"Dreimal Leben" heißt ein erfolgreiches Stück von Yazmina Reza, dreimal Überleben könnte als Motto für Kristof Magnussons neuen Roman "Das war ich nicht" dienen. Ging es in der erfolgreichen französischen Komödie darum, dreimal die gleiche Situation zu variieren - das Treffen zweier Ehepaare nämlich -, handelt Magnussons Roman davon, dass drei Personen, die auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam haben - außer dass zwei ihr Geld mit Büchern verdienen -, an einem Wendepunkt stehen. Bei näherer Betrachtung allerdings entdeckt man etliche Ähnlichkeiten mehr. Dass sie allesamt Singles sind, gehört noch zu den geringsten. Dass sie am Ende aufeinandertreffen, folgt einer Logik, die der Autor - ein geschickter Strippenzieher - inszeniert, ohne als der Alleswisser aufzutrumpfen, der er natürlich ist.
Dabei könnte die gesellschaftliche Situation des prototypischen Trios dissonanter nicht sein: Es besteht aus einem erfolgreichen jungen Broker, einem berühmten amerikanischen Autor und einer schlecht und recht über die Runden kommenden Übersetzerin, die zumindest eines gemeinsam haben: Sie leben davon, die Bedeutung von Zeichen und Zahlen möglichst rasch und genau zu erfassen. Sie sollten es jedenfalls. Jeder Fehler, jede Fehlinterpretation könnte verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen. Jeder ist, wenn man so will, praktizierender Semiotiker.
Dass die drei zu heimlichen Verbündeten werden und als solche am Ende im tiefsten Norden Deutschlands zusammenkommen, verdankt sich ebenso dem Zufall wie der Tatsache, dass sie die Regeln des Systems, dem sie sich verschrieben haben, entweder nicht befolgt oder - im Fall des Brokers - allzu frei ausgelegt und viel zu forsch praktiziert haben.
Die drei sind: der erfolgreiche amerikanische Autor Henry La Marck, Pulitzerpreisträger, seine deutsche Übersetzerin Meike Urbanski, die sich eben von ihrem Lebensgefährten getrennt hat und aufs platte Land in ein ungeheiztes Haus gezogen ist, sowie Jasper Lüdemann, ein junger deutsche Banker, der gerade von einem Fortbildungskurs aus London zurück ist, und nicht weiß, was ihn in Chicago erwartet außer einer leeren Wohnung, einem ebenso leeren Kühlschrank, einem alles andere als erfüllten Privatleben und der kalten Atmosphäre seines Arbeitsplatzes, um den er erst bangt und an dem er sich dann millionenfach überzockt.
Kristof Magnusson lässt diese drei in gleichmäßigem Wechsel monologisch zu Wort kommen, wobei sich - je nachdem, wie nahe man sich kommt - einer über den anderen Gedanken macht, die, je näher man sich kommt, immer öfter zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen führen.
Wir erleben hautnah, wie Jasper Lüdemann zu seiner großen Überraschung schwindelerregend schnell im Händlersaal seiner Bank aufsteigt, wo er ziemlich bald hochriskante Optionsgeschäfte mit Hypothekarbankaktien tätigt - der ausgebildete Kirchenmusiker Magnusson plaudert hier aus dem Nähkästchen, als erklärte er uns eben mal die Register und das Windwerk einer Orgel.
Wir folgen Meike Urbanski auf ihrer Pilgerfahrt zu Henry La Marck, der ebenfalls in Chicago lebt, und dem sie als Übersetzerin den größten Teil ihres bisherigen Berufslebens gewidmet hat. Sie erhofft sich von ihm eine Erklärung für das Ausbleiben des neuen Manuskripts, ja sie gibt sich der Illusion hin, womöglich mit diesem Manuskript nach Hause zu reisen; denn ohne den neuen La Marck wird sich ihre finanzielle Situation so bald nicht bessern.
Wir begleiten wiederum La Marck zu einer Verlagsparty anlässlich seiner Nominierung für den Pulitzerpreis; es wäre sein Zweiter, eine Aussicht, die ihm allerdings nur wenig Freude bereitet, denn sie will ihm wie der endgültige Sargnagel zu seiner Karriere erscheinen.
Niemand ahnt, dass von dem seit langem angekündigten epochalen Roman zum Thema elfter September - auf den man auch in Deutschland ungeduldig wartet - keine einzige Zeile existiert, und es sieht nicht danach aus, als ob sich das ändern würde. Was er großartig als sein nächstes Werk in einer Talkshow angekündigt hat, einfach, weil etwas angekündigt werden musste, war nichts als heiße Luft; in einer Talkshow übrigens, in der auch Elton John auftrat - der in diesem Roman eine hübsche Nebenrolle am Handy spielt, über die hier weiter nichts verraten sei. La Marck steht vor dem Nichts, taucht unter und wartet vergeblich auf jene, von denen er sich erhofft, dass sie ihn von dem Schreibstau befreien, in dem er festsitzt.
Indessen steht die Übersetzerin kurz davor, La Marck endlich leibhaftig zu begegnen; er selbst wiederum möchte - und wird - den jungen Börsenmakler Jasper kennenlernen, dessen Foto ihm in einer Zeitung aufgefallen ist; dieser seinerseits begegnet zufällig Meike, in die er sich sogleich verliebt ... und so nimmt das Verhängnis wie in einer Screwballcomedy seinen irrwitzig sich überschlagenden Lauf, indem es den drei in Schwierigkeiten beruflicher und persönlicher Art geratenen Menschen am Ende des Tunnels einen sicheren Hafen in Aussicht stellt, der, wie sich schließlich herausstellt, tatsächlich existiert. Hätte man ihnen früher eine solche harmonische Lösung in Aussicht gestellt - sie hätten wohl nur ironisch gelächelt. Ein Märchen wird wahr.
Während Kristof Magnusson in seinem Erstling "Zuhause" noch etwas mit der Balance rang und der Leser gegen einige Längen ankämpfen musste, gewichtet und verdichtet er jetzt perfekt und präzise; als glänzenden Dialogschreiber kennen wir ihn aus seinen Theaterstücken, als solcher erweist er sich auch hier. Vor allem aber: Er hat etwas zu erzählen, was wir andernorts nicht schon x-mal gelesen haben, und er tut dies mit einer unaufdringlichen Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht.
Der Stil ist makellos, die Story ebenso glaubhaft wie das Personal. All dies zum reinen Genuss des Lesers, dem hier - an dieser Stelle - noch längst nicht alles, bloß ein Bruchteil dessen verraten wurde, was ihn tatsächlich erwartet: pure Kurzweil zum Thema Wirtschafts-, Schaffens-, Sinn- und Partnerkrise. Gut möglich, dass der Leser bei der Lektüre noch ein paar weitere Krisen entdeckt. Eine des deutschsprachigen Erzählens mit Sicherheit nicht.
Kristof Magnusson. Das war ich nicht
Verlag Antje Kunstmann 2010, 285 Seiten
Dabei könnte die gesellschaftliche Situation des prototypischen Trios dissonanter nicht sein: Es besteht aus einem erfolgreichen jungen Broker, einem berühmten amerikanischen Autor und einer schlecht und recht über die Runden kommenden Übersetzerin, die zumindest eines gemeinsam haben: Sie leben davon, die Bedeutung von Zeichen und Zahlen möglichst rasch und genau zu erfassen. Sie sollten es jedenfalls. Jeder Fehler, jede Fehlinterpretation könnte verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen. Jeder ist, wenn man so will, praktizierender Semiotiker.
Dass die drei zu heimlichen Verbündeten werden und als solche am Ende im tiefsten Norden Deutschlands zusammenkommen, verdankt sich ebenso dem Zufall wie der Tatsache, dass sie die Regeln des Systems, dem sie sich verschrieben haben, entweder nicht befolgt oder - im Fall des Brokers - allzu frei ausgelegt und viel zu forsch praktiziert haben.
Die drei sind: der erfolgreiche amerikanische Autor Henry La Marck, Pulitzerpreisträger, seine deutsche Übersetzerin Meike Urbanski, die sich eben von ihrem Lebensgefährten getrennt hat und aufs platte Land in ein ungeheiztes Haus gezogen ist, sowie Jasper Lüdemann, ein junger deutsche Banker, der gerade von einem Fortbildungskurs aus London zurück ist, und nicht weiß, was ihn in Chicago erwartet außer einer leeren Wohnung, einem ebenso leeren Kühlschrank, einem alles andere als erfüllten Privatleben und der kalten Atmosphäre seines Arbeitsplatzes, um den er erst bangt und an dem er sich dann millionenfach überzockt.
Kristof Magnusson lässt diese drei in gleichmäßigem Wechsel monologisch zu Wort kommen, wobei sich - je nachdem, wie nahe man sich kommt - einer über den anderen Gedanken macht, die, je näher man sich kommt, immer öfter zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen führen.
Wir erleben hautnah, wie Jasper Lüdemann zu seiner großen Überraschung schwindelerregend schnell im Händlersaal seiner Bank aufsteigt, wo er ziemlich bald hochriskante Optionsgeschäfte mit Hypothekarbankaktien tätigt - der ausgebildete Kirchenmusiker Magnusson plaudert hier aus dem Nähkästchen, als erklärte er uns eben mal die Register und das Windwerk einer Orgel.
Wir folgen Meike Urbanski auf ihrer Pilgerfahrt zu Henry La Marck, der ebenfalls in Chicago lebt, und dem sie als Übersetzerin den größten Teil ihres bisherigen Berufslebens gewidmet hat. Sie erhofft sich von ihm eine Erklärung für das Ausbleiben des neuen Manuskripts, ja sie gibt sich der Illusion hin, womöglich mit diesem Manuskript nach Hause zu reisen; denn ohne den neuen La Marck wird sich ihre finanzielle Situation so bald nicht bessern.
Wir begleiten wiederum La Marck zu einer Verlagsparty anlässlich seiner Nominierung für den Pulitzerpreis; es wäre sein Zweiter, eine Aussicht, die ihm allerdings nur wenig Freude bereitet, denn sie will ihm wie der endgültige Sargnagel zu seiner Karriere erscheinen.
Niemand ahnt, dass von dem seit langem angekündigten epochalen Roman zum Thema elfter September - auf den man auch in Deutschland ungeduldig wartet - keine einzige Zeile existiert, und es sieht nicht danach aus, als ob sich das ändern würde. Was er großartig als sein nächstes Werk in einer Talkshow angekündigt hat, einfach, weil etwas angekündigt werden musste, war nichts als heiße Luft; in einer Talkshow übrigens, in der auch Elton John auftrat - der in diesem Roman eine hübsche Nebenrolle am Handy spielt, über die hier weiter nichts verraten sei. La Marck steht vor dem Nichts, taucht unter und wartet vergeblich auf jene, von denen er sich erhofft, dass sie ihn von dem Schreibstau befreien, in dem er festsitzt.
Indessen steht die Übersetzerin kurz davor, La Marck endlich leibhaftig zu begegnen; er selbst wiederum möchte - und wird - den jungen Börsenmakler Jasper kennenlernen, dessen Foto ihm in einer Zeitung aufgefallen ist; dieser seinerseits begegnet zufällig Meike, in die er sich sogleich verliebt ... und so nimmt das Verhängnis wie in einer Screwballcomedy seinen irrwitzig sich überschlagenden Lauf, indem es den drei in Schwierigkeiten beruflicher und persönlicher Art geratenen Menschen am Ende des Tunnels einen sicheren Hafen in Aussicht stellt, der, wie sich schließlich herausstellt, tatsächlich existiert. Hätte man ihnen früher eine solche harmonische Lösung in Aussicht gestellt - sie hätten wohl nur ironisch gelächelt. Ein Märchen wird wahr.
Während Kristof Magnusson in seinem Erstling "Zuhause" noch etwas mit der Balance rang und der Leser gegen einige Längen ankämpfen musste, gewichtet und verdichtet er jetzt perfekt und präzise; als glänzenden Dialogschreiber kennen wir ihn aus seinen Theaterstücken, als solcher erweist er sich auch hier. Vor allem aber: Er hat etwas zu erzählen, was wir andernorts nicht schon x-mal gelesen haben, und er tut dies mit einer unaufdringlichen Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht.
Der Stil ist makellos, die Story ebenso glaubhaft wie das Personal. All dies zum reinen Genuss des Lesers, dem hier - an dieser Stelle - noch längst nicht alles, bloß ein Bruchteil dessen verraten wurde, was ihn tatsächlich erwartet: pure Kurzweil zum Thema Wirtschafts-, Schaffens-, Sinn- und Partnerkrise. Gut möglich, dass der Leser bei der Lektüre noch ein paar weitere Krisen entdeckt. Eine des deutschsprachigen Erzählens mit Sicherheit nicht.
Kristof Magnusson. Das war ich nicht
Verlag Antje Kunstmann 2010, 285 Seiten