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Ebola in Liberia
Wie tröstet man Kinder, wenn man Angst hat, sie in den Arm zu nehmen?

"Ich versprach Esther, dass wir neue Eltern finden würden. Aber Esther will keine neuen Eltern, sie will zurück zu ihrer Mutter und ihrem Vater." Esther ist durch Ebola zur Waise geworden. Wie ihr geht es vielen Kindern in Liberia. Doch das Virus bringt nicht nur den Tod in das afrikanische Land. Es verändert die ganze Gesellschaft: Menschen geben sich nicht mehr die Hand, Familienmitglieder umarmen sich nicht mehr - aus Angst vor Ansteckung. Eine Reportage.

Von Patrik Wülser |
    Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen/Medecins Sans Frontieres (MFS), desinfizieren am 02.09.2014 in Schutzkleidung am Ebola Zentrum der Hilfsorganisation in Monrovia, Liberia, Leichensäcke.
    Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen desinfizieren in Schutzkleidung am Ebola-Zentrum der Hilfsorganisation im liberischen Monrovia Leichensäcke. (dpa / picture-alliance / Caroline van Nespen)
    Unter einem Mangobaum sitzt ein Mädchen. Die Vögel auf den Ästen machen einen Heidenlärm. Nur das Mädchen ist still. Seit Männer in Schutzanzügen nachts kamen und ihre Eltern in weißen Plastiksäcken abtransportiert haben, spricht Esther nicht mehr. Sie lebt heute in einem Ebola-Waisen-Haus außerhalb Monrovias. Das Mädchen sei gesund und eben doch krank, erzählt die Heimleiterin Femata Mduno. Die ersten Nächte habe Esther nicht geschlafen, sondern nur geschrien:
    "Sie wollte wissen wo ihre Mutter und ihr Vater sind. Sie hatte keine Ahnung wohin man ihre Eltern gebracht hatte. Ich versprach Esther, dass wir neue Eltern finden würden. Aber Esther will keine neuen Eltern, sie will zurück zu ihrer Mutter und ihrem Vater. Trotzdem müssen wir für sie neue Eltern finden, aber das ist in diesen Zeiten gar nicht einfach."
    Ebola-Waisen werden gemieden. Man hat Angst, sie könnten ansteckend sein. Die weißen Plastiksäcke wiederum wurden zum Symbol des Schreckens für eine ganze Gesellschaft. Wenn jemand stirbt, wählt man die Telefonnummer 4455. Dann rücken Männer aus, um die hochansteckenden Toten zu entsorgen:
    "Ich bekomme bereits Angst, wenn sie kommen. Sie kommen und holen unsere Liebsten. Allein in meinem Dorf verpackten sie 15 Menschen. Immer wenn ich sie sehe, denke ich: Eines Tages werden die auch mich abholen. Das ist der Grund, weshalb ich so Angst vor Ebola habe."
    Für Überlebende hat sich alles geändert
    4.000 Menschen holte sich Ebola in Westafrika bereits. Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Kinder. Zurück bleiben verzweifelte Eltern oder Waisen wie Esther - in einem Alltag, in dem nichts mehr so ist wie früher:
    "Die Seuche macht den Alltag makaber: Auf offenen Lastwagen werden die Leichen zu Verbrennungsstellen gefahren."
    "Die Seuche riecht nach Chlor. Vor jedem Haus steht ein Kübel mit Chlorwasser zur Desinfektion der Hände."
    "Und die Seuche schafft Misstrauen: Ebola machte Liberia zu einem Volk der Unberührbaren."
    "Wir geben einander nicht mehr die Hände. Wir umarmen einander nicht mehr. In der Kirche hält jeder Abstand zum anderen. Kinder besuchen ihre Eltern nicht mehr und Eltern berühren ihre Kinder nicht mehr. Aber wie können sie ein Kind, das hingefallen ist, trösten ohne es zu berühren."
    Viele empfinden die Seuche schlimmer als Krieg
    Femata Mduno ist 52 Jahre alt und sieht aus wie 70. 14 Jahre Bürgerkrieg haben ihre Spuren hinterlassen. Schätzungsweise 200.000 Menschen kamen zwischen 1989 und 2003 in Liberia ums Leben kamen. Das sei schlimm gewesen, aber Ebola sei noch viel schlimmer. Die Seuche sehe und höre man nicht. "Eines Morgens bist Du einfach plötzlich krank und dem Tod geweiht", sagt Femata.
    "Alles ist anders. Wenn wir während des Krieges Schüsse hörten, war klar, wir müssen das Dorf verlassen und flüchten. Wenn Ebola wie der Krieg wäre, dann würde ich doch nicht hier sitzen. Ich wäre längst geflüchtet. In die Nachbarländer Guniea oder Sierra Leone. Während dem Bürgerkrieg flüchtete ich in die Wälder dieser beiden Länder und kehrte nach dem Krieg zurück. Aber heute getraut, man sich ja nicht einen Bus zu besteigen."
    Man ist verdammt zu bleiben, bis die Seuche kommt. Seit die Seuche Esthers Eltern dahingerafft hat, schweigt das Mädchen. Es sitzt am Boden und trägt ein hellblaues T-Shirt mit der Aufschrift: "Superman rettet alle Mädchen der Welt". In Westafrika war er offensichtlich noch nicht. Esther wartet auf ihn. Unter einem Mango-Baum in Liberia.