"Wir haben es im letzten Jahr immer gesagt: Dieser Wahlkampf wird anders. Und deswegen machen wir Dinge anders."
CDU-Generalsekretär Peter Tauber steht zufrieden neben Conrad Clemens, dem Bundesgeschäftsführer der Jungen Union, vor ihnen eine Traube Hauptstadtjournalisten im Konrad-Adenauer-Haus. Mit großer Geste wurde im Frühjahr die Wahlkampf-App der CDU vorgestellt.
"Spaß macht es, wenn sie an der Haustür klingeln, und jemand macht auf, und sagt, endlich kommt ihr mal, ich wollt euch sagen, ich wähle euch eh."
Negativ oder euphorisch, in der App kann die Reaktion der Wähler abgespeichert werden – pro Straße. Digital-Wahlkampfleiter Conrad Clemens deutet auf einen großen Bildschirm:
"Also man kommt einfach rein. Und dann ist diese Tür-zu-Tür-Erfassung, nicht straßennummerngenau, aber straßenzuggenau. Die erfasst so ein bisschen die Stimmung an der Tür. Ist es positiv, neutral, oder wird einem die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das ist dann eher negativ."
Den Wähler kennen und schnell reagieren
450.000 Gespräche hat die CDU mittlerweile in ihrer App dokumentiert. Ob eine Frau öffnet oder ein Mann, wie alt die Person ungefähr ist. Mit Smileys wird die Reaktion auf die CDU festgehalten. Die Parteien kartieren ganze Straßenzüge. Kenne deine Wähler! So lautet eine Grundregel des digitalen Wahlkampfs, erklärt Martin Fuchs. Der Politikberater verfolgt seit Monaten die Aktivitäten der Parteien im Netz. Rapid Response, schnelle Reaktion ist eine andere Grundregel.
"Und ein Teil dieser App, eine Funktion ist, dass die Wahlkämpfer Feedback geben können, was haben sie an den Türen erlebt? Was haben ihnen die Leute gesagt, welche Probleme wurden ihnen aufgetragen. Und damit schafft es die Partei bis an den untersten Wahlkämpfer ranzukommen und mitzukriegen, was die Leute auf der Straße interessiert. Und da kann die Partei relativ schnell reagieren."
Im Konrad-Adenauer-Haus ist man mit der App zufrieden. Die Christdemokraten sind damit nicht allein, sie reden nur am meisten darüber im Vergleich zu anderen Parteien.
Auch die SPD setzt – weniger von der Öffentlichkeit beachtet – eine App für den Haustürwahlkampf ein.
"Wir haben da eine Riesen-Statistik, wo alle Daten ausgewertet werden. Das hilft uns dann auch, dass wir erkennen können, wo sind Nichtwähler, wo sind unsere Schwerpunkte, wo setzen wir noch mal nach", erklärt der Wahlkampfhelfer von Karl Lauterbach nach einer Tour durch Leverkusen. Es wird also konstant beobachtet und eventuell nachjustiert. Der Direktkandidat Lauterbach kann seinen Wahlkreis so immer detaillierter einschätzen.
"Ich hab bis jetzt immer nur die Information gehabt auf der Ebene der Wahllokale. Und jetzt bekommen wir die gleiche Information von Straße zu Straße."
Alles über den Wähler wissen und schnell reagieren
Andere Parteien meiden diese Apps und arbeiten eher mit Potenzialanalysen, in denen sie ihre Wahl-Ergebnisse auf Basis der Wahllokale auswerten.
Doch die Grundfrage bleibt: Gibt es irgendwann auch in Deutschland den gläsernen Wähler? Denn die Parteien sammeln Daten, kartieren Straßenzüge nach Zustimmung oder Ablehnung.
"Damit spätere Wahlkämpfer – das wird dann in eine große Datenbank eingespeist, eben auch wissen, auf wen man hier trifft. Das ist datenschutzrechtlich durchaus auch umstritten, das wird geprüft von unterschiedlichen Datenschutzbehörden, Landesdatenschutzbehörden", gibt der Autor Ingo Dachwitz vom Blog Netzpolitik.org zu bedenken. Und verweist auf Datenschützer in Thüringen und Berlin, die prüfen, ob eine persönliche Identifikation nicht doch möglich ist. Was bedeuten die Datenbanken langfristig für das Verhältnis zwischen Politik und Wähler?
Netzpolitik.org: "Das ist eine krasse Informations-Asymmetrie"
Ingo Dachwitz und ich stehen vor dem Redaktionsbüro von Netzpolitik.org an einer belebten Kreuzung in Berlin-Mitte. Um uns herum sind Geschäfte, Büros, viele Wohnhäuser. Unsere Blicke wandern an den Fassaden hinauf. Ist es gut, wenn Parteien viel von den Wünschen und Sorgen der Wähler zurückgespiegelt bekommen? Oder ist die Ballung von Informationen besorgniserregend?
"Das ist einfach eine krasse Informations-Asymmetrie zwischen denjenigen, die überzeugt werden sollen und zwischen denen, die versuchen, zu überzeugen. Weil ich nicht davon ausgehe, wenn jemand bei mir an der Haustür klingelt, dass der weiß, wie ich politisch ticke."
Von Zuständen wie in den USA – da sind sich alle Experten einig – ist man in Deutschland noch weit entfernt. Den gläsernen Wähler gibt es so schnell nicht. Aber in diesem Jahr sind die Nachbarschaften wieder etwas transparenter geworden.