Fabian Elsäßer: Hologramme auf der Bühne, das ist keine wirre Programmierer-Fantasie, sondern längst Wirklichkeit: Der Rapper Tupac Shakur wurde schon digital zum Leben erweckt, die Hardrock-Legende Ronnie James Dio ebenso. Es geht aber auch umgekehrt: Hatsune Miku aus Japan hat es nie gegeben, die Sängerin ist eine reine Computeranimation. Ist das die Zukunft auch des Theaters? "Künstlerische Positionen zum digitalen Leben" verhandelt von heute an bis zum 6. März die Schaubude Berlin, eigentlich bekannt für Puppen- und Figurentheater. Zugeschaltet aus Berlin ist jetzt der künstlerische Leiter der Schaubude, guten Tag, Tim Sandweg!
Tim Sandweg: Hallo.
Elsäßer: Herr Sandweg, lassen Sie beim digitalen Theater-Festival Hologramme statt Puppen auf der Bühne tanzen?
Sandweg: Hologramme finden tatsächlich nicht statt, aber die Analogie ist schon gar nicht falsch. Hologramme sind in gewisser Weise ja auch Puppen und man könnte genauso sagen, Roboter sind irgendwie auch Puppen. Und Roboter gibt es tatsächlich auch bei uns auf der Bühne. Wir haben - um mal bei den Robotern zu bleiben - zum Beispiel eine Produktion, die heißt "Pinocchio 2.0". Pinocchio kennt man ja gemeinhin: Das ist diese Legende, diese Geschichte von Carlo Collodi, wo eine Holzfigur zum Leben erweckt wird, und das Berliner Theaterkollektiv Manufaktur hat diese Pinocchio-Figur mit einem Androiden besetzt. Und erzählt dann eben über diese Androidengeschichte die Geschichte, wie ist das eigentlich, wenn ein Roboter Empathie empfindet. Geht das überhaupt? Oder sagen wir Menschen: "nee, das wird nie stattfinden." Und gibt es vielleicht auch Roboter, die das ganz anders sehen?
Elsäßer: Können Sie da schon ein bisschen was verraten? Also das wird ja sicherlich geprobt worden sein.
Sandweg: Genau. Also die Produktion, die wir diesesmal zeigen, die gibt es alle schon. Es sind alles Ko-Produktionen unserer Programmreihe "Digital ist besser", die wir jetzt seit eineinhalb Jahren machen, und "Pinocchio" kam letztes Jahr raus. Ja, tatsächlich es ist der Kampf zwischen Kampfrobotern, die sich von den Menschen so ein bisschen matrixartig entfernen wollen, aber auch der Glaube des Erfinders - in dem Fall natürlich Gepetto - als der "Vater", der schon daran glaubt, dass so ein Roboter vielleicht auch Empathie empfinden kann.
Wie im Puppentheater
Elsäßer: Und kann er?
Sandweg: Das wird sehr unterschiedlich in den Produktionen und in den künstlerischen Positionen verhandelt. Letztlich geht es aber immer darum: Wo ist eigentlich der Standpunkt des Menschen und wie verbinden wir uns damit? Oder sind wir möglicherweise schon alles Androiden?
Elsäßer: Das hoffentlich noch nicht. "In Zukunft werden wir ein Theater der Dinge haben. Schauspieler werden mit Robotern und autonomen Gegenständen spielen." Dieses Zitat von Peter Weibel vom Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe stellen Sie dem Programm Ihres Festivals voran. Sie nehmen es also offenbar auch sehr ernst. Wir haben über Roboter eben schon gesprochen. Wie sieht es mit autonomen Gegenständen aus?
Sandweg: Naja, mit den autonomen Gegenständen ist es natürlich genauso wie im alltäglichen Leben: Dass es da mehr Fiktion oder mehr Narration gibt, als es da tatsächlich schon gibt. Ich glaube, dass dieses Theater der Dinge, dieses Figuren-Objekttheater eigentlich einen ganz guten Möglichkeitsraum darstellt, um das mal auszuprobieren. Weil letztendlich gibt es ja autonome Dinge noch nicht, sondern wir projizieren das alle da irgendwie rein. Und das ist der Wirkungsmechanismus, den wir auch im Puppentheater haben: Die Puppe ist nie lebendig, man manipuliert sie eben so, dass sie so aussieht. Und das war auch ein bisschen so unsere Ausgangsfrage: Was passiert denn da plötzlich gesellschaftlich, wenn wir plötzlich alle annehmen, gesellschaftlich uns darauf verständigen, dass die Dinge lebendig sind oder lebendig werden? Und vielleicht - wenn man so animistischen Theorien glauben darf - waren sie das vielleicht auch immer.
Elsäßer: Der Puppenspieler erweckt seit jeher Dinge zum Leben, der Schauspieler eine Rolle. Stellt das digitale Theater, oder das Roboter-Theater, nicht den Kern des Schauspielerheaters komplett in Frage – wir hatten ja schon das Stichwort Empathie?
Sandweg: Tatsächlich ist die Frage, wo findet dieser Mensch eigentlich noch statt. Und wenn ich sage der Mensch, kann man natürlich auch der Schauspielerkörper sagen. Im Puppentheater ist es ja traditionellerweise so, dass der Spielerkörper hinter die Puppe zurücktritt, im Schauspiel oder auch im Tanz oder in der Oper steht natürlich der menschliche Körper ganz anders im Zentrum. Und wenn wir diesem Zitat von Peter Weibel, was wir tatsächlich ernst nehmen, folgen, dann wird es wahrscheinlich eher um so eine Korrespondenz gehen. Wir haben eine Produktion, wo das vielleicht ganz plastisch dran ist, aus Stuttgart von Meinhardt und Krauss, die sich schon seit Jahrzehnten mit diesen ganzen Fragen beschäftigen. Da sind drei Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die genau diese Androidenfrage stellen: Wie ist denn das Verhältnis, wenn vielleicht der Roboterkopf viel attraktiver fürs Publikum ist? Kann ich mich mit diesen robotischen Applikationen verbinden oder ist das nur Konkurrenz? Wie findet so eine Kooperation statt - oder eben nicht statt?
"Bei einer Treppe scheitert der Roboter"
Elsäßer: Das ist die Frage: Ist es tatsächlich Kooperation oder ist es dann schon der Deus ex Machina, und es ist ein nicht mehr schlagbarer Konkurrent?
Sandweg: Das ist natürlich eine zukünftige Frage. So wie momentan die Robotik ist, oder wie wir sie von Deutschland wahrnehmen, können die Dinge meistens so eine Nischenintelligenz. Sie können sehr gut Schachspielen zum Beispiel. Aber bei einer Treppe scheitert der Roboter, beziehungsweise da gibt es jetzt auch welche, aber sie können immer einzelne Dinge. Und ich glaube, es ist auch völlig egal, ob irgendwann die künstliche Intelligenz kommt oder nicht, wenn wir die Dinge als künstlich wahrnehmen und so behandeln. Das sag ich jetzt natürlich mit diesem Puppentheaterblick, dann sind die für uns irgendwie auch für uns lebendig, was passiert dann, wenn diese Dinge plötzlich als lebendig wahrgenommen werden.
Elsäßer: Ist Digitalisierung des Theaters für Sie nur künstlerisch zu verstehen, oder sind nicht auch ganz profane Dinge davon betroffen. Kartenabreißer, Platzanweiser, Souffleure - das kann man ja im Grunde alles durch Technik ersetzen?
Sandweg: Vielleicht sind die Theater schon viel digitalisierter als wir das oftmals behaupten, weil letztlich ist die gesamte Bühnentechnik und alles, was hinter der Bühne stattfindet, schon digital. Als diese ganzen Fragen losgingen, ging es ganz viel um Kommunikationsstrategien. Jedes Theater nutzt mittlerweile Social Media, um da nur ein Beispiel zu nennen. Wir glauben halt, dass es wichtig ist, genau diese Dinge jetzt auf der Bühne zu verhandeln, weil das Theater letztendlich diese ganze Digitalisierung schon durchgemacht hat. Das ist ja Teil der Gesellschaft, das Theater und entsprechend ist es da auch verortet. Und die ganzen Künstlerinnen und Künstler sind ja auch Teil dieser digitalisierten Gesellschaft. Inwieweit das dann voranschreitet: Wir werden sehen.
Elsäßer: Sie glauben nicht, dass wir eines Tages den "Faust" komplett von Hologrammen oder von Robotern auf der Bühne dargestellt bekommen?
Sandweg: Ich könnte mir vorstellen, dass das passiert und man wird das sicherlich ausprobieren. Gerade bei diesen technischen Dingen ist man ja gerade in der Anfangsphase herauszufinden, ist das denn überhaupt interessant? Bei ganz vielen Dingen - Virtual Reality-Brillen sind gerade im Theater so ein Ding. Vielleicht sagt man in zehn Jahren, das hat man 2018 mal ausprobiert und hat festgestellt, das ist überhaupt nicht interessant für eine Narration. Ich glaube, man muss es ausprobieren und dann herausfinden, was ist denn davon eigentlich künstlerisch spannend und dann auch zugeben, vielleicht ist manches davon gar nicht so potent.
"Frage nach Computerspielen auf der Bühne recht virulent"
Elsäßer: Apropos ausprobieren: Das Deutsche Theater in Berlin hat vor gut zwei Jahren "Herr der Fliegen" von William Golding als Verbindung zwischen Theater und Computerspiel inszeniert, das Spiel "World of Minecraft" wurde auf einer Leinwand während der Aufführung gezeigt. Haben Sie's gesehen und hat Sie das überzeugt?
Sandweg: Ich hab es leider nicht gesehen, aber diese Frage nach Computerspielen auf der Bühne, ist ja auch gerade recht virulent. Es gibt an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im dortigen Studiengang "Zeitgenössische Puppenspielkunst", mittlerweile eine Professur für Puppenspiel, und die beschäftigen sich sehr viel mit dieser Frage von partizipativen Formaten und der dortige Professor Friedrich Kirschner sagt zum Beispiel, dass oftmals diese Strukturen, die Spiele haben, mit Theater gar nicht so koppelbar sind. Dass man vielleicht noch ganz andere partizipative Strategien entwickeln muss und dann wirklich auch in diesem Raum etwas anderes machen muss.
Elsäßer: "Wir sind die Zukunft - Künstlerische Positionen zum digitalen Leben" heißt ein Festival der Schaubude Berlin, das heute beginnt und bis zum 6. März zu sehen ist. Ich sprach mit dem künstlerischen Leiter, mit Tim Sandweg. Herzlichen Dank für dieses Corsogespräch.
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