Ann-Kathrin Büüsker: Und wenn ich Sie da draußen an den Empfangsgeräten als "liebe Hörerinnen und Hörer" bezeichne, dann wird es Personen geben, die das für politisch korrekte Sprache halten – und als solche ablehnen. "Politische Korrektheit", das ist in manchen Kreisen fast zu so etwas wie einem Kampfbegriff geworden.
Politisch korrekt zu sprechen, das bedeutet verschiedene Geschlechter einzubeziehen, das bedeutet das N-Wort nicht zu sagen, das kann auch bedeuten von behinderten Menschen zu sprechen, statt bloß von Behinderten.
Obwohl politisch korrekt zu sprechen also eigentlich als etwas sehr Inklusives verstanden werden kann, als sehr Einendes – spaltet das Thema enorm. Es gibt Leute, die fühlen sich dadurch regelrecht in ihrer Wortwahl zensiert und eingeschränkt. Das möchte ich jetzt mit einem durchdeklinieren, der politisch korrekte Sprache für wichtig hält – mit dem Sprachwissenschaftler Professor Anatol Stefanowitsch.
Anatol Stefanowitsch: Zum einen müssen wir ja sehen, was es bringt, wenn wir keine politisch korrekte, also diskriminierungsfreie Sprache verwenden, und das bringt dann, dass die Diskriminierungen, die bestimmte Gruppen seit teilweise Jahrhunderten erfahren, sprachlich immer weitergetragen werden. Und wenn wir das nicht wollen, wenn wir Menschen nicht weiter zum Ziel von solcher Sprache machen wollen, dann müssen wir, wenn wir nicht mit dazugehören zu diesen Gruppen, aufhören mit dieser politisch inkorrekten Sprache und müssen die politisch korrekte Sprache verwenden, die für den Rest von uns ja ganz normal ist. Wir sind ja daran gewöhnt, dass man uns nicht diskriminiert.
Büüsker: Aber wie kann Sprache diskriminieren?
Stefanowitsch: Sprache kann auf verschiedene Weise diskriminieren. Die offensichtlichste Weise ist, dass es für bestimmte Bevölkerungsgruppen Bezeichnungen gibt, Wörter, einzelne Wörter, die zum Teil eine sehr lange, sehr verletzende Geschichte haben und bei denen vor allen Dingen diese Bedeutungsgeschichte auch in den heutigen Bedeutungsassoziationen, die diese Wörter hervorrufen, immer noch vorhanden sind. Das ist im Bereich des Rassismus besonders deutlich; das ist aber auch im Bereich der Behindertenfeindlichkeit deutlich, wenn wir daran denken, wie Wörter, die wir mal eben so hinwerfen, wie Idiot oder Schwachkopf, tatsächlich einen medizingeschichtlichen Hintergrund haben, bei dem ganze Bevölkerungsgruppen quasi in Heimen eingesperrt wurden, denen jede Art von Autonomie abgesprochen wurde, und heute verwenden wir das als eben mal hingeworfene Beleidigung.
Politisch korrekte Sprache: Abwesenheit von Diskriminierung
Büüsker: Und indem ich solche Worte nicht mehr benutze, werden die Menschen, die ich damit bezeichnet hätte, besser in unsere Gesellschaft eingefügt?
Stefanowitsch: Zunächst mal: Wenn ich diese Wörter benutze, werden diese Leute immer wieder daran erinnert, dass es strukturelle Gründe gibt, aus denen sie nicht diskriminierungsfrei leben. Und ich trage auch die Begründung für diese Diskriminierung, die diesen Gruppen entgegengebracht wird, die ja nicht auf die Sprache begrenzt ist, ich trage die durch die Sprache immer weiter. Zunächst geht es bei der politisch korrekten Sprache nicht darum, nun durch die Sprache wie durch ein Wunder positive Effekte und eine diskriminierungsfreie Welt zu schaffen, sondern die Voraussetzung dafür erst mal zu schaffen, indem das, was an sprachlicher Diskriminierung und Herabwürdigung da ist und was für viele Gruppen der Normalzustand heute ist, dass das abgestellt wird.
Büüsker: Wie erklären Sie sich, dass es bei diesem Thema so starke Abwehrreflexe gibt?
Stefanowitsch: Ich glaube, das liegt an zwei Gründen. Zum einen gibt es Leute, die wollen ganz einfach ihre Diskurshoheit nicht aufgeben. Das ist vor allen Dingen immer die Gruppe, die selber nicht diskriminiert werden kann. Die möchte sich keinesfalls vorschreiben lassen, wen sie wann wo und wie diskriminieren darf. Ich glaube, es gibt dort Leute, die sind der Meinung, sie haben das Recht, über andere Gruppen zu entscheiden, wie über die gesprochen wird, also nicht nur, mit welchen Begriffen, sondern auch mit welchen Inhalten, und die möchten sich das nicht wegnehmen lassen.
Dann gibt es sicher eine zweite Gruppe – und das ist hoffentlich die größere Gruppe. Die kommt nie in die Verlegenheit, selber diskriminiert zu werden, und merkt deshalb nicht, wie das ist, und kann sich deshalb auch nicht vorstellen, wie das ist, wenn man diesem Dauerfeuer von herabwürdigender Sprache ausgesetzt ist, und hat deshalb das Gefühl, man will ihnen hier irgendwie ins Wort reinreden, obwohl sie doch eigentlich gar nichts Böses tun.
Diskriminieren, weil man nichts zu befürchten hat
Büüsker: Und genau das Gefühl ist ja bei vielen in dieser Diskussion immer wieder zu hören, dieses Gefühl von "ich werde gegängelt", "ich darf Dinge nicht mehr sagen", und da ist auch oft die Rede von Sprechverboten. Was sagen Sie dazu?
Stefanowitsch: Da würde ich einmal sagen, die Redefreiheit, die besagt ja zunächst, dass ich meine Meinung äußern darf, dass ich die Inhalte äußern darf, die ich äußern möchte, und die gilt natürlich auch für Menschen, die rassistische Meinungen haben. Wenn ich ein Rassist bin oder eine Rassistin und ich möchte diese Meinung äußern, dann darf ich das ja tun. Tatsächlich wird ja niemand verurteilt dafür, dass er oder sie sich einfach nur allgemein rassistisch äußert. Sonst müssten wir im Bundestag Leute haben, die müssten schon längst im Gefängnis sitzen; stattdessen sitzen sie im Bundestag.
Aber die Frage ist, ob die Redefreiheit auch sich darauf erstrecken kann für uns als Gesellschaft, dass wir es ermöglichen, durch bestimmte Sprachmuster diese diskriminierenden Ausdrücke oder im Fall von geschlechtergerechter Sprache das Verstecken von bestimmten Geschlechtern in der Sprache, dass wir, ohne dass wir eine explizit rassistische Meinung äußern müssen, für die wir uns dann auch verantworten müssten im Zweifelsfall, zum Beispiel rassistische Aussagen machen können, oder dass wir, ohne dass wir explizit sagen, wir halten Frauen für weniger wert, wir sie einfach sprachlich ausblenden können, und dann werden wir gar nicht zur Verantwortung gezogen für die Tatsache, dass wir die Frauen nicht mitdenken.
Büüsker: Also ist es insgesamt dann bei diesen Personen, die Sie beschreiben, ein Sich-Besserstellen durch Sprache?
Stefanowitsch: Auf jeden Fall ist es hauptsächlich eine Gruppe, die bessergestellt ist durch die Sprache. Es ist ja keine Asymmetrie. Es ist ja nicht so, dass, wenn für die eine Gruppe ein diskriminierendes Wort vorhanden ist, für die andere Gruppe ein ähnlich diskriminierendes Wort vorhanden ist, sondern es sind immer bestimmte Gruppen, die schon immer als diejenigen gelten, die am Rand stehen oder denen man teilweise lange überhaupt das Menschsein abgesprochen hat. Für diese Gruppen gibt es herabwürdigende Sprache und für die anderen nicht und es kann durchaus sein, dass es für manche Leute ein Replizieren dieser Sprache, ein immer Weiterführen dieser Sprache auch quasi eine Selbstversicherung ist, die ihnen selber vermittelt, dass sie selber zu denjenigen gehören, die nichts zu befürchten haben.
Identität ziehen aus der Herabwürdigung anderer?
Büüsker: Wenn es eine Selbstversicherung ist, dann kommen wir ja auch in den Bereich von Fragen der Identität. Ich denke diesen Gedanken einfach mal weiter. Indem diese Personen die Sprache benutzen, die sie benutzen, strukturieren sie ihre eigene Wirklichkeit und auch ihre eigene Identität. Das würde dann ja im Umkehrschluss bedeuten, dass jedes Infragestellen dieser Sprache auch ein Angriff auf die Identität dieser Personen ist beziehungsweise von denen so wahrgenommen werden könnte. Das würde dann unter Umständen die starken Abwehrreflexe auch erklären.
Stefanowitsch: Ja. In gewisser Weise ist es so, dass Leute, die noch nie darüber nachdenken mussten, warum sie eigentlich in einer außergewöhnlich privilegierten Position sind, dass die sich schon durch die Tatsache, dass sie mal zum Nachdenken angeregt werden, bedroht fühlen können. Dann würde ich aber von diesen Menschen trotzdem erwarten, dass sie nach kurzem Nachdenken erkennen, dass die Alternative ja ist, dass man andere Gruppen, die schon seit Jahrhunderten diskriminiert werden, weiter diskriminiert. Das kann ja eigentlich auch niemand wollen.
Wenn ich bewusst meine eigene Identität aus der Herabwürdigung anderer beziehe, dann sollte ich auf jeden Fall sehr tief in mich gehen und sehr genau darüber nachdenken, wer ich da eigentlich sein möchte und auf was für eine Art von sprachlicher Dominanz ich da eigentlich bestehe.
Büüsker: Sie haben eben schon den Bundestag angesprochen. Nun erleben wir es in Deutschland im Moment so, dass der politische Diskurs ja zunehmend von politisch inkorrekter Sprache dominiert wird. Alice Weidel von der AfD, die wurde in der vergangenen Woche auch gerügt wegen eines Teils ihrer Rede. Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn im eigenen Parlament zunehmend so eine diskriminierende Sprache benutzt wird?
Stefanowitsch: Ja, es führt zunächst mal dazu, dass es immer selbstverständlicher wird, dass eine solche Sprache verwendet wird. Es gibt ja diese Begriffe, über die wir jetzt ebenso geredet haben. Die sind schon sehr lange in der Alltagssprache verankert. Da wird auch oft gesagt, wir haben das doch früher auch gesagt, da war es auch nicht schlimm, und es wird vergessen, dass das früher auch schlimm war, dass nur früher niemand da war, der sich da in ähnlich öffentlicher Weise dagegen wehren konnte.
Normalisierung des Ungeheuren durch Wiederholung
Das, was wir jetzt sehen ist, dass eine Qualität, die auch schon einmal da war, in der Geschichte schon mehrmals da war, dass die sich jetzt wieder Bahn bricht im politischen Diskurs, etwas, woran wir in den letzten Jahrzehnten zumindest nicht mehr gewöhnt waren, und das führt dazu, dass plötzlich Menschen sich bestätigt fühlen können, dahingehend, dass man all diese Dinge über andere Menschen ja sagen darf, dass es zum Beispiel völlig legitim ist, dass man egal bei welchem Thema und egal worum es geht immer wieder sagt, die Flüchtlinge sind schuld, und das Wort Flüchtling selber, das im Prinzip eigentlich neutral ist, damit so negativ auflädt, dass man den Menschen kaum noch neutral gegenübertreten kann.
Zum anderen ist es natürlich so, dass Leute, die vielleicht selber gar keine negativen Absichten haben, sich auch daran gewöhnen. Diese Denkmuster, die prasseln sozusagen auf uns ein, vor allen Dingen, wenn die Medien sie dann aufgreifen und hundertfach replizieren, so dass selbst diejenigen, die vielleicht ursprünglich Flüchtlingen gegenüber gar nicht übel eingestellt waren, dass die durch das ständige Zusammenbringen von Flüchtlingen mit Kosten, mit hohen Kosten, von Flüchtlingen mit Infektionskrankheiten, all diese Verbindungen, die zum Beispiel die AfD ständig herstellt in all ihren Reden und Pressemitteilungen und Ansprachen, dass wir irgendwann diese Verbindung zumindest nicht mehr in Frage stellen und dass es uns irgendwann selbstverständlich vorkommt, dass man solche Dinge überhaupt sagen darf. Selbst wenn wir noch widersprechen, kommt es uns nicht mehr ungeheuerlich vor, was da eigentlich gesagt wird, und das ist vielleicht sogar die größere Gefahr, dass eine Normalisierung des Ungeheuren hier eintritt durch dieses ständige Wiederholen und das ständige sanktionsfreie Wiedergeben dieser teilweise direkt an den Nationalsozialismus anschließenden Sprachmuster.
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