Ganz zurückziehen wird er sich nicht, sagt Ramazan Demir, er bleibt aber als Leiter der Österreichischen Gefängnisseelsorge eher im Hintergrund. Die direkte seelsorgerliche Arbeit mit den Gefangenen wird er nicht mehr machen. Denn im vergangenen Jahr wurde er mehrfach mit dem Tod bedroht, von muslimischen Extremisten.
"Die mich anfeinden als den sogenannten 'ungläubigen Imam', der für Frieden aufruft und gegen Gewalt. Das ist so, dass man direkt von den Insassen gesagt bekommt, wenn ich Dich draußen sehe, bist Du nicht mehr da."
"Die Bedeutung von Religion nimmt in der Haft zu"
Inhaftiert sind sie wegen Terrorverdachts, weil sie in den Krieg nach Syrien ziehen wollten oder beim IS gekämpft haben, manche mit langjährigen Haftstrafen, andere nur für kurze Zeit. In den Gefängnissen treffen sie auf Kleinkriminelle - junge Männer, die leicht zu indoktrinieren sind.
"Denn die Bedeutung von Religion nimmt in Haft zu. Und wenn jemand nicht vor Ort ist, der authentisch den Islam wiedergibt und auch Fragen, die im Kopf herumwirren, keine Antworten finden, dann tun das Mitinsassen, Zellengenossen. Und das kann dann gefährlich sein. Ich kann eines sagen: Das Gefängnis ist eine Brutstätte der Radikalisierung."
Demir hat schon oft erlebt, wie aus jungen Inhaftierten muslimische Extremisten wurden. Und das innerhalb kürzester Zeit, denn die Indoktrination sei im Gefängnis einfacher als draußen, weil es hier kein Entkommen gebe. Die Anwerbung verläuft nach dem Muster: Vertrauen schaffen, Zugehörigkeit herstellen, das Freund-Feind-Schema aufbauen. Hier die sogenannten "Gläubigen", die den vermeintlich wahren Islam kennen, dort die sogenannten "Ungläubigen", also alle anderen. Dann wird an die Solidarität appelliert: In Syrien sterben die muslimischen Geschwister, ein wahrer Muslim könne das nicht tatenlos hinnehmen – so die übliche Argumentation.
"Das war meine Pflicht"
Ramazan Demirs Buch handelt von Islamisten, die im Gefängnis ihren Irrweg erkannt haben, ebenso wie von jenen, die sich nicht belehren ließen und zur Gefahr für andere wurden. Geschrieben habe er das Buch, um Politik und Öffentlichkeit zu warnen.
"Denn ich glaube, das war meine Pflicht, der Bevölkerung zu zeigen, wie ticken diese Extremisten, wie werden sie radikal und welchen Irrtümern sind sie verfallen."
20 solcher Irrtümer hat er aufgelistet in seinem Buch, darunter: Demokratie sei Teufelswerk, der Islam müsse mit Gewalt verbreitet werden, Ungläubige seien Feinde, nicht-muslimische Gotteshäuser müssten zerstört werden, Zwangsehe, Ehrenmord und Genitalverstümmelung seien islamisch.
"Der muslimische Seelsorger kann sehr viel bewirken"
Ramazan Demir hält dagegen. Mit Bildung und einem liberalen Islam, der davon ausgeht, dass die Gewaltverse im Koran einem bestimmten historischen Zusammenhang entstammen. Dass so manche Hadithe, die als Ausspruch des Propheten gehandelt werden, schlicht Fälschungen seien. Dass die Ansichten über Frauen oder Sklaven dem Menschenbild des 7. Jahrhunderts entsprechen würden und heute keine Gültigkeit mehr haben könnten. Aber können Seelsorgestunden und Freitagspredigten Extremisten verändern?
"Alle sind wichtig, der Psychologe ist wichtig, der Sozialarbeiter ist wichtig, auch der Justizwachbeamte ist wichtig. Die brauchen auch politische Bildung, die haben Verschwörungstheorien im Kopf. Nur: Der Seelsorger ist von großer Bedeutung, weil die Leute, die Radikalen, im Kopf sehr, sehr viele Falschinformationen besitzen, Halbwissen, wo sie einfach glauben, das ist die Wahrheit. Und wenn Sie jemanden informieren und aufklären wollen, der sagt, Islam ist Gewalt, Demokratie und Islam ist nicht vereinbar, dann wird es ein Sozialarbeiter schwierig haben, der der arabischen Sprache nicht mächtig ist, der sich nicht auskennt im Koran, in der Sunna. Da kann natürlich der muslimische Seelsorger sehr viel bewirken."
Von den gut 2000 muslimischen Häftlingen in Österreichs Haftanstalten bestehe bei etwa 60 der Verdacht auf eine IS-Verbindung.
"Es gibt einige wenige Extremisten, die auch in Europa was machen wollen. Heute ist zwar der IS in Syrien fast tot, aber gestern gab es al-Qaida, Boko Haram und morgen wird es irgendwas anderes geben. Man muss diese Ideologie bekämpfen."
Von der Politik fordert Ramazan Demir, die Radikalisierung in den Gefängnissen ernster zu nehmen und mit mehr Personal dagegen anzugehen. Und an die muslimische Community richtet er den dringenden Appell, Jugendliche und junge Erwachsene über den islamischen Extremismus besser aufzuklären, um sie und die Gesellschaft wirksam zu schützen.
Ramazan Demir: "Unter Extremisten. Ein Gefängnisseelsorger blickt in die Seelen radikaler Muslime."
Wien, edition a, 2017, 240 Seiten, € 21,90
Wien, edition a, 2017, 240 Seiten, € 21,90