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Dokumentation "Wenn Gott schläft"
Mit Musik gegen die Mullahs

Shahin Najafi ist mit zwei Todesfatwas belegt. Er verändert ständig sein Äußeres. Wenn der Musiker auftritt, schützen ihn Wachleute. In seine iranische Heimat kann er nicht mehr zurück. "Wenn Gott schläft", heißt der Dokumentarfilm von Till Schauder über ihn. Schauder sagte im Dlf: "Najafi ist ein Märtyrer und er hat eine Mission".

Till Schauder im Corsogespräch mit Susanne Luerweg |
    Shahin Najafi, ein junger Mann mit Bart und Sonnenbrille, geht durch eine Menschenmenge
    "Shahin Najafi wird diesen Weg weitergehen - er hat ja auch nicht unbedingt eine andere Wahl" (Real Fiction Filmverleih / Amin Khelghat)
    Susanne Luerweg: "Ich bin berühmt, weil eine Todesfatwa gegen mich ausgesprochen wurde, nicht wegen meiner Songs." Das sagt Shahin Najafi in dem Film "Wenn Gott schläft". Das ist eine Dokumentation über den seit 2005 in Deutschland lebenden iranischen Musiker, der seit seinem Song "Naghi" den Mullahs im Iran ein Dorn im Auge ist und dessen Konzerte unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden müssen. Najafi wohnte, wie auch schon der Schriftsteller Salman Rushdie, einige Zeit bei Günter Wallraff. Der Regisseur Till Schauder hat Shahin Najafi einige Zeit begleitet und sein Film über ihn kommt am kommenden Donnerstag ins Kino. Und ihn begrüße ich am Telefon in Tokio – schönen guten Tag, Herr Schauder.
    Till Schauder: Guten Tag.
    Die zweite Fatwa - "vom Erzählerischen her ein Glücksfall"
    Luerweg: Herr Schauder, die erste Todesfatwa gegen Shahin Najafi, die wurde 2012 ausgesprochen, die zweite 2015. Da waren Sie mit der Kamera live dabei. Wie real haben Sie selbst damals die Bedrohung empfunden?
    Schauder: Sehr real. Also vor allen Dingen im Unterschied zu dem Anfang der Dreharbeiten, ich habe ja 2013 angefangen, das war also ein Jahr nach der ursprünglichen Fatwa, die mir dann entsprechend abstrakt vorkam, weil ich da eben nicht dabei war und alles sozusagen aus der Retrospektive erzählen musste. Und da konnte ich mir zwar vorstellen, wie das vielleicht gewesen ist, aber so richtig erleben konnte ich es natürlich nicht – oder auch nachempfinden. Und als dann die zweite Bedrohung kam, war ich eben just genau in der Zeit bei Shahin. Das war eigentlich auch ein Zufall, das war jetzt nicht unbedingt geplant, dass ich da mit ihm drehe. Wir hatten da einen Dreh wegen ein paar Konzerten, aber wussten natürlich nicht, dass das jetzt passiert, diese Bedrohung. Und das war dann schon natürlich ein ganz anderes Erleben auch für mich. Und vom Erzählerischen her war das im Grunde ein Glücksfall, weil ich eben dann in der Situation war, das richtig mitzunehmen und mitzuerleben.
    Luerweg: Sie sprechen gerade die Konzerte an – das ist ein großer Teil des Films, dass er auftritt. Er hat wahnsinnig viele Fans in Deutschland, singt auf Farsi. Was sind das für Menschen, die ihm da so begeistert zujubeln? Alles Exil-Iraner?
    Schauder: Es sind in erster Linie Exil-Iraner, allerdings auch andere Flüchtlinge. Das kann man ganz gut auf seiner Facebook-Seite analysieren. Er hat ja eine riesengroße Fangemeinde, über eine Million Leute, die ihm da folgen auf Facebook, was auch übrigens ein Grund dafür ist, dass er so gefürchtet wird von offizieller Seite, weil er dadurch eben tatsächlich eine Plattform hat und ein Meinungsmacher ist. Und von diesen über eine Millionen Followern sind über 90 Prozent Iraner, und der überwiegende Teil davon sogar aus dem Iran direkt – was überraschen mag, aber er wird natürlich dort auch verfolgt. Und in Deutschland sind seine Fans im Wesentlichen natürlich auch Exil-Iraner, das ist auch in anderen Ländern so, also plus ein paar anderen Refugees oder Exilanten. Und dann gibt es natürlich auch Leute, die weder mit der einen noch der anderen Gruppe was zu tun haben und einfach seine Musik gut finden.
    "Ich glaube, dass er sich als Märtyrer sieht"
    Luerweg: Die Konzerte finden auch unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Und in Ihrem Film kann man sehen, wie beispielsweise dann einige Musiker sagen: Wir möchten nicht auftreten, nach der zweiten Todesfatwa. Und auch der Manager hört irgendwann auf. Najafi selbst macht immer weiter – hat er eine Mission? Ist er ein Märtyrer? Wie würden Sie ihn beschreiben?
    Schauder: Von allem ein bisschen. Das Märtyrertum steckt ja im schiitischen Islam drin, das ist eine wesentliche Komponente. Ich bin nicht sicher, ob Shahin das bewusst oder unbewusst macht, aber er hat mir mal gesagt, dass es ihn schon kulturell geprägt hat, also sozusagen die Bereitschaft, sich für andere aufzuopfern. Dann hat er sicherlich auch eine Mission, die sich, meines Erachtens nach, ein bisschen aufgestachelt hat – oder sagen wir mal: konzentriert hat – durch die Anfeindungen, die er erlebt hat. Am Anfang hat er schon im Iran nicht nur religionskritische, sondern auch einfach sozialkritische Texte geschrieben, was schon damals dazu geführt hat, dass er dort verboten war und alles im Untergrund machen musste. Bis er dann fliehen musste, weil er in absentia verurteilt wurde. Und je stärker die Reaktion auf seine Musik, desto stärker hat er auch wiederum reagiert. Das hat sich also gegenseitig aufgestachelt so ein bisschen, nach meiner Einschätzung. Und ich glaube schon, dass er eine Mission hat. Ich glaube auch, dass er sich als Märtyrer sieht – und diesen Weg wird er jetzt weitergehen. Er hat ja auch nicht unbedingt eine andere Wahl.
    Wir haben noch länger mit Till Schauder gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Luerweg: Ich wollte es gerade sagen – er hat ein sehr unstetes, unentspanntes Leben, kann sich immer noch nicht so richtig frei in der Öffentlichkeit bewegen. Hoffen Sie, dass Ihr Film auch wie eine Art Schutzschild für ihn ist? Je mehr Öffentlichkeit, desto größer der Schutz?
    Schauder: Die Frage kommt immer als erstes auf, auch bei Publikumsgesprächen. Gestern hatten wir ja in Tokio ein Screening. Und das ist eigentlich immer die erste Frage: Ist der Film ein Schutzschild für ihn oder gefährdet er ihn eher? Und ich glaube natürlich, dass es eher ein Schutzschild ist, schon allein deswegen, weil er ja schon vor dem Film im Visier derjenigen war, die ihm schaden wollen. Und die wussten auch, wo er ist, auf welchen Plattformen, wie gesagt, speziell auf seiner Facebook-Seite ist er ja sehr aktiv. Und der Film, dadurch dass er jetzt auch so eine Aufmerksamkeit erfährt, macht es natürlich immer schwieriger, Shahin von offizieller Seite etwas anzutun, weil das im Grunde ein Public Relations-Desaster wäre, also eigentlich ein Eigentor, weil ihn jetzt so viele Leute kennen und seine Geschichte auch immer bekannter wird. Das kann natürlich jetzt nicht einen Einzeltäter davon abhalten, der sich dazu berufen fühlt, diese Fatwa auszuführen. Das kann der Film sicherlich nicht verhindern. Aber ich glaube schon, dass es insgesamt ein Schutz ist und er sieht das, glaube ich, auch so – sonst hätte er es auch nicht gemacht.
    "Nicht einfach nur ein Atheist"
    Luerweg: Ihr Film heißt "Wenn Gott schläft" - so heißt auch schon das Buch, das Shahin Najafi geschrieben hat. Aber ich denke, da ist nur der Titel gleich?
    Schauder: Das ist richtig. An dem Buch hat mir der Titel am besten gefallen, der ist mir sofort ins Auge gesprungen. Und das ist tatsächlich, glaube ich, der allererste Film den ich je gemacht habe, der vom Arbeitstitel bis zum Endtitel sich nicht geändert hat. Das war schon immer der Titel, schon bei den ersten Treatments und Exposés. Normalerweise mache ich vier, fünf verschiedene Titel durch. Aber der hat mir von Anfang an gefallen, weil er einerseits seine Situation gut zusammenfasst. Was ich mit seiner Situation meine ist, vor allen Dingen, seine Auseinandersetzung mit Religion – und speziell mit Gott. Die ist sehr viel komplexer als, sagen wir mal … Er ist nicht einfach nur ein Atheist oder jemand, der den Glauben abgestoßen hat, sondern er hat da schon eine ziemliche Entwicklung durchgemacht. Und die geht auch weiter. Gleichzeitig fasst der Titel für mich unsere Weltsituation zusammen, in der wir gerade sind, wo sich, glaube ich, viele Leute, sowohl Gläubige als auch Ungläubige, fragen: Sind alle noch wach hier?
    Luerweg: Der Dokumentarfilmer Till Schauder über seinen Film "Wenn Gott schläft", eine Dokumentation über den iranischen Musiker Shahin Najafi. Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos. Herr Schauder, vielen Dank für das Gespräch.
    Schauder: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.