bartsch, der Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bartsch: Ich danke auch! Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.