Jacob und Wilhelm Grimm, geboren 1785 und 1786 in der hessischen Stadt Hanau, waren Kinder eines sich rasant und radikal verändernden gesellschaftspolitischen Klimas, das von der Französischen Revolution 1789 eingeläutet worden war: Als Frankreichgegner und leidenschaftliche Anhänger einer vereinigten deutschen Nation nutzten die Brüder Grimm in jeder Hinsicht ihre privilegierte Stellung als Bürger im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts, um ihre nationalstaatsbildende Kraft zu entfalten. Jacob Grimms zeitgleiche Berufung als Abgeordneter der Nationalversammlung und seine Veröffentlichung von "Geschichte der deutschen Sprache" fielen im Jahr 1848 für dieses Vorhaben perfekt zusammen.
"Deutsche Neigung, Lösungen für soziale Konflikte in der Kunst zu suchen"
Der amerikanische Märchenforscher und Germanistikprofessor Jack Zipes stellt in seiner Auseinandersetzung mit "dem Deutschtum" im literarischen und lexikografischen Werk der Brüder Grimm fest: "Die manische Beschäftigung mit Märchen im 19. Jahrhundert - und vielleicht auch heute noch - zeugt von einer deutschen Neigung, Lösungen für soziale Konflikte im Bereich der Kunst zu suchen". "Diese Neigung", so Roelstraete, "hat auch heute noch absolut Bestand, wenn wir die feste Burg der documenta über ihre Transformation in den 1990ern der Globalisierung bis hin zu ihrer heutigen Verankerung in der unwahrscheinlichen Verknüpfung von Kassel und Athen - als einen weiteren Ausdruck dieser entnervenden deutschen Neigung erkennen".
Hinweis: Den vollständigen Text zum Essay von Dieter Roelstraete finden Sie auf der Webseite der documenta 14.