Sandra Schulz: "Scheidet der Bundespräsident mit Ablauf seiner Amtszeit oder vorher aus politischen oder gesundheitlichen Gründen aus seinem Amt aus, so erhält er einen Ehrensold in Höhe der Amtsbezüge mit Ausnahme der Aufwandsgelder", so heißt es im Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten aus den 50er-Jahren. Erster Mann im Staate war da der knapp 70-jährige Theodor Heuss. Wohl niemand hatte da den Fall eines 52-jährigen Bundespräsidenten a.D. vor Augen, den die bundesrepublikanische Geschichte vor fünf Jahren ja geschrieben hat, als Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktrat nach nur 20-monatiger Amtszeit. Das Bundespräsidialamt subsummierte seinen Fall unter den gerade zitierten Paragrafen, nach einer heftigen Diskussion darüber, ob Wulff aus persönlichen oder politischen Gründen aus dem Amt ausgeschieden sei. Am Wochenende meldete die "Bild"-Zeitung, Wulff arbeite seit dem Frühjahr als Prokurist einer türkischen Modefirma. Die Klarstellung haben wir gerade schon gebracht. Er sieht sich nicht als Prokurist, hat aber Prokura. Und damit gewinnt die Diskussion um seinen Ehrensold wieder an Fahrt.
[Beitrag von Gudula Geuther: Erneut Diskussion um Ehrensold]
Und wir wollen die Diskussion in den kommenden Minuten fortsetzen. Am Telefon ist Stefan Gosepath, Professor für praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. Schönen guten Morgen!
Stefan Gosepath: Einen wunderschönen guten Morgen!
Ehrenamtes - ja, privatrechtliche Dienstleistung - nein
Schulz: Hat Christian Wulff mit dieser Tätigkeit den Rubikon überschritten?
Gosepath: Ja. Ich würde meinen, schon. Vielleicht ist dieses etwas antiquierte Wort "Ehrensold" doch auch ein Fingerzeig. Es ist doch eine Ehre, Bundespräsident zu werden. Und vielleicht sollten diejenigen, die diese Ehre tatsächlich auch wahrnehmen, den richtigen Charakter, die Reife, wie man vielleicht im Fall von Christian Wulff sagen sollte, auch das richtige Alter und vor allem eine lebenslange Bürgertugend haben. Und lebenslange Bürgertugend heißt eben, dass man sich nicht nur während der Amtszeit für das Gemeinwohl und die Belange der Bundesrepublik Deutschland einsetzt, sondern eben auch danach.
Schulz: Also Sie interpretieren den Ehrensold als eine Art Gegenleistung für, sage ich jetzt mal flapsig, nicht-peinliches Verhalten. Wo ist da die Grenze?
Gosepath: Nicht nur nicht peinliches Verhalten. Das wäre ja wirklich schon - das sollte man mindestens verlangen. Sondern, dass jemand sich einsetzt für dasjenige, was er im Amt auch vertreten hat, auch über das Amt hinaus. Und, wie Herr Heil ja schon gesagt hat, geht man normalerweise davon aus, und das wollte ich auch mit Reife und Charakter und Alter andeuten, dass es in der Regel ältere Männer und Frauen sind, die Bundespräsident werden. Das ist eben eine Ehre, und wie bei Preisen sollte man den Preis nicht zu früh im Leben verleihen, weil man nicht weiß, was der Preisträger, die Preisträgerin danach noch machen wird.
Und so, finde ich, ist es auch beim Bundespräsident. Das sollte jemand sein, der gefestigt ist und die Aufgabe, die Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen zu repräsentieren, dann auch wirklich vollumfänglich wahrnimmt. Und das muss dann so in den Charakter übergegangen sein, dass man das dann nach dem Ausscheiden aus dem Amt selbstverständlich so weitermacht, in Form eines Ehrenamtes oder was auch immer, aber nicht einer privatrechtlichen Dienstleistung für ein Unternehmen.
Moralische Beurteilung von einer rechtlichen unterscheiden
Schulz: Aber das sind jetzt alles Wertungen, die Sie uns noch näher aufschlüsseln müssen. Wir haben dazu ja die ganz klare gesetzliche Regelung, das Grundgesetz verlangt das Alter von 40 Jahren. Kann man sicherlich diskutieren, ob das ein Alter ist, in dem man eine gewisse sittliche Reife haben kann oder nicht. Fakt ist, Christian Wulff war ja nun mal beim Ausscheiden aus dem Amt 52. Das stand jetzt auch nicht in seiner Macht, an diesem Lebensalter was zu ändern. Also worauf genau zielt Ihre Kritik ab?
Gosepath: Der Vorschlag war ja jetzt, das Gesetz zu ändern. Und jetzt muss man sich überlegen, was ist eigentlich der Sinn dieses Gesetzes aus den 50er-Jahren, schon etwas alt, mit dem Ehrensold gewesen. Und meine Überlegung geht eben dahin, zu sagen, dass eigentlich dieser antiquierte Ausdruck deutlich machen soll, dass es eigentlich eine Ehre ist, dass man einen Verdienstorden, so ist das, glaube ich, im Militär, dass man einen Verdienstorden bekommt und dazu ein Salär. Und so müsste es eigentlich beim Bundespräsident, bei der Bundespräsidentin eigentlich auch sein.
Jetzt im konkreten Fall muss man ja eine moralische Beurteilung von einer rechtlichen unterscheiden. Rechtlich scheint ja nichts daran auszusetzen sein, wie die Juristen uns sagen. Aber ein Großteil der Bevölkerung findet es moralisch empörenswert, dass jemand eben, wie in diesem Fall, für ein privates Unternehmen jetzt als Rechtsanwalt arbeitet und da noch einen Zuverdienst hat, den er nicht mal gegen das Geld, was er von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bekommt, gegenrechnen muss.
"Ein Staatsamt einzunehmen, verpflichtet auf eine andere Weise"
Schulz: Ja, und über dieses Gefühl würde ich mit Ihnen gern noch weiter sortieren. Denn es gibt ja Menschen im Land, die weitaus mehr verdienen, die in ihrem Leben nie Bundespräsident waren - wo will man da die Grenze ziehen? Wenn man jetzt sagt, das ist nicht vereinbar, als früherer Bundespräsident als Anwalt für ein türkisches Modelabel zu arbeiten, wäre es denn vereinbar, als Herausgeber oder für eine Stiftung Tätigkeiten auszuüben, die dann ja möglicherweise auch bezahlt werden?
Gosepath: Ich finde, der erste große Unterschied ist, ob man sozusagen Beamter, Beamtin war und ob da sozusagen die Pension aus Steuermitteln bezahlt wird, oder ob es eben eine private Vorsorge war, die man gemacht hat. Und das heißt eben, jemand, auch, wenn wir das hohe Gehalt von Vorstandsvorsitzenden kritisieren mögen, wird das ja anders berechnet, und auch die Pension daraus oder die Rente daraus anders berechnet.
Also ein Staatsamt einzunehmen, verpflichtet auf eine andere Weise. Da zahlt ja eben auch der Steuerzahler, der zum Teil ja ein viel geringeres Gehalt hat, also 236.000 Euro Ehrensold ist ja schon eine Stange Geld. Und da kann ich verstehen, dass viele Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sagen, und jetzt verdient noch jemand dazu, und das wird nicht verrechnet. Das ist irgendwie unmoralisch. Also, es ist die Art des Amtes und die Art der Bezahlung danach, die hier die Grenze markiert, und nicht allein die Höhe der Rente.
Verquickung einer staatlichen Kontrollfunktion und privaten Interessen
Schulz: Ist es moralisch nicht viel heikler und viel angreifbarer, oder müsste man sich nicht viel mehr daran reiben, dass frühere Regierungsmitglieder teilweise ja wirklich eben ihre internationalen Kontakte relativ unmittelbar versilbern mit Tätigkeiten in der freien Wirtschaft?
Gosepath: Genau. Da gilt genau dasselbe. Das ist auch ein Staatsamt. Auch die Bundeskanzlerin - man stelle sich jetzt vor, Angela Merkel - im Fall von Schröder hatten wir das ja, dass er kurz danach sich sozusagen auch ein einem privatwirtschaftlichen Unternehmen verdingt hat. Und das finde ich eben genauso anstößig. Da sind jetzt sogar noch andere Gesichtspunkte. Das eine ist, dass er Vorteile, die ihm das Amt jenseits vom Geld gebracht hat, nämlich Macht, Einfluss, Kontakte, dass er die nutzt für private Interessen anstatt für staatliche Interessen.
Beim Fall von Schröder wäre das jetzt, Bundesverfassungsrichterinnen, die dann irgendwie in die Privatwirtschaft gehen und ihre Kontakte nutzen, Minister, die kurz danach ausscheiden und dann zum Teil für Unternehmen, für die sie als Minister zuständig waren, dann selbst unternehmerisch tätig werden. Da liegt auch eine Verquickung einer staatlichen Kontrollfunktion und privaten Interessen vor, die so nicht gehen. Und deshalb gibt es ja auch immer wieder Vorschläge, da längere Kulanzzeiten einzubauen in der Zeit, in der die Minister nicht ohne Weiteres in eine privatwirtschaftliches Unternehmen wechseln dürfen.
"Sich der Würde dieses Amtes auch nach der Ausübung würdig zeigen"
Schulz: Und wir haben beim Bundespräsident eben diese besondere Zuspitzung, deswegen sprechen wir ja auch darüber, dass wir diese Vergütung, diese Bezüge, diesen ja sogenannten Ehrensold haben. Wie würden Sie es denn sehen, wenn Wulff auf diesen Ehrensold verzichten würde? Müsste er sich dann immer noch ehrenhaft, sage ich in Anführungszeichen, ehrenhaft verhalten sein Leben lang als 52-Jähriger? Ist ja auch nicht gerade wenig verlangt.
Gosepath: Nein. Das Amt ist eben auch eine große Verantwortung. Es ist eine große Ehre und eine große Aufgabe. Das sollte man nicht vergessen. Ich fand jetzt auch bei der Suche nach dem neuesten Bundespräsident es schon etwas erstaunlich, wie viele Leute davor zurückgeschreckt sind. Vielleicht war es auch genau diese Aufgabe, die Ihnen klar war. Sie wollten natürlich vielleicht jetzt auch nicht ihre Kandidatur in der Öffentlichkeit zerredet bekommen. Aber ich finde, das macht noch mal deutlich, das Amt, dieses Amt, das des Bundespräsidenten, stellt eine besonders hohe Aufgabe dar. Das der Bundeskanzlerin natürlich auch. Und insofern verlange ich schon, und ich glaube, da bin ich mit vielen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern einig, dass man sich der Würde dieses Amtes auch nach der Ausübung des Amtes, aktiven Ausübung, würdig zeigen sollte.
Schulz: Stefan Gosepath, Professor für Praktische Philosophie an der FU Berlin. Ganz herzlichen Dank für das Interview heute Morgen!
Gosepath: Gern!
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