Der Protest im Sport – von Verbandsseite oft unerwünscht – scheint salonfähig wie nie. Sport und Politik vermischen sich – Konflikte brechen auf. Seit der damalige Quarterback der San Francisco 49ers mit seinem Kniefall vor gut einem Jahr ein Zeichen setzen wollte gegen Rassismus und Polizei Gewalt gegen Schwarze, seither haben Hunderte Spieler – auch in anderen Sportarten – nachgezogen. Versuche, das Ganze von außen kleinzureden, Spieler zu diffamieren, ließen die Wogen nur noch höher werden, immer mehr schließen sich an.
"Erst durch Donald Trump ist es dazu gekommen, dass sich so viele Sportler dem Protest angeschlossen haben", sagte der Sportwissenschaftler Ben Bendrich im Dlf-Sportgespräch. Durch seine Aussagen sei es zu einer Bedeutungsverschiebung der Diskussion gekommen. Trump habe nicht über Diskriminierung gegen Schwarze reden wollen, sondern habe "das Ganze zu einer Debatte über die Hymne, über die Flagge – also eine Diskussion über den Patriotismus" gemacht. Trump habe das Ziel gehabt, Athleten wie Colin Kaepernick zu diskreditieren und zu isolieren und wolle von innenpolitischen Themen ablenken.
Angesichts des Mutes, den Kaepernick aufgebracht hat, um seine Position zu vertreten, müsse man ihn als "amerikanischen Helden" bezeichnen, so Bendrich. Für Eilenberger ist der Sportler sogar "einer der Athleten des Jahrhunderts".
Kaepernick hat viel erreicht
Kaepernick habe mit seinem Protest zudem viel erreicht, meint Bendrich. So gebe es nun einen gemeinsamen Gesetzesentwurf von NFL und Spielern, der noch einmal die Gleichberechtigung für alle Bürger der USA vor den Gesetzen einfordert.
Allerdings müsse man sich Gedanken darüber machen, "wie weit man das Feld des Sports für politische Interventionen öffnen kann" und "welchen Raum der Manipulation und auch der gefährlichen Instrumentalisierung damit geöffnet wird", so der Sportphilosoph Chefredakteur des "Philosophie Magazins" Wolfram Eilenberger.
Besonders große Sportveranstaltungen würden sich für politische und soziale Proteste anbieten. "Selten haben wir gesellschaftsdeckend so viel Aufmerksamkeit." Sport sei zudem in modernen, differenzierten Gesellschaften "eine der wenigen Zonen der Gemeinschaftsbildung, wo Werte und Gewohnheiten eingeübt werden. In dieser sensiblen Zone will man einen Konsens, soweit man ihn wahren kann, wahren. Dort, wo man auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner Gemeinschaft bilden kann, dann ist es besonders heikel, dort Rivalitäten und Kontraste zu setzen."
Kritik an Hertha BSC
Die Anti-Rassismus-Aktion von Hertha BSC vor einem Heimspiel gegen Schalke 04 bewertet Bendrich hingegen als "vages Zeichen". Der Bundesligist hatte sich mit einem kollektiven Kniefall als erstes deutsches Team dem Protest der US-Sportler angeschlossen. "Dem Protest wird die eigentliche Bedeutung beraubt", kritisiert Bendrich. Wolfram Eilenberger: "Es gibt nur eine zynische und sehr traurige Lesart dieser Aktion. Es ist ein Paradebeispiel für eine Aneignung einer Geste, die in diesem Kontext keine andere Funktion hat, als eine Marke zu stärken, die dieses Problem überhaupt nicht hat."
Abschließend betonten Bendrich und Eilenberger die schwierige Trennung von Sport und Politik. "Sport und Politik vermischen sich meiner Meinung nach immer", betonte Bendrich. Das ist nicht möglich, das zu trennen. Das ist der Trugschluss, der immer über Jahrzehnte betont wurde. Mit Blick auf den Konflikt in Amerika werde es jetzt interessant, den Fortgang zu beobachten. Wenn sich die Athleten auf ihre Themen konzentrierten und diese einforderten, dann werde es ihnen gelingen, Veränderungen herbeizuführen. Colin Kaepernicks Handeln habe eine starke Wirkung, ergänzte Eilenberger. "Es zeigt, dass es Individuen mit Mut und Haltung gibt, auch im Sport, die durchaus etwas verändern können."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.