"Ich war Lagerarbeiter. Für ein Geschäft in Brasilien sortierte ich verschiedene Blusen, Hosen und Pullover. Ich arbeitete in der wichtigsten der 300 Filialen - im Internet. Lernte, eine "Camisa jeans manga longa" als eine langärmlige Jeans-Bluse einzuordnen, eine "Blusa assimetrica listrada" als eine etwas merkwürdig geschnittene Bluse und einen "Suéter manga longa" als Pullover. Für jedes Kleidungsstück, das ich einsortierte bekam ich einen Cent. Mies bezahlt, richtig mies bezahlt. Vielleicht sollte ich was anderes machen?
Aufstieg vom Lageristen zum Werbetexter. Ich preise jetzt schöne Möbel an. Für einen einseitigen Text zu einem Möbelstück bekomme ich immerhin 4,55 Euro. Noch immer nicht viel, aber mehr als fürs Hemden-Einsortieren. "Wussten Sie, dass Team7, ein Naturholzmöbelhersteller aus Österreich, Regale herstellt, die so elegant sind, dass ein Ikea-Regal daneben aussieht wie ein Schwede, der zu lange in der Sauna war?" Hm. Vielleicht sollte ich an meiner Werbetexter-Kunst noch arbeiten. Ist ja auch nicht so, dass ich das gelernt habe. Ganz schön anstrengend, und wenn man nicht geübt ist, auch nicht sonderlich lukrativ. Ich brauche fast eine Stunde, um eine Seite Text zu schreiben. Vielleicht sollte ich doch wieder etwas Leichteres machen?
So, jetzt bin ich Zensor. Für eine US-amerikanische Schulverwaltung entscheide ich, welche Bilder auf der Internetseite einer Schule gezeigt werden dürfen und welche nicht. Auf der Webseite sind eine Menge Beispiele abgebildet, die mir helfen sollen, mich zu orientieren. Schnell lerne ich etwas über Moralvorstellungen in den USA. Doch was erlaubt ist und was nicht, muss ich letztlich selbst entscheiden. Ein lustiger Cartoon? - Ist OK. Dame in Unterwäsche? - Geht hier in den USA gar nicht. Captain Picard aus dem Raumschiff Enterprise mit Sprechblase "What the fuck"? Auf einer Schulwebseite? - Wo kämen wir da hin. Weg damit. Zensiert."
Diese Beispiele zeigen den normalen Arbeitsalltag eines Crowdworkers. Also von jemandem, der einen großen Teil seiner Arbeitszeit im Internet verbringt. Und zwar nicht als Angestellter einer Firma in einem Büro, sondern als Selbstständiger, beispielsweise von zu Hause aus. Der Crowdworker ist ein Worker - ein Arbeiter - der im Netz vor allem ungelernte Arbeit verrichtet. Arbeit, für die es nur eine minimale Anleitung braucht. Also virtuelle Regale einräumen, einfache Texte schreiben, Bilder beurteilen und so weiter. Dabei arbeitet er nicht allein, sondern mit Tausenden anderen zusammen als Crowd. Crowd, das kann man mit Masse übersetzen. Die Masse zeichnet sich normalerweise dadurch aus, dass sich viele Menschen an einem Ort versammeln. Die Crowd, das sind auch viele Menschen, doch jeder einzelne davon sitzt irgendwo auf der Welt allein an seinem Computer. Er arbeitet zusammen mit vielen anderen, die er aber nicht sieht, nicht hört, nicht kennt - als Teil einer digitalen Masse. Solche Jobs hat der Autor genauso so schon selbst erledigt. Zu Hause von seinem Computer aus. Mal um 14 Uhr nachmittags, mal um drei Uhr morgens, mal im Schlafanzug, mal auf dem Sofa. Sie werden im Internet angeboten, zum Beispiel auf der deutschen Plattform Clickworker. Bei dem Job als Fotozensor an der amerikanischen Schule war der Arbeitgeber die zu Amazon gehörende Plattform Mechanical Turk.
Anmeldung zum Crowdworking sehr einfach möglich
Mechanical Turk: Der Name verrät viel über das Unternehmen. Er bezieht sich nicht, wie man gerade in Deutschland meinen könnte, auf Gastarbeiter türkischer Herkunft, sondern auf den ersten Computerbetrug der Geschichte. 1769 baute der österreichische Hofbeamte Wilhelm von Kempelen den ersten Schachcomputer der Welt. Auf einem großen Kasten war die Figur eines Türken mit Turban und Schnurrbart montiert. Die Figuren, die auf dem Schachbrett vor dem Türken aufgestellt waren, bewegten sich wie von Geisterhand. Auch nach Kempelens Tod blieb die Maschine in Europa und den USA noch ein riesiger Publikumserfolg. Nicht nur Edgar Allen Poes Versuch scheiterte, das Geheimnis des Schachautomaten zu lösen. Dabei war die Erklärung denkbar einfach: Die aufmontierte mechanische Figur des exotischen Türken und ein gut sichtbar angebrachtes Gewirr von Zahnrädern lenkten alle vom Inneren der Maschine ab. Dort saß der eigentliche Computer: Ein kleiner Mensch, der einfach sehr gut Schach spielen konnte und der den "Mechanischen Türken" steuerte.
Zurück zum Crowdworking: Wer solche Jobs machen möchte, kann sich ganz einfach bei einer Internetplattform mit Jobangeboten anmelden - fast genau so einfach wie bei Facebook, Google oder irgendeinem anderen Onlinedienst. Wer in den USA lebt und schon ein Konto bei Amazon hat, kann auch gleich mit seinen Amazon-Daten bei Mechanical Turk loslegen, ohne weitere Anmeldung. Im Angebot sind Tausende von sogenannten Micro- oder Minijobs, etwa der digitale Regale-Einräumer. Dieser bestückt Onlineshops für die ganze Welt. Statt Bekleidung in ein echtes Regal einzuräumen, sorgt er dafür, dass ein Foto einer Bluse oder eines Hemds in der richtigen Kategorie auf den Webseiten eines Onlineshops landet. International funktionierende Piktogramme helfen dem Clickworker, die richtige Kategorie für ein Kleidungsstück auszuwählen, anzuklicken und einzusortieren. So, dass ein Käufer, der nach karierten Hemden sucht, nicht nur karierte Blusen findet. Diese Arbeit kann jeder machen, zu jeder Zeit, von überall in der ganzen Welt, auch ohne eine Fremdsprache zu beherrschen.
Für die Onlineshops heißt das: Sie können sich ohne Aufwand ihr Personal zum Einräumen der digitalen Regale auf der ganzen Welt zusammensuchen. Das geht wesentlich schneller und ist vor allem wesentlich billiger, als Büros einzurichten und Mitarbeiter einzustellen, die das Warenangebot ordnen.
Beim Preis von einem Cent pro Artikel kostet die Onlineshops das Einsortierenlassen von 1.000 Artikeln 10 Euro. Im Selbsttest hat der Autor festgestellt: Seine Geschwindigkeit reichte, um in zehn Stunden 1.000 Artikel zu sortieren. Dafür erhielt er zehn Euro.
Viele Jobs auf den großen Crowdworking-Plattformen konzentrieren sich auf den Handel in den großen Online-Kaufhäusern dieser Welt. Zu den Kunden der in Deutschland ansässigen, aber weltweit arbeitenden Plattform Clickworker gehören nicht nur brasilianische Online-Bekleidungsshops, sondern fast jedes große Online-Kaufhaus dieser Welt. Die Verkaufstexte für Möbel etwa werden von einem bekannten deutschen Online-Kaufhaus nachgefragt. Ein kleiner Auftrag, eine Seite Text. Da der Anbieter sehr viele verschiedene Möbel im Sortiment hat, sind viele Texte gefragt. Als Ausgangsmaterial hat der Texter nur den Namen der Möbelmarke. Alles Weitere muss er zusammensuchen, das heißt, er schreibt nicht nur etwas ins Reine, er denkt sich die Beschreibung komplett neu aus.
Schlechte Bezahlung der Jobs
Mit 4,55 Euro pro Text wird dieser Job der Onlinewelt zwar deutlich besser bezahlt als der Kleidungssortierer-Job. Aber unterm Strich heißt das nach Erfahrungen des Autors: Mehr als fünf oder sechs Euro pro Stunde sind auch hier kaum drin.
Dieses Muster gilt für den gesamten Crowdworking Bereich: Man braucht nichts als einen Computer und einen Internetanschluss. Eine Ausbildung und besondere Fähigkeiten, um eine Arbeit in der Crowd erledigen zu können, sind nicht gefragt. Für die Unternehmen liegt der Vorteil der Beschäftigung von Crowdworkern darin, dass eine solche Arbeit als ungelernte Arbeit deutlich niedriger bezahlt werden kann und darf als gelernte. Und mehr noch: Für das Crowdworking werden die Anforderungen an den Arbeiter sogar weiterhin permanent reduziert.
Arbeit wird in viele kleine Häppchen zerlegt, sodass sie mit minimaler Anleitung vom Auftragnehmer für den Auftraggeber erledigt werden kann. Deskilling wird dieser Prozess genannt und benennt die Vereinfachung, die hinter dieser Arbeit steht. Da dieser Prozess nun zunehmend auch Dienstleistungen betrifft, ist er für die Arbeitswelt vergleichbar mit der Einführung des Fließbandes, als komplexe handwerkliche Tätigkeiten durch Prozesse der Zerlegung so vereinfacht wurden, dass sie auch von ungelernten Arbeitern erledigt werden konnten.
Die sogenannte Click-Arbeit, der Begriff kommt vom simplen Anklicken mit der Maus, ist eine Arbeit, die nicht besonders hoch angesehen ist.
Sogenannte Clickworker dürften sich nicht wundern, heißt es, wenn sie für ihre Arbeit mit Minimalanforderungen auch nur minimales Geld verdienen. Auch diese Abwertung erinnert an die Geschichte, denn ähnlich wurde einst auch über Arbeiterinnen und Arbeiter in Fabriken geurteilt.
Alexandru ist jung. Er wirkt ein wenig schüchtern, vielleicht ist er auch nur vorsichtig, weiß nicht genau, was er dem Reporter überhaupt erzählen darf. Stolz sitzt er mit frischgebügeltem Hemd im schicken klimatisierten Chrysler. Er fährt Taxi für Uber - sagt er. Uber würde wohl sagen: Er fährt für sich selbst. Und wenn man Uber nach der juristischen Grundlage für Alexandrus Job fragt, dann heißt es, Alexandru fahre für einen der Partner von Uber, bei dem er angestellt ist.
Alexandru sind solche Spitzfindigkeiten egal. Er weiß vor allem eins. Als junger Rumäne ohne Ausbildung mit rudimentären Deutschkenntnissen muss er in diesem Sommer nicht auf einer Baustelle Fliesen verlegen - für einen miserablen Lohn, dessen Auszahlung alles andere als gewiss ist. Stattdessen sitzt er in einer nagelneuen Limousine und fährt Menschen durch die Gegend. Auch hier verdient er nur den Mindestlohn, erzählt er. Trotzdem ist das für Alexandru ein Aufstieg. Er ist ein zufriedener Uber-Fahrer, wie viele seiner Kollegen. Wer Fahrer des Taxidienstes Uber befragt, wird das öfter hören. Manche sind sogar euphorisch, haben das Gefühl, endlich Teil zu sein - von einer Zukunft, die da gerade im Entstehen ist.
Über die mittlerweile weltbekannte App kann jeder bei dem amerikanischen Taxidienst Uber ein privates Auto mit Fahrer buchen, anstelle eines offiziellen Taxis. Der Uber-Fahrer, der in der Regel mit seinem eigenen Auto oder mit den Wagen eines Subunternehmens fährt, ist eine Art reduzierter Taxifahrer. Uber kann auf die Anschaffung und Wartung der Wagen, eine Rufzentrale und Disponenten verzichten, die gesamte Organisation übernimmt die App mit ihren Algorithmen. So kostet die Fahrt bei Uber weniger als bei einem regulären Taxi. Die Subunternehmer in Deutschland werden von Uber Partner genannt. Bei diesen sind die Fahrer angestellt. So soll verhindert werden, dass Sozialabgaben hintertrieben werden oder nicht korrekt versicherte Autos Taxidienste anbieten.
Anmeldung für Uber-Fahrer sehr einfach möglich
Ein Fahrer muss nur die App runterladen, sich anmelden, arbeiten. Tatsächlich ist die App von Uber ein fantastisches Stück Software, in Sachen Effizienz und Benutzerfreundlichkeit alten Taxizentralen und ihrer Dispo und Technik um ein Vielfaches überlegen.
Uber hat die Tätigkeit des Taxifahrens so vereinfacht, dass auch ein ungelernter Bauarbeiter von 24 Jahren, der kaum deutsch spricht, ein effizienter Taxifahrer sein kann. Er muss einen Führerschein besitzen, Auto fahren können und die Verkehrsregeln beherrschen, aber er muss weder einen Stadtplan lesen, noch Deutsch oder Englisch sprechen können. Die App sagt dem Fahrer, wo er den Fahrgast abholen, wo er ihn hinbringen muss, auf welchem Weg er ihn dort hinbringt und wie viel der Gast am Ende zu bezahlen hat. Theoretisch müssten Fahrer und Fahrgast kein einziges Wort miteinander sprechen. Und Uber muss sich nicht eine Sekunde Gedanken darüber machen, wo es seine Arbeiter hernimmt, denn praktisch stehen in Deutschland Millionen Menschen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Auf diese einfache Weise erhalten Menschen Arbeit, die vorher keine hatten.
Die Zukunft, die Uber repräsentiert, nennt sich Sharing-Economy. Ein Begriff, der in den Nuller-Jahren mit den unendlichen Möglichkeiten des Internets in den USA aufkam. Der sofortige Erfolg vieler Sharing-Economy-Ideen hat deutlich gezeigt, dass diese Art des Arbeitens in Zukunft sehr viel mehr Menschen betreffen wird, als nur ein paar Nerds, die nebenbei ein paar Jobs am Computer erledigen. Denn diese Art zu arbeiten, funktioniert fast überall.
Eigentlich beruhte die Idee der Sharing-Economy darauf, ein Gegenmodell zu bilden zu einer Ökonomie, die allein auf Eigentum des Einzelnen basiert. Zusammen fasste das der Slogan: "Unused Value is wasted value" - "Ungenutzte Werte sind verschwendete Werte". Dieser Grundgedanke steckt in den Unternehmen der Sharing-Economy. Die gemeinsame Nutzung von Gütern stand bei diesem Modell des Teilens im Vordergrund. Viele Waren und Güter werden von einem einzigen Eigentümer nicht effizient ausgelastet. Würden sich mehrere Personen diese Güter teilen, müsste es insgesamt weniger davon geben. Weniger Güter könnten auch die Reduzierung von Ressourcenverschwendung mit sich bringen. Der Besitz des Einzelnen sollte an Bedeutung verlieren.
Gig-Economy als digitales Tagelöhnertum
Auch die Geschäftsidee vom Taxidienst Uber ist immer noch die, mit PKWs von Privatpersonen andere Personen zu transportieren. Derselben Idee, der auch Carsharing-Anbieter oder AirBnB folgten, die Autos und Wohnraum auf Zeit auf der ganzen Welt zum Teilen anbieten. Über Crowdfunding-Plattformen sollte unproduktives privates Kapital freigesetzt werden, um spannende Projekte zu finanzieren und am Arbeitsmarkt zu etablieren.
Mit Teilen im Sinne eines nicht-kommerziellen Austauschs von Gütern hat dies nichts mehr zu tun. In vielen Bereichen ist die Sharing-Economy zur Gig-Economy degradiert - zu einer Art digitalem Tagelöhnertum, bei dem sich die Arbeiter von einem schlecht bezahlten Kleinstauftrag - kurz: Gig - zum nächsten durchhangeln. Soziale Absicherung, Kündigungsschutz oder andere rechtliche Sicherheiten gibt es nicht.
Ein beachtlicher Teil des Werts, der aus diesen neu erschlossenen privaten Ressourcen erwirtschaftet wird, fließt wie beispielsweise bei Uber an neue Konzerne ab. So müssen die Uber-Fahrer 20 bis 30 Prozent ihrer Einnahmen an das Unternehmen abführen, obwohl dieses ihnen nichts weiter zur Verfügung stellt als die Möglichkeit, sich als Fahrer bei der App anzumelden.
Statt mit der tendenziellen Auflösung von Besitzverhältnissen haben wir es nun mit der Auflösung von rechtlichen und regulatorischen Strukturen zu tun.
51 Milliarden Dollar ist das Taxi-Unternehmen Uber wert, so viel Risikokapital wurde mittlerweile von Banken und Investoren in das Unternehmen gesteckt. Ein großer Teil dieses Werts ergibt sich dabei nicht aus dem von Uber tatsächlich erwirtschafteten Gewinn, sondern aus den möglichen zukünftigen Gewinnen. Die sind offenbar nach Meinung vieler Investoren gewaltig. Uber, so glauben sie, wird den Personentransport auf der ganzen Welt revolutionieren. Den wichtigsten Hebel, um dieses Ziel zu erreichen, hat sich Uber vom Crowdworking abgeschaut: Stichwort Deskilling.
Der klassische Ansatz, Arbeit auch in prekäre Bereiche der Gesellschaft zu bringen, beruht auf dem Gebot von Bildung beziehungsweise Ausbildung: Sie machen den Zugang zu Arbeit und vielleicht auch besser bezahlter Arbeit möglich. Uber und andere Unternehmen der Sharing- und Gig-Economy gehen genau den umgekehrten Weg. Sie vereinfachen Arbeit so weit, dass eben keine Ausbildung mehr nötig ist. Do it yourself. So lange es genug ungelernte Arbeiter auf dem Markt gibt, ermöglicht das den Unternehmen, sie zu niedrigen bis sehr niedrigen Vergütungen zu beschäftigen. Auch so kann man Arbeit zu Menschen bringen, die bisher keine hatten. Aber es entwertet auch den Arbeitsvorgang selbst.
Hoher Durchsatz bei Uber
In den USA verdient ein großer Teil der Uber-Fahrer 200 bis 300 Dollar pro Woche, im Durchschnitt jedenfalls unter 500 Dollar. Wobei aus den wenigen bekannten Zahlen nicht hervorgeht, ob sie haupt- oder nebenberuflich für Uber fahren. Der Durchsatz ist hoch. Bei einer Studie von knapp 1.000 Fahrern in den USA gaben etwa 2/3 Drittel der Befragten an, seit sechs Monaten oder kürzer in der Branche zu arbeiten. Das gesamte System von Uber und auch das ähnlicher Sharing-Economy-Anbieter beruht also darauf, dass von unten genug ungelernte Arbeiter nachkommen, die diejenigen, deren Träume sich nicht erfüllt haben, ersetzen.
Damit wird ein weiteres Phänomen der neuen digitalen Arbeitswelt benannt: Sie verkauft sich als ein großer Traum. Die Arbeit in der Crowd oder Sharing-Economy verspricht, die bessere, schönere, erfüllendere Arbeit zu sein. Effizient verbreitet Uber das Bild einer wunderbaren post-angestellten Arbeitswelt, wie das Unternehmen auf der Webseite schreibt: "Es gibt kein Büro, keinen Chef und niemand sagt Ihnen, wann Sie auf die Straße müssen. Genießen Sie die Freiheit und Flexibilität, zu fahren und Geld zu verdienen, wann Sie wollen." Mit solchen Bildern wird ein Geschäftsmodell kaschiert, das alle rechtlichen, sozialen und finanziellen Verantwortungen, die mit dem Status des Arbeitgebers verbunden sind, ignoriert.
Kritik tangiert Uber aber nicht im Geringsten. Die geltenden Regeln für Arbeit werden von Uber und anderen Vertretern der Gig-Economy in bester neoliberaler Tradition nicht als Errungenschaften behandelt, sondern als alte Zöpfe angesehen, als Ketten, die die Arbeiter an ihrer freien Entfaltung hindern, um auf dem Markt billig und schnell agieren zu können.
Bei Amazon Mechanical Turk und Clickworker behauptet man immer noch, dass Privatpersonen unproduktive, also aus diesem Blickwinkel verschwendete Zeit dazu einsetzen können, um schnell, quasi nebenher, ein wenig zu arbeiten.
Im Kern lautet die moralische Rechtfertigung, die vom Uber-Gründer und CEO Travis Kalanick immer wieder vorgebracht wird: Gesetze und Regeln schützten nur die Mächtigen und Etablierten, in dem sie verhinderten, dass diese sich auf dem freien Markt bewähren müssen.
Disruption als Zauberwort im Silicon Valley
Disruption heißt das Zauberwort der Start-Ups im Silicon Valley. Das bedeutet in diesem Umfeld vor allem die Zerstörung etablierter Markt- und Regelmechanismen, um den vermeintlichen Urzustand eines freien Marktes wieder herzustellen. Wovon dann auch die Uber-Fahrer profitieren würden. Denn mit Erfolg wird derjenige belohnt, der fleißig genug arbeitet und dem niemand Vorschriften macht, wann und wie lange er arbeiten darf.
Vernetzung in der Sharing-Economy, so wie Uber sie betreibt, bedeutet vor allem das Einweben der Fahrer in ein dichtes Netz ökonomischer Zwänge, die ihnen als Notwendigkeiten des freien Marktes dargestellt werden. Das Ziel dabei ist einfach: Die Fahrer sollen möglichst viel für Uber unterwegs sein, am besten zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens.
Natürlich gibt es bei Uber keinen Vorgesetzten, der einem sagt, was man zu tun hat, natürlich gibt es keine Stechuhr, natürlich gibt es nicht die sozialen Zwänge eines klassischen Arbeitsumfelds. Und trotzdem weiß Uber über die dichte digitale Anbindung der Arbeitgeber per Klick in die nächste Datenbank, wie viel jeder Fahrer verdient hat, wo er sich aufgehalten, wie effektiv er gearbeitet und wie viel Geld er eingebracht hat.
Uber kann innerhalb seines Systems an 1.000 kleinen und großen Schrauben drehen, um seine Fahrer zu beeinflussen und in seinem Interesse zu steuern. Und Uber tut das - ständig. Der zentrale Leitgedanke ist dabei nicht einmal die möglichst effektive Nutzung des Systems im Sinne eines effizienten Nahverkehrs, sondern die Gewinnmaximierung. Die selbstverständliche Annahme von Uber, dass diese beiden Ziele identisch seien, lässt sich zumindest aus Sicht der Kunden und der Fahrer nicht bestätigen.
Auch auf den großen Crowdworking-Plattformen unterliegt man einer ständigen Bewertung. Für jede Tätigkeit - schreiben, recherchieren, ordnen - wird ein spezifischer Prozentwert vergeben. Fällt dieser Wert unter 75 Prozent, weil die Arbeit, die man geliefert hat, von der Plattform oder dem Auftraggeber schlecht bewertet wurde, werden einem in der Folge meist nur noch die äußerst schlecht bezahlten Jobs angeboten. Die muss man dann erledigen, denn nur wer arbeitet und sich neue, positive Bewertungen verdient, kann sein Ranking wieder steigern und so wieder an ansatzweise vernünftig bezahlte Jobs kommen. Wer einen bewertet und auf welcher Grundlage, erfährt man nicht. Widerspruchsmöglichkeiten gibt es praktisch nicht. Statt großer Freiheit herrscht die einfachste und rigideste aller Kontrollen: Sinkt deine Leistung unter 75 Prozent, bekommst du keine Arbeit mehr.
Simple Brutalität der Kontrollmechanismen
Die simple Brutalität von diesem Kontrollmechanismus ergibt sich aus der digitalen anonymisierten und parzellierten Struktur der Arbeitsprozesse. Wo Hunderttausende an hunderttausend Orten an hunderttausend verschiedenen kleinen Aufgaben arbeiten, gibt es schlicht nicht die Möglichkeit, sich mit einem einzelnen Arbeiter zu beschäftigen oder nuanciert auf Probleme einzugehen. Selbst wohlmeinende Crowdworking-Unternehmer, die auf eine vernünftige Entlohnung ihrer digitalen Arbeiter achten, sprechen von Mitarbeitern nur über die, die im Unternehmen sitzen, die die Crowd verwalten oder die Crowdworking-Webseite programmieren. Von den Crowdworkern selbst als Mitarbeitern ist keine Rede. Der Crowdworker ist für die meisten Arbeitgeber in diesem Bereich ein völlig abstraktes Wesen, eher eine Art Roboter oder Computer, mit dessen Wünschen und Zielen man sich nicht auseinandersetzen muss.
Webseiten, Apps, Programme und Algorithmen die bei Clickworker, Amazon Mechanical Turk, Uber, AirBnB zum Einsatz kommen, machen den Job, den früher Vorarbeiter oder das mittlere Management übernommen haben. Sie fungieren als Disponenten, verteilen die Aufträge an die Angestellten beziehungsweise Partner, und als Buchhalter, sorgen also auch für die korrekte Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Diese Funktionen lassen sich bestens automatisieren oder besser digitalisieren. Doch gerade diese Jobs waren im mittleren Management klassische Aufstiegsjobs, die aus einer relativ prekären Arbeitssituation in eine höher qualifizierte, besser bezahlte Arbeit führen konnten.
In der durchdigitalisierten Arbeitswelt gibt es diese Jobs kaum mehr. Stattdessen gibt es Programmierer, Datenanalysten - in wirklich allen erdenklichen Varianten -, Interfacedesigner und Marketingmitarbeiter. Und es gibt die Menschen, die für Uber Auto fahren, bei Clickworker Onlineshops bestücken oder auf AirBnB ihre Wohnung vermieten. Und diese Menschen brauchen die Sharing-Economy-Anbieter in ihrer Crowd.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ein Fahrer von Uber zum Programmierer aufsteigt oder ein digitaler Lagerist vom Clickworker zum Datenanalysten. Nicht, weil sie es nicht könnten, sondern weil Aufstieg und Karriere im System nicht vorgesehen sind. Langfristig würden solche Modelle den Anteil von Menschen, die niedrig qualifizierte Jobs erledigen, sogar senken.
Wer aber eine gute, am besten universitäre Ausbildung hat, kann die Arbeitswelt von morgen mitgestalten. Ein Programmierer oder Datenanalyst kann ein gesamtes Arbeitsökosystem ganz und gar nach seinen Vorstellungen formen, ohne sich diesem selbst unterwerfen zu müssen. Wer diese Möglichkeit nicht hat, der bleibt auch in der Sharing Economy das, was er schon immer war: Ein abhängig Beschäftigter, der den Mechanismen des Marktes, beziehungsweise denjenigen, die diese Mechanismen gestalten, ausgeliefert ist.
Seine Chancen, Profiteur des Systems und in der neuen Arbeitswelt gestaltend tätig zu werden, sind allerdings deutlich geringer geworden als in klassischen Wirtschaftszusammenhängen. So erweisen sich die Jobs bei großen Sharing-Plattformen fast immer als Dead-End-Job. Sie führen nicht zum erhofften eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung, sondern im allerbesten Fall zu einem leidlichen Auskommen, das unter sehr schwierigen Bedingungen erwirtschaftet werden muss.
Diese neue Arbeitswelt wird bleiben. Ohne Zweifel hat sie Vorteile, ist sie in bestimmten Punkten wesentlich effizienter als bisherige Arbeitsmodelle. Sie erleichtert den Zugang zu Arbeit enorm und sie verbindet Kunden und Dienstleister ohne Barrieren und Zeitverlust auf direkte Weise oft besser als es bisher der Fall ist.
Crowd soll möglichst effektiv im Sinne der Rendite sein
Das Gleiche gilt für die großen Crowdworking-Anbieter. Auch hier ist ein innovatives Arbeitsumfeld entstanden. Doch auch hier steht die Maximierung des Profits für die Betreiber der Seiten im Mittelpunkt. Statt Menschen einen vereinfachten Zugang zu Erwerbs- und Einkommensmöglichkeiten zu bieten, werden alle zur Verfügung stehenden Methoden des digitalen Umfelds für Kontrolle und Einflussnahme genutzt, um die Crowd möglichst effektiv im Sinne der Rendite einzusetzen.
Natürlich sind Wachstum und Rendite Ziele, die keinem Unternehmen zum Vorwurf gemacht werden können. Doch viel zu oft werden diese Ziele nur über einen einzigen Hebel erreicht: Billig muss es sein.
In Zukunft werden digitale Arbeitsmärkte ihre Stärken zeigen müssen: Vernetzung, Geschwindigkeit und Effizienz in den Vordergrund stellen und diese Stärken auch entsprechend entlohnen und eben nicht dazu nutzen, Preise zu drücken. In einer solchen Zukunft werden Algorithmen unsere Arbeiten stärker kontrollieren als menschliche Vorgesetzte. Genau deshalb gilt es, darauf zu achten, dass Algorithmen nicht der Ausbeutung, sondern einer effizienten und gerechten Arbeitswelt dienen.
Auch in dieser Arbeitswelt werden sich Kollegen nicht mehr jeden Tag im Büro treffen, sondern auf verschiedenen Kontinenten von zu Hause aus arbeiten. Mit den Mitteln moderner Kommunikationstechnik kann dafür gesorgt werden, dass sie trotzdem Kollegen sind - keine Konkurrenten oder namenlose Computer.
Dass nicht das niedrigere Lohnniveau in Indien gegen ein höheres Lohnniveau in den USA oder Europa ausgespielt wird, wie es auch Mechanical Turk Jahre lang betrieben hat. Es wird darauf ankommen, dass auch Ausbildung effizient und vereinfacht digital angeboten wird, damit Crowdworker digital geschult werden können, um auch komplexe Aufgaben zu erledigen.
Es darf keine Notwendigkeit geben, die Arbeit immer weiter zu deskillen, zu vereinfachen. Dann könnte es sein, dass die Digitalisierung Arbeit wohlverdientermaßen erleichtert und Zugang auch zu guter Arbeit verschafft.
Sebastian Strube ist freier Journalist in München, hat in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet vor allem zu digitalen Themen, Schwerpunkt Fragen des Strukturwandels und demokratische Partizipation. Auch als "crowdworker" hat er schon gearbeitet. 2015 gewann sein Feature zum "crowdworking" den Ernst-Schneider-Preis.