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Donaudelta
Schlafen neben Pelikanen

Das Donaudelta an der rumänischen Küste zum Schwarzen Meer ist ein beliebtes Reiseziel, jedes Jahr kommen zahlreiche Touristen für Kanutouren oder zum Campen in die Gegend. Doch das Delta ist auch ein paradiesisches Biotop - viele Tiere haben hier ihr Zuhause. Und für sie wird der Müll im Schwarzen Meer zum Problem.

Von Daniel Kehr |
    Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien.
    Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien. (imago/imagebroker)
    Auf halbem Weg zum nördlichen Chilia-Arm liegt das Kloster. Am Anleger stehen Jean und Mihail und winken freudig.
    Mihail erklärt mir, was ihn am Delta fasziniert:
    "Es ist der wundervollste Ort auf dem Antlitz der Welt. Das Delta ist wie der Himmel. Mit seiner Vegetation, seiner Fauna und seinem Frieden. Es ist ein ursprüngliches Leben hier. Es ist ruhig und es ist der einzige Ort, wo du wirklich zu dir selbst findest. Du denkst nicht an den Alltagsstress."
    Mihail sorgt sich um das Biosphärenreservat. Jeder Einzelne muss sich seiner Verantwortung bewusst sein, meint er:
    "Wir müssen die Natur sauber halten. Denk daran: Auf der einen Seite machst du etwas, auf der anderen Seite zerstörst du etwas."
    Durch die verschlungenen Wasserstraßen des Deltas bringen wir Jean und Miha zurück nach Tulcea. Jean muss nachmittags noch seinen Flug zurück nach Frankreich erwischen. Er war nur für ein paar Tage hier, um beim Angeln in der Abgeschiedenheit zur Ruhe zu kommen. Zuhause in Saint Tropez leitet er mehrere Apotheken als Geschäftsführer und kommt daher nur selten zur Ruhe.
    Zurück am Hafen in Tulcea treffe ich Gerry und Sabine aus Österreich. Gerry arbeitet seit einiger Zeit in Bukarest für einen großen Ölkonzern. Seine Freundin besucht ihn für ein langes Wochenende. Zusammen sind sie nach Tulcea gekommen, um durch das Donaudelta zu reisen und sich in der freien Natur vom stressigen Arbeitsalltag zu erholen.
    "Ich habe schon mehrfach gehört, dass es hier toll sein soll. Zuhause habe ich eine Bekannte, die aus Rumänien ist, die uns empfohlen hat, auf jeden Fall das Donaudelta zu besuchen."
    Gerry und Sabine kommen gerade von einer organisierten Schiffstour.
    "Das nächste Mal würde ich wahrscheinlich beschließen, in einem Reservat irgendwo im Donaudelta unter zu kommen. Wo man wirklich mit dem Schiff hin fährt und dann dort über Nacht bleibt. Das wäre wahrscheinlich außergewöhnlicher." Genau das habe ich vor. Am nächsten Tag geht es für mich wieder an den Hafen.
    Sulina-Arm im Donaudelta vom Schiff aus.
    Sulina-Arm im Donaudelta vom Schiff aus. (Daniel Kehr)
    Der Wasser-Bus fährt einmal am Tag von Tulcea aus quer durch das Delta bis ans Schwarze Meer. Schiffe sind hier öffentliche Verkehrsmittel, die die verschiedenen Inseln im Delta miteinander verbinden. Für die Einheimischen des Deltas bieten sie eine Möglichkeit, für Besorgungen oder Termine günstig zum Festland zu gelangen.
    Mein Ziel ist die kleine Insel Crișan, mitten im Delta am Sulina-Arm. An Bord des großen Schiffs treffe ich Adrian Suhov, einen jungen Studenten, der in Timișoara Informatik studiert. Aufgewachsen ist er in Sulina, dort wo das Donaudelta ins Schwarze Meer mündet. Er ist auf dem Weg zu einem Familienfest und hat bereits eine lange Reise hinter sich.
    "Ich bin seit 24 Stunden unterwegs und habe noch zwei Stunden bis Sulina. Ich bin von Timișoara nach Arad und von Arad nach Bukarest mit dem Zug gereist. Von Bukarest nach Tulcea mit dem Bus und jetzt von Tulcea nach Sulina mit dem Schiff."
    Für Adrian sind es ganz besondere Erinnerungen, die ihn mit dem Delta verbinden:
    "Meine Schulfreunde und ich hatten diese Tradition: Jeden Sommer sind wir mit einem Boot raus gerudert. Nur mit unseren Zelten und unserer Angelausrüstung. Komplett ohne Essen. Wenn wir Fisch gefangen haben, haben wir Fisch gegessen. Wenn wir Frösche gefangen haben, haben wir Froschbeine gegessen. Und dazu Gemüse, das dort wächst."
    Ich verabschiede mich von meinen Mitreisenden und verlasse das Schiff. Das Dorf Crișan besteht nur aus einem einzigen Weg mit kleinen Häuschen und Gärten, der direkt an der Donau entlang führt. Ansonsten: Vögel, Kühe und Wasser. Viel Wasser. Fischer fahren mit ihren kleinen Motorbooten von improvisierten Anlegern, die sie aus alten Holzlatten und Pfählen zusammengenagelt haben, raus zum Angeln. Kleine Kinder laufen fröhlich grüßend von der Schule nach Hause, Menschen trinken Kaffee aus Bechern. All dies geschieht auf dem einzigen, mit grobem Kies gestreuten Weg.
    Eine ältere Frau in Plastikschlappen und einem verwaschenen Polo-Hemd ruft mir von ihrem Boot aus zu. Ob ich noch eine Schlafgelegenheit suche. Agi bietet mir dann an, bei ihr zu übernachten. Da es nur eine Handvoll ausgewiesener Übernachtungsmöglichkeiten gibt, verdienen sich die Einwohner Crișans so etwas dazu. Das ist hier ganz normal. Zu Fuß mache ich mich auf den Weg zu Ihrem Haus, während sie mit dem Boot vor fährt, um das Bett vorzubereiten.
    Kaum durch die Tür getreten, bricht ein Gewitter los. Ich setze mich auf eine kleine überdachte Terrasse und Agi macht mir Abendessen: als Vorspeise selbst gemachte Fischrogenpaste und dann frisch gefangenen Karpfen vom Grill mit Zitrone. Meine Herbergsmutter hat früher einmal in Würzburg gearbeitet. Jetzt ist sie aber wieder in ihrer Heimat, die für sie einzigartig ist. Sie ist zufrieden mit der Welt, in der sie lebt. In ihrer Küche beschreibt sie mir einen typischen Tag der Bewohner Crișans.
    "Schlafen, frühstücken und eine Tour mit dem Schiff, 3, 4 Stunden. Dann zurück, essen und Sulina oder die anderen Kanäle besuchen. Das Herz des Deltas ist hier in Crișan."
    Langsam senkt sich die Nacht über Crișan. Der Regen hat aufgehört und die unzähligen Tiere des Deltas kommen wieder aus ihren Verstecken. Die Straße ist leer. Die Donau fließt gemächlich zu den nächtlichen Geräuschen der Grillen, Eulen und Frösche durch die Dunkelheit. Gelegentlich erscheint ein Boot mit unregelmäßig knatterndem Diesel-Motor und fährt vorbei.
    Bewohner wollen Heimat und Fluss erhalten
    Nachdem ich am nächsten Morgen mit Agi und ihrer Familie eine Kanne frisch gebrühten Kaffee auf der Terrasse getrunken habe, treffe ich mich mit Laszlo, einem Fischer aus dem Dorf. Er ist Touristenführer. Seine Kunden sind sehr oft Fotografen, meist aus Frankreich und Deutschland, mit denen er raus ins Delta fährt. Um den Fotografen die scheuen Vögel vor die Kamera zu locken, hat er seine ganz eigene Methode:
    "Ich habe einige Vogelgeräusche auf meinem Telefon, denn viele Vögel sind zu klein, um sie so zu entdecken. Wenn du sie sehen willst, musst du an einen speziellen Ort gehen, ruhig sein und das Geräusch machen. Ich zeige dir das mal."
    Anlegestelle in Crisian II
    Anlegestelle in Crisian II (Daniel Kehr)
    Er holt sein Handy raus und drückt ein paar Knöpfe. Eine Bartmeise ertönt:
    "Das ist der Gesang des Männchens. Wenn das Weibchen das Geräusch hört, dann kommt es heraus und wenn du still bist, kannst du ein schönes Bild machen."
    Für die Vögel und die anderen Tiere im Delta ist der Müll dort ein großes Problem. Alles, was auf dem Weg der Donau vom Schwarzwald bis ans Schwarze Meer in den Fluss geworfen wird, sammelt sich letztendlich im Donaudelta. Die Bewohner hier versuchen, selbst etwas zu tun, um ihre Heimat und den Fluss zu erhalten.
    "Diesen Frühling habe ich eine kleine Konferenz veranstaltet und habe die Leute aufgefordert, auf freiwilliger Basis etwas für das Delta zu tun. Sie sollten mit dem Boot raus fahren und den Müll aufsammeln. Danach sollten die Behörden den ganzen Müll auf ein großes Schiff laden und ihn nach Tulcea schaffen. Aber die Bürokratie in Rumänien ist einfach zu groß und das macht es sehr schwer."
    Ich mache mich wieder auf den Weg zum Bootsanleger. Mein Ziel: Sulina. Der Ort, an dem die Donau im Osten Rumäniens ins Schwarze Meer mündet. Gleich neben dem Anleger steht ein kleiner Laden, der Getränke und andere Lebensmittel verkauft. Aus einem benachbarten Garten schallt Musik. Außer mir scheint niemand auf das Schiff zu warten. Vor der Tür des Ladens sitzt eine kleine Gruppe junger Leute. Sie kommen aus Rumänien, Mozambique und Brasilien und sind zusammen auf einer Kanu-Tour durch das Delta. Aufgeregt unterhalten sie sich auf Englisch über die Geschehnisse der letzten Tage. Das Gewitter am Vorabend hatte sie eiskalt erwischt. Ihr Bootsverleiher Petro musste sie unterwegs abholen und nach Crișan bringen. An ein Weiter-Paddeln war nicht zu denken. Die Hilfsbereitschaft der Menschen im Delta beeindruckt sie, wie mir Paolo erzählt:
    "Wir kamen gestern nach dem Regen zurück. Alle waren nass, die Schlafsäcke waren nass. Wir sagten zu Petro: Kannst du deine Nachbarin fragen, ob sie uns vielleicht etwas Suppe etwas machen kann? Es war schon sehr spät, aber sie machte uns Suppe. Es war die beste Suppe, die ich jemals hatte. Und das war um elf Uhr abends. Die Leute hier sind sehr freundlich und versuchen dir zu helfen."
    "Lass nur deine Fußspuren zurück"
    Diana und Sandina erklären mir, wie sie das Delta erleben:
    "Um wirklich sagen zu können, dass du im Delta warst, musst du mit einem Boot fahren, aber ich denke gerade Kanu-Fahren ist ein großartiger Weg, das Delta zu erleben, denn wenn du mit einem Motorboot fährst, machst du eine Menge Krach und verscheuchst die Vögel."
    Um möglichst viel aus dem Delta mitzunehmen, schlafen Diana und ihre Freunde im Freien.
    "Wir haben unsere Zelte und campen nachts an einem der Kanäle wo immer wir Land finden. Wir respektieren die Natur. Es ist sehr schön, direkt neben den Pelikanen zu schlafen und morgens mit dem Sonnenaufgang aufzuwachen."
    Diana genießt das Delta, macht sich aber auch Sorgen:
    "Wir haben uns gestern unterhalten und wir denken, dass wenn das Donaudelta mehr Beachtung bekäme und mehr Leute hierher kommen würden, dann würden sich die Dinge hier vielleicht ändern. Es muss in einer kontrollierten Art und Weise geschehen, damit die Wildnis nicht gestört wird. Wir versuchen so gut wie möglich, keinen Müll zu hinterlassen."
    Und Paolo bringt es dann auf den Punkt:
    "Lass nur deine Fußspuren zurück."
    Diana, Sandina, Paolo und ihre Freunde wollen noch eine Nacht in Crișan bleiben, dann heißt es für sie zurück ins normale Leben - nach Bukarest.
    Ich dagegen gehe an Bord eines weißen Katamarans, der mich nach Sulina bringen soll. Mit mir an Bord: nur ein paar alte Männer und Frauen, beladen mit zahlreichen Taschen und Tüten und die Schiffsbesatzung.
    Entlang der Donau, vorbei am 1802 erbauten alten Leuchtturm mache ich mich zu Fuß auf den Weg zum Schwarzen Meer. Das imposante Bauwerk zeugt noch von einer Zeit, in der Sulina eine große Bedeutung für die Schifffahrt hatte. Im 19. Jahrhundert war die Stadt Stützpunkt der osmanischen Schwarzmeerflotte. Außerdem entschied man sich 1856 für Sulina als Standort der Europäischen Donau-Kommission. Dies geschah im Zuge des Pariser Friedensvertrags zum Ende des Krimkriegs. Noch heute markiert der Leuchtturm die Nullmeile der Donau und ziert zudem das Stadtwappen. Mittlerweile steht er allerdings durch die Anlandung über die Jahrzehnte ein gutes Stück im Landesinneren.
    Der Fußgängerweg geht von Beton zu aneinander gereihten Holzplanken über. Auf der einen Seite: Sanddünen und riesige Windkrafträder. Auf der anderen: der alte Friedhof von Sulina. Könige und Piraten liegen hier begraben. Das jedenfalls sagen die Bewohner.
    Das Rauschen wird immer lauter als ich eine kleine Metallbrücke über einen dünnen Seitenarm der Donau passiere. Dahinter liegt die letzte Düne auf dem Weg zum Strand. Eine kleine Straße geht hinauf, der Sand wird vom Wind über den Teer gepustet. Dann breitet es sich vor mir aus: das Schwarze Meer. Die Donau fließt an mir vorbei um sich schließlich in das riesige Binnenmeer zu ergießen. Weit weg, zu meiner Linken, so weiß ich, liegt die Ukraine, rechts Bulgarien. Meine Füße werden vom Wasser umspült während ich ein paar Schritte ins Schwarze Meer hinein wate. Knapp 3.000 Kilometer legt die Donau auf ihrem Weg durch ganz Europa zurück. Hier, nach dem Durchfließen des Deltas endet ihre Reise. Und mit ihrer auch meine.