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Digitalisierung in Deutschland
"Völlig verfehlte Breitbandstrategie"

Die Regulierungspolitik der Bundesregierung habe Subventionen so gestaltet, dass in "80 Prozent der Förderfälle die Deutsche Telekom begünstigt worden ist", sagte die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg im Dlf. Dadurch sei Deutschland digital auf dem vorletzten Platz in Europa gelandet.

Anke Domscheit-Berg im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Die Initiatorin des "Refugee Hackathon", Anke Domscheit-Berg, steht am 24.10.2015 in Berlin am Rande des Refugee Hakathon auf einer Wendeltreppe oberhalb der Teilnehmer. In Berlin treffen sich etwa 300 Programmierer, Designer, Flüchtlinge und Helfer um Apps für Flüchtlinge zu entwickeln. Hinter den Programmierern stehen 85 Unternehmer aus Berlin, die sich sozial engagieren wollen. Der Refugee Hackathon dauerte vom 23. - 25. Oktober.
    Breitband-Netzausbau: Deutschland liegt auf dem vorletzten Platz und wurde dafür von der EU mehrfach gerügt, sagt Anke Domscheit-Berg von der Linken. Bürger, Schulen, Behörden, Unternehmen sind die Leidtragenden. (dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Tobias Armbrüster: Digitalisierung, das ist natürlich ein großes Wort. Das hat auch an der einen oder anderen Stelle im zurückliegenden Bundestagswahlkampf eine Rolle gespielt. Aber worauf genau muss sich Deutschland da einstellen, wenn es um Digitalisierung geht? – Wir können das jetzt besprechen mit Anke Domscheit-Berg. Sie hat sich in den vergangenen Jahren als Publizistin und Netzaktivistin einen Namen gemacht, war unter anderem bei den Piraten aktiv und ist nun seit dem vergangenen Sonntag, seit der Wahl Mitglied im Deutschen Bundestag, und zwar in der Fraktion der Linkspartei. Schönen guten Tag, Frau Domscheit-Berg.
    Anke Domscheit-Berg: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    "Auf dem vorletzten Platz der digitalen Gesellschaft"
    Armbrüster: Wie viel Nachhilfe hat Deutschland denn eigentlich nötig in Sachen Digitalisierung?
    Domscheit-Berg: Leider sehr, sehr viel. Unserer Führungsrolle in Europa werden wir auf diesem Themenfeld leider so gar nicht gerecht. Das sieht man unter anderem daran, wenn man sich mal die Glasfaser-Infrastruktur anguckt, die faktisch die DNA für die digitalisierte Gesellschaft ist, und da sind wir auf dem vorletzten Platz. Da ist schon noch sehr viel zu tun, denn egal welche schönen Visionen man entwickelt, ob das Startup-Förderung ist, ob das eine bessere Bildung ist für die Zukunft, ob das E-Government ist, was ja schon angesprochen wurde, ohne eine schnelle Internetverbindung geht das alles nicht.
    "Pferdekutsche mit Elektropeitsche"
    Armbrüster: Warum hinken wir denn da so weit zurück? Haben Sie dafür eine Erklärung? Geht es uns möglicherweise so, wie wir zurzeit leben und wirtschaften, einfach zu gut?
    Domscheit-Berg: Ich glaube, das Hauptproblem ist eine völlig verfehlte Breitbandstrategie, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Da gibt es gewisse Interessenkonflikte, denn da hat die Bundesregierung, die bei der Deutschen Telekom ja größter Einzelaktionär ist, also was davon hat, wenn da Profite abfallen, die hat die Regulierung gemacht. Sie hat die Subventionsprogramme festgelegt und die hat sie so designt, dass am Ende immer herauskommt, oder in 80 Prozent der Förderfälle, dass die Deutsche Telekom begünstigt worden ist von Investitionsprojekten in Ländern und Kommunen. Das waren dann aber oft Projekte, die sogenanntes Vectoring waren. Das war keine Glasfaser, sondern das war so ein bisschen Pferdekutsche mit Elektropeitsche. Man hat versucht, aus den Kupferleitungen der Telekom noch das Letzte rauszuholen. Das ist nicht die Geschwindigkeit, die wir brauchen, und es ist die falsche Infrastruktur. Hier hat man einfach falsch gefördert.
    "Wir müssen fundamental die Investitionsstrategie ändern"
    Armbrüster: Und was sind die Folgen?
    Domscheit-Berg: Die Folgen sind der vorletzte Platz in Europa, dass wir an Innovationskraft als Land verlieren, dass wir weder Schulen, noch Behörden mit schnellem Internet ausstatten können, und von Unternehmen reden wir noch gar nicht. Aber es gibt einige Bundesländer, zum Beispiel Europa, die ja sehr bald eine verbindliche elektronische Gerichtsakte haben. Wenn da mal größere Dinge, größere Dateien versucht werden, sie hochzuladen, dann wird das alles nicht mehr funktionieren. Da haben wir sehr viel Zeit verpasst und wir müssen da fundamental die Investitionsstrategie ändern.
    Schweden: Zwei Drittel der Kommunen mit eigenem Glasfasernetz
    Armbrüster: Wie kann das denn geschehen?
    Domscheit-Berg: Da würde ich mir ja eine Rolle in Europa wünschen. Die Europäische Union hat uns für unsere Investitionsstrategie ja mehrfach gerügt. Sie hat auch schon hervorgehoben, dass es Länder gibt, die deutlich besser sind, die zum Beispiel besonders schnelles, sehr preisgünstiges Internet haben. Das ist ein Land wie Schweden. Dort haben zwei Drittel aller Kommunen ihr eigenes Glasfasernetz. Da behandelt man das als Teil der Daseinsvorsorge, die in kommunale Hand gehört. Da managen die Stadtwerke nicht bloß die Abwasserleitungen, sondern auch die Glasfaserleitungen, und am Ende ist das sogar ein interessantes Geschäftsmodell, wo große Einnahmen für Kommunen bei herauskommen. Und man hat ein schnelles, preiswertes Internet für alle.
    "Warum sind viele Daten, die der Staat sammelt, nicht sofort im Netz?"
    Armbrüster: Jetzt ist dieser ganze Bereich der Digitalisierung natürlich auch für viele Menschen behaftet mit dem Gefühl, dass da auch Gefahren lauern. Wenn wir jetzt zum Beispiel denken, dass wir bestimmte Dinge mit der Verwaltung übers Internet klären, dass wir möglicherweise wählen gehen per Internet, so wie das ja in Estland passiert, oder dass wir Anträge stellen bei Verwaltungsbehörden übers Internet, da denken sich viele, ja was ist denn da mit dem Datenschutz. Das ist ja möglicherweise ein Zeitalter, das für mich auch viele Gefahren mit sich bringt.
    Domscheit-Berg: Wahlen online durchführen oder elektronisch durchführen ist sicher am ganz anderen Ende des Kontinuums. Aber warum man in Deutschland zum Beispiel nicht mal eine Meldebestätigung online bestellen kann, die ja nur an die Meldeadresse an den gemeldeten Namen geschickt wird, wo das Missbrauchspotenzial, ich würde mal sagen, ungefähr nahe null ist, das versteht man nicht. Ich verstehe auch nicht, warum ich ein Paket online verfolgen kann, aber nicht einen Bauauftrag, einen eigenen Bauantrag. Warum kann ich den nicht verfolgen? Warum sind so viele Daten, die der Staat sammelt, nicht über Personen, sondern Umweltdaten, Infrastrukturdaten, warum sind die nicht immer alle sofort im Netz? Das sind Dinge, die haben mit Datenschutz nichts zu tun. Da gibt es ganz andere Gründe, kulturelle Dinge, auch eine Frage der Prioritäten, wo steckt man welche Gelder hin, dass diese Dinge nicht passieren.
    Natürlich ist Verbraucherschutz trotzdem wichtig, insbesondere Datenschutz. Da würde ich mir ja wünschen, dass es schon mal damit anfängt, dass Meldedaten nicht von Kommunen verkauft werden an Unternehmen, die dafür Geld bezahlen. Ich weiß überhaupt nicht, warum so was erlaubt ist. Es wird aber praktiziert. Und wenn man als Bürgerin nicht konkret im Einzelfall widerspricht, dass man es nicht möchte, ist der Normalfall, dass meine Daten verkauft werden können. Das wäre für mich schon mal ein Anfang von Privatsphäre, dass man damit aufhört und dass man natürlich auch die staatlichen Mittel nutzt.
    "Innovationen fördern, die dem Gemeinwohl dienen"
    Armbrüster: Frau Domscheit-Berg, mir fällt dabei jetzt gerade ein Wahlslogan der FDP ein. Der hieß: "Digitalisierung first, Bedenken second." Sind Sie da auf einer Linie mit den Freien Demokraten?
    Domscheit-Berg: Ich war mit Christian Lindner auf einer Wahlkampfveranstaltung zu einem digitalen Thema. Da hat er sich auf die Bühne hingestellt und hat gesagt, wir müssen Startups fördern, damit wir auch mal ein paar Googles und Facebooks aus Deutschland kriegen. (Ich wünsche mir die gar nicht hier.) Aber der hat als Forderung gesagt, man sollte komplett alle Regulierungen für Startups abschaffen. Und wenn das mit diesem Plakatslogan mit gemeint ist, dann bin ich wirklich absolut dagegen, denn es gibt jede Menge Risiken, egal ob es im Bereich Internet of Things ist, wo die Leute ihr Zuhause smarter machen und praktisch der Stromzähler alles mitkriegt, was man halt so treibt. Da muss ich auch bei Startups die Menschen schützen, die solche Produkte benutzen. Das heißt nicht im Umkehrschluss, dass man nicht Innovationen fördern kann, dass man es nicht Startup-Unternehmen viel, viel leichter machen kann. Das ist viel zu komplex, das ist viel zu mühsam. Eine GmbH gründen ist total aufwendig. Ich habe das durch vor gut einem Jahr. Da haben wir viele Hausaufgaben. Aber generell zu sagen, alle Regulierungen weg, finde ich nicht in Ordnung. Hier und da kann man Dinge aber erleichtern und lockern und der Staat kann da durchaus auch eine Innovationsrolle spielen. Der kann es zum Beispiel leichter machen, Innovationen zu fördern, die dem Gemeinwohl dienen, wo nicht am Ende ein Venture Capitalist sagt, oh ja, das klingt wie nach total viel Profit für mich, also fördere ich das, sondern dass einfach irgendwo auf der Welt ein gesellschaftliches Problem löst.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" war das Anke Domscheit-Berg. Seit der Wahl am Sonntag ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag für die Fraktion Die Linke. Vielen Dank, Frau Domscheit-Berg, für das Gespräch.
    Domscheit-Berg: Ja, ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.