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DW-Moderator Michel Friedman
"Es war ein normales Konflikt-Interview"

Im Streit um ein Interview der Deutschen Welle mit dem türkischen Minister Akif Kilic hat der Journalist Michel Friedman der Darstellung aus Ankara widersprochen. Das Videomaterial sei in der Tat konfisziert worden, sagte Friedman im DLF. Man verfüge jetzt über keinerlei Aufzeichnungen des Gesprächs mehr.

Michel Friedman im Gespräch mit Bettina Klein |
    Michel Friedman in einer Interviewsituation. Er sitzt seinem Gesprächspartner gegenüber.
    Der Journalist Michel Friedman (Deutsche Welle/Monika Martin )
    Der Pressereferent Kilics habe nach dem Interview Druck auf das türkisches Technik-Team der Deutschen Welle ausgeübt, berichtete Friedman. Der Kameramann habe daraufhin den Chip mit den Aufnahmen ausgehändigt. Bereits zuvor hätten Mitarbeiter des Ministeriums verlangt, noch einmal über das Interview zu sprechen. Das habe er aber abgelehnt: Es gelte das gesprochene Wort, habe seine Antwort gelautet.
    Die Deutsche Welle habe inzwischen mit einer offiziellen Note beim Ministerium und beim türkischen Presseamt die Rückgabe der Aufnahmen verlangt, so Friedman weiter.
    Kilic hatte gestern auf Twitter bestritten, dass das Interview mit ihm beschlagnahmt worden sei. Man habe lediglich gefordert, das Interview nicht auszustrahlen. Die Deutsche Welle müsse diesem Wunsch nach Autorisierung nachkommen.
    Ursache für den Eklat war laut Friedman eine zunehmende Unzufriedenheit des Ministers mit den kritischen Fragen, der er ihm gestellt habe. Als es um die Einflussnahme des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei den Themen Frauenrechte und Verhütung gegangen sei, habe Kilic sich schließlich "vollkommen verweigert". Es sei aber ein normales Konflikt-Interview gewesen, versicherte Friedman.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir wollen noch auf ein weiteres Thema schauen, das wir heute Morgen bereits angerissen haben. Es geht um einen möglichen oder tatsächlichen erneuten Fall von Angriff auf die Pressefreiheit in der Türkei. Es geht um ein Interview der Deutschen Welle, das angeblich oder tatsächlich von der türkischen Regierung beschlagnahmt wurde. Geführt hat das Interview der Kollege Michel Friedman für die Deutsche Welle, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Friedman!
    Michel Friedman: Guten Morgen.
    Klein: Was ist passiert? Sie haben den türkischen Sportminister interviewt. Alles war gut vorbereitet. Und dann ging es wie weiter?
    Friedman: Wir haben das Interview gemacht. Während des Interviews merkte man, dass der Minister not amused ist, andere Fragen gerne bekommen hätte, die Fragen, die gestellt wurden, weniger gerne beantworten hat wollen. Das steigerte sich dann während des Gesprächs. Allerdings blieb das Ganze im Rahmen eines normalen Konfliktinterviews. Wir heißen "Conflict Zone", wir gehen von der Deutschen Welle in die internationale Welt, wo Probleme sind.
    In der Türkei, wie wir alle wissen, sind Probleme. Wir haben einige dieser Probleme angesprochen: Die Frage der Kurden, wir haben angesprochen die Frage der Verfolgung von Journalisten, von Lehrern, von Richtern, von vielen Menschen, die im Gefängnis sind und schon lange im Gefängnis sind.
    Wir haben natürlich aber auch darüber gesprochen, wie die Incirlik-Frage mit der Bundesrepublik Deutschland und Europa gelöst werden kann. Wir haben darüber diskutiert, ob die Visa-Freiheit kommen kann und kommen wird, wenn die Anti-Terror-Gesetze so weiter gehandhabt werden, denn sie sind der Ursprung all dessen, was ich gerade berichtet habe: Ausnahmezustand und im Rahmen dieses Ausnahmezustandes können Dinge in der Türkei gemacht werden über die Anti-Terror-Gesetze, die wir so nicht nachvollziehen können.
    Apropos: In Frankreich ist auch Ausnahmezustand. Dort werden Journalisten nicht verhaftet, werden Richter nicht verhaftet, werden Zeitungen nicht geschlossen.
    Klein: Herr Friedman, woran hat sich der Minister jetzt gestört in diesem Interview?
    Kritische Fragen zur Situation von Frauen
    Friedman: Ich glaube, am schwierigsten wurde es dann im Gespräch, als er merkte, dass die Vorstellungen, die er hat, dass gefragt werden soll wie er will, nicht stattfanden, und wir landeten dann auch - ein Stichwort, das ihm überhaupt nicht gepasst hat - bei den Rechten der Frauen, beim Selbstverständnis der Frauen.
    Wir haben dazu Zitate von Präsident Erdogan formuliert, wo es um die Frage der Verständigkeit der Frau, wenn sie keine Kinder hat oder wenn sie Kinder hat, ging. Wir haben über Verhütung gesprochen, dass das Sünde sei und nicht Gottes Wille, und da gab es zum Beispiel von mir eine Frage, ob der Präsident eigentlich ein Politiker ist oder ein Imam, denn es sei doch relativ unüblich, in einer politischen Diskussion sich auf Gott und auf Religionsbücher zu beziehen. Da wollten wir hören, wie denn der Minister, der auch Minister der Jugend ist, also der Zukunft, zum Rollenbild, zu den Freiheitsrechten und den Identitätsrechten der Frauen steht. Da verweigerte er sich vollkommen.
    Das Gespräch beendete sich. Wir verabschiedeten uns. Wir verließen das Gebäude, blieben auf dem Gelände. Dann kamen mehrere Mitarbeiter, unter anderem auch der Presseberater auf uns zu und fragten mich: Der Minister sei not amused und würde gerne mit mir noch mal darüber sprechen. Ich sagte, das geht überhaupt nicht. Ein gemachtes Interview wird nicht nachverhandelt. Wir machen live on Tape und wollten dann gehen. Dann wurde uns auch noch mal erläutert, warum und weshalb, und ob man denn Herrn Gauck, wenn er über Frauenbilder was gesagt hätte, ob wir das in Zweifel ziehen würden in Deutschland. Dann habe ich gesagt, selbstverständlich! Bei uns werden alle politischen Äußerungen von Spitzenpolitikern betrachtet und reflektiert.
    Material wurde beschlagnahmt
    Das Gespräch brachte nichts und nachdem die Kollegen gemerkt haben, dass die bei uns und bei mir - ich war ja mit meinem Team da der Deutschen Welle von "Conflict Zone" - keine Kompromisse finden, wandte sich dann der Presseoffizier an unser türkisches Technikteam und sprach dann in türkischer Sprache. Wir sahen, dass dann der Kollege der türkischen Kameraleute aus der Kamera den Chip herausnahm, und meine Kollegin von der Produktion sagte dann sehr laut und deutlich: "This is not allowed, don't take our material!" Und auch zu dem Presseberater: "We don’t allow that!"
    Das half nichts. Er nahm das Material dann mit und ging dann wieder in das Gebäude des Ministeriums.
    Klein: Herr Friedman, Sie sind den Chip jetzt los, und wie reagieren Sie jetzt?
    Friedman: Ja, wir haben kein Material. Es ist uns "entnommen" worden. Und deswegen hat die Deutsche Welle mit einer offiziellen Note gestern, also ein paar Stunden danach, sowohl dem Ministerium als auch dem Bundespresseamt der Türkei, so wie wir das hier haben, eine Note überbracht, wo wir bis zwölf Uhr, gestern zwölf Uhr mittags, die Herausgabe unseres Materials verlangt haben. Die Frist ist verstrichen und seitdem haben wir uns dann entschieden, die Deutsche Welle, der Intendant, deutlich zu machen, was hier passiert ist, und das aus zwei Gründen.
    "Wenn so etwas möglich ist, haben wir ein Problem"
    Wenn erstens so etwas möglich ist bei einem internationalen Team, dass ein Interview, das ein Minister nicht goutiert, dazu führt, dass dieser Minister oder seine Mitarbeiter durch Druck einfach das Material "beschlagnahmen" und mitnehmen, und dass sie hilflos sind und nichts dagegen tun können und während das passiert bemerken, wie türkische Mitarbeiter Angst haben …
    Klein: Herr Friedman, kurz noch den zweiten Punkt. Wir gehen hier auf die Nachrichten zu. Entschuldigung! Sagen Sie noch schnell den zweiten Punkt?
    Friedman: …, dann haben wir ein Problem!
    Klein: Sie haben jetzt eine Protestnote eingelegt und wir werden abwarten müssen, was passiert, wie sich die türkische Seite da weiter verhält. Michel Friedman war das heute Morgen bei uns live im Deutschlandfunk über seine Erfahrungen mit einem beschlagnahmten Interview mit dem türkischen Sportminister. - Herr Friedman, danke für Ihren Auftritt heute Morgen bei uns.
    Friedman: Gerne! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.