Im Herbst 1989 geschieht das Undenkbare. Einige tausend Menschen fliehen über Ungarn und die damalige Tschechoslowakei aus der DDR. In vielen Städten kommt es zu immer größeren Protestkundgebungen. In Leipzig fanden diese Demonstrationen montags im Anschluss an die traditionellen Friedensgebete in der Nikolaikirche statt. Als Zäsur gilt den Historikern die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober, bei der ein bewaffnetes Einschreiten befürchtet wurde - zu dem es dann aber doch nicht kam.
Großschriftstellerin versucht über den DLF Einfluss zu nehmen
Wenige Stunden vor dieser Demonstration versucht Christa Wolf, die vielleicht wichtigste Schriftstellerin der DDR, über den Deutschlandfunk einzugreifen. Sie sagt offen, ihre Angst vor Gewalt sei "der Grund, warum ich heute diesen Weg gehe und mit Ihnen darüber mich unterhalte." Christa Wolf stellt die Frage, warum so viele jungen Leute der DDR den Rücken kehren und warum sie dies offenbar als Befreiung empfinden.
Ziel: eine bessere DDR als Korrektiv der Bundesrepublik
Ihr Ziel ist, durch gesellschaftliche Diskussion aus der DDR einen "besseren Staat zu machen". Dies sei eine schwierige Aufgabe, da von den Herrschenden in Ost-Berlin positive Signale fehlten und da auch "Kreise in der Bundesrepublik das Flüchtlingsthema ausnutzen wollten". Das kapitalistische System werde aber nicht von Dauer sein und könne auch "nicht die Probleme dieser Erde lösen".
Formel von der Wiedervereinigung "ganz gefährliches Geschwätz"
Für Christa Wolf ist die Formel von der Wiedervereinigung "ganz gefährliches Geschwätz". Eine Wiedervereinigung sei weder nötig noch möglich noch gut, sagt sie im Deutschlandfunk. Ziel müsse es sein, eine neue DDR zu schaffen, "die nicht als leichter Happen zu schlucken" sei. Christa Wolf hofft, dass dem Westen "der Knochen im Halse stecken" bleibt.
Zu diesem "Dokument der Woche" haben wir 25 Jahre danach folgendes Interview mit DLF-Literaturchef Hajo Steinert geführt.