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Dokumentarfilm
Der Diener des Fotografen

In seinem Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" porträtiert Wim Wenders den südamerikanischen Fotokünstler Sebastiao Salgado. Dabei wird deutlich, wie sehr ihn der Brasilianer beeindruckt. Selten hat sich ein Biograf so in den Dienst seines Protagonisten gestellt.

Von Christoph Schmitz |
    In einer Szene des Dokumentarfilms "Das Salz der Erde" schauen sich der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado (r) und der deutsche Filmemacher Wim Wenders gemeinsam die Fotos an
    Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado (rechts) und der deutsche Filmemacher Wim Wenders gemeinsam in einer Szene des Dokumentarfilms "Das Salz der Erde" (picture alliance/NFP/Donata Wenders)
    Eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Ein junger Mann, muskulös, die nackten Arme vor der Brust verschränkt, rücklings an einen Holzbalken gelehnt, rastend, abgewandt der müde Blick. Und hinter ihm in einer Senke aus Schlamm, soweit das Auge reicht, hunderte Goldgräber. Eine Goldmine in der Serra Pelada, Brasilien. Wim Wenders zeigt das Bild in seinem Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" und erzählt aus dem Off.
    "Dieses Bild hier habe ich zum ersten Mal vor 20 Jahren in einer Galerie in Berlin gesehen. Ich hatte keine Ahnung, wer es aufgenommen hatte. Wer immer es war, er musste ein großer Fotograf sein als auch ein Abenteurer. Hinten auf dem Abzug war ein Stempel und auch eine Signatur: Sebastiao Salgado? Ich habe das Bild kurzerhand gekauft. Eines wusste ich also schon von diesem Sebastiao Salgado: Menschen waren ihm wichtig. Er liebte sie. Das war in meinen Augen schon sehr viel. Schließlich sind sie das Salz der Erde."
    Wim Wenders lässt das Werk des brasilianischen Fotografen Sebastiao Salgado an uns vorüberziehen und auch sein Leben, wie er auf einer Farm im Landesinneren aufwuchs, wie er Wirtschaftswissenschaften studierte und als ungelernter Fotoreporter um die Welt zog, als Dokumentarist der Krisenherde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als jemand, der das Elend der Kriegsflüchtlinge, der Vertriebenen, der Elenden und Hungernden in einprägsame Porträts bannte. Wenders zeigt einen Künstler, der bei aller Härte seines Realismus immer eine Zugewandtheit erkennen lässt und die Würde auch der Geschundenen herausarbeitet.
    Salgado kommt selbst häufig zu Wort, vor allem als Kommentator seiner eigenen Bilder. Dafür hat Wenders eine besondere Technik eingesetzt. Salgados Fotografien hat er auf einen halbdurchlässigen Spiegel projiziert. Salgado sitzt in einem dunklen Raum dahinter, sodass sein Gesicht in der Fotografie sichtbar gemacht werden kann. Salgado spricht aus seinen eigenen Bildern, seine Bilder erzählen, wie sie zustande gekommen sind, was der Mann hinter der Kamera während der Aufnahme gedacht und gefühlt hat. Wie hier, beim Blick auf die Goldgräberfotos aus der Serra Pelada. Tausende Menschen beim Graben mit Schaufeln, beim Klettern über endlose Leitern mit Lehmsäcken auf dem Rücken.
    Wenders stellt sich ganz in den Dienst seines Objektes
    "Vor mir erschien im Bruchteil von Sekunden die Geschichte der Menschheit", erzählt Salgado, seine Worte sind deutsch untertitelt. "Vor mir erschien die Geschichte vom Bau der Pyramiden, der Turm von Babel. Nicht eine einzige Maschine war dazu zu hören. Alles, was man vernahm, war das Gemurmel von 50.000 Menschen in einem großen Loch. Ich war an den Anfang der Zeit zurückgekehrt. Fast konnte ich das Wispern des Goldes in den Seelen der Menschen hören."
    Wim Wenders stellt sich als Dokumentarfilmer ganz und gar in den Dienst seines Objektes. Er betrachtet Salgado aus Salgados Sicht und begibt sich sogar ästhetisch in dessen Bildsprache. Jede Kritik liegt Wenders fern. Die Poesie seines Films ist die Poesie im Werk des Brasilianers. Selten hat sich ein Biograf so unsichtbar gemacht. So lässt "Das Salz der Erde" uns eintauchen in die Vorstellungswelt eines Fotojournalisten, der selbst ein Leben lang versucht hat, vorzudringen in die Welten anderer, später auch in die Schönheiten und Wunder der Natur, um sie allen sichtbar zu machen in seinem Großwerk "Genesis". Daran hat er über ein Jahrzehnt lang gearbeitet. Salgado und Wenders öffnen uns die Augen. Und bleiben doch bodenständig, etwa wenn Wenders zeigt, wie Salgado die von Erosion zerstörte Farm seines Vaters wieder aufforstet. Und sie verlieren die Leichtigkeit nicht, etwa wenn die beiden Männer sich gegenseitig mit ihren Kameras beobachten. "Das Salz der Erde" ist ein neuer Höhepunkt im Dokumentarfilmschaffen Wim Wenders. Wenders sagt:
    "Eins hab ich gelernt. Einen Fotografen vor der Kamera zu haben, ist etwas ganz anderes, als irgend jemanden sonst zu filmen. Der steht da nicht einfach und spielt sich selbst, sozusagen, nein, von Berufs wegen reagiert er, zieht seine eigene Waffe, seine Fotokamera: Der Mann schießt zurück."