Sigrid Fischer: Vom Fan zum Porträtfilmer: Claus Withopf hat die Punkrockerin und Spoken-Word-Perfomerin Anne Clark als 12-Jähriger für sich entdeckt und jetzt einen Film über sie gedreht. Seit 30 Jahren steht sie in wechselnden Formationen und mit sehr unterschiedlichen Programmen auf der Bühne, von Elektronik bis zu semi-klassischen Konzerten. Ihre New-Wave-Klassiker "Our Darkness" und "Sleeper in Metropolis", die sind aber meistens dabei, wie der Film vermuten lässt. Gegen die Kommerzialisierung ihrer Musik hat sie sich schon früh gewehrt. Claus Withopf, willkommen bei Corso.
Claus Withopf: Vielen Dank.
Fischer: Wir sehen ja am Anfang Ihres Films die ganz junge Anne Clark. War das eigentlich eine wütende Anne Clark?
Punk als Initialzündung
Withopf: Ja, also sie war wütend. Sie sagt auch, sie ist immer noch wütend. Eine gewisse Wut treibt sie auch an, die bringt sie so weit, dass sie da ihre Kunst, ihre Texte manchmal ja auch förmlich rausschreit.
Fischer: Initialzündung für sie als Musikerin war ja die Punk-Bewegung. Sie war sechzehn als die Sex Pistols auftauchten - hat ja viele inspiriert, übrigens auch den vorgestern gestorbenen Marc E. Smith von "The Fall".
Withopf: Ja.
Fischer: Da haben wir ja gestern die Nachrufe alle gesendet. Aber auch für sie war das die Initialzündung.
Withopf: Ja. Das ist natürlich richtig. Anne Clark hatte das natürlich auch alles verfolgt - live im Fernsehen. Und das war natürlich eine ganz große Sache für sie, dass sie da auch aus dem engen Elternhaus ausbrechen und um künstlerisch ganz frei arbeiten konnte. Das war ja so der Aufbruch für alle.
Fischer: Sie erzählt dann ja auch ganz offen - ich meine, sie hatte ja auch ganz schnell Erfolg, relativ schnell Erfolg -, wie mit dem Erfolg dann auch der Ärger und die Enttäuschung kamen und der absolute Rückzug nach Norwegen. Also Erfolg war jetzt für sie nicht nur das große Glück.
Withopf: Also in dem Moment auf keinen Fall. Das war wirklich eine schwere Zeit für sie. Aber auch die richtige Entscheidung, die sie getroffen hat, dass sie sich einfach zurückzieht und eine Auszeit hat und Energie tanken konnte. Ich würde jetzt sagen: Auch mit dem Film sieht man, glaube ich, ganz gut, wie gut das aber ihrer Kunst getan hat, dass sie dann umso mehr ihr eigenes Schaffen vorangetrieben hat und eben ganz frei arbeiten konnte.
Fischer: Sie hat sogar in Ihrem Film erzählt - das erinnert mich so ein bisschen an die heutige Diskussion -, sie hat dann der Plattenfirma Virgin damals mit dem Anwalt gedroht. Und dann haben die gesagt: Okay, und dann sorgen wir dafür, dass du nie wieder arbeiten wirst. Also dieser Machtmissbrauch gegenüber Künstlern, über den debattieren wir ja gerade auch in den verschiedensten Gewerken und Bereichen. Das war auch etwas in der Form, oder? Zu sagen: Damit kriegst du kein Bein mehr auf die Erde.
Withopf: Ja, das war ganz stark in dem Fall. Wie gesagt, das gibt es ja öfters bei Künstlern, Musikern. Das war wirklich sehr hart für sie.
Enge Verbindung zu Deutschland
Fischer: Wieso hat sie eigentlich so einen starken Bezug zu Deutschland immer gehabt? Sie arbeitet ja bis heute mit deutschen Musikern zusammen. Woher kommt diese Deutschland-Verbindung?
Withopf: Ja, das ist eine schwierige Frage. Darüber wundert sie sich auch bis heute und ist natürlich froh über ihr großes deutsches Publikum. Das war von Anfang an, dass sie, als sie bekannt wurde, in Deutschland die größte Fan-Gemeinde hatte und ihr die größte Bewunderung entgegengebracht wurde. Für sie ist Deutschland auch als Kind schon interessant gewesen, kulturell. Sie hat in der Schule schon Gedichte von Rilke gelesen und hat sich immer begeistert für Literatur und Kultur und hatte auch Kontakt mit Austauschschülern aus Deutschland, sodass es förmlich dazu kommen musste, dass sie auch mit dem Erfolg in Deutschland dann später immer mehr mit deutschen Musikern zusammengearbeitet hat - was sie auch bis heute tut.
Fischer: Sie hat dann ja auch Rilke-Gedichte zum Beispiel vertont. Aber das selbst geschriebene Wort ist wahrscheinlich sogar wichtiger für sie. Sie schreibt ja viel, verarbeitet die Dinge auch im Schreiben, oder?
Withopf: Das sagt sie auch. Das war von Anfang an wichtig, also noch bevor Musik überhaupt im Raum stand, dass sie ihre Gedichte mit Musik verbindet. Hat sie ja schon als Kind und Jugendliche sehr viel geschrieben und dachte ja auch, sie würde gerne Dichterin werden. Musik kam ja wirklich erst durch die Punk-Zeit. Das "Tu, was du möchtest, stell dich auf die Bühne, nimm, die Musik dazu", das hat sich ja so ergeben. Das war gar nicht geplant.
"Die Texte haben mich ja immer sehr fasziniert"
Fischer: Und Sie, Claus Withopf, gehen jetzt hin und - wie soll ich sagen - visualisieren ihre Worte eigentlich. Sie arbeiten ja viel mit dem stilistischen Mittel, die Worte, die wir sie dann singen oder sprechen hören - sie hat ja gesagt, sie singt nicht -, dass Sie die auf die Leinwand drucken, in gewisser Weise. Warum haben Sie das gemacht?
Withopf: Ja, das war eben ein ganz wichtiger Punkt, den ich auch, als ich den Film konzipiert hatte, geplant hatte, dass mir das ganz wichtig ist, die Texte, die man manchmal vielleicht überhören würde, weil die Musik ja auch so stark ist … Die Musik ist ja oft eher zugänglich oft, aber die Texte sind so tief gehend, dass ich dachte, die möchte ich gern dem Publikum noch näher bringen. Die haben mich ja auch immer sehr fasziniert. Und ich wollte die Texte als eine visuelle Ebene verdeutlichen und mit Typografie, Animation wirklich groß ins Bild bringen.
Fischer: Ist das überhaupt Ihr Zugang zu Anne Clark - die Texte, die Worte, die Inhalte? Oder ist es mehr die Musik? Oder was hat Sie da eigentlich ursprünglich so angezogen?
Withopf: Sicherlich die Musik im ersten Moment, aber, wie gesagt, habe ich schon gefühlt, dass da mehr in den Texten steckt, sodass beides zusammenkam. Also mich hat beides sehr fasziniert - und natürlich auch die Zeit. Ich meine, ich war da noch sehr jung und dann noch die New-Wave-Zeit mitzuerleben, das war natürlich etwas ganz Spannendes und für mich auch ein gewisser Ausbruch.
Fischer: Glauben Sie ihr eigentlich, wenn sie immer sagt: Nee, ich kann eigentlich gar nicht singen - deswegen spreche ich halt meine Texte. Ich habe es öfters mal versucht oder singe mal vor mich hin, sagt sie in Interviews, aber ich kann nicht singen. Glauben Sie ihr das?
Withopf: Also sie ist ja sehr bescheiden. Aber ein Stück weit würde ich sagen: Ja. Also ich denke, sie ist da schon offen und ehrlich.
"Melancholie schwingt sicherlich mit, aber sie ist auf keinen Fall ein düsterer Mensch"
Fischer: Ja. Und mit ihr wird immer das Wort "Düsternis", "düster" verbunden. Wenn ich sie in Ihrem Film sehe, wirkt sie eigentlich gar nicht düster. Sie wirkt sensibel und vielleicht sehr verletzlich, aber nicht düster. Warum verbindet man immer dieses Düstere mit ihr?
Withopf: Ja, da bin ich sehr froh, dass das im Film anders zu sehen ist. Weil: Das ist leider eine Etikette, das ist ein Klischee. Sicherlich gibt es einige und auch die bekannten Tracks sind düster. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Musik oder Vertonungen oder Texte, die gar nicht so düster sind. Eine gewisse Melancholie schwingt sicherlich mit, aber sie ist auf keinen Fall ein düsterer Mensch. Sie ist sehr lebendig, witzig.
Fischer: Ja, Sie machen ja so eine kleine Sightseeing-Tour durch ihre Vergangenheit, gewissermaßen, durch London. Sie danken im Abspann unter anderem dem Dokumentarfilmer Andres Veiel, der ja "Black Box BRD" gemacht hat, eine Beuys-Dokumentation. Wofür danken Sie ihm?
Withopf: Ihm danke ich wirklich ganz herzlich, Andres Veiel gibt eine Masterclass. Das heißt, er das das Projekt auch über Jahre mit begleitet. Und da bin ich ihm sehr dankbar. Er hatte das sehr stark unterstützt und mich auch immer bestärkt - trotz aller Widrigkeiten, die es dann auch manchmal gab - an dem Projekt festzuhalten und es wirklich bis zum Ende zu bringen.
Fischer: Tja, Sie haben schon ein Nächstes in Planung: Laurie Anderson. Was fasziniert Sie an ihr?
Withopf: Laurie Anderson, fand ich, ist auch eine ganz starke Persönlichkeit, eine Künstlerin, die auch jenseits des Mainstreams arbeitet - noch mal mit einer anderen Auslegung: mehr Performance und bildende Kunst. Im Prinzip ist sie ja schon in Museen vertreten. Das würde noch mal einen ganz neuen Aspekt hereinbringen. Sie ist eben auch eine ganz energiegeladene Persönlichkeit.
Fischer: Ja. Aber jetzt erst mal "Anne Clark: I'll walk out into tomorrow" heißt die Dokumentation von Claus Withopf, die seit gestern im Kino läuft. Vielen Dank.
Withopf: Ich danke Ihnen.
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