Archiv


Drunter und drüber

Erbsenzähler und literarische Feingeister haben keine Chance, wenn der britische Autor Philip Ardagh und Übersetzer Harry Rowohlt ihre Rauschebärte zusammenstecken und Geschichten aus Bad Dreckskaff von Herr Urxl und dem Glitzerdings zum Besten geben.

Von Siggi Seuß | 15.05.2010
    Wenn schon eine Geschichte so anfängt:

    "Bad Dreckskaff ist auf keiner Landkarte zu finden. Das letzte Mal, dass Kartografen auch nur in die Nähe von Bad Dreckskaff geschickt wurden, fand man sie eine Woche später mit nichts als Seiten aus einem Telefonbuch am Leibe und nach ihrer jeweiligen Mami schreiend."

    Wenn schon eine Geschichte so anfängt - und alsbald aus dem Munde der Markise (Markise mit "k") ein sehr kurzes ...

    "Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
    aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
    aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
    aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
    aaaa!"

    ... also, ein sehr kurzes "A" ertönt, dann wissen wir, dass sich zwei wiedergefunden haben: der britische Autor Philip "Rauschebart" Ardagh und Harry "nicht ganz so großer Rauschebart" Rowohlt. Der hat bereits die sechs Eddie-Dickens-Bücher von Philip Ardagh ins Deutsche übertragen, für den ersten Band, "Schlimmes Ende", gab's 2003 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Harry Rowohlts viel gerühmte Kongenialität in den Übersetzungen englischer, irischer und amerikanischer Romane hat sicher weit weniger mit Worttreue als mit Sinntreue zu tun. Sonst hätte er nämlich den Originalschauplatz von Ardaghs neuen Geschichten "Grubtown Tales" (die wiederum als Serie angelegt sind) vielleicht gerade noch mit "Raffhausen" übersetzt und nicht mit "Bad Dreckskaff". Dass der deutsche Titel "Herr Urxl und das Glitzerdings" heißt, klingt allerdings relativ unrowohltisch. Aber dann allein diese Personnage! Schon hier konnte Harry Rowohlt aus dem Vollen schöpfen. 111 Seiten dünn ist das Büchlein (das von Rowohlt gesprochene Hörbuch eineinhalb Stunden lang) und die unvollständige Liste der handelnden Personen nimmt vier Seiten ein. Nennen wir nur einige:

    Yvonne (genannt Ywonne) Zängerlein, Mango G. Laber, Manuell Urxl, Bürgermeister Specki Gómez, "Beinchen Dörr", K.N.O. Blauch, undsoweiterundsofort, und nicht zuletzt der Dorftrottel.

    "Okay, okay, du wirst jetzt wahrscheinlich sagen: 'Wenn Gómez Bürgermeister ist und die Stadt Zuschüsse gewährt, handelt es sich bei Bad Dreckskaff doch um eine Stadt und nicht um ein Dorf ... Weshalb gibt es dann da einen Dorftrottel und keinen Stadttrottel?"

    Erstens möchte ich dir vorschlagen, dass du ENDLICH MAL ANFÄNGST, EIN EIGENES LEBEN ZU FÜHREN, ANSTATT MICH MIT SOLCHEN UNWICHTIGEN EINZELHEITEN ZU BEHELLIGEN."

    Genau. Erbsenzähler und literarische Feingeister haben bei dieser Geschichte keine Chance. "Aber", wird mancher fragen, "es sollte doch eine halbwegs nachvollziehbare Handlung geben?" - Selbstverständlich. Zwar ist die Geschichte zum Haare Raufen schräg, so schräg, dass man meinen könnte, sie sei Nonsense auf höherem Niveau. Dann aber erkennen - zumindest - Erwachsene gewisse Ähnlichkeiten mit dem richtigen Leben in den Käffern landauf landab. Natürlich sind die Typen und Situationen bei Ardagh und Rowohlt spitzfindig, manche auch bitterbös überzeichnet. Ob ganz junge Leser diese Art von bissiger Satire schon begreifen, ist eine andere Frage. Aber die Kinder entdecken hinter und neben und über und unter den zahlreichen Anspielungen alsbald ihre eigene Handlungsleitlinie - und die besteht, in groben Zügen, aus Folgendem: Das Bad Dreckskaffer Heldenpärchen heißt Yvonne (genannt) Ywonne Zängerlein und Mango G. Laber. Sie ist Mädchen und offizielle Enteneinsammlerin des Ortes (was das ist, wird im Buch präzise beschrieben). Er ist ein kleiner, kurzbehoster Junge. Eine außerordentliche Versammlung des Stadtrats beschließt, Ywonne möge Herrn Urxl die neue Stadtregel bekannt geben (obwohl das gar nicht in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung steht). Dazu muss man wissen, dass Herr Urxl sich - äußerlich - in einem absolut desaströsen Zustand befindet.

    "Manuell Urxls Kopf war wie eine vergammelte Kartoffel. Er war klumpig, er war bräunlich gelb oder gelblich braun (je nachdem, von wo man sich ihm näherte), und er hatte Hubbel. Wenn es längere Zeit geregnet hatte, wuchsen Manuell Urxl oft kleine Triebe aus den Ohren."

    Die neue Stadtregel sieht vor, dass Herr Urxl den Ort umgehend zu verlassen hat, wenn er sich nicht sauber aus der Affäre zieht.

    "'Ich glaube, die Bürger der Stadt wollen, dass Sie Haut und Haar und Kleidung waschen und Zähne putzen und die Fingernägel bürsten und beim Zähneputzen mit ganz viel Mundwasser gurgeln, Herr Urxl', sagte Mango.
    'Wirklich', fragte Manuell Urxl.
    'Wirklich', sagte Mango.
    Yvönnchen Zängerlein nickte nur.
    'Ich bin aber doch ein exzentrischer Trillionär', sagte Manuell Urxl. 'Dürfen exzentrische Trillionäre sich nicht anziehen und benehmen, wie sie wollen?'"

    Die Frage werden wir hier nicht lösen. Genauso wenig wie die Sache mit dem Glitzerdings. Es sei nur verraten, dass es in Bad Dreckskaff erheblich schlimmere Zustände gibt als Herrn Urxls Äußeres. Und, es kommen einem fast die Tränen, wenn man erfährt, warum der arme Mann sich so verkrustet hat: Urxl war einst unglücklich verliebt und erhielt von seiner vergeblich Angebeteten nur einen Kuss auf die Wange.

    "'Ich wollte, dass dieser Kuss dort für immer bleibt', sagte Manuell Urxl, 'und wusch mich nie mehr.'"

    Wenn das kein Argument ist! Und so finden wir in Bad Dreckskaff-Grubtown eine Menge kleine Blüten der Wahrhaftigkeit in einem vom ganz normalen Wahnsinn befallenen sozialen Gemeinwesen. Die kleinen Blüten werden die jungen Leser jederzeit entdecken, sich herzlich daran erfreuen und viel zu lachen haben. Der Rest ist für die größeren Fans von Philip Ardagh und vor allem von Harry Rowohlt.


    Philip Ardagh: Geschichten aus Bad Dreckskaff - Herr Urxl und das Glitzerdings. Mit Illustrationen von Christian Moser. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 2010, 112 Seiten, 9,95 Euro ab acht Jahre

    Dazu die CD, gelesen von Harry Rowohlt, exklusive Lesefassung, 93 Minuten, Oetinger audio, Hamburg 2010, 13,95 Euro